er seine Individualität mit voller Freiheit entfallen, nicht minder aber durch seine Singspiele, eine Kunstgattung, die er
ebenfalls mit Goethes Beistand in dessen »Claudina von Villabella« (1789),
»Erwin und Elmire«, »Jery und Bätely« (1790) zu
veredeln gewußt hat. Seine übrigen Kompositionen: Opern, Oratorien, Kantaten und Instrumentalwerke, sind zu sehr im
Geschmack seiner Zeit gehalten, um für die Gegenwart Bedeutung zu haben. Dagegen sind seine schriftstellerischen Arbeiten
durchweg von bleibendem Wert, namentlich die »Briefe eines aufmerksamen Reisenden, die Musik betreffend« (Braunschw. 1774-76);
»Über die deutsche komische Oper« (Hamb. 1774);
»Musikalisches Kunstmagazin« (Berl. 1781 bis 1792);
»Studien für Tonkünstler
und Musikfreunde« (das. 1793);
»Vertraute Briefe aus Paris« (Hamb. 1804, 3 Bde.);
»Vertraute Briefe aus Wien« (Amsterd. 1810) u. a.
Vgl. Schletterer, Joh. Fr. Reichardt, sein Leben und seine Werke (Augsb. 1865). -
Seine Tochter Luise Reichardt, geb. 1788 zu Berlin, gest. in Hamburg, hat sich ebenfalls durch Liederkompositionen bekannt
gemacht.
2) Christian Gottlieb, Kartograph, geb. zu Schleiz, studierte 1777-81 in Leipzig Jura, wurde 1782 Stadtschreiber in
Lobenstein, wandte sich dann, als 1798 Zach und Bertuch die »Allgemeinen Geographischen Ephemeriden« gründeten, der Geographie
zu und nahm bis 1805, wo der Krieg jener Publikation ein Ende machte, an derselben thätigen Anteil. Namentlich
beschäftigte er sich auch mit der Projektionslehre und veröffentlichte 1803 in Weimar einen merkwürdigen »Atlas des ganzen
Erdkreises etc.« in 6 Tafeln in gnomonischer Projektion, welcher bis heute noch keinen Nachfolger gefunden hat.
Weniger glücklich war er in der Terraindarstellung, indem er selbst Alpen und Himalaja nach der Art der
Umgegend von Lobenstein zeichnete, und gänzlich unkritisch und unphilologisch waren seine Bestrebungen auf dem Gebiet der
alten Geographie, wenn auch sein »Atlas der Alten Welt« (Nürnb. 1824, 19 Blätter) noch 1853 eine neue Auflage erlebte. 1812 verband
er sich mit Stieler in Weimar zur Herausgabe des »Handatlas«, lieferte
Karten für Campe in Nürnberg, für den er auch Smiths »Atlas der Alten Welt« neu bearbeitete, veröffentlichte eine »Weltkarte
in Mercators Projektion« in 4 Blatt, »Geographische Nachweisungen der Kriegsvorfälle Cäsars in Gallien« (Leipz. 1832) u. a. Er
starb in Lobenstein.
3) Gustav, Gesangskomponist, geb. zu Schmarsow bei Demmin in Vorpommern als Sohn eines Landpredigers,
erhielt seinen ersten Musikunterricht von seinem Vater, bildete sich später in Berlin, wo er Theologie studierte, unter V.
Kleins Leitung in der Komposition aus und widmete sich daselbst von 1819 an ausschließlich der Kunst. Nachdem er eine Reihe
von Jahren als Gesanglehrer mit außerordentliche Erfolg gewirkt (unter anderm auch in der königlichen
Familie), wandte er sich ganz der Komposition zu und entfaltete auf diesem Gebiet eine fruchtbare Thätigkeit. Er starb in
Berlin. Von seinen zahlreichen Vokalwerken sind die Lieder: »Das Bild der Rose« und »Was ist des Deutschen
Vaterland?« zu seltener Popularität gelangt.
4) Eduard, Agrikulturchemiker, geb. zu Kamburg, widmete sich in Altenburg der Pharmazie, studierte seit 1850 zu Jena
und übernahm die Vorträge über Chemie an dem F. Schulzeschen landwirtschaftlichen Institut. 1856 habilitierte sich Reichardt als
Privatdozent und wurde 1862 zum Professor ernannt. Als
Leiter der chemischen Abteilung der Versuchsstation
zu Jena führte er eine große Anzahl phytochemischer und physiologischer Arbeiten aus und wies unter anderm nach, daß Eisenoxyd
und Thonerde Kohlensäure reichlich absorbieren und wieder abgeben, wodurch kohlensaurer Kalk und Magnesia sowie phosphorsaurer
Kalk im Boden gelöst werden. Er veröffentlichte 1860 in den Akten der Leopoldinischen Akademie die für
die Kaliindustrie gewissermaßen grundlegende Schrift »Über die Staßfurter Salzlager«;
eine »Ackerbauchemie«;
ferner Ȇber
die Grundlagen der Untersuchung und Beurteilung des Trinkwassers« (4. Aufl., Halle 1880);
»Desinfektion und desinfizierende
Mittel« (2. Aufl., Stuttg. 1881).
1) Stadt in der hess. Provinz Oberhessen, Kreis Friedberg, an der Horloff, bis 1866 zu Nassau gehörig, hat
Zigarrenfabrikation und (1885) 820 Einw. -
2) Flecken in der hess. Provinz Starkenburg, Kreis Erbach, im Odenwald, an der Gersprenz und der Eisenbahn Reinheim-Reichelsheim, hat eine
evang. Kirche, eine Schloßruine, Granit- und Syenitschleiferei, Bergbau auf Manganerze, Holzhandel und
(1885) 1810 Einw. Dazu Schloß Reichenberg mit Knabenpensionat und in der Nähe die durch Scheffels Lieder bekannte Burg Rodenstein.
1) Insel im Unter- oder Zeller See (westlicher Teil des Bodensees), zum bad. Kreis Konstanz gehörig, an 5 km
lang, 2 km breit, östlich mit dem Festland durch eine Brücke verbunden, höchst ergiebig an Obst, Getreide
und Wein, enthält 3 Pfarreien (Oberzell, Mittelzell und Unter- oder Niederzell), ein Schloß und (1885) 1537 kath. Einwohner.
Die reiche, 724 daselbst begründete gleichnamige Benediktinerabtei, deren Mönche (Walafried Strabo, Hermann Contractus, Berno
u. a.) sich vom 9. bis ins 16. Jahrh. große
Verdienste um die Wissenschaften erwarben, kam 1538 an das Hochstift Konstanz und ward 1803 säkularisiert. Die Klosterkirche
enthält das Grab Karls des Dicken.
Vgl. Schönhuth, Chronik des ehemaligen Klosters Reichenau (Freiburg
1836);
Staiger, Die Insel Reichenau (Konst. 1874).
-
2) Stadt im östlichen Böhmen, an den Vorbergen des Adlergebirges gelegen, hat ein schönes Schloß mit
Bibliothek und Gemäldesammlung, eine Bezirkshauptmannschaft und ein Bezirksgericht, ein Obergymnasium, Piaristenkollegium,
Fabrikation von Tuch, Baumwoll- und Leinenwaren und (1880) 4702 Einw. -
3) Marktflecken in der böhm. Bezirkshauptmannschaft Gablonz, an der Pardubitz-Reichenberger Eisenbahn, hat eine Fachschule für
Malerei und Steinschneidekunst, Erzeugung von Edelsteinimitationen und Dosen, gewerbsmäßige Ölmalerei
und (1880) 2522 Einw. -
4) Dorf in der niederösterreich. Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen, am Eingang des romantischen, zwischen dem Schneeberg
und der Raxalpe gelegenen, von der Schwarza durchströmte Höllenthals, hat eine Kaltwasserheilanstalt (Rudolfsbad), ein Kurhaus,
schöne Villen, darunter die des Erzherzogs Karl Ludwig (Wartholz), und (1880) 935, als Gemeinde, mit Einschluß
von 20 kleinen Ortschaften oder Rotten, 6854 Einw. Im Gemeindebezirk liegen der Thalhof, die Prein, Edlach, Payerbach und
andre reizend gelegene Orte und Wiener Villeggiaturen, der Kaiserbrunnen (Ausgangspunkt der Wiener Hochquellenleitung), dann
mehrere industrielle Anlagen, so ein Hochofen mit Eisengießerei (Edlach), ein Hammer- und Walzwerk (Hirschwang), eine
große Papierfabrik (Schlögelmühl), eine Cellulose- und Holzstofffabrik u. a. -
5) Dorf in der sächs.
mehr
Kreishauptmannschaft Bautzen, Amtshauptmannschaft Zittau, an der Linie Zittau-Markersdorf der Sächsischen Staatsbahn, aus den
beiden Gemeinden Reichenau klösterlichen und Reichenau Zittauer Anteils bestehend, hat eine evangelische und eine kath. Kirche, Spinnerei,
Orléansfabriken, Färbereien nebst Appreturanstalten, Leimsiederei, Maschinenfabrikation, Ziegelbrennerei, Braunkohlenwerke,
eine Farbholzmühle und (1885) 5561 meist evang. Einwohner. - 6)
Ein von den Bischöfen von Chur erbautes Schloß im schweizer. Kanton Graubünden,
am Zusammenfluß des Hinter- und Vorderrheins.
Hier blühte die vom Bürgermeister Tscharner von Chur errichtete Erziehungsanstalt, deren Miteigentümer H. Zschokke war, und
an welcher der Herzog von Chartres (der nachmalige König Ludwig Philipp) 1793-94 unter dem Namen Chabot als Lehrer
der französischen Sprache wirkte. Das Schloß ist jetzt im Besitz der Familie v. Planta.
Rudolf, Schriftsteller, geb. 1817 zu Marienwerder, studierte in Königsberg und Bonn Rechtswissenschaft und
widmete sich in seiner Vaterstadt dem Staatsdienst, den ihn Kränklichkeit jedoch bald zu verlassen zwang. Er siedelte nun
(1859) nach Berlin über, wo er sich schriftstellerischer Thätigkeit zuwandte und starb. Quell
und Inhalt seiner mit Beifall aufgenommenen Schriften war ausschließlich das deutsche Familienleben, dessen einzelne Stadien
er in seiner Beobachtung poesievoll und mit Laune zu schildern verstand. Es sind: »Aus unsern vier Wänden«, in drei Abteilungen:
»Kinderleben« (11. Aufl.
1868),
»Knaben und Mädchen« (1864) und »Auswärts und Daheim« (1864);
ferner »Liebesgeschichten. Neues aus den alten vier Wänden« (1868);
»Am eignen Herd. Aus den neuen vier Wänden« (1873) und
»Die Alten. Letzte Bilder« (1876).