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wurde trotz der meisterhaften Zeichnung der Charaktere kalt aufgenommen; dagegen gefiel das idyllische Trauerspiel »Bérénice« (1670) durch zarte Gemütlichkeit und einen Reiz der Sprache, [* 2] der von keinem andern französischen Dichter erreicht worden ist. Nachlässiger ist »Bajazet« (1672) gearbeitet, doch sprach die Neuheit des Gegenstandes an. »Mithridate« (1673) kann, was Charakterzeichnung und die Darstellung der geistigen Physiognomie der Zeit betrifft, neben »Britannicus« gestellt werden.
Die darauf folgende »Iphigénie« (1674) gilt bei den Franzosen für das Meisterwerk der dramatischen Poesie, doch leidet sie zu sehr unter dem Kontrast der französischen Sitte und des antiken Süjets, als daß wir dem Urteil beistimmen könnten; dagegen gebührt der »Phèdre« (1677), dem lebenswahren und furchtbaren Gemälde der Leidenschaft, unbedingte Anerkennung. Da das Stück aber von Racines Feinden dem gleichnamigen ganz mittelmäßigen Stück von Pradon nachgestellt wurde, entschloß sich der Dichter, dem Theater [* 3] fortan ganz zu entsagen.
Bereits seit 1673 Mitglied der Akademie, vermählte er sich 1677 mit der frommen Catherine Romanet aus Amiens [* 4] und ergab sich nun gänzlich seiner Neigung zur Frömmigkeit. In dieser Stimmung schrieb er später, nur auf die dringenden Bitten der Frau v. Maintenon, noch zwei religiöse Stücke: »Esther« (1689) und »Athalie« (1691), beide den Fräulein von St.-Cyr gewidmet, das erstere ziemlich schwach, das andre eine der schönsten Zierden des französischen Theaters, aber von dem Hof [* 5] und den Jesuiten verworfen. Ludwig XIV., der Racine zu seinem Historiographen und Kammerjunker ernannt hatte, war ihm lange Zeit sehr gewogen; doch fiel der Dichter infolge einer Schrift über das Elend des mit Abgaben überladenen Volkes bei ihm in Ungnade und starb kurze Zeit darauf, in Paris. [* 6]
In dem Leben Racines spiegelt sich zugleich seine Poesie. Wie er als Welt- und Hofmann dem Geschmack des Hofs oft auf bedenkliche und servile Weise huldigte, so wußte er auch die dramatischen Kunstregeln dem herrschenden französischen Geschmack anzupassen. Innerhalb dieser engen Schranken leistete er das Mögliche. Regelmäßigkeit erschien ihm als die Hauptaufgabe des tragischen Dichters. Daher vermied er sorgsam jeden Verstoß gegen die Praxis der französischen klassischen Kunst.
Den griechischen Tragikern näherte er sich durch Einfachheit der Komposition, streng beobachtete Einheit des Ortes und der Zeit und durch Würde der Sprache. Seine Helden und Heldinnen wählte er mit Vorliebe aus der griechischen und römischen Geschichte. Die Liebe und das weibliche Herz vermochte kein andrer Dichter seines Vaterlandes so rein und wahr zu schildern wie er. Doch eben dieses Bestreben, durch Darstellung der Schwächen des menschlichen Herzens zu rühren, entzog seinen Charakteren oft Kraft [* 7] und Haltung.
Mit einer nicht reichen, aber sehr beweglichen Phantasie begabt, wußte er in jedem dramatischen Stoff das hervorzuheben, was dem Geschmack seiner Zeit zusagte, und selbst einen unbedeutenden Stoff durch seine Behandlung zu heben. Durch Eleganz der Sprache und Versifikation steigerte er den Effekt seiner Trauerspiele. Der Alexandriner, den er nach den Regeln der französischen Dramaturgik für seine Tragödien wählte, ließ in seiner vollendeten Form kaum etwas zu wünschen übrig.
Von geringerer Bedeutung als seine dramatischen Werke sind Racines lyrische Gedichte und Epigramme, die sich eigentlich nur durch die Eleganz der Sprache auszeichnen; besser gelangen ihm geistliche Oden. In seiner Prosa war Racine natürlich und korrekt. Unter den Reden, die er in der Akademie hielt, ist die auf seinen Nebenbuhler Corneille, dessen Verdiensten er durchaus gerecht wird, klassisch. Schöne Zeugnisse für seine Denkart und seinen Geschmack geben seine Briefe an Boileau und an seinen Sohn.
Außerdem sind noch zu erwähnen seine »Histoire du Port-Royal« und seine »Lettres à l'auteur des hérésies imaginaires« (1666). Von den zahlreichen Ausgaben seiner »Œuvres complètes« ist die vorzüglichste die von Mesnard (1865-73, 8 Bde.), daneben die von Aimé Martin (5. Aufl. 1844, 6 Bde.); seine dramatischen und poetischen Werke erschienen in der sogen. Louvre-Ausgabe (1801-1805, 3 Foliobände mit Kupfern), von Geoffroy (mit Kommentar, 1808, 7 Bde.), von Saint-Marc Girardin und Moland (1871-79, 8 Bde.). Vollständige deutsche Übersetzungen gaben Viehoff (Berl. 1869, 4 Bde.) und Welti (Stuttg. 1886 ff., 4 Bde.), eine Auswahl Laun (Hildburgh. 1869).
Vgl. außer der Biographie seines Sohnes (s. unten) Sainte-Beuve, Porträts littéraires (2. Aufl., Par. 1864);
E.
Despois, Le
[* 8] théâtre
sous
Louis XIV (das. 1874).
2) Louis de, franz. Dichter, zweiter Sohn des vorigen, geb. zu Paris, erhielt nach des Vaters Tode durch Rollin seine wissenschaftliche Ausbildung, studierte die Rechte, wurde aber dann Geistlicher. In spätern Jahren nach Paris zurückgekehrt, starb er daselbst. Racine glänzte in einer sittenlosen Zeit als Muster religiöser und bürgerlicher Tugenden. Seine berühmten didaktischen Gedichte: »De la grâce« (1720) und »La religion« (1746) zeichnen sich mehr durch religiöse als poetische Wärme [* 9] aus. Seine Oden und Episteln sind ernst und würdig gehalten; die Sprache ist elegant, doch ohne echt poetischen Schwung. Die »Mémoires sur la vie de Jean Racine« (Par. 1747, 2 Bde.) sind interessanter als die oberflächlichen und unbedeutenden »Remarques sur les tragédies de Jean Racine« (3 Bde.). Seine Werke erschienen Paris 1808 in 6 Bänden.