mehr
je ein Jahr einschränken. Höhere Bürgerschulen endlich hießen diejenigen Realschulen, welche nach obenhin nicht abgeschlossen waren, sondern der ersten Klasse ermangelten. Insofern sie bis zur zweiten Klasse einschließlich entwickelt und nach dem Lehrplan der Realschulen erster Ordnung angelegt waren, konnten sie das Recht der Abgangsprüfungen erhalten. Innerhalb dieses Rahmens haben sich die Realschulen von 1859 bis 1882 zahlreich und mannigfaltig entwickelt.
Die kleinern deutschen
Länder folgten mit geringen Modifikationen
Preußen
[* 2] nach, zumal seit 1866 wegen der Rücksicht auf
den einjährig-freiwilligen Militärdienst. Indessen wachte die schon 1848 und 1849 vielfach erhobene
Forderung wieder auf
,
den Realschulen in Bezug auf
den Universitätsbesuch gleiche
Rechte mit den Gymnasien einzuräumen, während
anderseits völliger
Verzicht auf
den lateinischen
Unterricht von allen Realschulen verlangt wurde. Der
Minister v.
Mühler forderte
daher über die Zulässigkeit einer erweiterten
Kompetenz der Realschulen an den
Universitäten
Gutachten von sämtlichen
Fakultäten der Landesuniversitäten ein, welche überwiegend ablehnend ausfielen.
Doch ward verfügt, daß die Reifezeugnisse der Realschulen erster
Ordnung in Bezug auf
die
Immatrikulation bei der
Universität und die
Inskription bei der philosophischen
Fakultät dieselbe Gültigkeit haben sollten wie die der Gymnasien,
und daß künftig Schulamtskandidaten, die eine Realschule erster
Ordnung besucht und nach Erlangung eines von
derselben erteilten Zeugnisses der
Reife ein akademisches
Triennium absolviert hätten, zum
Examen pro facultate docendi in
den
Fächern der
Mathematik, der
Naturwissenschaften u. der neuern
Sprachen, jedoch mit Beschränkung der Anstellungsfähigkeit
auf
Real- u. höhere
Bürgerschulen, zugelassen würden. Im
Oktober 1873 berief der
Minister
Falk eine Versammlung sachverständige
Männer nach
Berlin,
[* 3] um über
Fragen des höhern
Schulwesens, besonders die Realschulfrage, ihren
Rat zu hören.
Obwohl die Versammlung im allgemeinen sich zu den
Forderungen der Realschulmänner günstig stellte, blieb zunächst alles
beim alten. Dagegen hat seitdem die
Kreise
[* 4] der Reallehrer eine lebhafte
Bewegung ergriffen, die, teilweise anknüpfend an die
patriotische
Erhebung seit 1870, der Realschule, als der eigentlich »deutschen
Schule«, völlige Gleichberecht
igung
mit dem
Gymnasium, ja hier und da allgemeine Verbreitung an
Stelle desselben zu erstreiten suchte. Versammlungen zu
Eisenach,
[* 5] Gera,
[* 6]
Braunschweig
[* 7] u. a. O. haben in dieser
Richtung mehr oder minder weit greifende Beschlüsse gefaßt und
Forderungen auf
gestellt.
Eine festere Gestalt erhielt diese
Bewegung in dem am begründeten
Verein der deutschen Realschulmänner,
der seitdem seine
Forderung nach unbedingter Gleichberecht
igung der voll organisierten Realschulen mit den Gymnasien rührig
vertreten und durch gründliche statistische Nachweise manches unbegründete
Vorurteil gegen die Realschulbildung, das ungeprüft
der eine dem andern nachspricht, siegreich bekämpft hat. Verwickelter noch wurde die Realschulfrage,
als 1879 das technische
Schulwesen an das
Kultusministerium überging und gleichzeitig die frühern
Gewerbeschulen nach dem
Muster einer vom
Direktor Gallenkamp in
Berlin geleiteten lateinlosen Realschule erster
Ordnung zu Anstalten dieser Art umgewandelt wurden.
Im
Kultusministerium war man nicht abgeneigt, diese neue Form der Realschule im
Sinn Spillekes als deren reinste
Ausgestaltung anzuerkennen und gegenüber den bisherigen Realschulen erster
Ordnung, deren Leistungen im
Lateinischen durchschnittlich
gering waren, zu begünstigen, was freilich an dem
Vorurteil, das in allen andern Ministerien, bei der
Post etc., gegen diese
lateinlosen
Schulen herrschte, völlig gescheitert ist.
Die neuen
Lehrpläne,
welche der
Minister v.
Goßler für alle höhern
Schulen in
Preußen erließ,
haben die sonach vorhandene Mannigfaltigkeit auf
dem Gebiet des Realschulwesens nicht vereinfachen können. Die Anstalten
haben fast nur die
Namen gewechselt, indem die Realschulen erster
Ordnung nach dem
Lehrplan von 1859 nun Realgymnasien, die
höhern
Bürgerschulen Realprogymnasien, die lateinlosen Realschulen erster
Ordnung
(Gewerbeschulen)
Oberrealschulen
und, wenn ihnen die oberste
Klasse mit zwei Jahrgängen
Lehrplan der Oberrealschule (1882) 1
VI | V | IV | III | II | I | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
b | a | b | a | b | a | Zusammen | Realgymnasium | ||||
Christliche Religion | 3 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 19 | 19 |
Deutsch | 4 | 4 | 4 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 30 | 27 |
Französisch | 8 | 8 | 8 | 6 | 6 | 5 | 5 | 5 | 5 | 56 | 34 |
Englisch | - | - | - | 5 | 5 | 4 | 4 | 4 | 4 | 26 | 20 |
Geschichte und Geographie | 3 | 3 | 4 | 4 | 4 | 3 | 3 | 3 | 3 | 30 | 30 |
Rechnen und Mathematik | 5 | 6 | 6 | 6 | 6 | 5 | 5 | 5 | 5 | 49 | 44 |
Naturbeschreibung | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 3 | - | - | - | 13 | 12 |
Physik | - | - | - | - | - | 4 | 4 | 3 | 3 | 14 | 12 |
Chemie | - | - | - | - | - | - | 3 | 3 | 3 | 9 | 6 |
Schreiben | 2 | 2 | 2 | - | - | - | - | - | - | 6 | 4 |
Zeichnen | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 3 | 3 | 4 | 4 | 24 | 18 |
+54 Lat. | |||||||||||
Zusammen : | 29 | 29 | 30 | 30 | 30 | 32 | 32 | 32 | 32 | 276 | 280 |
1 Gesang und Turnen mit durchweg 2 Stunden wöchentlich sind in diesem Lehrplan nicht besonders angesetzt
fehlt, Realschulen heißen. Der
Name der höhern
Bürgerschulen ist, im Anschluß an ein Vorbild lateinloser höherer
Bürgerschule
in
Kassel,
[* 8] auf
diejenigen lateinlosen Realanstalten übergegangen, deren
Lehrplan sechs Jahrgänge umfaßt,
und die bis auf
geringfügige
Abweichungen einer unvollständigen
Oberrealschule gleicht, welcher die obersten drei Jahrgänge
(Prima, Obersekunda) fehlen. Während die
höhere Bürgerschule mit der Erlangung des
Rechts auf den einjährig-freiwilligen
Heerdienst abschließt, führen Realschulen und Realprogymnasien um ein Jahr, Realgymnasien und
Oberrealschulen um drei Jahre
darüber hinaus.
Die einzigen erwähnenswerten Abweichungen gegen den frühern Bestand beruhen darin, daß Gymnasien und Realgymnasien in den drei untern Klassen, namentlich durch den spätern Beginn des Griechischen im Gymnasium (früher in Quarta, jetzt in Tertia) und Vermehrung der Stunden für das Französische, einander fast völlig gleichen, und daß das Lateinische im Realgymnasium nicht unerheblich verstärkt ist. Zur Veranschaulichung ist oben der Lehrplan der Oberrealschule (Realschule) dem des Realgymnasiums, welches den des Realprogymnasiums mit umfaßt, gegenübergestellt.
Als gelöst kann durch den gegenwärtigen Zustand die Realschulfrage noch nicht angesehen werden. Solange die Hauptform der
Realschule dem
Gymnasium so nahe steht wie jetzt, werden die Vertreter der Realschule stets versucht sein,
wenn nicht völlige Gleichberecht
igung mit jenem, doch
¶
mehr
eine wesentlich erweiterte Berechtigung hinsichtlich des Universitätsstudiums zu fordern. Es ist nicht zu bezweifeln, daß
namentlich für den ärztlichen Beruf die Vorbildung auf
dem Realgymnasium der auf dem Gymnasium gleichwertig ist. Leider sind
aber schon jetzt die sogen. gelehrten Berufsfächer, für welche die Universitäten vorbereiten, und unter ihnen auch der
ärztliche Stand überfüllt, so daß eher an eine Verengerung als an eine Erweiterung des Zuganges zu den akademischen Studien
gedacht werden muß.
Auch die lateinlose Oberrealschule, die vor einem Jahrzehnt so nachdrücklich vom höhern Handels- und Gewerbestand gefordert ward, wird wieder mehr in den Vorgrund treten, sobald das wirtschaftliche Leben in Deutschland [* 10] in erwünschter Weise erstarkt. Mit einem neuen Programm ist seit 1886 der Verein für die deutsche höhere Einheitsschule zwischen die Gegensätze getreten, der ein Gymnasium schaffen zu können meint, das vom Griechischen und Lateinischen nichts Wesentliches aufzugeben braucht und doch vom Realgymnasium das Englische [* 11] und eine vermehrte Pflege der Mathematik und Naturkunde annehmen kann. Am gab es in Preußen gegenüber 262 Gymnasien und 40 Progymnasien 90 Realgymnasien, 12 Oberrealschulen, 86 Realprogymnasien, 16 Realschulen und 20 höhere Bürgerschulen; im Deutschen Reiche gegenüber 411 Gymnasien und 54 Progymnasien 135 Realgymnasien, 17 Oberrealschulen, 109 Realprogymnasien, 63 Realschulen und 89 höhere Bürgerschulen; im ganzen 413 Realanstalten (davon 169 ohne und 244 mit Latein) gegenüber 465 humanistischen Schulen.
Dies Verhältnis ändert sich jedoch thatsächlich noch bedeutend zu gunsten der Realanstalten, wenn man hinzunimmt, daß
eine größere Anzahl von Fachschulen, namentlich 22 für den einjährig-freiwilligen Heerdienst berechtigte
Landwirtschaftsschulen
(davon 16 in Preußen), in ihren Lehrplänen die wesentlichen Merkmale der höhern Bürgerschule aufweist,
und daß sämtliche Kadettenanstalten im Deutschen Reich (Preußen: 6 Voranstalten mit den Klassen VI-III, die Hauptanstalt mit
II, I u. Selekta) dem Lehrplan des Realgymnasiums folgen.
Lehrplan des Realgymnasiums (1882)¹.
Lehrfach | VI | V | IV | IIIb | IIIa | IIb | IIa | Ib | Ia | Zusammen | Gegen 1859 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Christliche Religionslehre | 3 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 19 | -1 |
Deutsch | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 3 | 27 | -2 |
Lateinisch | 8 | 7 | 7 | 6 | 6 | 5 | 5 | 5 | 5 | 54 | +10 |
Französisch | - | 5 | 5 | 4 | 4 | 4 | 4 | 4 | 4 | 34 | 0 |
Englisch | - | - | - | 4 | 4 | 3 | 3 | 3 | 3 | 20 | 0 |
Geschichte und Geographie | 3 | 3 | 4 | 4 | 4 | 3 | 3 | 3 | 3 | 30 | 0 |
Rechnen und Mathematik | 5 | 4 | 5 | 5 | 5 | 5 | 5 | 5 | 5 | 44 | -3 |
Naturbeschreibung | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | - | - | - | 12 | ↘ |
Physik | - | - | - | - | - | 3 | 3 | 3 | 3 | 12 | -4 |
Chemie | - | - | - | - | - | - | 2 | 2 | 2 | 6 | ↗ |
Schreiben | 2 | 2 | - | - | - | - | - | - | - | 4 | -3 |
Zeichnen | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 2 | 18 | -2 |
Zusammen: | 28 | 30 | 30 | 32 | 32 | 32 | 32 | 32 | 32 | 280 | -5 |
¹Gesang und Turnen mit durchweg 2 Stunden wöchentlich sind in diesem Lehrplan nicht besonders angesetzt.
Vgl. Spilleke, Gesammelte Schulschriften (Berl. 1825);
Klumpp, Über die Errichtung von Realschulen (Stuttg. 1836);
Mager, Die deutsche Bürgerschule (das. 1840);
Nagel, Die Idee der Realschule (Ulm [* 12] 1840);
Jäger, Gymnasium und Realschule (Mainz [* 13] 1871);
Schacht, Gleichberecht
igung der Realschule erster Ordnung mit dem Gymnasium (Elberf. 1878);
Schmeding, Die Frage der formalen Bildung (Duisb. 1882);
Reisacker, Gymnasium und Realschule (Berl. 1882).
Über die neuere, bis zur Unabsehbarkeit angeschwollene Litteratur findet man die beste Auskunft in den Zeitschriften: »Pädagogisches Archiv« (Stett., hrsg. von Krumme),
»Zentralorgan für die Interessen des Realschulwesens« (Berl., hrsg. von Freytag und Böttger, seit 1873),
»Die Realschule« (Wien, [* 14] hrsg. von Döll, seit 1873),
die Litteratur bis 1874 auch bei Wiese, Das höhere Schulwesen in Preußen, namentlich Bd. 3. Die amtlichen Verordnungen für Preußen im »Zentralblatt für das gesamte Unterrichtswesen in Preußen« (Berl., seit 1859) und Wiese, Verordnungen und Gesetze für die höhern Schulen (3. Aufl. von Kübler, das. 1885 ff.); für ganz Deutschland, Österreich, [* 15] Schweiz [* 16] in der Zeitschrift »Deutsche [* 17] Schulgesetzsammlung« (das., seit 1872; seit 1884 hrsg. von Schillmann).