Knochen; da jedoch der erstere keinen
Zuwachs von fester Knochensubstanz an seinem
Umfang gewinnt, wie dies beim gesunden
Knochen
[* 2] der
Fall ist, so wird er sich leichter biegen und knicken lassen als vor
Eintritt der Rachitis. Die weichen Gelenkenden der
Knochen
sind bei der Rachitis plump und verdickt
(doppelte Glieder), die Röhrenteile der
Knochen durch die
Last des auf
sie drückenden
Körpers und durch den Muskelzug gekrümmt und gebogen. Am auffallendsten ist diese
Krümmung nicht etwa an der
Wirbelsäule, wie die Schreibart
Rhachitis andeutet, sondern an den
Beinen, indem die
Kniee weit voneinander entfernt stehen.
Oft werden die Verbindungsstellen der vordern Rippenenden mit den Rippenknorpeln nach innen eingebogen,
während das
Brustbein nach vorn geschoben wird. Diese Verunstaltung
(Hühnerbrust) erklärt sich aus der weichen
Beschaffenheit
der erwähnten
Stellen, durch welche sie die Fähigkeit verloren haben, dem äußern
Luftdruck bei der inspiratorischen Erweiterung
des Brustkorbs
Widerstand zu leisten. Die Verbindungsstelle derRippen mit ihren
Knorpeln ist beträchtlich
angeschwollen, und die
Summe dieser Anschwellungen bildet einen halbkreisartigen
Bogen,
[* 3] dessen Konvexität nach
oben sieht (rachitischer
Rosenkranz).
An der
Wirbelsäule können sich infolge der Rachitis
Verkrümmungen ausbilden. Das
Becken wird häufig und manchmal in hohem
Grad in
der Art verunstaltet, daß sein gerader
Durchmesser sich verkürzt und das
Promontorium sich der Schambeinfuge
nähert (rachitisches
Becken, welches späterhin als Geburtshindernis auftreten kann). Knickungen und
Brüche der
Knochen sind
bei Rachitis nichts Seltenes, pflegen aber ohne Zerreißung des
Periosts abzulaufen. Die
Fontanellen des
Schädels schließen sich
bei Rachitis auffallend spät, die
Gesichtsknochen erscheinen manchmal in hohemMaß verdickt und aufgetrieben.
Wenn die Rachitis, wie in der
Regel, heilt, so schwellen die Gelenkenden ab, die
Knochen werden fest; die
Verkrümmungen der
Glieder
[* 4] werden aber nur zum Teil wieder ausgeglichen. Individuen, welche die in sehr intensivem
Grad gehabt haben, bleiben gewöhnlich
klein, und da zugleich der
Schädel bei ihnen im
Verhältnis zum
Gesicht
[* 5] sehr
groß ist, so gewähren solche
Menschen einen eigentümlichen Anblick. Über die
Ursachen der ist man nicht genügend unterrichtet. Einige glauben, daß der
chronische
Darmkatarrh, welcher der Rachitis so häufig vorausgeht, zur
Bildung von
Milchsäure im
Blut führe, welche die
Kalksalze
gelöst erhält.
Andre meinen, daß die verminderte Zufuhr von
Kalksalzen in das
Blut die
Ursache der verzögerten
Verknöcherung
sei. Wenn sich die in den ersten Lebensmonaten entwickelt, so leiden die
Kinder vorher fast immer an
Darmkatarrhen mit dünnen,
grünlichen Stuhlentleerungen. Die
Kinder magern ab und geben Zeichen von
Schmerz von sich, wenn
sie denVersuch machen, ihre
Glieder zu bewegen, oder wenn dieselben von andern bewegt werden. Dann treten die Anschwellung der Gelenkenden
und der rachitische
Rosenkranz hervor.
Fällt der Anfang der
Krankheit in eine Zeit, wo das
Kind noch keine Gehversuche gemacht hat, so bleiben die
Glieder selbst
bei jahrelanger Dauer der
Krankheit oft von jeder
Verkrümmung frei. Die
Zähne
[* 6] brechen bei den rachitischen
Kindern spät und unregelmäßig hervor. Die hat gewöhnlich eine Dauer von 2-3
Jahren. Geht die
Krankheit in
Genesung über,
so verliert sich zunächst die hochgradige
Magerkeit des
Körpers, die
Kinder werden voller, sie fangen wieder an,
sich zu bewegen.
Aber gerade jetzt, wo die
Knochen noch nicht fest sind, ist die
Gefahr von
Knochenverkrümmungen am größten. Wenn die
Kinder
erst im zweiten oder dritten Lebensjahr oder noch später erkranken, so fehlen der chronische
Darmkatarrh und die
Magerkeit,
oft sogar die
Schmerzen, und die
Krankheit zeigt sich durch die allmählich zunehmende
Verkrümmung der
Knochen, welche, vom Unterschenkel anfangend, nach
oben fortschreitet, wobei die
Kinder einen unbeholfenen und watscheligen
Gang
[* 7] bekommen.
Die Behandlung der hat sich mit der Beseitigung des ihr vorausgehenden
Darmkatarrhs und Herstellung eines möglichst guten
Ernährungszustandes zu befassen. Wenn dies gelingt, so kann der beginnende rachitische
Prozeß ganz abgeschnitten
werden. Durch bloße Einführung von kohlensaurem oder phosphorsaurem
Kalk in den
Körper kann man die Rachitis nicht kurieren; dagegen
können der Aufenthalt in gesunder
Luft, eine kräftige
Nahrung
(Fleisch und kleine
Portionen von
Wein), warme
Bäder (auch
Solbäder)
und dergleichen diätetische
Mittel die
Heilung unterstützen.
Die
Kinder müssen so lange ruhig auf dem
Rücken liegen, bis die
Knochen sich vollständig konsolidiert haben. Aufsitzen im
Bett,
[* 8] zu frühzeitiges Aufstehen und Herumgehen begünstigen die
Verkrümmung und Knickung der
Knochen. Vielfach kann die Verunstaltung
an den untern Extremitäten, wo sie durch den
Druck der Körperlast die augenfälligsten und schwersten
Effekte macht, durch Anwendung passender Stützmaschinen ganz verhindert oder wenigstens vermindert werden. Zurückbleibende
Verkrümmungen können auf operativem Wege gebessert werden.
Vgl. Kassowitz, Die
Symptome der Rachitis (Leipz. 1886).
(spr. -ssihn), 1)
Jean de, der größte franz. Tragiker, geb. zu
La
Ferté-Milon im
DepartementAisne, erhielt, früh verwaist, seine
Erziehung in dem von Jansenisten geleiteten
Port-Royal und ward durch Lemaistre de
Sacy und namentlich durch den
HellenistenLancelot in das
Studium der klassischen, besonders
der griechischen Litteratur eingeführt. Nachdem er im
CollègeHarcourt zu
Paris
[* 9] seine
Studien vollendet hatte, wandte er sich
ausschließlich der schönen Litteratur zu. Eine
Ode auf die Vermählung
Ludwigs XIV.: »Les nymphes de
la Seine« (1660),
trug ihm eine
Pension von 600
Livres ein, ebensoviel eine zweite
Ode auf
Ludwig XIV.: »La renommée aux muses«
(1663),
dazu die Bekanntschaft mit
Molière und Boileau, die für seine weitere
Entwickelung von großem Vorteil war. Auf
MolièresRat vernichtete Racine sein erstes
Trauerspiel: »Théagène et Chariclée«, und dichtete dagegen »La
Thébaïde, ou les frères ennemis«, die 1664 mit Beifall aufgeführt wurde. In dieser
Tragödie sowohl als im
»Alexandre«
(1665) zeigte er sich noch als Nachahmer
Corneilles, wogegen er in der »Andromaque« (1667) die fremden
Fesseln abwarf. Die
innern
Kämpfe undWidersprüche der
Leidenschaft, in deren
Darstellung Racines Eigentümlichkeit besteht,
sind in dieser
Tragödie, die großen Beifall fand, zum erstenmal mit
Wahrheit und seltener
Kraft
[* 10] entwickelt. 1668 entstand
sein mit nur geringem Beifall aufgenommenes einziges
Lustspiel: »Les plaideurs«, eine geistreiche
Nachbildung der
»Wespen« des
Aristophanes. Der darauf folgende
»Britannicus« (1669)
¶
mehr
wurde trotz der meisterhaften Zeichnung der Charaktere kalt aufgenommen; dagegen gefiel das idyllische Trauerspiel »Bérénice«
(1670) durch zarte Gemütlichkeit und einen Reiz der Sprache,
[* 12] der von keinem andern französischen Dichter erreicht worden
ist. Nachlässiger ist »Bajazet« (1672) gearbeitet, doch sprach die Neuheit des Gegenstandes an. »Mithridate« (1673) kann,
was Charakterzeichnung und die Darstellung der geistigen Physiognomie der Zeit betrifft, neben »Britannicus«
gestellt werden.
Die darauf folgende »Iphigénie« (1674) gilt bei den Franzosen für das Meisterwerk der dramatischen Poesie, doch leidet sie
zu sehr unter dem Kontrast der französischen Sitte und des antiken Süjets, als daß wir dem Urteil beistimmen könnten;
dagegen gebührt der »Phèdre« (1677), dem lebenswahren und furchtbaren
Gemälde der Leidenschaft, unbedingte Anerkennung. Da das Stück aber von Racines Feinden dem gleichnamigen ganz mittelmäßigen
Stück von Pradon nachgestellt wurde, entschloß sich der Dichter, dem Theater
[* 13] fortan ganz zu entsagen.
Bereits seit 1673 Mitglied der Akademie, vermählte er sich 1677 mit der frommen Catherine Romanet aus
Amiens
[* 14] und ergab sich nun gänzlich seiner Neigung zur Frömmigkeit. In dieser Stimmung schrieb er später, nur auf die dringenden
Bitten der Frau v. Maintenon, noch zwei religiöse Stücke: »Esther« (1689) und »Athalie« (1691), beide den Fräulein von St.-Cyr
gewidmet, das erstere ziemlich schwach, das andre eine der schönsten Zierden des französischen Theaters,
aber von dem Hof
[* 15] und den Jesuiten verworfen. Ludwig XIV., der Racine zu seinem Historiographen und Kammerjunker ernannt hatte, war
ihm lange Zeit sehr gewogen; doch fiel der Dichter infolge einer Schrift über das Elend des mit Abgaben überladenen Volkes
bei ihm in Ungnade und starb kurze Zeit darauf, in Paris.
In demLeben Racines spiegelt sich zugleich seine Poesie. Wie er als Welt- und Hofmann dem Geschmack des Hofs oft auf bedenkliche
und servile Weise huldigte, so wußte er auch die dramatischen Kunstregeln dem herrschenden französischen Geschmack
anzupassen. Innerhalb dieser engen Schranken leistete er das Mögliche. Regelmäßigkeit erschien ihm als die Hauptaufgabe
des tragischen Dichters. Daher vermied er sorgsam jeden Verstoß gegen die Praxis der französischen klassischen Kunst.
Den griechischen Tragikern näherte er sich durch Einfachheit der Komposition, streng beobachtete Einheit des Ortes und der
Zeit und durch Würde der Sprache. Seine Helden und Heldinnen wählte er mit Vorliebe aus der griechischen
und römischen Geschichte. Die Liebe und das weibliche Herz vermochte kein andrer Dichter seines Vaterlandes so rein und wahr
zu schildern wie er. Doch eben dieses Bestreben, durch Darstellung derSchwächen des menschlichen Herzens zu
rühren, entzog seinen Charakteren oft Kraft und Haltung.
Mit einer nicht reichen, aber sehr beweglichen Phantasie begabt, wußte er in jedem dramatischen Stoff das hervorzuheben, was
dem Geschmack seiner Zeit zusagte, und selbst einen unbedeutenden Stoff durch seine Behandlung zu heben. Durch Eleganz der Sprache
und Versifikation steigerte er denEffekt seiner Trauerspiele. Der Alexandriner, den er nach den Regeln der
französischen Dramaturgik für seine Tragödien wählte, ließ in seiner vollendeten Form kaum etwas zu wünschen übrig.
Von geringerer Bedeutung als seine dramatischen Werke sind Racines lyrische Gedichte und Epigramme, die sich eigentlich nur
durch die Eleganz der Sprache auszeichnen; besser gelangen ihm geistliche Oden. In seiner Prosa war Racine
natürlich
und korrekt. Unter den Reden, die er in der Akademie hielt, ist die auf seinen Nebenbuhler Corneille, dessen Verdiensten er durchaus
gerecht wird, klassisch. Schöne Zeugnisse für seine Denkart und seinen Geschmack geben seine Briefe an Boileau und an
seinen Sohn.
Außerdem sind noch zu erwähnen seine »Histoire du Port-Royal« und seine »Lettres à l'auteur des hérésies imaginaires« (1666).
Von den zahlreichen Ausgaben seiner »Œuvres complètes« ist die vorzüglichste die von Mesnard (1865-73, 8 Bde.),
daneben die von Aimé Martin (5. Aufl. 1844, 6 Bde.);
seine dramatischen und poetischen Werke erschienen in der sogen. Louvre-Ausgabe (1801-1805, 3 Foliobände
mit Kupfern), von Geoffroy (mit Kommentar, 1808, 7 Bde.), von Saint-Marc Girardin und Moland (1871-79, 8 Bde.). Vollständige
deutsche Übersetzungen gaben Viehoff (Berl. 1869, 4 Bde.) und
Welti (Stuttg. 1886 ff., 4 Bde.),
eine Auswahl Laun (Hildburgh. 1869).
2) Louis de, franz. Dichter, zweiter Sohn des vorigen, geb. zu
Paris, erhielt nach des VatersTode durch Rollin seine wissenschaftliche Ausbildung, studierte die Rechte, wurde
aber dann Geistlicher. In spätern Jahren nach Paris zurückgekehrt, starb er daselbst. Racine glänzte in einer sittenlosen
Zeit als Muster religiöser und bürgerlicher Tugenden. Seine berühmten didaktischen Gedichte: »De la grâce« (1720) und »La
religion« (1746) zeichnen sich mehr durch religiöse als poetische Wärme
[* 17] aus. Seine Oden und Episteln sind
ernst und würdig gehalten; die Sprache ist elegant, doch ohne echt poetischen Schwung. Die »Mémoires sur la vie deJean Racine« (Par.
1747, 2 Bde.) sind interessanter als die oberflächlichen und
unbedeutenden »Remarques sur les tragédies de Jean Racine« (3 Bde.). Seine Werke erschienen
Paris 1808 in 6 Bänden.