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die evangelischen Stände zu einer förmlichen Protestation schritten, welche die geschichtliche Veranlassung des Namens Protestanten geworden ist (s. Protestantismus). Der Kaiser verwarf die Protestation und schrieb einen Reichstag nach Augsburg [* 2] aus. Jetzt hielten es die protestantischen Stände für angemessen, die Grundlehren ihres Glaubens in der Kürze zusammenzustellen und sie dem Kaiser vorzulegen. So entstand, unter grundsatzmäßigem Ausschluß der Schweizer Reformatoren, die Augsburgische Konfession (s. d.), die verlesen ward, und zu welcher sich bald auch die nordischen Reiche Dänemark, [* 3] Schweden [* 4] und Norwegen sowie die Ostseeländer bekannten, während die oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, [* 5] Konstanz, [* 6] Lindau [* 7] und Memmingen [* 8] in der Tetrapolitana bei ihrer Zwinglischen Auffassung beharrten. In Deutschland [* 9] aber begann seitdem der Kampf um das gute Recht der Reformation, zu deren Schutz 1531 zwischen den protestantischen Ständen der Bund von Schmalkalden [* 10] geschlossen wurde.
Jetzt zog der Kaiser mildere Saiten auf, und es kam in Nürnberg [* 11] zu einem Friedensschluß, worin den Gliedern des Schmalkaldischen Bundes das Verbleiben bei ihrer Lehre [* 12] und ihrem Kultus bis zu einem allgemeinen Konzil oder bis zur Entscheidung eines neuen Reichstags zugesichert wurde. Als der Papst auf Mai 1537 ein solches Konzil nach Mantua [* 13] ausschrieb, gab der Kurfürst von Sachsen [* 14] seinen Theologen auf, die Glaubensartikel zu erwägen und zusammenzustellen, auf denen zu bestehen sein möchte, und so entstanden die von Luther (Februar 1537) aufgesetzten Schmalkaldischen Artikel (s. d.), welche den Gegensatz zum Katholizismus und die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der protestantischen Kirche weit bestimmter und schärfer als die Augsburgische Konfession aussprachen.
Der kriegerisch gesinnte Landgraf Philipp von Hessen [* 15] hatte inzwischen (1534) durch die Zurückführung des vom Schwäbischen Städtebund vertriebenen und vom Kaiser zu gunsten seines Bruders Ferdinand des Throns entsetzten Herzogs Ulrich von Württemberg [* 16] dem protestantischen Glauben ein ganzes Land erobert. Ulrich übertrug die Reformation seines Landes Blarer (s. d.) und Schnepf (s. d.). Ohne Unterlaß war inzwischen der Landgraf auch bemüht gewesen, den seit dem Marburger Gespräch (Oktober 1529) besiegelten Zwiespalt der Wittenberger und Schweizer Reformatoren über die Abendmahlslehre zu beseitigen, und seine Bemühungen hatten wenigstens einen provisorischen Stillstand der Streitigkeiten durch den Abschluß der Wittenberger Konkordie (Mai 1536) zur Folge.
Auch der neue Kurfürst von Brandenburg, [* 17] Joachim II. (1535-71), bekannte sich seit 1539 offen zur evangelischen Lehre und führte dieselbe mit Hilfe des Bischofs von Brandenburg, Matthias von Jagow, in sein Gebiet ein; gleichzeitig wurden auch des eifrig katholischen Herzogs Georg von Sachsen Lande durch dessen Nachfolger Heinrich für dieselbe Sache gewonnen. Selbst der Kurfürst von Köln, [* 18] Hermann, Graf zu Wied (s. d.), ließ 1543 einen Reformationsplan im Druck erscheinen, welcher im ganzen mit der evangelischen Lehre übereinstimmte.
Doch scheiterte dieser Reformationsversuch am Widerstand seines Domkapitels. Dagegen wurde ein heftiger Feind der Reformation, Herzog Heinrich von Braunschweig, [* 19] von Sachsen und Hessen aus seinem Land verjagt (1542). Fast in allen Reichsstädten hatte die reformatorische Partei ein entschiedenes Übergewicht. Von weltlichen Fürsten war eigentlich nur noch der Herzog von Bayern, [* 20] der sich jedoch der evangelischen Sympathien seines eignen Volkes und der Stände nur mit Mühe erwehren konnte, eine Stütze des Papsttums.
In den nächstfolgenden Zeiten wurden die evangelischen Stände weniger beunruhigt. Der Kaiser war durch seine auswärtigen Unternehmungen sehr in Anspruch genommen und bedurfte der Reichshilfe gegen die Türken, die Ungarn [* 21] bedrohten, und suchte auf den Religionsgesprächen (s. d.) zu Hagenau [* 22] (1540), Worms [* 23] (1540) und Regensburg [* 24] (1541) eine Verständigung zwischen Protestanten und Katholiken herbeizuführen. Das Regensburger Kolloquium brachte einen angeblichen Religionsvergleich (Regensburger Interim, s. d.) zu stande, den der Kaiser den Protestanten aufzwang.
Das konnte Karl V. nur wagen, weil innere Zwistigkeiten im Lager [* 25] der protestantischen Stände dem Schmalkaldischen Bund seine Kraft [* 26] raubten. Die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen (1539) rief eine tiefe, in heftiger Korrespondenz sich äußernde Mißstimmung zwischen ihm und dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen (1532-47) sowie Ulrich von Württemberg hervor, welche den Schritt ihres Bundesgenossen in scharfen Ausdrücken tadelten; der Landgraf, um sich vor der kaiserlichen hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung zu schützen, sah sich genötigt, Karl V. in einer die Interessen der Protestanten gefährdenden Weise gefällig zu sein. Die Beendigung des Kriegs mit Frankreich (1544) gab dem Kaiser endlich freie Hand gegen die schmalkaldischen Verbündeten. Er nahm die Klage des kölnischen Domkapitels gegen den Erzbischof an und ließ eine Untersuchung gegen letztern einleiten.
Luther erlebte den Ausbruch des Kriegs nicht, er starb in Eisleben. [* 27] Bald darauf ward wider den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen die Reichsacht ausgesprochen, und der Papst Paul III. predigte (4. Juli) einen Kreuzzug zur Ausrottung der Ketzerei. Nachdem im Spätjahr der Süden und im Frühjahr 1547 der Norden [* 28] mit Hilfe des Herzogs Moritz von Sachsen unterworfen worden, zeigte der Kaiser plötzlich Mäßigung, indem er nur die Anerkennung des Ende 1545 eröffneten Konzils zu Trient [* 29] von den Besiegten forderte. Ein Reichsgesetz, welches zu Augsburg publiziert ward, ordnete an, wie es mit der Religion bis zum Austrag des Konzils gehalten werden solle. Dieses Interim (s. d.) ward vielen oberdeutschen Städten mit Gewalt aufgezwungen, indes der vom Kaiser mit dem sächsischen Kurhut begnadete Moritz vornehmlich unter Melanchthons Mitwirkung das Leipziger Interim (s. d.) ausarbeiten ließ.
Während aber die Gewissen durch das aufgedrungene Interim auf das äußerste beunruhigt wurden, beschloß Moritz, durch eine kühne That seine verlorne Ehre wiederzugewinnen und damit dem Reich und der Kirche die Freiheit zurückzugeben. Die ihm übergebene Achtvollstreckung an Magdeburg [* 30] gab ihm einen Vorwand zur Aufstellung eines Heers, und so brach er 1552, nachdem er ein schamloses Bündnis mit Frankreich geschlossen, aus Thüringen auf und stand schon 22. Mai vor Innsbruck. [* 31]
Der Kaiser floh durch die Engpässe der Alpen, [* 32] und es kam nun 29. Juli der Passauer Vertrag zu stande, kraft dessen das Kammergericht zu gleichen Teilen mit Bekennern der beiden Kirchen besetzt und zur Abstellung der Klagen über verletzte Reichsgesetze sowie zur Einigung in den kirchlichen Angelegenheiten ein Reichstag in nahe Aussicht gestellt ward. Auf diesem Reichstag, der nach mancherlei Verhinderungen 1555 zu Augsburg eröffnet ward, wurde das Recht der Reformation den Reichsständen trotz des vom römischen Stuhl dagegen ¶
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erhobenen Protestes zuerkannt, aber der geistliche Vorbehalt (reservatum ecclesiasticum) aufgenommen, wonach jeder zur lutherischen Kirche übertretende Prälat eo ipso geistliche Würde und weltliche Stellung verlieren sollte. Den andersgläubigen Unterthanen wurde das Recht des freien Abzugs zugestanden. Über die Aufrechthaltung dieses Friedens wachten das Corpus Catholicorum und das Corpus Evangelicorum (s. d.). Noch einmal machte das Wormser Religionsgespräch den Versuch (1557), eine Einigung der Katholiken und Protestanten in der Lehre herbeizuführen. Er war ebenso vergeblich wie der zweite Reformationsversuch des Erzbischofs Gebhard (s. d. 3) von Köln 1582. Die Gegenreformation (s. d.) erstickte hier sowie in Mainz, [* 34] Trier, [* 35] Steiermark [* 36] und Kärnten bereits mit Hilfe der Jesuiten (s. d.) jede protestantische Regung.
Der Westfälische Friede stellte endlich nicht bloß den Status quo des Passauer Vertrags und Augsburger Religionsfriedens 1648 wieder her, sondern dehnte auch die in beiden den Lutheranern gemachten Zugeständnisse auf die Reformierten aus. Aber die Sache der Reformation, wie sie endlich durch den Westfälischen Frieden zur rechtlichen Existenz gelangte, war nicht mehr die ursprüngliche. Fraglos hat schon den Reformatoren selbst zu einer folgerichtigen Durchführung der Grundsätze der Reformation vieles gefehlt.
Ihre wiederholten Schwankungen und Unsicherheiten, ihre Zugeständnisse an das katholische System, ihre offenen Rückfälle und Selbstwidersprüche können und sollen nicht mehr verhehlt werden. Ihre Schuld ist aber verschwindend gering gegenüber denjenigen, welche im weitern Verlauf der Geschichte jene Fehler, Mißgriffe, Inkonsequenzen und katholisierenden Verirrungen nicht bloß nicht als solche begriffen, sondern sie vielmehr erst recht in ein System brachten.
In der ersten Hälfte des 16. Jahrh. machte die Reformation die Runde durch die damalige zivilisierte Welt. Rom [* 37] zitterte; sogar die romanische Welt schien ihr wie eine reife Frucht in den Schoß zu fallen. Aber schon im Verlauf der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. war der Protestantismus von sich selbst abgefallen und hatte die »reine Lehre« zu einem neuen Gesetzeskodex erhoben, den Theologendruck an die Stelle des Priesterjochs gesetzt. Anstatt die volle Kraft der religiösen Begeisterung und der sittlichen Erhebung nach außen zu wenden, verzehrten die Protestanten sich in Lehrgezänk nach innen und verfielen dem Irrtum, göttliche Wahrheit in ihren dogmatischen Formeln festgebannt zu haben. Jetzt folgte Niederlage auf Niederlage; die Jesuiten sogar trieben vielfach eine freiere Theologie als die orthodoxe Epigonenschaft der Reformation, und mit dem Sieg der Konkordienformel (1580) ward die anfängliche Siegesgeschichte der Reformation, wenigstens auf deutschem Gebiet, zur erschütternden Leidensgeschichte, ja zuweilen fast zur Tragikomödie.
Richtig gewürdigt wird die Sache der Reformation nur da, wo man sich entschließen kann, von den Mängeln ihrer Ausführung abzusehen und die leitende Idee ins Auge [* 38] zu fassen, welche nur einen durchaus neuen Ansatz zur Verwirklichung des christlichen Prinzips selbst bedeuten kann. Hatte sich dieses im Katholizismus eine einseitig religiöse und kirchliche Ausprägung gegeben, so läuft die Tendenz der Reformation durchaus auf ein im guten Sinn des Wortes weltliches Christentum, auf eine Verwirklichung des christlichen Prinzips vor allem im sittlichen Leben hinaus, daher es sich lediglich von selbst versteht, wenn die Reformation auf dem Gebiet der Kirchenbildung mit dem Katholizismus nicht wetteifern kann; sie bedeutet vielmehr im Prinzip nichts andres als die Zerstörung des »gesellschaftlichen Wunders«, welches als Kirche über den natürlichen Organismen der sittlichen Welt stehen will.
Von Haus aus suchte und fand daher die Reformation Fühlung mit dem Staat; sowohl in Deutschland als in der Schweiz [* 39] sehen wir eigentümliche Formen des Staatskirchentums entstehen, das sich, wo die reformatorischen Prinzipien zu ungehemmter Entfaltung kommen, überall in ein eigentliches Volkskirchentum umzusetzen bestrebt ist. Anstatt einer von einer wunderbaren Legende als ihrer theoretischen Voraussetzung getragenen Kirche über den Völkern zu dienen, will die Reformation das religiöse Leben der Völker ihrer gesamten sonstigen Seinsweise eingliedern, so daß es zu einer gesunden Funktion eines einheitlichen, aus sich selbst heraus lebenden gesellschaftlichen Organismus wird.
Darin liegt die politische und soziale Mission der Reformation beschlossen. S. Protestantismus.
Vgl. Marheineke, Geschichte der deutschen Reformation (2. Aufl., Berl. 1831-34, 4 Bde.);
Hagenbach, Geschichte der Reformation (5. Aufl., Leipz. 1887);
Döllinger, Die Reformation, ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen (2. Aufl., Regensb. 1851, 3 Bde.);
Kahnis, Die deutsche Reformation (Leipz. 1872, Bd. 1);
Hagen, [* 40] Deutschlands [* 41] litterarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter (Erlang. 1841-44, 3 Bde.);
Ranke, Deutsche [* 42] Geschichte im Zeitalter der Reformation (6. Aufl., Leipz. 1880, 6 Bde.);
Egelhaaf, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (2. Aufl., Berl. 1885);
Keller, Die Reformation und die ältern Reformparteien (Leipz. 1885);
v. Bezold, Geschichte der deutschen Reformation (Berl. 1886 ff.);
Hoop-Scheffer, Geschichte der in den Niederlanden (deutsch, Leipz. 1886).
Das Hauptwerk von ultramontaner Seite ist die »Geschichte des deutschen Volkes« von Joh. Janssen (s. d.).