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geistlicher
Orden
[* 2] vom öffentlichen Lehramt aus, beschränkte den polnischen
Unterricht und ernannte in den katholischen
Provinzen
weltliche
Schulinspektoren, während zahlreichen katholischen
Geistlichen die
Schulaufsicht entzogen wurde. Durch
Reichsgesetz
wurden die
Jesuiten ausgewiesen und 1873 die ersten organischen
Gesetze, die sogen.
Maigesetze, über die Vorbildung und
Anstellung
der
Geistlichen (durch diese wurden die Anzeigepflicht für die
Pfarrer und das staatliche Einspruch
srecht
vorgeschrieben), über den
Austritt aus der
Kirche, die kirchliche
Disziplinargewalt, die Errichtung eines
Gerichtshof für kirchliche
Angelegenheiten und über die
Grenzen
[* 3] des
Rechts zum
Gebrauch kirchlicher
Straf- und Zuchtmittel erlassen. 1874 folgten die Einführung
der
Zivilehe und der Zivilstandsregister sowie ein
Gesetz über die
Verwaltung erledigter
Bistümer.
Die Bischöfe protestierten auf wiederholten Versammlungen in Fulda [* 4] gegen diese vom Staat einseitig erlassenen Kirchengesetze und erklärten, sie nicht befolgen zu können. Die ultramontanen Parteiführer nahmen den »Kulturkampf« mit Energie auf, und in Vereinen und in zahlreichen Kaplansblättern, von der Kanzel und im Beichtstuhl wurde das katholische Volk gegen die Regierung, welche ihm den Glauben rauben wolle, aufgehetzt. Die Geistlichen, welche den Staatsgesetzen zu gehorchen geneigt waren, wurden durch die Presse [* 5] terrorisiert.
Aber auch die Regierung ging energisch vor, ließ den Erzbischof Ledochowski von Posen [* 6] 1873 wegen Widerstandes gegen die Staatsgesetze verhaften und ihn sowie die meisten andern Bischöfe absetzen. Als auch Papst Pius IX. sich einmischte und einen anmaßenden Brief an Kaiser Wilhelm richtete, den dieser 3. Sept. würdevoll beantwortete, ja sogar in einer Encyklika an die preußischen Bischöfe die preußischen Kirchengesetze für ungültig und den Gehorsam gegen dieselben als ungerechtfertigt erklärte, ward 22. April das Gesetz über Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen (das sogen. Sperr- oder Brotkorbgesetz) erlassen, Artikel 15, 16 und 18 der preußischen Verfassung aufgehoben, welche über die Freiheit der Kirche handelten, und durch weitere Maigesetze die Orden ausgewiesen sowie die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden einer zu wählenden Vertretung übertragen; das letzte Gesetz wurde von den Bischöfen anerkannt.
Die Bildung altkatholischer Gemeinden wurde gestattet und ihnen ein Anteil am katholischen Kirchenvermögen eingeräumt, wie denn auch der altkatholische Bischof Reinkens 1873 eine staatliche Dotation erhielt. 1873 hatte auch die evangelische Kirche in den östlichen Provinzen eine Synodalverfassung erhalten. Obwohl die katholische Kirche durch die Maigesetze empfindlich litt, zahlreiche Pfarrstellen unbesetzt blieben, die Einbehaltung der Staatsleistungen (2,700,000 Mk. jährlich) die Gläubigen zu großen Opfern nötigte und der Nachwuchs an jungen Priestern ausblieb, da die Kandidaten das vorgeschriebene Staatsexamen (Kulturexamen) nicht machen durften: so verstand sich der Klerus, von wenigen Ausnahmen abgesehen, doch nicht zum Gehorsam und wußte auch einen großen Teil des Volkes an sich zu fesseln;
durch Wundergeschichten suchte man den Fanatismus der Menge zu schüren und die Hoffnung auf den endlichen Sieg der Kirche zu nähren.
Bei allen Neuwahlen behauptete die ultramontane Partei des Zentrums unter des Welfen Windthorst Führung ihren Besitzstand und rächte sich durch die heftigste Opposition im Reichstag und Landtag an der Regierung für die Maigesetzgebung.
Durch den heftigen Kampf mit der ultramontanen Partei sah sich die Regierung genötigt, ihre Stütze bei den die Mehrheit im Abgeordnetenhaus beherrschenden Liberalen zu suchen, zumal die Strengkonservativen von der Richtung der Kreuzzeitung den ersten Kirchengesetzen entschiedenen Widerstand entgegengesetzt hatten. Daher erfüllte die Regierung einen schon früher ausgesprochenen Wunsch der Liberalen nach einer Verwaltungsreform und legte 1872 dem Landtag eine neue Kreisordnung für die östlichen Provinzen (Preußen, [* 7] Pommern, [* 8] Schlesien, [* 9] Brandenburg [* 10] und Sachsen) [* 11] vor, welche die gutsherrliche Polizei und das Virilstimmrecht abschaffte und eine auf zweckmäßig geregelten Wahlen beruhende Selbstverwaltung einführte.
Dieser folgten 1875 eine Provinzialordnung für die fünf östlichen Provinzen, die Dotierung derselben und die Einsetzung von Verwaltungsgerichten, 1876 das Kompetenzgesetz, das Gesetz über die ausschließliche Geltung der deutschen Sprache [* 12] als staatlicher Geschäftssprache und die Teilung der Provinz Preußen in Ost- und Westpreußen. [* 13] Doch geriet die Verwaltungsreform ins Stocken, als Bismarck 1877 gegen die von Eulenburg versprochene und auch ausgearbeitete neue Städteordnung und gegen die Ausdehnung [* 14] der Kreis- und Provinzialordnung auf die westlichen Provinzen Einspruch erhob.
Dazu kam, daß 1878 und 1879 wegen der neuen Wirtschaftspolitik und des Sozialistengesetzes ein Bruch zwischen Bismarck und den Nationalliberalen erfolgte (s. Deutschland, [* 15] S. 908). Die gemäßigt liberalen Minister Camphausen, Achenbach, dann auch Friedenthal und Falk schieden aus und wurden durch konservative, wie Puttkamer und Goßler, ersetzt. Bei den Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus wurde 1879 auch die liberale Mehrheit beseitigt und der Regierung die Möglichkeit gewährt, sich bald auf eine konservativ-nationalliberale, bald auf eine konservativ-ultramontane Majorität zu stützen.
Das wichtige Gesetz über die Erwerbung von vier großen Privateisenbahnen, welches der Chef des neugebildeten Ministeriums für die öffentlichen Arbeiten, Maybach, 1879 dem neuen Landtag vorlegte, wurde mit der Hilfe der Nationalliberalen durchgebracht; ihm folgten in den nächsten Jahren weitere Gesetze über den Ankauf fast aller noch vorhandenen Privatbahnen [* 16] und den Bau neuer Staatsbahnen, durch welche das jetzt vorhandene Staatsbahnnetz in Preußen geschaffen wurde.
Da es jedoch Bismarck hauptsächlich darauf ankam, seine Steuerpläne, besonders das Tabaksmonopol, im Reichstag durchzubringen, und ihm dies nur möglich schien, wenn es gelang, das Zentrum auf seine Seite zu bringen oder zu sprengen, so wollte er durchaus den Kulturkampf beendigen und die Falksche Maigesetzgebung im Notfall preisgeben, zumal da sowohl die Konservative als die Fortschrittspartei sich vom Kulturkampf losgesagt hatten und selbst die Nationalliberalen eine systematische Revision der Maigesetze für zweckmäßig erklärten.
Eine Verständigung mit der römischen Kurie war nicht aussichtslos, da der neue Papst, Leo XIII., seinen Wunsch nach friedlicher Vereinbarung geäußert und bereits Verhandlungen mit Bismarck angeknüpft hatte. Es wurde daher ein neuer preußischer Gesandter (v. Schlözer) beim päpstlichen Stuhl ernannt, 1880, 1882 und 1883 drei Kirchengesetznovellen im Landtag eingebracht und nach langen Verhandlungen auch genehmigt und auf Grund derselben das Sperrgesetz für die meisten ¶
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Bistümer aufgehoben und die durch Tod erledigten neu besetzt, die abgesetzten Bischöfe von Limburg
[* 18] und Münster
[* 19] begnadigt.
Zwei neue kirchliche Gesetze von 1886 und 1887 beseitigen den übrigen Teil der Maigesetzgebung, welcher von der Kirche nicht
gebilligt wurde, wogegen der Papst die Anzeigepflicht und das staatliche Einspruch
srecht anerkannte; auch gab
derselbe seine Zustimmung, daß die Erzbischöfe Melchers und Ledochowski, welche Preußen nicht wieder zuzulassen erklärte, abdankten,
worauf in Posen u. Kulm deutsche Bischöfe eingesetzt wurden. Der Friede mit der Kurie war so hergestellt; das Zentrum wurde aber
nicht gesprengt, auch nicht geschwächt, sondern nur zu einer maßvollern Haltung veranlaßt.
Die Finanzen Preußens, [* 20] welche nach den glänzenden Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs 1871-74 wiederholt Defizits im Budget aufzuweisen hatten, besserten sich infolge der Erhöhungen der Reichseinnahmen durch die Zölle und der Verminderung der Matrikularbeiträge und gestatteten 1881 einen Steuererlaß von 14 Mill. Mk. (ein Quartal der Klassensteuer und der untern Stufen der Einkommensteuer); 1883 wurde dies dahin abgeändert, daß die zwei untersten Stufen der Klassensteuer ganz abgeschafft wurden.
Der Mehrertrag der 1885 vom Reichstag beschlossenen landwirtschaftlichen Zölle wurde den Kommunalverbänden zugewiesen (lex Huene). Die Staatseisenbahnen lieferten immer steigende Erträge. Die Verwaltungsreform wurde allmählich auf alle Provinzen außer Posen ausgedehnt. Für die teilweise polnischen Provinzen, wo durch den deutschfeindlichen Einfluß der katholischen Geistlichkeit und massenhafte Einwanderung aus Polen das Deutschtum gefährdet war, wurde 1886 der Beschluß gefaßt, deutsche Ansiedelungen auf bisher polnischen Grundbesitz anzulegen, und 100 Mill. dazu vom Landtag bewilligt.
Viele Eingewanderte wurden ausgewiesen, der deutsche Unterricht durch besondere Gesetze in Posen, Westpreußen und Oberschlesien gefördert. Für die materielle Entwickelung des Staats war es wichtig, daß der Landtag 1886 den Bau des Rhein-Emskanals genehmigte und den preußischen Präzipualbeitrag zu den Kosten des Nordostseekanals bewilligte. 1888 wurden erhebliche Summen für die Regulierung der östlichen Ströme und für die Unterstützung der durch Überschwemmung geschädigten Landesteile ausgesetzt; auch wurden die Gemeindelasten durch das Volksschullastengesetz vom Juni 1888 gemildert. Die Legislaturperiode wurde 1888 von drei auf fünf Jahre verlängert.
Wilhelm I. starb worauf der Kronprinz Friedrich Wilhelm als Friedrich III. den Thron [* 21] bestieg. Derselbe konnte jedoch seine Regierungsgrundsätze, welche er in einem Erlaß an Bismarck kundgab, nicht durchführen, da er an einem Kehlkopfleiden schwer erkrankt war; nur Puttkamer wurde entlassen. Als Friedrich III. schon 15. Juni seinen Leiden [* 22] erlag, folgte ihm sein ältester Sohn als Wilhelm II. und leistete, die Fortführung der Regierung im Sinn seiner Vorfahren gelobend, 27. Juni vor dem Landtag den Eid auf die Verfassung.
Litteratur zur Geschichte Preußens.
[Gesamtdarstellungen.]
Pauli, Allgemeine preußische Staatsgeschichte (Halle [* 23] 1760-69, 8 Bde.);
Stenzel, Geschichte des preußischen Staats (Hamb. u. Gotha [* 24] 1830-54, 5 Bde.);
v. Ranke, Zwölf Bücher preußischer Geschichte (bis 1745, 2. Aufl., Leipz. 1878, 5 Bde.);
Droysen, Geschichte der preußischen Politik (bis 1756, Berl. u. Leipz. 1855-85, 5 Abtlgn. in 14 Bdn.);
L. Hahn, [* 25] Geschichte des preußischen Vaterlandes (21. Aufl., Berl. 1888);
F. Voigt, Geschichte des brandenburg-preußischen Staats (3. Aufl., das. 1876, 2 Bde.);
F. Eberty, Geschichte des preußischen Staats (Bresl. 1867-73, 7 Bde.);
Pierson, Preußische Geschichte (4. Aufl., Berl. 1881, 2 Bde.);
v. Cosel, [* 26] Geschichte des preußischen Staats und Volkes (das. 1869-76, 8 Bde.);
Brosien, Preußische Geschichte (Leipz. 1887 ff.);
Tuttle, History of Prussia to the accession of Frederick the Great (Boston [* 27] 1883);
Lavisse, Études sur l'histoire de Prusse (2. Aufl., Par. 1885);
K. Kletke, Quellenkunde der Geschichte des preußischen Staats (Berl. 1858-61, 2 Bde.);
»Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde« (das., seit 1864);
»Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte« (das. 1888 ff.);
»Publikationen aus den preußischen Staatsarchiven« (Leipz., seit 1878).
Spezielles: Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Kolonisationen (Leipz. 1874);
Lancizolle, Geschichte der Bildung des preuß. Staats (Berl. 1828);
Fix, Territorialgeschichte des preuß. Staats (3. Aufl., das. 1884; Beihefte 1887-88);
Riedel, Geschichte des preußischen Königshauses (das. 1861, 2 Bde.);
Derselbe, Der brandenburgisch-preußische Staatshaushalt in den beiden letzten Jahrhunderten (das. 1866);
Stuhr, Brandenburg-preußische Kriegsverfassung zur Zeit des Großen Kurfürsten (das. 1819);
v. Crousaz, Die Organisation des brandenburgisch-preußischen Heers (2. Aufl., Wriezen 1873, 2 Bde.);
Bräuner, Geschichte der preußischen Landwehr (Berl. 1863);
Stadelmann, Preußens Könige in ihrer Thätigkeit für die Landeskultur (Leipz. 1880-87, Bd. 1-4);
Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtentums (Berl. 1874-84, Bd. 1-3, bis zu Friedrich d. Gr. reichend);
Lehmann, Preußen und die katholische Kirche seit 1640 (Leipz. 1878-85, 5 Bde.);
Stephan, Geschichte der preußischen Post (Berl. 1859).
[Einzelne Perioden.]
Manso, Geschichte des preußischen Staats 1763-1815 (3. Aufl., Leipz. 1839, 3 Bde.);
Förster, Neuere und neueste preußische Geschichte (3. Aufl., Berl. 1853);
Reimann, Neuere und neueste Geschichte des preußischen Staats 1763 bis 1815 (Gotha 1882-88, Bd. 1 u. 2);
A. Schmidt, Geschichte der preußisch-deutschen Unionsbestrebungen (Berl. 1851);
Derselbe, Preußens deutsche Politik (3. Aufl., Leipz. 1867);
Mirabeau, De la monarchie prussienne (Lond. 1787, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1794-96);
Philippson, Geschichte des preußischen Staatswesens vom Tod Friedrichs d. Gr. bis zu den Freiheitskriegen (Leipz. 1880-82, Bd. 1 u. 2);
Höpfner, Der Krieg von 1806 und 1807 (2. Aufl., Berl. 1855, 4 Bde.);
A. Stahr, Die preußische Revolution (2. Aufl., das. 1851, 2 Bde.);
»Die innere Politik der preußischen Regierung 1862 bis 1866« (das. 1866, anonym);
L. Hahn, Zwei Jahre preußisch-deutscher Politik 1866-67 (das. 1868);
Derselbe, Geschichte des Kulturkampfs in Preußen (das. 1881) und die ultramontane Gegenschrift von F. X. Schulte (Essen [* 28] 1882);
Wiermann, Geschichte des Kulturkampfs (2. Aufl., Leipz. 1886);
Jolly, Der Kirchenstreit in Preußen (Berl. 1882) u. a. Von Memoiren und Denkwürdigkeiten sind bemerkenswert: die »Mémoires de Brandebourg« Friedrichs d. Gr., die Memoiren des Grafen Dohna, der Markgräfin Wilhelmine von Baireuth, [* 29] von Pöllnitz, Dohm, Mitchell (Lond. 1850, 2 Bde.),
Görtz, Massenbach, Hardenbergs »Denkwürdigkeiten«, die Werke von Varnhagen v. Ense (s. die betreffenden Artikel).
Die Hauptwerke über die Geschichte der einzelnen Regenten s. die Namen derselben. ¶