Mit größerer
Klarheit erfaßte J. H.
Pestalozzi die
Fürsorge für verwahrloste
Kinder als eine ganz eigne Aufgabe der Menschenliebe.
Von seinen ersten
Versuchen in
Neuhof (1775) bis zur Begründung der Anstalt in Clindy (1818) begleitete
ihn dieser
Gedanke.
Mehr praktischen Erfolg hatten seine Landsleute v.
Fellenberg und
Wehrli in
Hofwyl. 1788 folgte
RobertYoungs
mit einer großartigen Anstalt in
London.
[* 3] Im wesentlichen die heutige Gestalt erhielten jedoch die Rettungshäuser erst in
Deutschland
[* 4] nach
den Franzosenkriegen.
Besonders wirksam erwies sich namentlich die von
Wichern mit dem
RauhenHaus verbundene
Brüderschaft der
Helfer. Die auf dem
ersten
Kirchentag in
Wittenberg
[* 13]
(September 1848) erfolgteGründung des Zentralausschusses für die
innere Mission
der deutschen evangelischen
Kirche kam auch der
Sache der Rettungshäuser zu gute, die sich gegenüber manchen
Vorurteilen immer mehr
Bahn
brachen und endlich im deutschen
Strafgesetzbuch vom namentlich in dessen revidierter Gestalt vom
auch offene staatliche
Anerkennung fanden. § 55 erhielt damals den Zusatz: »Gegen
den Begeher einer strafbaren
Handlung, welcher das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, können nach Maßgabe der
landesgesetzlichen Vorschriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen werden. Insbesondere
kann die Unterbringung in eine
Erziehungs- oder
Besserungsanstalt erfolgen, nachdem durch Beschluß der Vormundschaftsbehörde
die Begehung der
Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt worden ist.« Auf
Grund dessen wurde in
Preußen
[* 14] durch
Gesetz vom die
Zwangserziehung verwahrloster
Kinder zu einer Aufgabe der provinziellen
Selbstverwaltung
gemacht.
Die
Provinzen
genügen dieser
Pflicht teils durch Unterbringung der
Kinder in
Familien, teils durch
Verträge
mit bestehenden Anstalten, teils durch Begründung eigner großer Rettungshäuser. Im J. 1885 zählte
man inDeutschland 291 Rettungshäuser mit etwa
11,000
Insassen; davon kamen 180 Anstalten mit 9000 Zöglingen auf
Preußen. Auf
Grund des preußischen
Gesetzes vom sind
bis 1888 bereits über 12,000
Kinder untergebracht. Außerhalb
Deutschlands
[* 15] haben die Rettungshäuser namentlich in
England große Verbreitung, mannigfache Ausgestaltung und hingebende
Teilnahme gefunden. In
Frankreich haben sie nach dem erwähnten
Vorgang von
Demetz vorwiegend die eigentümliche Form der
Colonies agricoles angenommen, deren 6 umfangreiche vom
Staat und 21 von
Privatvereinen unterhalten werden.
Außerdem bestehen noch etwa 20 anders eingerichtet Rettungshäuser für Mädchen. Die Zahl der
Insassen sämtlicher
Besserungsanstalten belief sich 1884 auf etwa 7000, wovon 5800
Knaben und 1200 Mädchen waren. In
Belgien
[* 16] hat seit 1847 der
Staat selbst die
Sache der Rettung in die
Hand
[* 17] genommen. Damals entstand die landwirtschaftliche
Besserungsanstalt
zu
St.-Hubert für freigesprochene jugendliche Angeklagte. 1848 kamen die beiden großen Anstalten zu
Ruysselede
(Knaben) und Beernem (Mädchen) für die enfance abandonnée, 1864 die zu
Namur
[* 18] für die enfance coupable hinzu.
Sämtliche Anstalten sind im weiten
Maßstab
[* 19] angelegt und militärisch geordnet. Die
Schweiz
[* 20] besitzt gegenwärtig 58 Rettungshäuser mit
über 2000 Zöglingen. Als eine
Sache von allgemeiner menschlicher Bedeutung, hat das Jugendrettungswesen
wiederholt internationale Versammlungen beschäftigt, so die
Kongresse für
Gefängniswesen in
Stockholm
[* 21] (1878), für Unterrichtswesen
in
Brüssel
[* 22] (1880) und
London (1884), für Jugendschutz in
Paris
[* 23] (1883).
Vgl.
Ötker, Erziehungsanstalten für verwahrloste
Kinder
(Berl. 1879);
ein
Ehrenzeichen, welches ohne Standesunterschied an
Personen verliehen wird, die mit eigner Lebensgefahr
einen andern
Menschen aus einer dessen
Leben bedrohenden
Gefahr gerettet haben.
Die preußische Rettungsmedaille wird
durch den König verliehen, ist aus
Silber mit der
Aufschrift: »Für Rettung aus
Gefahr« u. wird am gelb-weißen
Band
[* 24] auf der
Brust (Knopfloch) getragen.
Fast in allen
Staaten werden in demselben
SinnRettungsmedaillen verliehen.
zurSee, Veranstaltungen an den
Küsten zur Rettung Schiffbrüchiger, wird meist von Privatgesellschaften
ausgeübt. Zweigvereine dieser
Gesellschaften beaufsichtigen die einzelnen Rettungsstationen mit der Rettungsmannschaft, welche
aus am
Ort wohnhaften Leuten zusammengesetzt ist, und die
Rettungsapparate. Zu letztern gehören ein Rettungsboot, ein
Mörser-
oder Raketenapparat, Rettungsringe,
Beleuchtung- und Signalvorrichtungen etc. Die Rettungsboote sind verschieden konstruiert.
Das englische
Boot (Peakeboot) ist 10,3 m lang, 2,5 m breit,
aus
Holz
[* 25] gebaut und wiegt ohne Inventar 2500 kg. Durch verschiedene im
Boot angebracht metallene Luftkasten und einen äußern
Korkring ist es unversinkbar; sein Auftrieb
[* 26] ist so groß, daß sein zweiter
Boden stets mehrere
Zentimeter über
Wasser bleibt
und eingedrungenes
Wasser durch
¶
mehr
Röhren
[* 28] stets abfließen kann. Die stark konkave Krümmung der obern Fläche, Luftkasten an den Endpunkten und ein schwerer
eiserner Kiel
[* 29] bewirken, daß es nach dem Umschlagen alsbald wieder in seine natürliche Stellung zurückfällt. Dieses ausgezeichnete
Boot, welches in England allgemein gebräuchlich ist, eignet sich nicht für unsre flachen Küsten mit dem
unwegsamen Dünensand und der spärlichen Bevölkerung.
[* 30] Man benutzt deshalb das leichtere, 8 m lange, aus kanneliertem Eisenblech
gebaute Francisboot, welches ebenfalls Luftkasten besitzt und verschiedene Einrichtung zeigt, je nachdem es, entsprechend
den geographischen Verhältnissen der betreffenden Station, der Entfernung der gefährlichen Punkte von der Küste etc., zum
Segeln oder zum Rudern oder zum Segeln und Rudern eingerichtet ist.
Die leichtesten Boote dieser Art wiegen nur 900 kg. Die Segelboote besitzen einen Behälter für Wasserballast,
der sich durch Öffnen eines Ventils im Boot von selbst füllt und auch in wenigen Minuten wieder entleert werden kann. Die
Seitenschwerter, mit denen diese Boote ausgestattet sind, ersetzen den Kiel und vermindern die Abtrift des
Boots beim Segeln. Die Boote sind vorn und hinten gleich gebaut; außer mit dem langen Steuerriemen sind sie noch mit einem
Steuerruder versehen, über welches ein genau anschließender Mantel aus Eisenblech herabgelassen werden kann, so daß das Boot
auch noch zu steuern ist, wenn es seinen Hintersteven aus dem Wasser stampft.
Füllt sich das Boot mit Wasser, so verhindern zwei schnell in der Mitte des Boots zu beiden Seiten mit dem Blatte dem Wasser
zugekehrte, gelaschte Riemen das Rollen,
[* 31] und das Boot kann leicht ausgeschöpft und ausgepumpt werden. Das
Boot steht gewöhnlich vollständig ausgerüstet auf einem Wagen und gleitet von diesem leicht herab, wenn man den Vorderwagen
löst und die Helling, auf der das Boot auf Rollen ruht, vorn etwas hebt. Einzelne Stationen haben große Rettungsboote mit Kuttertakelage.
Die Bemannung der Boote trägt Korkjacken (Wardsche Jacken) aus feinstem Kork,
[* 32] der in schmalen Stücken auf
Segeltuch genäht ist. Eine solche Jacke hält den schwersten Mann, bekleidet mit dickem Wollzeug und Seestiefeln, 24 Stunden
und länger mit den Schultern über Wasser. Wird ein Schiffbruch gemeldet, so eilen auf das Signal die Mannschaften herbei, Pferde
[* 33] oder Menschen bespannen den Bootswagen etc., und man sucht alsdann eine günstige
Stelle an der Küste in der Nähe des Wracks, möglichst luvwärts (windwärts), um das Rettungsboot ins Wasser zu lassen. Das
Boot, mit dem Bug nach See zu, alle Mann in demselben und festgebunden, um nicht herausgespült zu werden, die Ruder zur Hand,
wird in einem günstigen Moment, wo die Brandung einer Welle fast zu Ende ist, mit dem Wagen ins Wasser geschoben,
bis es schwimmt und fortgerudert werden kann. Ein besonders schwieriger Moment ist die Annäherung an das Wrack, an dem zerschmettert
zu werden das BootGefahr läuft, wenn nicht mit äußerster Vorsicht verfahren wird.
Die Rettungsgeschosse bezwecken die Herstellung einer Verbindung zwischen Land oder Rettungsboot und Schiff
[* 34] mittels geworfener
Leinen. Die Raketenapparate werfen eine Leine von 200-500 m. Bei den Mörsern ist die Leine an dem Geschoß
[* 35] befestigt, und dieses
wird durch Pulver fortgeschleudert. Der Mörser schießt mindestens ebenso weit und ist billiger als die
Rakete, aber namentlich bei Regen und Dunkelheit schwerer zu bedienen, auch führt die große Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses
leicht zu Verwickelungen und Abreißen der Leine.
Auf Entfernungen von 70 m stellt man eine Verbindung zwischen Rettungsboot und Schiff mittels eines Handgewehrs her, welches
auch benutzt wird, um Leuchtkugeln zu schießen. Ankerraketen werfen eine Leine, an deren vorderm Ende
ein Anker
[* 36] befestigt ist. Man benutzt sie unter besonders schwierigen Verhältnissen, um das Abkommen des Boots vom flachen Strand
zu ermöglichen. Hat der Anker gefaßt, so ziehen die vordersten vier Mann an der Leine, während die übrigen rudern.
Ist mittels Rakete oder Mörser den Schiffbrüchigen eine Leine vom Land glücklich zugeworfen, so holen
jene sich mit derselben einen Block (Kloben) an Bord, in den eine andre stärkere Leine eingeschoren ist, deren beide Enden an
Land bleiben und zusammengesplißt werden. Den Block befestigen die Leute auf dem Schiff, und somit ist eine Kommunikation
mit dem Land fertig. Zunächst wird jetzt das eine Ende einer schweren Troß (starkes Tau) nach dem Wrack geschafft und dort
so hoch wie möglich an einem Mast od. dgl. befestigt, während man das andre Ende
der Troß am Land an einem Anker befestigt.
Die ausgespannte Troß dient gleichsam als Brücke,
[* 37] indem an ihr hängend eine Art Korb mit der andern dünnen
Leine hin- und hergezogen werden kann, welcher, zur Aufnahme einer Person geeignet, allmählich die ganze gefährdete Mannschaft
an das Land transportiert. In neuester Zeit hat man auch Öl im Rettungsdienst angewandt. Die Resultate sind aber an den deutschen
Küsten gering, da das Öl zwar in tiefem Wasser nachgewiesenermaßen eine überraschend beruhigende Wirkung auf den Seegang
ausübt, der an den flachen Küsten besonders heftig auftretenden Brandung gegenüber aber machtlos bleibt.
Die Geschichte des Rettungswesens zur See ist mit der der Gesellschaften zur Rettung Schiffbrüchiger eng verbunden. Eine solche
entstand zuerst 1789 zu Shields in England. Äußere Veranlassung war der vor den Augen der Bewohner stattfindende
Untergang des Schiffs Adventure. Das erste »unversinkbare« Rettungsboot baute 1790 ein
Londoner Wagenbauer, Lionel Lukin; Henry Greathead, ein gewiegter Bootbauer, verbesserte es bald darauf erheblich, und langsamere
Fortschritte folgten diesen ersten Versuchen.
Das Interesse für das in England war aber bis 1823 ein sehr geringes geblieben; es neu zu beleben, machte
sich 1824 SirWilliam Hallary zur Aufgabe. Auf seine Anregung vereinigten sich 1850 alle bis dahin bestandenen Vereine zur RoyalNational Lifeboat Institution, welche heute über mehr als 300 Rettungsstationen an den englischen Küsten
verfügt. Auf etwa 5000 Rettungsfahrten (seit 1855) wurden gegen 12,000 Menschen gerettet. Die Gesamtzahl der Geretteten beziffert
sich auf 30,000 Mann.
Auf dem europäischen Festland folgten zuerst die Holländer dem von England gegebenen Beispiel. In Frankreich wurde die Société
centrale de sauvetage des naufragés 1866 gegründet, nachdem aber schon Boote seit 1825, Mörser seit 1846 im
Gebrauch gewesen waren. Statt der letztern ist jetzt eine Kanone, welche einen Pfeil mit Leine nach der Angabe von Delvigne schießt,
allgemein gebräuchlich. Preußen errichtete seit 1850 für seine Küsten einige Rettungsstationen. In denJahren 1861-64 aus
der Initiative einzelner Küstenstädte hervorgegangene Vereine bildeten 1865 die Deutsche
[* 38] Gesellschaft
zur Rettung Schiffbrüchiger, in deren Händen gegenwärtig der gesamte Rettungsdienst an den deutschen Küsten vereinigt ist.
Die
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