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aus und strich sie mit 308 gegen 11
Stimmen als
Extraordinarium (23. Sept.). Jetzt wurde
Bismarck an die
Spitze des
Ministeriums und
der auswärtigen Angelegenheiten gestellt. Dieser erklärte 30. Sept. in der Budgetkommission seine Absicht, die deutsche
Frage
durch
Blut und
Eisen
[* 2] zu lösen, weswegen die Heeresreform notwendig sei, stieß aber damit auf Unglauben
und Hohn, da die
Liberalen die
Berufung
Bismarcks, der nur als einer der reaktionärsten
Junker von 1847 bis 1849 her bekannt
war, als offenbare Rückkehr zum absolutistischen
System ansahen, gegen welches die
Rechte des
Volkes rücksichtslos ver
teidigt
werden müßten. Als daher das
Herrenhaus 11. Okt. nicht das vom Abgeordnetenhaus beschlossene, sondern das
von der
Regierung vorgelegte
Budget mit den Reorganisationskosten genehmigte, erklärte das Abgeordnetenhaus 13. Okt. diesen Beschluß
für ver
fassungswidrig und deshalb für null und nichtig und beharrte auch in den folgenden
Jahren dabei, das Heeresgesetz
und die Reorganisationskosten abzulehnen. Das
Volk trat auf seine Seite, indem es 1863 die Mehrheit wieder
wählte. Die
Regierung bestritt aber dem Abgeordnetenhaus das
Recht, das
Budget allein nach seinem
Willen festzustellen, und
erklärte sich für befugt, wenn durch mangelnde Übereinstimmung der beiden
Häuser des
Landtags kein gesetzliches
Budget zu
stande komme, die
Staatsverwaltung auch ohne solches fortzuführen. So standen
Regierung und
Herrenhaus
einerseits, das Abgeordnetenhaus anderseits sich schroff gegenüber und warfen einander Überschreitung der ver
fassungsmäßigen
Rechte vor. Das Abgeordnetenhaus schien formell im
Recht, ver
langte aber thatsächlich Unmögliches, nämlich die Wiederbeseitigung
der Heeresreform.
Ver
mittelungsversuche, welche gegen das Zugeständnis der zweijährigen
Dienstzeit die
Vermehrung der
Regimenter bewilligen
wollten, scheiterten an der beiderseitigen Unnachgiebigkeit. Ver
schärft wurde der
Konflikt durch den
Streit, der 1863 über die
Disziplinargewalt des
Präsidenten des Abgeordnetenhauses gegenüber den Ver
tretern der
Regierung
ausbrach, ferner durch
Beschlagnahme der
Zeitungen, Maßregelungen von liberalen Beamten, für welche der Nationalfonds gesammelt
wurde, durch die Preßordonnanz vom durch das
Urteil des
Obertribunals
(Februar 1866), daß Abgeordnete
wegen ihrer
Reden im
Landtag gerichtlich ver
folgt werden könnten, welches
Urteil das
Haus für eine Ver
fassungsverletzung erklärte,
u. a. m. Bei dieser verbitterten
Stimmung wurde
Bismarcks auswärtige
Politik nicht gewürdigt.
Sein Verhalten während des Aufstandes in Russisch-Polen (1863) wurde durch eine Resolution des Abgeordnetenhauses scharf getadelt, das Programm der deutschen Politik, welches Bismarck aus Anlaß des Frankfurter Fürstentags 1863 in einer Denkschrift entwickelte, und welches für Deutschland [* 3] eine freisinnige Verfassung und ein durch allgemeine Wahlen gebildetes Parlament verhieß, für bloße Spiegelfechterei erklärt und auch der schleswig-holsteinischen Politik Preußens [* 4] entschiedener Widerstand geleistet.
Ja, die schleswig-holsteinische Verwickelung schien den vorgeschrittensten Führern der Fortschrittspartei (Virchow und Schulze-Delitzsch) ein geeignetes Mittel, um die Entlassung Bismarcks, die Unterwerfung der Krone unter den Willen der Volksvertretung und damit die Herstellung der parlamentarischen Regierung zu erzwingen. Das Abgeordnetenhaus forderte daher die Lossagung vom Londoner Vertrag und die Anerkennung des Prinzen von Augustenburg als Herzogs, verweigerte nach der Ablehnung dieses Verlangens die Anleihe von 12 Mill. und erklärte daß es der bundeswidrigen und antinationalen Politik der Regierung, welche die Herzogtümer nur an Dänemark [* 5] wieder ausliefern und in Deutschland einen Bürgerkrieg entzünden werde, mit allen ihm zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln entgegentreten würde.
Selbst als nun der dänische Krieg eine ganz andre Wendung nahm und nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen (18. April) und der Eroberung Alsens (29. Juni) durch preußische Truppen die Befreiung der Herzogtümer zur Folge hatte, als Bismarck ferner den Widerstand der Mittelstaaten gegen den französischen Handelsvertrag siegreich überwand, beschloß das Abgeordnetenhaus das Militärgesetz, die Reorganisationskosten, den Flottenerweiterungsplan und die Kosten des dänischen Kriegs (22 Mill.) abzulehnen; ja Schulze-Delitzsch verstieg sich zu der Äußerung, man müsse Preußen [* 6] den Großmachtskitzel austreiben. Auch die Erwerbung Lauenburgs im Gasteiner Vertrag wurde für verfassungswidrig erklärt.
Die Regierung schloß die Sitzungen des Landtags stets nach der Ablehnung ihres Budgets, verschaffte sich die nötigen Gelder durch den Verkauf ihrer Aktien der Köln-Mindener Eisenbahn und regierte ohne gesetzliches Budget. Ihre Bemühungen, die preußischen Interessen in Schleswig-Holstein [* 7] zu wahren, wurden aber durch die Haltung des Abgeordnetenhauses nicht wenig erschwert und Österreich [* 8] und die Mittelstaaten um so mehr zu immer schrofferm Auftreten gegen Preußen ermutigt, als beim preußischen Volk selbst die Meinung verbreitet war, daß Bismarck, selbst wenn er den Mut habe, bei dem Mangel an Geld keinen Krieg führen könne und seine Politik also mit einem neuen, schmählichern Olmütz [* 9] enden müsse.
Als sich die Lage 1866 daher immer düsterer gestaltete und ein Krieg in Sicht schien, erklärten sich in Preußen, namentlich in den westlichen Provinzen, viele Vereine und städtische Korporationen entschieden gegen einen Krieg mit Österreich. Um so notwendiger war es für den König und Bismarck, nicht zurückzuweichen, sondern den angebotenen Kampf entschlossen anzunehmen und mit Aufbietung aller Kräfte den Sieg zu sichern (s. Preußisch-deutscher Krieg).
Herstellung des innern Friedens, Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs.
Das Abgeordnetenhaus war aufgelöst worden. Obwohl bei den Wahlagitationen die Fortschrittspartei ihre schroffe Opposition fortsetzte und Schulze-Delitzsch rief: »Diesem Ministerium keinen Groschen!«, begann doch nach der königlichen Proklamation vom 18. Juni, welche Ursache und Bedeutung des Kriegs darlegte, und nach den ersten Kriegsnachrichten der preußische Patriotismus zu erwachen und die Stimmung im Volk umzuschlagen. Die Wahlmännerwahlen fanden schon 25. Juni statt, und deshalb verlor die Fortschrittspartei bei den Abgeordnetenwahlen (3. Juli, am Tag von Königgrätz) [* 10] an 100 Sitze.
Der unerwartet glückliche Verlauf des Kriegs machte den Umschlag aber bald zu einem vollständigen. Die Armeereorganisation hatte sich glänzend bewährt, mit dem durch sie geschaffenen Heer hatte Preußen das lang ersehnte Ziel seiner deutschen Politik erreicht, sich zur herrschenden Macht in Deutschland erhoben und drei Provinzen erworben. Mit Jubel wurden König Wilhelm, Bismarck und Roon vom Volk begrüßt. Es war daher ein großmütiger und weiser Schritt des Königs und Bismarcks, daß sie zuerst die Hand [* 11] zu einer vollen und aufrichtigen ¶
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Versöhnung mit dem Abgeordnetenhaus boten, indem sie das formelle Recht desselben anerkannten und 14. Aug. dem Landtag ein Gesetz vorlegten, welches Indemnität für die ohne gesetzliche Grundlage geleisteten Staatsausgaben verlangte. Ein Teil der Fortschrittspartei (Waldeck, [* 13] Hoverbeck, Virchow u. a.) verweigerte dieselbe ohne die Garantie der Rechte des Abgeordnetenhauses. Die gemäßigten Mitglieder (Forckenbeck, Twesten, Lasker u. a.) gründeten aber die »nationalliberale Partei« (s. d.), welche eine versöhnliche Haltung einnahm.
Die Indemnitätsvorlage wurde 3. Sept. mit 230 gegen 75 Stimmen angenommen, 25. Sept. der Regierung ein nachträglicher Kriegskredit von 60 Mill. und eine Dotation von 1½ Mill. für Bismarck und die verdientesten Generale bewilligt und 7. Sept. die Vereinigung von Hannover, [* 14] Kurhessen, Nassau und Frankfurt [* 15] a. M., 20. Dez. die Schleswig-Holsteins mit Preußen genehmigt; die Zahl der Abgeordneten wurde um 80 vermehrt. Der Etat für 1867 wurde nach den Wünschen der Regierung im Plenum erledigt.
In dem durch die Verständigung der norddeutschen Staaten mit Preußen errichteten Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung der erste Reichstag desselben annahm und der preußische Landtag trotz des Widerspruchs der Fortschrittspartei genehmigte, erhielt die preußische Krone das Präsidium und wurde Preußen der leitende Staat; der preußische Ministerpräsident war Kanzler des Bundes. Die auswärtigen Angelegenheiten, Handel, Zölle, Post, Telegraphie, Heer- und Marinewesen u. a. gingen fortan auf den Bund über, und Preußen ward ein Partikularstaat, der nur in den innern Angelegenheiten noch souverän war.
Der Großstaat Preußen dankte zu gunsten Deutschlands [* 16] ab, wenn auch sein fester Organismus die Hauptstütze des größern Gemeinwesen blieb. Preußens Geschichte ist daher seit 1867 eine vorzugsweise innere. Zunächst galt es, die neuen Gebietsteile, welche in drei Provinzen, Schleswig-Holstein mit Lauenburg, [* 17] Hannover und Hessen-Nassau, [* 18] organisiert wurden, mit dem preußischen Staatskörper zu verschmelzen, wofür der Regierung auf ein Jahr die Diktatur verliehen worden war.
Hierbei geschahen anfangs einige Mißgriffe, welche persönliche Interessen unnötig verletzten und Unzufriedenheit hervorriefen. 1867 wurden daher Vertrauensmänner aus den annektierten Ländern bei den neuen Einrichtungen zu Rate gezogen und viele Eigentümlichkeiten, die im Grund unschädlich waren, bestehen gelassen. Auch der König griff wiederholt vermittelnd und versöhnend ein. Der Justizminister Graf Lippe, [* 19] welcher sich besonders ungeschickt gezeigt, erhielt seine Entlassung und ward durch den Hannoveraner Leonhardt ersetzt.
Bei den Neuwahlen für den Landtag wählten die neuen Provinzen zum erstenmal mit, und 26 Mitglieder des Herrenhauses wurden aus denselben berufen. Mit den depossedierten Fürsten von Hannover, Nassau und Hessen [* 20] wurden Verträge über ihre Abfindung abgeschlossen und ihnen ansehnliche Geldsummen zugestanden, ohne daß man von König Georg und dem Kurfürsten einen Verzicht auf ihren Thron [* 21] erreichte. Die Verträge wurden im Februar 1868 vom Landtag nur genehmigt, weil Bismarck sein Verbleiben im Amt von ihrer Annahme abhängig machte, aber schon im März 1868 für Hannover und Hessen hinfällig, da jene Fürsten ihre Agitationen gegen Preußen fortsetzten und die Regierung daher das ihnen abgetretene Vermögen wieder mit Beschlag belegte. Mit Zustimmung des Landtags wurden die Einkünfte aus demselben zur Bekämpfung dieser Agitationen verwendet (Welfenfonds).
Zur Deckung des Defizits im Staatshaushalt (5,200,000 Thlr.) verlangte der Finanzminister v. d. Heydt 1869 wieder den Zuschlag von 25 Proz. zur Einkommen-, Klassen-, Schlacht- und Mahlsteuer. Beide Häuser des Landtags sprachen sich aber dagegen aus, worauf Heydt zurücktrat. Der neue Finanzminister, Otto Camphausen, beseitigte das Defizit durch Verwandlung der Staatsschuld in eine konsolidierte Rentenschuld, wodurch der Staatsschuldentilgungsfonds um 3½ Mill. erleichtert wurde.
Auch besserten sich die Finanzen bald. Weitere Reformen wurden durch den Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs zurückgedrängt, in welchem der preußische Staat die vorzügliche Organisation seines Staats- und Heerwesens bewährte: er streckte aus seinem Staatsschatz den süddeutschen Staaten die ersten Mobilmachungskosten vor, stellte aus der fast unerschöpflichen Fülle seiner Reserven und Landwehren immer neue Truppenkörper auf und ergänzte die ungeheuern Verluste seiner Korps, besonders vor Metz; [* 22]
auch in den übrigen deutschen Staaten machten sich die nützlichen Wirkungen der Preußen nachgeahmten Einrichtungen schon geltend.
Das preußische Volk leuchtete ganz Deutschland durch patriotische Opferwilligkeit voran, und die preußischen Heerführer rechtfertigten durch ihre Siege das in sie gesetzte Vertrauen. Die Umwandlung des Norddeutschen Bundes in das Deutsche Reich [* 23] hatte für Preußen deswegen Bedeutung, weil durch den Zutritt der süddeutschen Staaten die Zahl der außerpreußischen Stimmen im Bundesrat und Reichstag vermehrt wurde, wogegen Preußen in gewissen Fällen ein Veto eingeräumt wurde. Preußen wurde jetzt die Hausmacht des neuen deutschen Kaisertums, und das stolze Bewußtsein der Verdienste, die sich Preußen um Deutschland erworben, ließ auch die großen Opfer vergessen, die es gebracht, und von denen die Abtretung des ganzen Militärfiskus mit seinen Gebäuden, Grundstücken, Kriegsmaterial etc. sowie der deutschen Flotte an das Reich kein geringes war.
Der kirchliche Streit und die neueste Zeit.
Das vom vatikanischen Konzil gebilligte Unfehlbarkeitsdogma gab zu Differenzen zwischen dem römischen Klerus und der preußischen Regierung Anlaß, da diese das Verlangen der Bischöfe, gegen Lehrer, die das Dogma nicht anerkannten, einschreiten, ablehnte und die vom Bischof von Ermeland über einen antiinfallibilistischen Religionslehrer, Wollmann in Braunsberg, [* 24] verhängte Suspension für ungültig erklärte. Gleichzeitig forderten die Ultramontanen im ersten deutschen Reichstag, daß derselbe sich für Wiederherstellung des Kirchenstaats ausspreche und die Artikel der preußischen Verfassung über die Freiheit der Kirche in die Reichsverfassung aufnehme.
Die Ablehnung dieses Verlangens durch Bismarck veranlaßte die Ultramontanen zu drohenden Äußerungen, die bewiesen, daß die bisherige Rücksicht gegen die Kirche nur die Herrschsucht und die Anmaßung derselben gesteigert habe, und daß es Zeit sei, ihr entgegenzutreten. Daher wurde die katholische Abteilung des Kultusministeriums, welche seit ihrem Bestehen 1841 die Staatsgesetze den Interessen der römischen Kurie bereitwilligst geopfert hatte, aufgehoben und Falk an Stelle Mühlers zum Unterrichtsminister ernannt. Derselbe begann seine gesetzgeberische Thätigkeit mit dem Schulaufsichtsgesetz von 1872, welches alle Schulen der Aufsicht des Staats unterwarf, schloß die Mitglieder ¶