Kirchengrenze zwischen
Thüringen und
Franken, die zum Teil noch heute nicht ganz vermischt ist. Der Rennstieg, von mehreren
Heerstraßen
überschritten, ist 160 km lang und jetzt größtenteils fahrbar, stellenweise chaussiert.
(RangiferH. Sm.), Säugetiergattung aus der
Ordnung der
Paarzeher und der
Familie der
Hirsche
[* 2]
(Cervina) mit der
einzigen Art Renntier tarandusSund. (s. Tafel
»Hirsche«). Dies ist 2 m lang, über 1 m hoch, mit 13
cm langem
Schwanz, im allgemeinen
dem
Hirsch
[* 3] ähnlich, aber viel weniger edel und schön. Der Leib ist am Hinterteil breiter, der
Hals von
Kopflänge, stark und zusammengedrückt, kaum aufwärts gebogen; der
Kopf ist vorn wenig verschmälert, plumpschnäuzig; die
Ohren sind kürzer als beim Edelhirsch, die
Augen groß, die Thränengruben klein und von Haarbüscheln bedeckt.
Beide
Geschlechter tragen ein
Geweih, welches von dem kurzenRosenstock an bogenförmig von rück- nach
vorwärts gekrümmt, an den
Enden schaufelförmig ausgebreitet, fingerförmig eingeschnitten und schwach gefurcht ist. Die
in eine breite
Schaufel endenden Augensprosse liegen dicht auf der Nasenhaut, die
Beine sind verhältnismäßig niedrig, die
Hufe sehr breit, flach gedrückt und tief gespalten, und die
Afterklauen reichen bis auf den
Boden herab.
Der
Pelz ist sehr dicht, und am Vorderhals verlängert sich das
Haar
[* 4] zu einer
Mähne; im Frühjahr ist das ganze
Tier einfarbig
grau, aber allmählich wachsen andre weiße
Haare
[* 5] hervor, und die Färbung ändert sich in schmutziges Weißgrau.
Die Innenseite der
Ohren und ein Haarbüschel an der Innenseite der
Ferse ist weiß. Das zahme Renntier, welches
dem wilden gegenüber fast wie verkommen erscheint, ist im
Sommer am
Kopf,
Rücken,
Bauch
[* 6] und an den
Füßen dunkelbraun, auf
dem
Rückgrat fast schwärzlich, an den Seiten des Leibes heller; der
Hals ist viel lichter, die Unterseite weiß, die
Stirn schwarzbraun, und die Kopfseiten sind weiß; im
Winter tritt auch hier das weiße
Haar gewöhnlich mehr
hervor. Das Renntier bewohnt den hohen
Norden
[* 7] der Alten und der
Neuen Welt (das
KaribouNordamerikas, Renntier. CaribouAud., ist vom europäischen
Renntier spezifisch nicht verschieden) von etwa 80° nördl.
Br. südlich bis 60° in
Norwegen,
[* 8] bis 56° im
GouvernementTwer, bis 49° in
Sibirien, bis 46° auf
Sachalin und bis 45° in
Nordamerika.
[* 9]
Auch auf
Island,
[* 10]
Spitzbergen und in
Grönland findet es sich. Es bewohnt die baumlosen
FjeldsNorwegens zwischen 800 und 1900
m und
meidet hier ängstlich den
Wald; im nördlichen
Sibirien suchen große
Herden im
WinterSchutz in den Wäldern,
wandern aber im Frühjahr auf die baumlosen
Ebenen, wo sie bessere
Nahrung finden. Das ist sehr gesellig und lebt meist in
Rudeln von mehreren hundert
Stück. Es geht und läuft ziemlich schnell, wird aber nie so flüchtig wie der Edelhirsch; es
schwimmt sehr gut, wittert vortrefflich, hört und sieht auch sehr scharf und ist ungemein scheu und vorsichtig. Es nährt
sich im
Sommer von
Alpenpflanzen, im
Winter von
Flechten;
[* 11] auch frißt es
Knospen
[* 12] und
Schößlinge der Zwergbirke.
Noch viel wichtiger ist das gezähmte Renntier für die europäischen
Nordländer. Die Zähmung aber ist keineswegs
so weit vorgeschritten wie die unsrer
Haustiere, vielmehr leben auch die Nachkommen der seit vielen
Generationen in der Gefangenschaft
befindlichen
Tiere noch immer in einem halbwilden Zustand.
Lappen,
Finnen und Sibirier treiben besonders die Renntierzucht,
und die
Korjaken sollen
Herden von 40-50,000
Stück besitzen, während man die Zahl der Renntiere bei den
norwegischen
Lappen auf nur 79,000
Stück schätzt.
Mancherlei
Seuchen vermindern oft die
Herden ganz bedeutend, viele
Tiere erliegen dem rauhen
Klima,
[* 16] und die
Fruchtbarkeit erscheint
vermindert. Im allgemeinen sind die in
Herden gehaltenen
Tiere klein und unansehnlich. Das Nomadenleben
der
Lappen akkommodiert sich vollständig den
Gewohnheiten des Renntiers, das sich seine
Nahrung selbst suchen muß. Im Juli
und
August leben die
Tiere auf den
Gebirgen und am Meeresstrand, und vom
September an beginnt die Rückwanderung.
Die
Tiere genießen dann volle
Freiheit, paaren sich oft mit wilden und werden erst beim ersten Schneefall
wieder eingefangen, um vor den
Wölfen geschützt zu werden. Auch im Frühjahr läßt man ihnen
Freiheit, bis die Zeit kommt,
wo die
Kühe ihre
Kälber setzen und
Milch liefern. Dieses ganze
Leben ist aber nur möglich durch die
Hilfe der
Hunde,
[* 17] ohne welche
die
Lappen die
Herde niemals weiden könnten. Zum
Melken muß das Renntier stets gefesselt werden; es liefert eine vortreffliche,
angenehm süße und sehr fette
Milch, aus welcher man kleine, etwas scharfe
Käse bereitet. Im
September wird geschichtet, und
jeder Teil des
Tiers wird verwertet.
Außerdem dient das Renntier als Zugtier, bei den
Tungusen und
Korjaken werden stärkere Rennhirsche auch als
Reittiere benutzt. Ein gutes Renntier legt mit dem
Schlitten in einer
Stunde 1,5 geogr.
Meile zurück und zieht nahe an 150 kg, wird
aber gewöhnlich nur mit der Hälfte belastet. Das Renntier würde auf unsern Hochgebirgen gedeihen und empfiehlt
sich zur Einführung, da es keinen
Schaden verursacht. In frühhistorischer Zeit hat es wahrscheinlich
noch im Herodotischen Skythenland, den jetzigen russischen
GouvernementsWolhynien und
Tschernigow, gelebt; ebenso war es wohl
noch zu
CäsarsZeiten ein Bewohner der unermeßliches sumpfigen
Wälder Germaniens. Im hohen
NordenSchottlands scheint es sogar
erst nach der Mitte des 12. Jahrh. unsrer
Zeitrechnung ausgestorben oder ausgerottet zu sein.
Die fossilen Reste des Renntiers beweisen, daß es in vorhistorischer Zeit über den größten Teil Mitteleuropas verbreitet
war, über ganz
Großbritannien,
[* 18]
Belgien,
[* 19] ganz
Frankreich bis zu den
Pyrenäen,
Schweiz,
[* 20]
Deutschland,
[* 21] das südliche
Schweden, die
russischen
Ostseeprovinzen,
Polen, den größten Teil des übrigen europäischen Rußland, namentlich die
Gegenden an der
Wolga, am
Don, selbst in
Bessarabien, ferner über das nördliche
Ungarn,
[* 22]
Mähren,
[* 23]
Böhmen und das Erzherzogtum
Österreich.
[* 24] Die ehemalige Südgrenze bilden also die
Pyrenäen, die
Alpen,
[* 25]
Wien
[* 26] und das Tatragebirge. Es ist aber nicht anzunehmen,
daß das in diesem weiten Gebiet gleichzeitig gelebt hat; vielmehr gehören die fossilen Reste
¶
mehr
verschiedenen geologischen Altersperioden an. Die ältesten Funde stammen aus der ältern Diluvialzeit, die jüngsten aus
Torfmooren und Moderbildungen, und diese reichen vielleicht bis in frühhistorische Zeit. An sehr vielen Stellen hat man von
Menschenhand bearbeitete fossile Renntiergeweihe gefunden, zusammen mit Werkzeugen der ältern Steinzeit
[* 28] und hier und da mit
Menschenknochen. Man spricht deshalb von einer Renntierzeit als einer Periode des Diluviums.