[* 3] (spr. ruāng),Hauptstadt des franz.
DepartementsNiederseine, ehemalige Hauptstadt der
Normandie, in geographisch
bevorzugter
Lage am rechten
Ufer der Seine, deren
Thal
[* 4] hier zwar eng ist, mittels zweier Seitenthäler aber
Raum zur
Ausdehnung
[* 5] der Stadt bietet. Diese liegt unterhalb der Vereinigung der Seine mit allen größern Nebenflüssen, an
einem
Punkt, bis zu welchem die
Flut das Vordringen von Seeschiffen, wie sie bis in die neueste Zeit üblich waren, gestattete,
gleichzeitig aber durch die Windungen des
Flusses von der Seeseite geschützt, so daß Rouen bis in die letzten
Jahrhunderte, namentlich aber im
Mittelalter, der
Punkt war, durch welchen das ganze Seinebecken mit der überseeischen
Außenwelt
verkehrte.
Die Seeleute von Rouen gehören zu den Entdeckern
Frankreichs an entlegenen
Küsten. Erst seitdem die
Schiffe
[* 6] größer geworden,
ist
Havre
[* 7] in dieser Hinsicht an die
Stelle von Rouen getreten, das sich durch Baggerungen nur ein für
Schiffe
von 5 in Tiefgang genügendes
Fahrwasser zu erhalten vermocht hat und somit noch immer ein für kleinere Seeschiffe zugänglicher
Hafen ist. Den Verlust hat es durch
Industrie wie durch Schienenwege zu ersetzen gewußt, die es mit
Paris
[* 8] und
Havre, mit
Fécamp,
Dieppe,
[* 9]
Tréport,
Granville und
Cherbourg
[* 10] sowie zahlreichen Binnenplätzen in mehr oder weniger direkte
Verbindung
setzen. hat 6 Vorstädte, von denen
St.-Sever am linken
Ufer der Seine liegt und mit der Stadt durch eine steinerne, über
die
InselLacroix führende
Brücke
[* 11] (von 1829) mit sechs
Bogen
[* 12] und eine
Hängebrücke verbunden ist.
Das frühere altertümliche und charakteristische Aussehen von Rouen, seine alten
Straßen und
Häuser sind der modernen Umgestaltung
der Stadt größtenteils zum
Opfer gefallen. Es hat einen
Gürtel
[* 13] von
Boulevards, welche die
Stelle der alten Festungswerke einnehmen,
Kais in einer
Ausdehnung von mehr als 2 km und 36
Plätze, darunter den Platz des Stadthauses mit einer
bronzenen Reiterstatue
NapoleonsI., den alten Marktplatz, die
Place de la
Pucelle mit Denkmal der
Jeanne d'Arc auf einem
Brunnen
[* 14] u. a. Unter den
Kirchen, deren Zahl seit der französischen
Revolution von 37 auf 14 (dem
Gottesdienst gewidmete) herabgesunken
ist, sind die hervorragendsten die
Kathedrale
(Notre Dame) und die
Kirche St.-Ouen, zwei gotische Bauwerke,
erstere dem
Stil des 13., letztere dem des 14. Jahrh. angehörend.
Der
Bau derKathedrale ist nach ihrer 1200 erfolgten Zerstörung unter
Johann ohne Land wieder aufgenommen worden; die 1509-30
errichtete
Fassade hat zwar im
Lauf der Zeit sehr gelitten, übt aber, wie auch die beiden Seitenportale,
eine imponierende
Wirkung aus und ist mit unzähligen fein ausgeführten, wenngleich halb zerstörten
Skulpturen geschmückt.
Die
Kathedrale hat drei
Türme, von denen der über dem
Kreuz
[* 15] der
Kirche emporsteigende Mittelturm
(Tour de
Pierre) mit in neuester
Zeit aufgesetzter eiserner
Pyramide, 150 m hoch, nur dem
Kölner
[* 16]
Dom an
Höhe nachsteht.
Das
Innere der
Kirche
(Länge 136 m) enthält wertvolle
Glasmalereien und 25
Kapellen, darunter die der heiligen
Jungfrau mit schönen
Grabdenkmälern, insbesondere
dem prachtvollen, durch
Diana von
Poitiers ihrem Gemahl
Ludwig von Brézé errichteten Denkmal
und dem ebenso schönen Doppelmonument der beiden
Kardinäle von
Amboise (1518). Ein glänzendes
Muster
der spätern Gotik ist die
Kirche St.-Ouen, welche im wesentlichen 1318-39 erbaut worden ist. Den reich ausgestatteten
Turm
[* 17] (87 m hoch) über der
Kreuzung fügte man gegen Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrh. hinzu.
Unter den andern
Kirchen ist die der spätesten
Epoche des gotischen
Stils angehörende
Kirche St.-Maclou
(aus dem 15. Jahrh.) zu erwähnen. Das interessanteste der weltlichen Gebäude ist der Justizpalast
(1493-99 erbaut), ein prächtiges, spätgotisches Bauwerk mit reichverzierter
Fassade, mit dem großen, kühn gewölbten
Saal
der
Anwalte (salle des procureurs) und einem schönen
Saal für den Assisenhof. Bemerkenswert sind außerdem:
das erzbischöfliche
Palais (aus dem 15. Jahrh.);
das Stadthaus, ein modernisierter
Trakt der
Abtei St.-Ouen, in welchem auch
die
Bibliothek und die reichhaltige
Gemäldegalerie untergebracht sind;
drei
Theater,
[* 19] das Zollamtsgebäude
und viele andre moderne Bauwerke, die den
Staats-, den
Militär-, den städtischen Behörden und dem
Handel dienen.
Die Zahl der Einwohner von Rouen beläuft sich auf (1886) 100,043 (als
Gemeinde 107,163).
Ihre Hauptbeschäftigung ist
Industrie und
Handel; in ersterer Beziehung vor allem die Baumwollindustrie,
für welche Rouen gegenwärtig in ganz
Frankreich den ersten
Rang behauptet. In der Stadt und Umgebung sind etwa 160 Spinnereien
mit 1,400,000
Spindeln im Betrieb, welche vorwiegend
Garne in gröbern Nummern (in neuerer Zeit meist aus
ostindischer
Baumwolle)
[* 21] erzeugen. Die Baumwollweberei, welche hauptsächlich auf dem Land betrieben wird, in Rouen aber ihren
geschäftlichen
Mittelpunkt hat, liefert
Kalikos für den
Druck und andre grobe
Sorten, bedruckte
Waren zu billigen
Preisen, Phantasieartikel
und
Nouveautees,
Möbel- u. Tapetenstoffe, gedruckte
Tücher und
Krawatten, namentlich auch in
Türkischrot, sogen.Rouenneries,
d. h.
Stoffe, deren
Gewebe
[* 22] ganz oder teilweise aus gefärbten
Garnen besteht, insbesondere Sacktücher, karierte
Stoffe, Damenkleiderstoffe,
endlich
Pikee für
Westen.
in der Ausfuhr: Zucker, Hadern, Holzwaren, rohe Häute und Felle, Chemikalien
u. a. Der Warenverkehr von ist übrigens in Wirklichkeit viel bedeutender,
da er sich zum großen Teil über Havre bewegt und daher im dortigen Verkehr aufgeht.
Als Förderungsmittel des Handels dienen:
eine Filiale der Bank von Frankreich, ein Warenbörse, eine Handelskammer, eine Sparkasse und andre Kreditinstitute. 1886 sind
bei der internationalen Schiffahrt 1327 beladene Schiffe mit 641,267 Ton. (darunter 1093 Dampfer mit 558,213
T.) eingelaufen und 884 beladene Schiffe mit 322,623 T. (darunter 682 Dampfer mit 273,909 T.) ausgelaufen; der Hauptanteil
kam auf den Verkehr mit England. Bei der Küstenschiffahrt (hauptsächlich im Verkehr mit Havre) sind eingelaufen 725 beladene
Schiffe mit 106,932 T. und ausgelaufen 737 beladene Schiffe mit 102,194 T. An Wohlthätigkeitsinstituten
sind zu nennen: 3 Zivilspitäler (darunter das Hôtel-Dieu mit 600 Betten), eine Blindenanstalt, ein Irrenhaus, Waisenhaus u. a.
Sehr reich ist an Unterrichts- und Bildungsanstalten.
Seit dem 16. Jahrh. besaß eine Fayencefabrikation, welche sich um die
Mitte des 17. Jahrh., vornehmlich durch den Töpfer Edme Poterat, zu großer Blüte
[* 34] entwickelte und erst um 1830 erlosch. Anfänglich
von Revers beeinflußt, bildete sich der Industriezweig später nach japanischen, chinesischen und holländischen Mustern.
Die ältesten Fabrikate zeichnen sich durch das milchweiße Email aus, das später gräulich, bläulich
und selbst grünlich wird. Die Verzierungen waren meist blau, seltener rot und gelb. Für das 17. Jahrh. ist die Lambrequin-
und Spitzenverzierung charakteristisch, für die Rokokozeit Füllhörner, Blumen undInsekten.
[* 35] Man fabrizierte nicht nur Gebrauchsgeschirr
jeglicher Art, sondern auch Öfen,
[* 36] Kamine, Wand- und Bodenplatten, Apothekergefäße, Vasen,
[* 37] Schreibzeuge, Weihkessel,
Laternen, Jardinieren, kleine Möbel,
[* 38] Spiegelrahmen, Flaschen, Figuren etc.
Vgl. Pottier, Histoire de la fayence de Rouen (Rouen 1870).
Bei
den Alten hieß Rouen Rotomagus und war Hauptstadt der Vellokasser und unter Konstantin d. Gr. Hauptstadt der Provincia Lugdunensis
secunda. Im Mittelalter hieß es Rothomum und Rodamum. 841 wurde die Stadt von den Normannen eingenommen,
die sich seit 859 dauernd hier festsetzten. Seit der Belohnung Rollos 912 war sie Hauptstadt der Normandie und Residenz der
Herzöge derselben und stand daher, wie diese Provinz, seit Wilhelm dem Eroberer (1066) unter englischer Herrschaft. 1204 wurde
sie von PhilippAugust von Frankreich dem König Johann ohne Land entrissen.
Die Engländer eroberten sie zwar nach tapferer Verteidigung durch die Franzosen 1419 wieder, aber 1449 kam sie wieder an Frankreich
zurück. 1431 wurde in Rouen die Jungfrau von Orléans verbrannt. Die Eroberung Rouens, das von Montgomery verteidigt wurde, 1562 war
einer der ersten Erfolge, welche die katholische Partei in den Hugenottenkriegen davontrug. Heinrich IV.
belagerte Rouen 1591-92 vergebens und erhielt es erst 1594 durch Kapitulation. 1633 verwüstete ein Orkan und 1774 ein großer
Brand die Stadt. Durch die Austreibung der Hugenotten 1685 litt dieselbe sehr. Am wurden bei einem Tumult die Fabrikstätten
der englischen Spinnereien demoliert; 27. und fand hier ein Aufstand und Barrikadenkampf wegen
der Wahlen statt. Im deutsch-französischen Krieg war Rouen vom bis von deutschen Truppen besetzt. Die Geschichte
der Stadt schrieben Périaux (Rouen 1874) und Fouquet (das. 1875).