Die
Grunde, welche einen in Ansehung einer einzelnen Untersuchungs- oder Zivilprozeßsache unfähig machen, sind in der deutschen
Strafprozeßordnung und in der
Zivilprozeßordnung aufgeführt; so ist z. B. ein in einer Untersuchung unfähig, in
welcher er selbst der Verletzte, in einer Prozeßsache, in welcher er selbst
Partei, in einer
Rechtssache,
in der er als
Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist, etc. Auch kann ein Richter wegen Besorgnis
der Befangenheit aus allen
Gründen abgelehnt werden, welche geeignet sind, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.
1)
Joseph, dramat. Dichter und
Publizist, geb. zu
Wien,
[* 3] ist historisch merkwürdig dadurch, daß
er der erste Theaterdichter war, welcher eine
Tantieme und zwar die
Einnahme der dritten Aufführung seiner
Stücke erhielt.
Auch
ist er der
Gründer einer im österreichischen
Dialekt geschriebenen
Zeitschrift: »Eipeldauer
Briefe«
(gegründet 1785),
die nach ihm von Gewey,
Bäuerle,
Gleich,
Weiß und
AntonLanger (unter dem
Titel:
»Briefe des
Hans Jörgel«)
fortgesetzt wurde und eine reiche
Quelle
[* 4] für interne Sittengeschichte und den Volksdialekt bildet. Richter polemisierte auch gegen
den
Hanswurst. Von seinen eignenStücken, für die Gegenwart ohne Wert, wurden die »Zimmerherren in
Wien«
und das
Schauspiel »Das Räubermädchen von
Baden«
[* 5] noch im ersten
Viertel des 19. Jahrh. auf
Wiener Vorstadtbühnen gegeben.
Richter hatte fremde
Länder besucht und in
Frankreich den Encyklopädismus kennen gelernt, den er auch durch sein
»ABC-Buch für
große
Kinder« nach
Wien zu verpflanzen suchte und zwar mit vielem Erfolg. Er war rastlos in der
Polemik
gegen alle, welche
KaiserJoseph bekämpften; starb Seine »Sämtlichen
Schriften« erschienen in 12
Bänden
(Wien 1813).
2)
Jean PaulFriedrich, gewöhnlich mit dem Schriftstellernamen, den er selbst gewählt hatte,
Jean Paul genannt,
der gefeiertste unter den deutschen Humoristen, wurde zu
Wunsiedel geboren.
SeinVater, dort
Rektor und
Organist (die
Mutter war aus
Hof
[* 6] gebürtig, Tochter eines wohlhabenden Tuchmachers), erhielt, als
Jean Paul zwei Jahre zählte, die Pfarrstelle
des unweit
Hof lieblich gelegenen
Dorfs Joditz, und hier verbrachte der Dichter seine Kindheitsjahre in
stiller, häuslicher Beschränkung, meist sogar von der Dorfschule fern gehalten.
Aus jener Zeit stammte die
NeigungJeanPauls zum
Stillleben, zum »geistigen Nestmachen«, der er sein ganzes
Leben lang treu blieb.
In dem nahen
Schwarzenbach, wohin der
Vater 1776 versetzt wurde, besuchte der
Knabe zuerst regelmäßig die
öffentliche
Schule, blieb aber im übrigen meist auf selbstgewählte Bildungsmittel angewiesen. Er las schon damals in regellosem
Durcheinander alles, was ihm vorkam; in Exzerptenhefte, welche bald zu Foliantendicke anschwollen, trug er, wie er das bis
ins
Alter fortgetrieben hat, die mannigfaltigsten
Notizen ein.
Das unermeßliche
Detail aus den verschiedenartigsten Wissensgebieten, welches er in dieser Art
zusammenhäufte,
diente ihm später nicht eben vorteilhafterweise zur Verwertung in seinen
Schriften. Um
Ostern 1779 bezog er das
Gymnasium in
Hof.
Bald darauf starb sein
Vater. Die Mittellosigkeit der
Mutter wurde zwar anfangs für
Jean Paul wenig fühlbar, weil seine
Familie Unterstützung bei denHofer Großeltern fand. Als aber nach kurzer Zeit auch diese starben, ohne
daß von ihrem
Vermögen etwas an
JeanPaulsMutter kam, kehrte bei dieser bitterste
Armut ein, unter welcher auch der Dichter
lange Jahre schwer zu leiden hatte.
Schon während seiner Gymnasialzeit regte sich in
Jean Paul schriftstellerische Produktionslust. So schrieb
er 1780 eine Anzahl
Aufsätze über philosophische und naturwissenschaftliche Gegenstände. Unter den ihm damals bekannten
Schriftstellerei wirkte
Hippel am stärksten auf ihn. 1781 ging er nach
Leipzig,
[* 7] um
Theologie zu studieren; es war ihm jedoch
mit seiner Brotwissenschaft von Anfang an kein rechter
Ernst. Unter den
Professoren, welche er hörte,
fesselte ihn der
PhilosophPlatner eine
Weile; bald aber zog er sich fast ausschließlich auf litterarische Privatstudien zurück.
Jetzt wurde
Rousseau sein Lieblingsautor, auch von den englischen Humoristen und Satirikern fühlte sich das wahlverwandte
Element in ihm mächtig angezogen. Zu den elf großen Quartbänden von Exzerpten, die er nach
Leipzig mitgebracht,
gesellte sich hier eine weitere stattliche
Reihe.
Jean Paul trug mit bienenartiger Emsigkeit unglaubliche
Massen von
Notizen
zusammen; in zierlicher
Schrift wurden Sammlungen witziger Einfälle, interessanter Begebenheiten, Anekdoten u.
dgl. angelegt und fortgeführt; ein besonderes
Buch, welches den
Titel
»Thorheiten« trug, füllte sich mit
Stoff zu künftigen
Satiren.
Als aber gegen Ende 1781 die materielle Bedrängnis immer höher stieg und die
Hoffnung auf Gelderwerb durch
Unterricht fortwährend
unerfüllt blieb, beschloß er, aus schriftstellerischen
Arbeiten den Lebensunterhalt für sich und die Seinigen zu gewinnen.
Er arbeitete zunächst, angeregt durch des
Erasmus
»Encomium moriae«, ein (bis jetzt ungedrucktes)
»Lob der
Dummheit« aus, in welchem diese redend eingeführt wird und ihr Eigenlob verkündigt. Das
Buch fand keinen Verleger. Dagegen
gelang es
Jean Paul, einen solchen für eine Sammlung einzelner satirischer
Aufsätze zu finden, die anonym unter dem
Titel:
»Grönländische
Prozesse« (Berl. 1783) erschien und
Satiren über Schriftsteller, Theologen,
Weiber, Stutzer, den
Ahnenstolz u. dgl. enthielt.
Der
Stil des
Buches ist schon echt
Jean-Paulisch, insofern es darin von oft sehr gesuchten, oft aber auch überaus treffenden
Gleichnissen wimmelt und die
Antithese bereits als eine bis zum Übermaß gebrauchte Form der
Diktion dort vorherrscht. Es
weht ein
Geist freisinniger Auflehnung gegen alles Dumme und
Schlechte durch das
Buch; aber schon hier,
wie in allen spätern Werken
JeanPauls, ist zu merken, daß der Verfasser die
Welt und das
Leben mehr aus
Büchern als aus unmittelbarer
Erfahrung kannte.
Richter (Jean Paul)
* 9 Seite 13.812.
Die »Grönländischen
Prozesse« fanden bei
Publikum und
Kritik kühle
Aufnahme, der Verleger
Voß hatte keine Lust
zu weitern
Experimenten mit dem jugendlichen
Autor; dennoch arbeitete dieser rüstig fort und schrieb neue satirische
Aufsätze.
Aber mitten in dieser Thätigkeit sah er sich von der
Not gedrängt, seinen
Gläubigern durch heimliche
Entfernung von
Leipzig
auszuweichen. Im
November 1784 traf er, fast erstarrt vor
Kälte und mit erfrorner rechter
Hand,
[* 8] in
Hof ein,
wo jetzt seine
Mutter in den beschränktesten Umständen lebte. Unter mannigfaltiger
Störung und Entbehrung setzte
¶
mehr
er dort seine Studien und Arbeiten fort. Versuche, durch Vermittelung berühmter Schriftsteller (er wandte sich an Herder, Wieland,
Lichtenberg u. a.) einen Verleger zu gewinnen, schlugen fehl. Zu Anfang 1787 bot sich endlich
dem Dichter wenigstens ein Unterkommen als Hauslehrer dar, er übernahm den Unterricht eines jüngern Bruders seines Freundes
Örthel zu Töpen. Seine dortige Stellung war jedoch unbehaglich, und schon im Sommer 1789 kehrte er nach
Hof zurück.
Inzwischen schrieb er neue Satiren unter dem Titel: »Auswahl aus des TeufelsPapieren« (Gera
[* 10] 1789), die ebensowenig Aufsehen erregten
wie JeanPauls Erstlingsbuch. Im März 1790 übernahm dieser aufs neue ein Lehramt. Einige Familien zu Schwarzenbach
beriefen ihn zum Unterricht ihrer Kinder, und jetzt betrieb der Dichter sein Amt in angenehmen persönlichen Verhältnissen
mit wahrhaft begeisterter Freudigkeit. Die Sonntagsbesuche in Hof gewährten erquickliche Erholung, und in dem damals mit
seinem dortigen FreundOtto immer inniger geschlossenen Herzensbund erwuchs ihm ein köstlicher Besitz für
sein ganzes späteres Leben. Um jene Zeit beschloß der Dichter, sich zuerst in einer größern Schöpfung, einem pädagogischen
Roman, zu versuchen.
Ehe derselbe aber in Angriff genommen wurde, entstanden einige kleinere Humoresken: »Die Reise des Rektors Fälbel und seiner
Primaner«, »Des Amtsvogts Freudels Klaglibell über seinen verfluchten
Dämon« und das »Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auethal«. Sogleich nach Vollendung
des »Wuz« begann Richter den beabsichtigten großen Roman. Während der Arbeit zwar verflüchtigte sich der ursprüngliche Plan,
die »Unsichtbare Loge« (Berl. 1793, 2 Bde.)
blieb unvollendet; »eine geborne Ruine« nannte der Dichter selbst sein Werk, in welchem neben einzelnen
unvergleichlich schönen Stellen bereits die ganze Unfähigkeit JeanPauls zu plastischer Gestaltung, die maßlose Überwucherung
der phantastischen Elemente und alles, was sonst den reinen Genuß an seinen Dichtungen stört, zu Tage trat.
Gleichwohl bildet das Erscheinen des Buches in JeanPaulsLeben einen Wendepunkt günstigster Art. Das verhältnismäßig hohe
Honorar, das es eintrug, endete zunächst die materielle Not des Dichters; nicht minder wirkte es geistig befreiend und ermutigend
auf ihn. Im Herbst 1792 legte er seine Hand an einen neuen Roman, den »Hesperus« (Berl. 1795),
der sich gleich der »Unsichtbaren
Loge« eines großen Erfolgs beim Publikum erfreute. Seit dem Frühling 1794 wieder in Hof bei der Mutter weilend,
schrieb er in den nächstfolgenden Jahren: »Das Leben des Quintus Fixlein« (Bair. 1796),
ein humoristisches Idyll wie das Leben
Wuz', nur in breiterer Anlage;
die »Biographischen Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin« (Berl. 1796),
ein Romantorso
mit satirischem Anhang;
die »Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten
Siebenkäs« (das. 1796-97, 4 Bde.),
in gewissem Sinn die beste Schöpfung des Dichters, welcher in den Persönlichkeiten des sentimentalen Siebenkäs und des satirischen
Leibgeber die entsprechenden Elemente seiner eignen Natur zu verkörpern versuchte.
Noch während der Arbeit an dem letztgenannte
Roman empfing Jean Paul eine briefliche Einladung nach Weimar,
[* 11] von weiblicher Hand geschrieben. In der Ilmstadt, meldete die
Briefstellerin, die sich Natalie nannte (welchen Namen der Dichter alsbald einer Gestalt im Siebenkäs anheftete), seien die
besten Menschen von JeanPauls Werken entzückt. Ohne Verzug folgte dieser dem Ruf. Seine
Aufnahme übertraf
alle seine Erwartungen; vor allen andern begegnete ihm Charlotte v. Kalb (die pseudonyme Briefschreiberin) mit glühender Verehrung.
»Sie ist ein Weib wie keines«, berichtete Jean Paul an FreundOtto, »mit einem allmächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich, eine
Woldemarin.« Zurückhaltender empfingen Goethe und Schiller den Hesperusverfasser, der sich in Weimar meist
im Kreis
[* 12] des ihm wahlverwandten Herder bewegte. In jene Zeit fallen die Anfänge des »Titan«, die Abfassung des »Jubelsenior«
(Leipz. 1797) und die Schrift »Das Kampanerthal, oder: Die Unsterblichkeit der Seele« (Erfurt
[* 13] 1798). Im Sommer 1797 trat eine
neue weibliche Gestalt auf die Lebensbühne des Dichters, Emilie v. Berlepsch, eine junge und schöne
Witwe, mit der Jean Paul eine Reihe wunderlich exaltierter Szenen durchmachte.
Fast hätte eine (vermutlich unglückliche) Heirat den dramatischen Abschluß gebildet. Im Oktober 1797 führte eine Reise nach
Leipzig den nun berühmt Gewordenen auf den Schauplatz seiner einstigen Kümmernis, und jetzt drängten sich die Bewunderer
um ihn. 1798 folgte auf Einladung der Herzogin Amalie ein abermaliger Besuch in Weimar. Nach einem kurzen
Aufenthalt in Hildburghausen
[* 14] (Frühjahr 1799), wo er vom Herzog den Titel eines Legationsrats erhielt, ging Jean Paul nach Berlin,
[* 15] in der Absicht, sich dort dauernd niederzulassen. Im Mai 1801 verheiratete er sich daselbst mit der Tochter
des Tribunalrats Meyer, aber eine vom König erbetene Versorgung blieb versagt. Von den damals entstandenen Werken sind hervorzuheben:
»Palingenesien« (Gera 1798, 2 Bde.);
Schon im Mai 1803 verließ er Meiningen wieder und siedelte sich nach kurzem Aufenthalt zu Koburg
[* 17] in Baireuth
[* 18] an, wo er bis zu seinem Tod wohnen blieb. Das nächste größere Werk des fortan in nur selten unterbrochene idyllischer Zurückgezogenheit
lebenden Dichters war ein philosophisches, die »Vorschule der Ästhetik« (Hamb. 1805, 3 Bde.;
Tübing. 1813),
ein Buch voll geistreichster Einfälle, aber auch voll konfuser Theoreme. Danach folgte die Abfassung
der »Flegeljahre« (Tübing. 1804-1805, 4 Bde.). Auch in diesem Roman, welcher zu den genialsten SchöpfungenJeanPauls gehört
und ihm selbst die liebste blieb, hat er die eigne Doppelnatur, die Gemütsinnigkeit und die humoristische Neigung seines
Wesens, jene in dem weich gestimmten Walt, diese in dessen Zwillingsbruder Vult, zur Darstellung bringen
wollen. In der »Levana, oder Erziehungslehre« (Braunschw. 1807, 3 Bde.;
Stuttg. 1815, 4. Aufl. 1861) sollten die in der »Unsichtbaren
Loge«, im »Titan« und in den »Flegeljahren« in Romanform dargelegten
Grundsätze theoretisch ausgeführt wiederkehrt. Während der Zeit der französischen Fremdherrschaft schrieb Jean Paul zu
eigner und seines Volkes Erheiterung die Humoresken: »Des Feldpredigers Schmälzle Reise nach Flätz« (Tübing.
1809) und »Doktor Katzenbergers Badereise« (Heidelb. 1809; Bresl.
1823),
zwei Erzählungen von derbster Komik. Aber auch in ernsthaftern, wenngleich an satirischen Schlaglichtern reichen Schriften
suchte er den gesunkenen Mut der Nation aufzurichten, so in der »Friedenspredigt in Deutschland«
[* 19]
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