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Not, besonders in Oberschlesien, 1847 gesteigert und kam infolge der Pariser Februarrevolution 1848 zum Ausbruch. Die Adressen und Deputationen städtischer Behörden an den König, um ihm die Forderungen des Volkes vorzutragen, häuften sich. In Berlin [* 2] wurde die Volksbewegung durch Abgesandte der großen Umsturzpartei in Paris, [* 3] deutsche Flüchtlinge, Franzosen und Polen, geschürt und stürmische Volksversammlungen an den Zelten abgehalten; wiederholt kam es zu blutigen Zusammenstößen mit dem Militär.
Um den Sturm zu beschwichtigen, erfüllte der König die Bitte der Berliner [* 4] Stadtverordneten (13. März) und berief den Landtag auf 27. April zusammen. Als die Aufregung, namentlich seit der Kunde von dem Sturz Metternichs in Wien, [* 5] dennoch stieg, erschien 18. März eine königliche Proklamation, welche den Landtag schon zum 2. April berief und die Verwandlung Deutschlands [* 6] in einen Bundesstaat mit Parlament, Flotte etc. sowie im Innern wichtige Reformen verhieß. Sofort stürmte eine große Volksmenge nach dem Schloß, und lauter Jubel empfing den Monarchen, als er auf dem Balkon sich zeigte und seine Zusagen mündlich wiederholte. Da fielen plötzlich an einem Portal des Schlosses, wo das Volk dicht an die das letztere schützenden Truppen herandrängte, aus der Mitte derselben aus Versehen zwei Schüsse. Mit dem Rufe: »Verrat! Rache! Zu den Waffen!« stoben die Volkshaufen auseinander und verbreiteten mit Blitzesschnelle in der Stadt das Gerücht von einem Blutbad unter friedlichen Bürgern. Schnell waren in den Straßen gegen 200 von den geheimen Agitatoren schon vorbereitete Barrikaden errichtet und von zahlreichen, obschon schlecht bewaffneten Kämpfern besetzt (Märzrevolution).
Nach erbittertem Kampf Straße für Straße, Haus für Haus gelang es den Truppen, die wichtigsten Stadtteile zu erobern, so daß am Morgen des 19. März der Sieg entschieden auf ihrer Seite war. Aber statt nun den Aufruhr völlig zu überwältigen und nach Herstellung der Ordnung die angekündigte deutschnationale Politik mit fester Hand [* 7] durchzuführen, erließ der König, körperlich und geistig erschöpft, dem Drängen verschiedener Korporationen nachgebend, den Befehl, daß die Truppen Berlin räumten, und vertraute sich dem Schutz der Berliner Bürgerwehr an. Jedoch seine milde Proklamation an seine »lieben Berliner« und sein feierlicher Umritt durch die Stadt (21. März) vermochten gegenüber den Verleumdungen der Presse [* 8] ihm die Popularität ebensowenig wieder zu verschaffen wie die Ernennung eines neuen Ministeriums Arnim-Boitzenburg, eine Amnestie (20. März) und die Berufung einer Nationalversammlung zur Beratung einer Verfassung (22. März). Ja, die Bürgerwehr schützte ihn nicht vor Demütigungen und Beleidigungen des rohen Pöbels. Eine feierliche Bestattung der gefallenen Soldaten (3 Offiziere u. 17 Mann) wurde nicht geduldet, dagegen der König gezwungen, den Leichenzug der 187 Barrikadenkämpfer vom Schloßbalkon entblößten Hauptes zu begrüßen (22. März). Der Prinz von Preußen [* 9] (Kaiser Wilhelm) wurde zur Flucht nach England genötigt, sein Palais zum Nationaleigentum erklärt. Überall verlor das Volk das Vertrauen zu der Macht der Monarchie, und ermutigt durch die Freilassung der 1847 wegen einer Verschwörung verurteilten und im Zellengefängnis zu Moabit inhaftierten Landsleute, machten die Polen in der Provinz Posen [* 10] einen Aufstand.
Nachdem 29. März das liberale Ministerium L. Camphausen ernannt worden und der Vereinigte Landtag das Wahlgesetz für die Konstituierende Nationalversammlung genehmigt hatte (2.-10. April), fanden die Wahlen für dieselbe statt; sie waren indirekt, aber fast ohne Zensus. Aus ihnen gingen fast nur Liberale und Radikale hervor und zwar, weil die bedeutendsten Männer für das Frankfurter Parlament gewählt wurden, meist Männer ohne Erfahrung und Gewicht. Die Versammlung ward 22. Mai vom König eröffnet, verkannte ganz ihre Aufgabe, dem Staat rasch eine konstitutionelle Verfassung und damit innere Ordnung und Aktionskraft nach außen zu geben, ließ sich vielmehr von der radikalen Presse und dem Berliner Pöbel, der bei der völligen Unthätigkeit der Behörden neue Exzesse beging und das Zeughaus stürmte, beeinflussen und lehnte den von der Regierung vorgelegten Verfassungsentwurf ab. Statt nun selbst einen Entwurf zum Abschluß zu bringen, mischte sich die Versammlung in die Staatsverwaltung, verlangte die Verabschiedung aller nicht konstitutionell gesinnten Offiziere und beschloß 7. Sept. auf Antrag Steins, daß das Ministerium verpflichtet sei, ihre Beschlüsse unbedingt auszuführen.
Die Demagogie gebärdete sich immer dreister und terrorisierte die Versammlung. Die Ministerien Hansemann (25. Juni) und Pfuel (21. Sept.) waren nicht im stande, die Autorität der Behörden aufrecht zu erhalten. Da ernannte der König, ermutigt durch das Wiedererwachen der monarchischen Gesinnung im Volk, 1. Nov. das Ministerium Brandenburg [* 11] (das Ministerium der »rettenden That«) und verlegte, als die Nationalversammlung in einer Adresse gegen dasselbe protestierte, 8. Nov. dieselbe nach Brandenburg.
Die überwiegende Mehrheit beschloß nach Verlesung der Kabinettsorder 9. Nov., derselben nicht Folge zu leisten, sondern in Berlin weiter zu tagen. Doch wurden die Sitzungen im Schauspielhaus 10. Nov., nachdem General v. Wrangel mit 15,000 Mann in Berlin eingezogen war, geschlossen; 227 Mitglieder beschlossen 15. Nov. im Mielentzschen Lokal auf Antrag von Schulze-Delitzsch die Steuerverweigerung und erließen einen Protest, ohne jedoch, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, beim Volk Nachfolge zu finden. Die Versammlung trat 27. Nov. in Brandenburg wieder zusammen, wurde aber 1. Dez. durch den Austritt der Opposition beschlußunfähig gemacht und 5. Dez. aufgelöst, worauf der König eine sehr freisinnige Verfassung und ein Wahlgesetz für die zwei Kammern oktroyierte, welche zur Revision der Verfassung sich versammeln sollten.
Inzwischen hatte Preußen auch in der deutschen Frage handeln müssen. Es hatte Truppen nach Schleswig-Holstein [* 12] geschickt, um die Befreiung der Elbherzogtümer von Dänemark [* 13] zu bewirken, den dänischen Krieg aber durch den Waffenstillstand von Malmö [* 14] unterbrochen, weil er durch die Blockade der deutschen Häfen dem Handel zu sehr schadete. Den Beschlüssen des Frankfurter Parlaments hatte es sich meist gefügt, aber wegen der innern Wirren nichts gethan, um die Leitung der deutschen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen.
Die Gunst der Umstände bewirkte gleichwohl, daß der König von Preußen vom deutschen Parlament zum Kaiser erwählt wurde. Aber Friedrich Wilhelm IV. weigerte sich 3. April, diese Krone aus der Hand der Revolution anzunehmen, die er vielleicht gegen seine Mitfürsten, besonders Österreich, [* 15] mit den Waffen [* 16] hätte verteidigen müssen, und die Reichsverfassung anzuerkennen. Die Zweite Kammer, die diese 21. April für rechtsgültig erklärte, wurde 27. April aufgelöst und die Erhebungen für die Reichsverfassung in Dresden, [* 17] am Rhein, in der Pfalz u. Baden [* 18] durch preußische Truppen unterdrückt. ¶
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Friedrich Wilhelm hoffte die preußische Hegemonie über das nichtösterreichische Deutschland [* 20] durch freie Verständigung mit den Fürsten, eine Union, zu erreichen. Er schloß 26. Mai mit Sachsen [* 21] und Hannover [* 22] das Dreikönigsbündnis, dem die meisten Kleinstaaten beitraten. Ehe aber die Organisation der Union festgestellt war, hatte Österreich die Revolution in Ungarn [* 23] besiegt und mischte sich wieder in die deutschen Angelegenheiten ein. Nun fielen Sachsen und Hannover von Preußen ab und schlossen im Februar 1850 mit Bayern [* 24] und Württemberg [* 25] das Vierkönigsbündnis, das sich im Bund mit Österreich die Wiederherstellung des Bundestags zum Ziel setzte.
Zwar trat im März 1850 ein Unionsparlament in Erfurt [* 26] zusammen, wurde aber 29. April bereits vertagt, ohne etwas geschaffen zu haben. Schritt für Schritt wich Preußen zurück; die Union zerfiel (der einzige Erwerb Preußens [* 27] aus dieser Zeit war die Abtretung der hohenzollerischen Fürstentümer durch ihr Fürstenhaus während der deutsche Bundestag wiedererstand; am 2. Juli wurde mit Dänemark der Berliner Friede geschlossen, welcher die schleswig-holsteinischen Herzogtümer preisgab, und endlich gab Preußen auch in der kurhessischen Frage nach, weil das Heer, wie sich bei der 6. Nov. befohlenen allgemeinen Mobilmachung herausstellte, für einen Entscheidungskampf mit Österreich nicht stark und ausgerüstet genug war. Auf den Warschauer Konferenzen (15. Okt.) und in Olmütz [* 28] (29. Nov.) verzichtete Preußen auf seine Unionspolitik und erkannte den restituierten Bundestag an (s. Deutschland, S. 893). Mißmutig und beschämt durch diese klägliche Niederlage und verzweifelnd an seinem deutschen Beruf, wandten sich die Anhänger Preußens in Deutschland von ihm ab.
Nach der Auflösung der Zweiten Kammer wurde das sogen. Dreiklassenwahlgesetz (welches noch besteht) erlassen und nach diesem die Wahlen für eine neue Zweite Kammer vorgenommen. Bei diesen beteiligte sich die Demokratie aus prinzipiellen Gründen und aus Pessimismus nicht, und sie fielen daher überwiegend konservativ aus. Die zusammentretenden Kammern erfüllten daher bereitwillig den Wunsch des Königs und des Ministeriums bei der Revision der Verfassung vom einige jetzt bedenklich erscheinende Bestimmungen, wie die Beeidigung des Heers auf die Verfassung, zu beseitigen und eine erbliche Pairskammer, den Staatsgerichtshof, die Auflösung der Bürgerwehr, Verminderung der Preßfreiheit, Beschränkung des Steuerbewilligungsrechts auf neue Steuern u. a. zu genehmigen. Eine königliche Botschaft vom verkündete darauf die neue Verfassungsurkunde, welche der König 6. Febr. beschwor.
Die Zeit der Reaktion.
Unter dem Ministerium Manteuffel (seit erlangte die christlich-konservative oder Kreuzzeitungspartei, welche wesentlich aus dem kleinen Adel der östlichen Provinzen bestand und in den Kammern die Mehrheit hatte, immer größern Einfluß. Ihr Ziel war eine ständische Organisation der Monarchie, und sie erreichte auch 1851 die Wiederherstellung der gutsherrlichen Polizeiverwaltung, die Berufung der alten Provinzialstände und die Errichtung des Herrenhauses als Erster Kammer des Landtags, während die Zweite Kammer fortan Abgeordnetenhaus hieß.
In der evangelischen Kirche, an deren Spitze der Oberkirchenrat gestellt wurde, ward der orthodoxen Richtung zur Herrschaft verholfen, während man dem katholischen Klerus völlig freie Hand ließ. Die liberale Partei wurde durch politische und Preßprozesse eingeschüchtert, die Beamten und Richter durch neue Disziplinargesetze von der Regierung abhängiger gemacht. Das 1855 gewählte Abgeordnetenhaus, die sogen. Landratskammer, in welchem nur eine kleine Partei, die Altliberalen, die Verfassung verteidigte, genehmigte alle auf Verstärkung [* 29] der monarchischen Gewalt gerichteten Anträge des Ministeriums.
Nur gegen neue Steuern zeigte es eine entschieden Abneigung. Seine Tüchtigkeit bewährte das preußische Beamtentum trotz mancher büreaukratischen Ausschreitungen in der Pflege der materiellen Interessen. Eisenbahnen, Post und Telegraphie entwickelten sich überraschend schnell, und standhaft wehrte sich Preußen auch nach Olmütz gegen das Verlangen Österreichs, in den Zollverein aufgenommen zu werden. Es erreichte es, daß der Zollverein, 1852 durch Hannover und Oldenburg [* 30] vergrößert und abgerundet, unter Preußens Führung und mit den bisherigen wirtschaftlichen Grundsätzen bestehen blieb. Der Wohlstand des Landes hob sich in den Jahren der Ruhe und des Friedens sichtlich. Auch die geistigen Interessen wurden nicht vernachlässigt. Die Universitäten und höhern Schulen wurden von der pietistischen Reaktion weniger berührt, mehr die Volksschule, in welcher die Stiehlschen Regulative (1854) maßgebend wurden.
Für die Verstärkung und Bethätigung der äußern Macht Preußens geschah in dieser Zeit wenig. 1853 wurde von Oldenburg der Jadebusen zur Anlage eines Kriegshafens an der Nordsee erworben und der Grund zu einer Kriegsflotte gelegt. Der König war durchaus nicht kriegerisch gesinnt und blieb während des Krimkriegs neutral, während die öffentliche Meinung entschieden Anschluß an die Westmächte forderte, die Kreuzzeitungspartei auf seiten Rußlands stand.
Diese Haltung brachte für Preußen die Demütigung, daß es 1856 erst nachträglich zum Pariser Friedenskongreß zugezogen wurde, hatte aber den später so wertvollen Vorteil, daß sie ihm die Freundschaft Rußlands erwarb. Dagegen provozierte die Hofpartei durch den Neuenburger Putsch (September 1856) eine Kriegsgefahr für eine Sache, welche den preußischen Staat nichts anging, und aus welcher sich Preußen nur durch französische Vermittelung befreite. Dieser Ausgang schädigte Preußens Ansehen, das nach 1850 schon so sehr gesunken war, noch mehr, und die kleinsten Nachbarstaaten erlaubten sich die Zurückweisung der berechtigten Wünsche Preußens in Bezug auf Verkehrsangelegenheiten. Die österreichische und süddeutsche Presse überschüttete Preußen mit Hohn und Spott und behandelte es wie einen Mittelstaat, der nur vorübergehend unter einem Friedrich II. eine große Rolle habe spielen können. In Preußen wurde aber diese Geringschätzung bitter empfunden und rief neben der Abneigung gegen die Orthodoxen und Junker besonders den Wunsch nach einer Änderung der preußischen Politik hervor.
Die neue Ära.
Friedrich Wilhelm IV. erkrankte 1857 an einem Gehirnleiden und mußte daher 23. Okt., da er selbst kinderlos war, die oberste Leitung der Staatsgeschäfte seinem ältesten Bruder, dem Prinzen Wilhelm von Preußen, als Stellvertreter übertragen; als solcher änderte der Prinz in dem Gang [* 31] der Regierung nichts. Erst als sich die Krankheit des Königs als unheilbar erwies, wurde der Prinz durch Kabinettsorder vom zum Regenten ernannt, übernahm 9. Okt. die volle Regierungsgewalt und berief den Landtag, welcher die Regentschaft bestätigte. Der Prinz-Regent entließ 6. Nov. das Ministerium Manteuffel und ¶