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Feldzug gegen die Niederlande [* 2] (s. d., S. 152) 1787 wegen der Beleidigung der Prinzessin von Oranien, einer Schwester des Königs, kostete Preußen [* 3] viele Millionen und steigerte den verhängnisvollen Dünkel und Übermut der Offiziere. Das 1790 begonnene Unternehmen, während Rußland und Österreich [* 4] in den türkischen Krieg verwickelt waren, an die Spitze der vereinigten Macht Mitteleuropas zu stellen und ihm so eine schiedsrichterliche Herrschaft zu verschaffen, brachte nach den kostspieligsten Rüstungen [* 5] der König selbst zum Scheitern, indem er aus unzeitiger und kurzsichtiger Großmut den Vertrag von Reichenbach [* 6] abschloß, der Österreich von dem unheilvollen Türkenkrieg befreite, und zeigte hierdurch der Welt, daß er die herrschende Stellung Preußens [* 7] nicht behaupten könne. Der Fürstenbund löste sich infolgedessen auf.
Nicht minder launenhaft war die Politik des neuen Königs gegen Frankreich. Gewohnt, seinen persönlichen Gefühlen das Wohl des Staats zu opfern, brannte er nach Ausbruch der französischen Revolution vor Begierde, als Ritter des legitimen Königtums von Gottes Gnaden einen Kreuzzug gegen Frankreich zu unternehmen, um Ludwig XVI. aus der Hand [* 8] des Pariser Pöbels zu befreien, schloß mit Österreich 1792 den Pillnitzer Vertrag und begleitete selbst die Armee auf dem Feldzug in die Champagne; trotz der militärischen Schwäche Frankreichs endete dieser mit der erfolglosen Kanonade von Valmy, die in ihren Folgen einem Sieg der Franzosen gleichkam, und mit dem wenig ehrenvollen und verlustreichen Rückzug über den Rhein. 1793 schloß sich der König noch der ersten Koalition an und eroberte Mainz. [* 9]
Dann aber wendete er sein Augenmerk Polen zu, wo, unterstützt durch die schwankende Haltung Preußens, Rußland durch die Targowitzer Konföderation die politische Reorganisation Polens vereitelte und durch Besetzung des ganzen Landes mit seinen Truppen dessen Einverleibung vorbereitete, und schloß, um dies zu verhindern, einen zweiten Teilungsvertrag mit Rußland, in dem Preußen Danzig, [* 10] Thorn [* 11] und Großpolen (Südpreußen), 57,000 qkm mit 1,100,000 Einw., und damit eine vortreffliche Abrundung seiner Ostgrenze gewann. Da Österreich hierbei leer ausging, so steigerte sich die Eifersucht zwischen beiden deutschen Mächten und lähmte ihre kriegerische Aktion gegen Frankreich. Daher beutete die preußische Armee ihre Siege bei Pirmasens [* 12] und Kaiserslautern [* 13] (28.-30. Nov.) nicht zu einem Einfall in Frankreich aus.
Aber auch zum Rücktritt von der Koalition konnte sich Friedrich Wilhelm nicht entschließen, obwohl die Finanzen Preußens bereits völlig erschöpft waren, und erniedrigte sich lieber zu dem schmählichen Haager Vertrag mit den Seemächten, durch welchen er ein Heer von 64,000 Mann an diese vermietete, denen auch die Eroberungen desselben gehören sollten. Dies Heer schlug die Franzosen zweimal bei Kaiserslautern (23. Mai 18.-20. Sept.), drang aber um so weniger in Feindesland ein, als Preußen gleichzeitig durch den polnischen Aufstand von 1794 in einen Krieg im Osten verwickelt wurde. Die preußische Armee unter dem König selbst eroberte Krakau, [* 14] belagerte aber Warschau [* 15] vergeblich. Indem es erst den Russen gelang, den Aufstand niederzuschlagen, fiel diesen die Entscheidung über die letzte Teilung Polens zu, und diese wurde im Vertrag zwischen Rußland und Österreich so geregelt, daß Preußen nur Masovien, Warschau und Bialystok (Neuostpreußen), 47,000 qkm mit 1 Mill. Einw., bekam; unterzeichnete es den dritten Teilungsvertrag.
Schon vorher hatte sich Preußen durch den Frieden von Basel [* 16] von dem Kriege gegen Frankreich wegen gänzlicher Erschöpfung seiner Finanzen losgesagt und durch eine Demarkationslinie die Neutralität Norddeutschlands gesichert. Da 1791 auch Ansbach [* 17] und Baireuth [* 18] mit Preußen vereinigt worden waren, so war das Staatsgebiet zwar auf 300,000 qkm mit 8,700,000 Einw. erweitert; aber das Ansehen Preußens war schon sehr gesunken, das Heer verwahrlost, das Beamtentum unzufrieden und bei der ungeheuern Vergrößerung des Gebiets für eine sorgsame, gewissenhafte Verwaltung unzureichend, die Finanzen in völliger Verwirrung und der Staat mit 48 Mill. Thlr. Schulden belastet; die Bevölkerung [* 19] stand der Regierung wie einer fremden gleichgültig gegenüber, und die Gebildeten neigten mehr und mehr einem kosmopolitischen Humanismus zu. So hinterließ Friedrich Wilhelm II. Preußen bei seinem Tod
Der Sturz der Monarchie Friedrichs d. Gr.
Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm III. (1797 bis 1840) besaß zwar die Tugenden eines Privatmanns, aber nicht die Eigenschaften eines Herrschers. Ihm fehlten die Einsicht in die Schwächen des Staatsorganismus sowie das Selbstvertrauen und die Energie zu einer gründlichen Änderung des Regierungssystems im Innern und zu einer kräftigen auswärtigen Politik. Er begnügte sich, einige der schreiendsten Mißstände zu befestigen, durch Sparsamkeit das Finanzwesen allmählich in bessern Stand zu setzen und das Religionsedikt aufzuheben. Am Heerwesen wurde trotz der Mahnungen verschiedener Offiziere zu Reformen nichts geändert, die auswärtige Politik blieb in den Händen von Haugwitz, Lombard u. a., welche Napoleon als den Bezwinger der Revolution freudig begrüßten und die Politik der freien Hand, der thatlosen Neutralität, der kleinmütigen Unentschlossenheit dem König als höchste Weisheit anpriesen.
Dieser ging um so eher auf solche Ratschläge ein, als sie seiner schüchternen Natur am meisten zusagten. Frankreich schmeichelte von Zeit zu Zeit den selbstzufriedenen preußischen Staatslenkern und gewährte Preußen zum Lohn für seine Fügsamkeit im Reichsdeputationshauptschluß (1803) eine beträchtliche Vergrößerung als Ersatz für die Abtretungen auf dem linken Rheinufer: die Stifter Paderborn [* 20] und Hildesheim, [* 21] den größten Teil von Münster, [* 22] Erfurt [* 23] und das Eichsfeld;
die Reichsstadt Nordhausen, [* 24] Mühlhausen, [* 25] Goslar [* 26] u. a., zusammen 9500 qkm mit ½ Mill. Einw.
Selbst durch die Besetzung Hannovers durch französische Truppen (1803), welche so inmitten der preußischen Staaten sich festsetzten, ließ sich Preußen nicht aus seiner Neutralität herausreißen. 1805, als die dritte Koalition sich bildete, ermannte es sich nur zu einem Vermittelungsversuch, der überdies von Haugwitz so ungeschickt und frevelhaft leichtsinnig ins Werk gesetzt wurde, daß er sich bis nach Napoleons Sieg bei Austerlitz [* 27] (2. Dez.) durch leere Verhandlungen hinhalten ließ und dann 15. Dez. den schimpflichen Vertrag von Schönbrunn schloß, indem Preußen Ansbach, Kleve und Neuenburg [* 28] abtrat und das dem befreundeten England gehörige Hannover [* 29] annahm. Das Zaudern, diesen Vertrag zu bestätigen, hatte nur den noch schmählichern Allianzvertrag vom zur Folge und raubte Preußen bei Napoleon den letzten Rest von Achtung. Dieser, von keinem andern Feind bedroht, suchte jetzt den Krieg mit Preußen, hetzte ¶
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heimlich Hessen [* 31] und Sachsen [* 32] gegen die Preußen zugestandene Gründung eines norddeutschen Bundes auf, bot England Hannover, Rußland Preußisch-Polen als Preis eines Friedens an und überschüttete Preußen mit Hohn und Spott. So mußte dieses endlich zum Schwert greifen (Preußisch-französischer Krieg), in einem Augenblick und einer Lage so ungünstig, wie sie noch nie gewesen waren. Das Heer war in einem bedenklichen Zustand: die höhern Offiziere zum größern Teil alt und unfähig, zudem über die Schäden des Heerwesens völlig verblendet, Verpflegung, Kleidung und Bewaffnung der durch rohe Behandlung abgestumpften Soldaten höchst mangelhaft;
die Kriegskunst war noch die Friedrichs d. Gr. Die Bevölkerung, von allem politischen Leben abgeschlossen, stand dem Staat gleichgültig gegenüber;
selbst ein Teil der Beamten hatte das Vertrauen zu seinem Bestand verloren.
Dazu fehlte es an Geld; zum erstenmal wurde in Preußen Papiergeld, die Tresorscheine, ausgegeben. Auf Bundesgenossen konnte Preußen nicht rechnen nach der eignen frühern Haltung; nur Sachsen stellte 20,000 Mann, Rußland versprach Hilfe.
Im September sammelte sich die preußische Feldarmee, im ganzen 130,000 Mann, in Thüringen um Erfurt; 7. Okt. wies Napoleon das preußische Ultimatum, welches von ihm forderte, daß er Süddeutschland räume und Norddeutschland der preußischen Hegemonie überlasse, zurück und drang mit überlegener Macht in das östliche Thüringen vor, wodurch er der preußischen Armee in den Rücken zu fallen drohte. Herzog Karl von Braunschweig, [* 33] welcher, obwohl 71 Jahre alt, den Oberbefehl übernommen hatte, befahl daher den Abmarsch nach Osten in zwei Armeen, um sich bei Halle [* 34] mit der Reservearmee zu vereinigen.
Aber noch ehe dieselben die Saale überschritten hatten, wurde die südliche Armee unter Prinz Hohenlohe, deren Vorhut unter Prinz Ludwig Ferdinand 10. Okt. bei Saalfeld [* 35] vernichtet worden war, 14. Okt. bei Jena [* 36] von Napoleon selbst angegriffen und löste sich nach hartnäckigem Kampf in völlige Flucht auf; die nördliche unter dem Herzog selbst erlitt an demselben Tag bei Auerstädt [* 37] gegen Davoût eine Niederlage. Die Heere gerieten auf der Flucht in solche Verwirrung, daß die Regimenter sich teilweise gänzlich auflösten und an einen erfolgreichen Widerstand im offenen Feld zunächst nicht gedacht werden konnte.
Ein panischer Schrecken überfiel die erst so siegesgewissen Generale; sie gaben nicht nur die Armee, sondern auch den Staat verloren und überlieferten, jede fernere Gegenwehr für nutzlos haltend, die stärksten Festungen den Franzosen ohne Schwertstreich. Hohenlohe kapitulierte 28. Okt. mit 12,000 Mann bei Prenzlau. [* 38] Wie die Generale bedeckten sich auch die höchsten Beamten mit Schmach, wie denn der Gouverneur von Berlin, [* 39] Graf Schulenburg, bei der Annäherung der Franzosen sogar Freiwillige für das Heer zurückwies und Ruhe für die erste Bürgerpflicht erklärte. Am 27. Okt. hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin, wo ihm sieben Minister den Eid der Treue leisteten. Der König, dessen Umgebung ebenfalls allen Mut verloren hatte, floh nach Königsberg; [* 40] seine einzige Hoffnung war die russische Hilfe. Diese war aber durchaus ungenügend, die durch eine übereilte Flucht preisgegebenen Provinzen wiederzuerobern. Die Schlacht bei Eylau (7. und blieb unentschieden.
Während der nun folgenden Pause in den Kriegsoperationen eroberten die Franzosen 25. Mai Danzig und schlugen dann, beträchtlich verstärkt, die Russen vollständig bei Preußisch-Friedland (14. Juni). Jetzt fiel Kaiser Alexander, von Napoleon durch glänzende Versprechungen gewonnen, von Friedrich Wilhelm ab, obwohl dieser aus Rücksicht auf ihn im Februar einen Separatfrieden abgelehnt hatte, und Preußen mußte den Frieden von Tilsit [* 41] schließen, der ihm alles Gebiet links der Elbe und die Erwerbungen der zweiten und dritten polnischen Teilung entriß und ihm bis zur Bezahlung der unerschwinglichen Kriegskontributionen die Besetzung seines Gebiets sowie das Kontinentalsystem auferlegte. Von 314,000 qkm mit 9,750,000 Einw. behielt es bloß 158,000 qkm mit 4,940,000 Einw. Es schien für immer vernichtet und sein völliger Untergang nur eine Frage der Zeit und der Laune Napoleons zu sein.
Die Wiederherstellung des Staats durch die Stein-Hardenbergschen Reformen.
Der Sturz der Monarchie Friedrichs d. Gr. war ein so jäher und gewaltiger, daß auch die Regierenden zu der Erkenntnis gelangten, daß sie auf den alten Grundlagen nicht wieder aufgerichtet werden konnte, und die Leiden [* 42] und die Schmach, welche der rohe Übermut des Siegers auf Preußen häufte, waren so übermäßig, daß nicht bloß die preußischen Patrioten, sondern auch die bisher gleichgültigsten Einwohner sich in die neue Lage nicht zu schicken vermochten, vielmehr jeder, Bauer, Handwerker und Gewerbtreibende, die gebildeten Stände und der Adel, in der Befreiung des nun erst geschätzten Vaterlandes vom fremden Joch und in der Wiederherstellung eines unabhängigen preußischen Staats die einzige Rettung erblickten.
Das Heilmittel war furchtbar, um so gründlicher aber die Heilung. Der König, welcher früher alle Warnungen einsichtsvoller Patrioten, besonders die Forderung der Beseitigung der Kabinettsregierung, ärgerlich zurückgewiesen hatte, zeigte sich jetzt unter dem Einfluß seiner edlen Gemahlin, der Königin Luise, bereit, das Staatswesen durch freisinnige Reformen von Grund aus umzugestalten, aus einem absolutistisch-feudalen Militärstaat ein freisinniges Gemeinwesen, eine durch die Selbstregierung der Gemeinden und Provinzen getragene, auf der freiwilligen Befolgung der Gesetze beruhende Monarchie zu machen.
Das zu verwirklichen, wurde der Minister v. Stein an die Spitze der ganzen Zivilverwaltung gestellt. Die Kabinettsregierung wurde abgeschafft und Männer wie v. Schön, v. Vincke, Stägemann, Niebuhr, v. Klewitz u. a. in die höchsten Ämter berufen. Bereits 9. Okt. erschien das »Edikt über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums«, welches die freie Bewegung des Grundbesitzes gestattete und die Erbunterthänigkeit des Bauernstandes aufhob.
Diesem Edikt folgte ein Erlaß des Königs vom welcher allen Insassen auf den Domänen in der Provinz Preußen ihre Grundstücke als volles freies Erbeigentum verlieh. Viele Domänen wurden verkauft, um die Finanzen des Staats, der dem Bankrott nahe war, zu bessern, wodurch ebenfalls eine größere Zahl kleiner Hofbesitzer geschaffen wurde. Wenigstens den Städten wurde durch die Städteordnung vom Selbstverwaltung gewährt, eine Gemeindeordnung in Aussicht gestellt, mancher Zunftzwang beseitigt, eine neue Verwaltungsorganisation eingeführt. Die Krönung des Gebäudes sollte eine Volksvertretung bilden. Eine eingesetzte Militärorganisationskommission, aus Scharnhorst, Gneisenau, Grolman und Boyen bestehend, reinigte den Offizierstand von allen unwürdigen Elementen, erließ neue Kriegsartikel sowie ein neues Reglement ¶