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Vertreter und Sachwalter (Prokurator) fungieren, insofern nicht ein persönliches Erscheinen der erstern notwendig ist. Bei den Römern dagegen waren diese beiden Funktionen ursprünglich getrennt, indem die Stellvertretung nur nach und nach zulässig und üblich, während das Auftreten als Patronus, Orator, Advocatus neben und zum Schutz einer Partei schon frühzeitig als eine selbst für hochgestellte Männer angemessene Thätigkeit erachtet wurde. Erst unter dem Kaiserreich verlangte man juristische Fachbildung, und geschlossene Advokatenkollegien (corpora togatorum) entstanden bei den römischen Gerichtshöfen. Im ältern deutschen Prozeßverfahren finden sich zunächst auch nur sogen. Fürsprecher neben den Parteien, welche keinen besondern Stand bildeten.
Das Eindringen des römischen Rechts und das schriftliche und geheime Prozeßverfahren mit seinen vielen Formalitäten machten jedoch einen eignen Advokatenstand erforderlich, und so wurde die Vertretung der Parteien durch zünftige Sachwalter für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zur Regel. In Frankreich dagegen hat sich die Trennung der Funktionen des Rechtsbeistandes oder der Advokatur im engern Sinn einerseits und der Vertretung der Partei oder der Prokuratur anderseits bis auf den heutigen Tag erhalten.
Letztere ist Sache des Avoué, während der Avocat vor Gericht plaidiert. Die Avocats werden in eine Matrikel eingetragen; sie bilden das Barreau des betreffenden Gerichtshofs. In England entsprechen den französischen Avoués die Attorneys, während der Barrister der plaidierende ist. Die genossenschaftliche Organisation und die freie Konkurrenz hat dem englischen Advokatenstand seit langer Zeit eine ungemein angesehene Stellung im öffentlichen Leben gesichert. In Deutschland [* 2] dagegen kamen viele das Ansehen des Advokatenstandes schädigende Umstände zusammen, wenn man ihn auch im Volk vielfach ungerechtfertigterweise für die Schäden des gesamten Rechtszustandes ausschließlich verantwortlich machte.
Das geheime und formalistische Verfahren war der Rabulisterei günstig, und die Kontrolle des vornehmlich auf den Gelderwerb angewiesenen Advokatenstandes durch die Richter schädigte das Ansehen desselben. Der Versuch Friedrichs d. Gr. (1780), die Advokaten durch staatliche Beamte (sogen. Assistenzräte) zu ersetzen, erwies sich als unhaltbar. Erst die Wiederbelebung des Rechtswesens in Deutschland, namentlich die Einführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen Verfahrens, und überhaupt das Erwachen des politischen Lebens führte zu einer Hebung [* 3] der Advokatur, welche die Gesetzgebung bisher nur mit Mißtrauen behandelt hatte.
In der preußischen Rheinprovinz, [* 4] in Hannover [* 5] und in Braunschweig [* 6] war allerdings das französische System angenommen und die Advokatur freigegeben worden. In Altpreußen, Bayern [* 7] und den meisten übrigen deutschen Staaten dagegen bildete die Beschränkung der Zahl und die staatliche Anstellung der Rechtsanwalte die Regel, während in Baden, [* 8] Mecklenburg, [* 9] Bremen, [* 10] Frankfurt [* 11] a. M. und Hamburg [* 12] jeder, welcher die vorgeschriebenen Prüfungen bestanden hatte, zur advokatorischen Praxis zugelassen wurde. Die neue deutsche Justizgesetzgebung, insbesondere die Rechtsanwaltsordnung vom hat die Verhältnisse der Rechtsanwalte für ganz Deutschland in einheitlicher Weise geregelt.
Nach der deutschen Rechtsanwaltsordnung ist die Advokatur zwar nicht vollständig freigegeben, aber es besteht doch insofern Freiheit der Rechtsanwaltschaft, als derjenige, welcher in einem deutschen Staate die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat, in ebendiesem Staate die Zulassung zur Advokatur beanspruchen kann. Auch in jedem andern Bundesstaat kann der also Befähigte zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, wenn auch ein Recht auf Zulassung nur in jenem Staat besteht.
Über den Antrag auf Zulassung entscheidet die Landesjustizverwaltung nach vorgängigem gutachtlichen Gehör [* 13] des Vorstandes der Anwaltskammer. Aus bestimmten Gründen, Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter infolge gerichtlicher Verurteilung, beschränkte Dispositionsfähigkeit, unwürdiges Verhalten, geistige oder körperliche Schwäche u. dgl., muß die Zulassung versagt werden. Sie kann versagt werden, wenn der Antragsteller, nachdem er die Fähigkeit zur Rechtsanwaltschaft erlangt hatte, während eines Zeitraums von drei Jahren weder als Rechtsanwalt zugelassen ist, noch ein Reichs-, Staats- oder Gemeindeamt bekleidet hat, noch im Justizdienst oder als Lehrer des Rechts an einer deutschen Universität thätig gewesen; ferner, wenn ihm auf Zeit die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt; endlich, wenn der Antragsteller früher Rechtsanwalt gewesen, aber innerhalb der letzten zwei Jahre auf Verweis oder auf Geldstrafe von mehr als 150 Mk. im ehrengerichtlichen Verfahren gegen ihn erkannt worden ist.
Die Zulassung als Rechtsanwalt erfolgt nach dem Grundsatz der Lokalisierung der Rechtsanwaltschaft bei einem bestimmten Gericht, ausnahmsweise auch bei mehreren Kollegialgerichten desselben Ortes. Der bei einem Amtsgericht zugelassene Rechtsanwalt kann auch zugleich bei dem Landgericht, in dessen Bezirk dieses Amtsgericht seinen Sitz hat, zugelassen werden. Anwaltszwang besteht nur für diejenigen Prozeßsachen, welche vor den Landgerichten und vor allen Gerichten höherer Instanz anhängig sind. In diesen Rechtsstreitigkeiten (Anwaltsprozeß), im Gegensatz zu den vor die Amtsgerichte gehörigen Rechtssachen, müssen sich die Parteien je durch einen bei dem Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen.
Ein bei dem Prozeßgericht zugelassener Rechtsanwalt kann sich selbst vertreten. Der Rechtsanwalt muß an dem Orte des Gerichts, bei welchem er zugelassen ist, seinen Wohnsitz nehmen (Domizilierungs- und Residenzpflicht der Rechtsanwalte). Die gemeinsamen Interessen des Anwaltstandes werden durch die Anwaltskammern wahrgenommen. Für jeden Bezirk eines Oberlandesgerichts und am Sitz eines solchen ist eine Anwaltskammer errichtet, bestehend aus den innerhalb jenes Bezirks zugelassenen Rechtsanwalten.
Die Kammer wählt aus ihren Mitgliedern den aus 9-15 Personen bestehenden Vorstand, welch letzterer wiederum aus seiner Mitte den Vorsitzenden und den Schriftführer sowie deren Stellvertreter erwählt. Der Vorstand hat neben andern wichtigen Aufgaben, z. B. der Begutachtung von Gesetzentwürfen, namentlich die Aufsicht über die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten zu führen und die ehrengerichtliche Strafgewalt zu handhaben. In letzterer Hinsicht entscheidet der Vorstand in der Besetzung von fünf Mitgliedern als Ehrengericht.
Dies kann auf Warnung, Verweis, Geldstrafe bis zu 3000 Mk. und Ausschließung von der Rechtsanwaltschaft erkennen. Die Berufung geht an den Ehrengerichtshof, bestehend aus dem Präsidenten des Reichsgerichts als Vorsitzendem, drei Mitgliedern des Reichsgerichts und drei Mitgliedern der Anwaltskammer bei dem Reichsgericht. Der hat für seine Thätigkeit Gebühren und Ersatz der Auslagen, insbesondere auch Schreibgebühren und Reisekosten (Fahrkosten, ¶
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Nachtquartier, Tagegelder) zu beanspruchen und zwar nach Maßgabe der Gebührenordnung vom Hiernach bestehen für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten feste Pauschquanta und bestimmte progressive Wertklassen. Als Verteidiger erhält der Rechtsanwalt für die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht 12, vor der Strafkammer 20 und vor dem Schwurgericht oder Reichsgericht 40 Mk.; im Vorverfahren sind die entsprechenden Sätze 6, 10 und 20 Mk. Dazu kommen dann noch Einzelsätze für die nötigen Anträge, Gesuche und Schriftsätze. Vertragsmäßige Übereinkunft über die Höhe der Gebühren ist zulässig. Mit der Rechtsanwaltschaft ist vielfach auch das Notariat (s. d.) verbunden.
In Österreich [* 15] hat der Rechtsanwalt (Advokat) nach der Advokatenordnung vom die freie Wahl in der Bestimmung seines Wohnsitzes. Zur Ausübung der Advokatur bedarf es keiner behördlichen Ernennung, doch muß der Rechtsanwalt folgenden Erfordernissen genügen. Er muß das Heimatsrecht in einer Gemeinde der zugehörigen Königreiche und Länder und die Eigenberechtigung besitzen, auch die juridisch-politischen Studien zurückgelegt und die juristische Doktorwürde nach vorgängiger Prüfung erlangt haben. Endlich ist eine siebenjährige Praxis bei Gericht, einem Advokaten oder bei der Finanzprokuratur erforderlich. Zur Wahrung der Interessen des Advokatenstandes bestehen Advokatenkammern.
Vgl. Jaques, Die freie Advokatur (Wien [* 16] 1868);
Ausgaben der deutschen Rechtsanwaltsordnung von Meyer (das. 1879) u. a., der Gebührenordnung von Böger und Lange (2. Aufl., Kiel [* 17] 1880), Meyer (2. Aufl., Berl. 1884) u. a.; Siegel, Die gesamten Materialien zur Rechtsanwaltsordnung (Leipz. 1883);
Osius und Bendix, Praktisches Handbuch für Rechtsanwalte (Düsseld. 1882);
Prischl, Advokatur und Anwaltschaft (Berl. 1888);
Favre, Discours du bâtonnat (4. Aufl., Par. 1880);
Gundermann, Richteramt und Advokatur in England (Münch. 1870);
»Juristische Wochenschrift«, Organ des Deutschen Anwaltsvereins (hrsg. von Hänle und Kempner, Berl. 1872 ff.).