Bei der Reifung der weiblichen Zellen hat man in neuerer Zeit einen ähnlichen
Vorgang wie bei der Zellteilung beobachtet, nämlich die Ausdehnung des Zellkerns zu einer von zwei Polen begrenzten, spindelförmigen
[* ]
Figur, von der die eine Polhälfte gänzlich aus der Zelle hinausgedrängt und abgeschnürt wird. Man bezeichnet diesen der
Befruchtung vorausgehenden Vorgang als die Ausstoßung des Richtungskörpers und hat über die Bedeutung
desselben theoretisch sehr weitgehende Vermutungen aufgestellt.
Die ältern Beobachter meinten, die Eizelle sei ursprünglich hermaphroditisch und stoße vor der Befruchtung ihren männlichen
Anteil heraus; andre stellten die vielleicht wahrscheinlichere Meinung auf, daß sich das Ei durch diese Ausstoßung eines
materiellen Teils gewissermaßen reinige und
verjünge, um als wirkliche Ur- oder Anfangszelle die Neuentwickelung
von unten auf beginnen zu können. Aber da diese Ausstoßung auch bei Eiern, die sich ohne Befruchtung entwickeln (s. Parthenogenese),
eintritt und bei zur Befruchtung bestimmten Eiern zwei Richtungskörper ausgestoßen werden, so hat Weismann die Ansicht aufgestellt, der
Vorgang stehe in ganz bestimmter Beziehung zur Vererbung und bedinge die Variabilität der Organismen, die eben von dieser
Entfernung gewisser Teile und Eigenschaften aus dem elterlichen Plasma abhänge. Die Hypothese ist indessen auf starken Widerspruch
gestoßen.
Vgl. Weismann, Über die Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung für die Vererbung (Jena 1887);
Weismann
und Ischikawa, Über die Bildung der in tierischen Eiern (Freiburg
1887).
Tourn. (Wunderbaum), Gattung aus der Familie der Euphorbiaceen, baum-, strauch- oder krautartige Gewächse mit großen,
wechselständigen, handförmigen Blättern, monözischen Blüten und trockner, dreigehäusiger, dreisamiger Kapsel. Die einzige
Art, Ricinus communis L. (Christuspalme, s. Tafel »Arzneipflanzen II«),
ist in den Tropen ein mehr als 12 m hoher
Baum, in Süditalien nur 3 bis 5 m hoch und zwei- bis dreijährig, weiter nördlich strauchartig, bei uns eine kräftige, einjährige
Staude von 2,5-3 m Höhe mit sieben- bis elflappigen Blättern von 1 m Durchmesser, einfacher, bis 1 m langer Blütenrispe,
mit oft größtenteils männlichen und nur an der Spitze weiblichen, oft fast nur weiblichen und wenigen
männlichen Blüten an der Basis, unscheinbaren Blüten mit gelben Staubbeuteln oder roten Narben, trockner, rundlicher, dreiknopfiger,
mit krautartigen Dornen besetzter oder nackter Kapsel, einsamigen, abspringenden Gehäusen und ovalen, etwas platt gedrückten,
grau- oder blaßbräunlichen, braun gesprenkelten, bohnengroßen Samen mit weißer, fleischiger Samenschwiele an der
Spitze. Der Ricinus stammt wohl aus Ostindien, ist aber jedenfalls sehr früh als Kulturpflanze weit verbreitet worden, findet sich
jetzt auch wild in Nordostafrika, in den mittelpersischen Gebirgen und im Kaukasus und ist so akkommodationsfähig, daß er
noch bei Christiania
mehr
seine Samen reift. Er wird bei uns als Zierpflanze in mehreren Varietäten kultiviert (16 verschiedene Typen, Unterarten) und
bildet eine der schönsten Blattpflanzen für den Rasen. Die Blätter des Ricinus dienen der bengalischen Seidenraupe (Bombyx Cynthia)
als Futter, auf den Antillen und am Senegal gegen Migräne und zur Beförderung der Milchabsonderung. In
Italien wird die Pflanze besonders hochgeschätzt (Palma Christi, römische oder indische Bohne, Höllenfeige, Sonnenkorn, Schaflaus,
Ölkaffee, Pomadenbohne), und man kultiviert sie zu Florenz in Glashäusern, um auch im Winter Blätter davon zu haben.
Die Samen (Purgier-, Brechkörner) schmecken herb und beißend scharf, sind giftig und enthalten gegen 40 Proz.
fettes Öl, welches in Indien, Italien, Frankreich, Nordamerika durch Pressen dargestellt wird. Das offizinelle Rizinusöl (Christpalmöl,
Kastoröl) ist farblos oder gelblich, durchsichtig, dickflüssig, geruchlos, schmeckt mild, hintennach etwas kratzend,
spez. Gew. 0,95-0,97, erstarrt
bei -18°, ist bei 20° mit starkem Alkohol und Äther mischbar, wird an der Luft ranzig, zäh und trocknet,
besteht aus Glyceriden der sirupdicken, scharf kratzend schmeckenden Rizinölsäure und mehrerer fester Säuren, beginnt bei
265° zu kochen und zersetzt sich unter Bildung von Önanthol, Önanthsäure, Acrolein und einem schwammigen Rückstand, gibt,
mit Kalilauge destilliert, Kaprylaldehyd, mit Salpetersäure Önanthylsäure. Es wirkt stark purgierend, doch ist die Ursache
dieser Wirkung nicht bekannt.
Man benutzt es als abführendes Mittel, als Schutzmittel gegen Motten, Ungeziefer, bei Hautkrankheiten etc., zu Seifen, Schmieren,
als Haaröl, zu Collodium elasticum und besonders in der Türkischrotfärberei (in Form von rizinusölsaurem Natron), in Indien
als Brennöl. Der Ricinus war schon dem Herodot bekannt, zu dessen Zeiten das Öl in Ägypten vielfach als Brennöl
und zu Salben benutzt wurde; der »Kürbis« vor Jonas' Hütte (Jonas 4, 6), den ein Wurm stach, daß er verdorrte, scheint ein Ricinus gewesen
zu sein, der in der That gegen Verletzungen sehr empfindlich ist, auch in Griechenland wurde die Pflanze, wie noch jetzt,
unter dem Namen Kiki kultiviert; Theophrast nannte sie Croton, Dioskorides wandte die Samen als Abführmittel, das Öl äußerlich
an. Auch Albertus Magnus kultivierte den Ricinus, und im 16. Jahrh. erscheint er als Gartenpflanze
unter dem Namen Ricinus oder Kik. Später kam die Pflanze in Vergessenheit, und erst in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts wurde das Öl von Westindien aus wieder als Abführmittel empfohlen, um bald darauf allgemeine Anerkennung
zu finden. 1870-71 exportierte Kalkutta 654,917 Gallons; außerdem kommt Rizinusöl aus Italien in den Handel, wo man die Pflanze
besonders bei Verona und Legnago kultiviert, aber auch ostindische Samen preßt. - Großer Rizinussame, s.
Jatropha.