mehr
In seiner auswärtigen Politik hatte sich Friedrich Wilhelm III. durch die Heilige Allianz ganz an Rußland und Österreich [* 2] gebunden. Preußen [* 3] beteiligte sich auf den Kongressen von Aachen, [* 4] Troppau, [* 5] Laibach [* 6] und Verona [* 7] an allen Maßregeln zur Unterdrückung jeder freiern Bewegung in Europa, [* 8] ohne jedoch eine maßgebende Rolle zu spielen. Die Erschöpfung der Hilfsmittel des Landes gebot eine friedfertige Politik; die völlige Unselbständigkeit aber, die Preußen zur Schau trug (denn von dem verständigen und erfolgreichen Eingreifen Preußens [* 9] in die orientalische Krisis 1828-29 und der beschwichtigenden Rolle, die es in der belgischen Frage 1831-32 spielte, erfuhr das Publikum nichts), die grenzenlose Nachgiebigkeit gegen Rußlands und Metternichs reaktionäre Tendenzen mußten alle verstimmen, welche Preußens Großmachtstellung hatten erkämpfen helfen.
Dazu kamen endlich die kirchlichen Verhältnisse. Auch hier hatte der König ursprünglich die besten Absichten. Die Einführung der Union bei der dritten Säkularfeier der Reformation 1817, durch welche die lutherische und die reformierte Kirche in Preußen als »evangelische Kirche« vereinigt wurden, sollte die Spaltung beider Konfessionen [* 10] und damit auch die Kluft zwischen dem reformierten Herrscherhaus und den meist lutherischen Unterthanen beseitigen und den konfessionen Frieden befördern.
Die Absicht schloß eigentlich jeden Zwang aus, aber bald ließ sich der König zu solchem fortreißen. 1821 wurden die Namen Protestanten und Protestantismus in öffentlichen Schriften verboten, 1824 den evangelischen Gemeinden eine vom König selbst ausgearbeitete Agende aufgedrungen und Widerstand gegen dieselbe mit Gewalt unterdrückt. Ja, es wurde die evangelische Kirche für die Verteidigung des absolutistischen Regierungssystems mißbraucht und den Geistlichen in diesem Sinn ein Eid abverlangt, politisch verdächtige Geistliche und Lehrer aber ohne weiteres abgesetzt.
Weil dies von der Mehrheit der gebildeten evangelischen Bevölkerung [* 11] entschieden mißbilligt wurde, fand auch das Einschreiten der Regierung gegen die Anmaßung und Widerspenstigkeit des katholischen Klerus keine Anerkennung, als sie wegen der Weigerung, gemischte Ehen, deren Kinder nicht katholisch erzogen würden, einsegnen zu lassen, 1837 den Erzbischof von Köln, [* 12] Droste zu Vischering, und 1839 den Erzbischof Dunin von Posen [* 13] auf die Festung [* 14] bringen ließ; dies energische Einschreiten wurde als ungerechtfertigte Willkür angesehen.
Seit der Julirevolution und der neuen Demagogenverfolgung wuchs der allgemeine Mißmut, und in der Litteratur nahm trotz der Zensur die Opposition gegen die bestehenden Zustände schon schärfere Formen an. Zwar wartete man noch geduldig das Ende der Regierung des alten, seiner Privattugenden wegen beliebten Königs ab; als er aber starb und sein Sohn Friedrich Wilhelm IV. ihm folgte, erwartete man von ihm eine baldige und völlige Änderung des Regierungssystems.
Die Regierung Friedrich Wilhelms IV. bis zum Erlaß der Verfassung.
Der neue König, nicht mehr jung (er stand bereits im 45. Lebensjahr), aber von großer Geistesfrische, fein und vielseitig gebildet, im Besitz schwungvolle Redegabe, war mit den Besten der Nation in dem Ziel, dem preußischen Volk die politische Freiheit, dem deutschen die ersehnte Einheit zu geben, einig. Boyen wurde zum Kriegsminister ernannt, Arndt in sein Amt wieder eingesetzt, Jahn befreit, ebenso freilich die Erzbischöfe von Köln und Posen, und eine allgemeine Amnestie erlassen Aber des Königs Ideal war der mittelalterlich-romantische Lehnsstaat, nicht der moderne Rechtsstaat, der ihm als Erzeugnis der Revolution vielmehr ein Greuel war, und für dessen praktische Erfordernisse er kein Interesse zeigte.
In der deutschen Frage träumte er von der Möglichkeit, daß Österreich sich mit dem ehrwürdigen ererbten Kaisernamen begnügen und Preußen die eigentliche Leitung Deutschlands [* 15] überlassen werde. Das entschiedene Verlangen einer Verfassung, welches Broschüren wie die Schöns: »Woher und Wohin?« und Jacobys »Vier Fragen« aussprachen, und dem sich sogar mehrere Provinziallandtage anschlossen, erbitterte ihn und wurde schroff zurückgewiesen. In kirchlicher Beziehung bekundete er eine streng orthodoxe Richtung, entließ 1841 den verdienten Allenstein [* 16] und berief den strenggläubigen Eichhorn an die Spitze des Unterrichtsministeriums. Die Mission in China, [* 17] die Errichtung eines evangelischen Bistums in Jerusalem, [* 18] endlich das Schicksal Neuenburgs, das durch den Sonderbundskrieg berührt wurde, nahmen den König anscheinend ganz in Anspruch, und mit Ausnahme der Pietisten und Ultramontanen waren bald alle Schichten der Bevölkerung von der neuen Regierung enttäuscht.
Endlich sah der König doch ein, daß er der öffentlichen Meinung ein Zugeständnis machen müsse, und errichtete trotz Rußlands und Österreichs Abmahnungen durch Patent vom eine Art von Landesvertretung, den Vereinigten [* 19] Landtag, welcher das Petitionsrecht, das Recht eines Beirats bei der Gesetzgebung und das Steuer- und Anleihebewilligungsrecht erhielt. Die Zusammensetzung der zwei Kurien (Herren- und Ständekurie) desselben war allerdings eine rein ständische, wie die der Provinziallandtage, und gab dem Adel nicht bloß in der ersten, sondern auch in der zweiten Kurie das Übergewicht.
Indes die Hauptsache war, daß endlich in Preußen ein Forum [* 20] geschaffen wurde, auf dem seine öffentlichen Angelegenheiten frei besprochen wurden, daß das Volk seine politische Bildung aus andern Quellen als verbotenen, aber um so eifriger heimlich verbreiteten Schriften zog und durch das gesteigerte gemeinschaftliche Interesse an dem Staat patriotischer Gemeinsinn auch in den dem preußischen Staatswesen bisher fern gebliebenen Kreisen geweckt wurde. Eine gesetzliche Entwickelung des Vereinigten Landtags zu einer wirklichen Volksvertretung war wohl möglich, wenn der König und die Freunde einer konstitutionellen Verfassung einander entgegenkamen.
Der König forderte das Mißtrauen derselben aber geradezu heraus durch die Rede, mit welcher er den Vereinigten Landtag eröffnete, und in welcher er erklärte, er werde nicht dulden, daß das natürliche Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konstitutionelles umgewandelt werde, daß sich zwischen ihn und das Land ein beschriebenes Blatt [* 21] Papier eindränge. Dem gegenüber stellte die Ständekurie auf Antrag der liberalen rheinischen und ostpreußischen Abgeordneten die Forderung, daß der Landtag künftig alle zwei Jahre zusammentrete und sein Bewilligungsrecht für Anleihen und Steuern genauer festgestellt werde. Dieselbe wurde aber im Landtagsabschied, der nach Schluß der Sitzungen (26. Juni) veröffentlicht wurde, nicht berücksichtigt. Die vereinigten Ausschüsse des Landtags waren 17. Jan. bis zur Beratung eines neuen Strafgesetzbuchs versammelt; von einer neuen Berufung des Landtags selbst war aber keine Rede.
Die Mißstimmung über diesen Ausgang des Landtags wurde durch die Mißernten und die materielle ¶
mehr
Not, besonders in Oberschlesien, 1847 gesteigert und kam infolge der Pariser Februarrevolution 1848 zum Ausbruch. Die Adressen und Deputationen städtischer Behörden an den König, um ihm die Forderungen des Volkes vorzutragen, häuften sich. In Berlin [* 23] wurde die Volksbewegung durch Abgesandte der großen Umsturzpartei in Paris, [* 24] deutsche Flüchtlinge, Franzosen und Polen, geschürt und stürmische Volksversammlungen an den Zelten abgehalten; wiederholt kam es zu blutigen Zusammenstößen mit dem Militär.
Um den Sturm zu beschwichtigen, erfüllte der König die Bitte der Berliner [* 25] Stadtverordneten (13. März) und berief den Landtag auf 27. April zusammen. Als die Aufregung, namentlich seit der Kunde von dem Sturz Metternichs in Wien, [* 26] dennoch stieg, erschien 18. März eine königliche Proklamation, welche den Landtag schon zum 2. April berief und die Verwandlung Deutschlands in einen Bundesstaat mit Parlament, Flotte etc. sowie im Innern wichtige Reformen verhieß. Sofort stürmte eine große Volksmenge nach dem Schloß, und lauter Jubel empfing den Monarchen, als er auf dem Balkon sich zeigte und seine Zusagen mündlich wiederholte. Da fielen plötzlich an einem Portal des Schlosses, wo das Volk dicht an die das letztere schützenden Truppen herandrängte, aus der Mitte derselben aus Versehen zwei Schüsse. Mit dem Rufe: »Verrat! Rache! Zu den Waffen!« stoben die Volkshaufen auseinander und verbreiteten mit Blitzesschnelle in der Stadt das Gerücht von einem Blutbad unter friedlichen Bürgern. Schnell waren in den Straßen gegen 200 von den geheimen Agitatoren schon vorbereitete Barrikaden errichtet und von zahlreichen, obschon schlecht bewaffneten Kämpfern besetzt (Märzrevolution).
Nach erbittertem Kampf Straße für Straße, Haus für Haus gelang es den Truppen, die wichtigsten Stadtteile zu erobern, so daß am Morgen des 19. März der Sieg entschieden auf ihrer Seite war. Aber statt nun den Aufruhr völlig zu überwältigen und nach Herstellung der Ordnung die angekündigte deutschnationale Politik mit fester Hand [* 27] durchzuführen, erließ der König, körperlich und geistig erschöpft, dem Drängen verschiedener Korporationen nachgebend, den Befehl, daß die Truppen Berlin räumten, und vertraute sich dem Schutz der Berliner Bürgerwehr an. Jedoch seine milde Proklamation an seine »lieben Berliner« und sein feierlicher Umritt durch die Stadt (21. März) vermochten gegenüber den Verleumdungen der Presse [* 28] ihm die Popularität ebensowenig wieder zu verschaffen wie die Ernennung eines neuen Ministeriums Arnim-Boitzenburg, eine Amnestie (20. März) und die Berufung einer Nationalversammlung zur Beratung einer Verfassung (22. März). Ja, die Bürgerwehr schützte ihn nicht vor Demütigungen und Beleidigungen des rohen Pöbels. Eine feierliche Bestattung der gefallenen Soldaten (3 Offiziere u. 17 Mann) wurde nicht geduldet, dagegen der König gezwungen, den Leichenzug der 187 Barrikadenkämpfer vom Schloßbalkon entblößten Hauptes zu begrüßen (22. März). Der Prinz von Preußen (Kaiser Wilhelm) wurde zur Flucht nach England genötigt, sein Palais zum Nationaleigentum erklärt. Überall verlor das Volk das Vertrauen zu der Macht der Monarchie, und ermutigt durch die Freilassung der 1847 wegen einer Verschwörung verurteilten und im Zellengefängnis zu Moabit inhaftierten Landsleute, machten die Polen in der Provinz Posen einen Aufstand.
Nachdem 29. März das liberale Ministerium L. Camphausen ernannt worden und der Vereinigte Landtag das Wahlgesetz für die Konstituierende Nationalversammlung genehmigt hatte (2.-10. April), fanden die Wahlen für dieselbe statt; sie waren indirekt, aber fast ohne Zensus. Aus ihnen gingen fast nur Liberale und Radikale hervor und zwar, weil die bedeutendsten Männer für das Frankfurter Parlament gewählt wurden, meist Männer ohne Erfahrung und Gewicht. Die Versammlung ward 22. Mai vom König eröffnet, verkannte ganz ihre Aufgabe, dem Staat rasch eine konstitutionelle Verfassung und damit innere Ordnung und Aktionskraft nach außen zu geben, ließ sich vielmehr von der radikalen Presse und dem Berliner Pöbel, der bei der völligen Unthätigkeit der Behörden neue Exzesse beging und das Zeughaus stürmte, beeinflussen und lehnte den von der Regierung vorgelegten Verfassungsentwurf ab. Statt nun selbst einen Entwurf zum Abschluß zu bringen, mischte sich die Versammlung in die Staatsverwaltung, verlangte die Verabschiedung aller nicht konstitutionell gesinnten Offiziere und beschloß 7. Sept. auf Antrag Steins, daß das Ministerium verpflichtet sei, ihre Beschlüsse unbedingt auszuführen.
Die Demagogie gebärdete sich immer dreister und terrorisierte die Versammlung. Die Ministerien Hansemann (25. Juni) und Pfuel (21. Sept.) waren nicht im stande, die Autorität der Behörden aufrecht zu erhalten. Da ernannte der König, ermutigt durch das Wiedererwachen der monarchischen Gesinnung im Volk, 1. Nov. das Ministerium Brandenburg [* 29] (das Ministerium der »rettenden That«) und verlegte, als die Nationalversammlung in einer Adresse gegen dasselbe protestierte, 8. Nov. dieselbe nach Brandenburg.
Die überwiegende Mehrheit beschloß nach Verlesung der Kabinettsorder 9. Nov., derselben nicht Folge zu leisten, sondern in Berlin
weiter zu tagen. Doch wurden die Sitzungen im Schau
spielhaus 10. Nov., nachdem General v. Wrangel mit 15,000 Mann in Berlin eingezogen
war, geschlossen; 227 Mitglieder beschlossen 15. Nov. im Mielentzschen Lokal auf Antrag von Schulze-Delitzsch
die Steuerverweigerung und erließen einen Protest, ohne jedoch, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, beim Volk Nachfolge zu finden.
Die Versammlung trat 27. Nov. in Brandenburg wieder zusammen, wurde aber 1. Dez. durch den Austritt der Opposition beschlußunfähig
gemacht und 5. Dez. aufgelöst, worauf der König eine sehr freisinnige Verfassung und ein Wahlgesetz für
die zwei Kammern oktroyierte, welche zur Revision der Verfassung sich versammeln sollten.
Inzwischen hatte Preußen auch in der deutschen Frage handeln müssen. Es hatte Truppen nach Schleswig-Holstein [* 30] geschickt, um die Befreiung der Elbherzogtümer von Dänemark [* 31] zu bewirken, den dänischen Krieg aber durch den Waffenstillstand von Malmö [* 32] unterbrochen, weil er durch die Blockade der deutschen Häfen dem Handel zu sehr schadete. Den Beschlüssen des Frankfurter Parlaments hatte es sich meist gefügt, aber wegen der innern Wirren nichts gethan, um die Leitung der deutschen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen.
Die Gunst der Umstände bewirkte gleichwohl, daß der König von Preußen vom deutschen Parlament zum Kaiser erwählt wurde. Aber Friedrich Wilhelm IV. weigerte sich 3. April, diese Krone aus der Hand der Revolution anzunehmen, die er vielleicht gegen seine Mitfürsten, besonders Österreich, mit den Waffen [* 33] hätte verteidigen müssen, und die Reichsverfassung anzuerkennen. Die Zweite Kammer, die diese 21. April für rechtsgültig erklärte, wurde 27. April aufgelöst und die Erhebungen für die Reichsverfassung in Dresden, [* 34] am Rhein, in der Pfalz u. Baden [* 35] durch preußische Truppen unterdrückt. ¶