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Staatsverwaltung.
Die Staatsbehörde gliedern sich in Zentral-, Provinzial- (darunter die Bezirks- und Kreis-) sowie Lokalbehörden. Die obersten Staatsbehörde sind: das Staatsministerium, die einzelnen Ministerien, der evangelische Oberkirchenrat, die Oberrechnungskammer. Das Staatsministerium besteht unter dem Vorsitz eines Präsidenten aus den Ministern der einzelnen Ressorts (zur Zeit neun) sowie sonst ernannten Staatsministern ohne Portefeuille (zur Zeit zwei) und dient insbesondere zur Wahrung der erforderlichen Einheit in der Staatsverwaltung.
Unmittelbar unter dem gesamten Staatsministerium stehen: das Zentraldirektorium der Vermessungen im preußischen Staate, der Disziplinarhof für nicht richterliche Beamte, das Oberverwaltungsgericht, der Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte, die Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte, Ansiedelungskommission für Westpreußen und Posen (in Posen), das litterarische Büreau des Staatsministeriums, der deutsche »Reichs- und königlich preußische Staatsanzeiger«, die Redaktion der Gesetzsammlung; unter der obern Leitung des Präsidenten des Staatsministeriums die Generalordenskommission, die Staatsarchive und das Gesetzsammlungsamt.
Die einzelnen Ministerien sind: das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten (Auswärtiges Amt des Deutschen Reichs), das Finanzministerium (hiervon ressortieren die Generallotteriedirektion, die Münzanstalten, die Seehandlung, die Hauptverwaltung der Staatsschulden etc.), das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Kultusministerium, hiervon ressortieren die Akademie der Wissenschaften, die Kunstakademien, Museen, die königliche Bibliothek, die Sternwarte, der botanische Garten, das geodätische und das meteorologische Institut), das Ministerium für Handel und Gewerbe (unter ihm stehen die Eichungsbehörden, die Navigationsschulen, die gewerblichen und kunstgewerblichen Fachschulen, die Verwaltung der Porzellanmanufaktur sowie das Fortbildungsschulwesen), das Ministerium des Innern (unter ihm das Statistische Büreau, die Strafanstalten, das Polizeipräsidium zu Berlin), das Justizministerium, das Kriegsministerium (in finanzieller Beziehung Reichsbehörde), das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten (Ressort: Landesökonomiekollegium, die landschaftlichen Kreditinstitute, die höhern landwirtschaftlichen Lehranstalten, die Haupt- und Landgestüte), das Ministerium der öffentlichen Arbeiten (mit vier Abteilungen: 1) Verwaltung für Berg-, Hütten- und Salinenwesen;
2) Verwaltung der Staatseisenbahnen;
3) des Bauwesens;
4) Führung der Staatsaufsicht über die Privateisenbahnen). Zum gemeinsamen Ressort der Minister der öffentlichen Arbeiten, für Handel und Gewerbe, für Landwirtschaft gehören der Landeseisenbahnrat und die Bezirkseisenbahnräte, ebenso der Volkswirtschaftsrat. Selbständige staatliche Oberbehörden sind noch: der evangelische Oberkirchenrat für die acht ältern Provinzen (s. S. 358 f.: »Kirchenverwaltung«) und die Oberrechnungskammer in Potsdam, welche unmittelbar dem König untersteht. Letztere übt die Kontrolle über den gesamten Staatshaushalt. Vom Staatsministerium getrennt besteht noch das Ministerium des königlichen Hauses, von welchem das Heroldsamt, das königliche Hausarchiv, die Hofkammer der königlichen Familiengüter und das königlich-prinzliche Familienfideikommiß ressortieren.
Landesverwaltung.
Das preußische Staatsgebiet ist in 14 Provinzen eingeteilt, welche (mit Berlin, Hohenzollern [Sigmaringen] und Schleswig-Holstein [Schleswig]) in 36 Regierungsbezirke zerfallen, die zusammen aus gegenwärtig 546 Kreisen zusammengesetzt sind. Die Vertretung der obersten Staatsbehörde und des Staatsinteresses im allgemeinen sowie die Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung ruhen in den Provinzen bei den Oberpräsidenten, in den Regierungsbezirken bei den Regierungspräsidenten (Regierungen), in den Kreisen bei den Landräten und in den Gemeinden bei den Bürgermeistern, bez. Ortsvorstehern.
Der Oberpräsident der Provinz Brandenburg ist zugleich Oberpräsident von Berlin und führt auch an Stelle des Regierungspräsidenten die Aufsicht des Staats über die städtische Verwaltung. Im übrigen tritt an die Stelle des Regierungspräsidenten der Polizeipräsident von Berlin. In den hohenzollerischen Landen tritt an die Stelle des Oberpräsidenten sowie des Provinzialrats in der Hauptsache der zuständige Minister. Behufs Mitwirkung an den Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung ist in jeder Provinz ein Provinzialrat gebildet, bestehend aus dem Oberpräsidenten (oder dessen Stellvertreter) als Vorsitzendem, aus einem vom Minister ernannten höhern Verwaltungsbeamten auf die Dauer seines Hauptamtes am Sitz des Oberpräsidenten und aus 5 (vom Provinzialausschuß aus den zum Provinziallandtag wählbaren Provinzialangehörigen) auf sechs Jahre gewählten Mitgliedern.
Der Bezirksausschuß besteht aus dem Regierungspräsidenten (in Berlin besonderer Präsident) als Vorsitzendem und aus 6 Mitgliedern. Zwei dieser Mitglieder werden vom König auf Lebenszeit ernannt, während die vier andern Mitglieder (sowie deren Stellvertreter) aus den Einwohnern des Regierungsbezirk durch den Provinzialausschuß gewählt werden. Mitglieder des Provinzialrats dürfen nicht dem Bezirksausschuß angehören. An der Spitze der Verwaltung des Kreises steht der Landrat.
Derselbe führt den Vorsitz im Kreisausschuß, dessen Zuständigkeit und Zusammensetzung durch das Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom und durch die Kreisordnungen geregelt ist. Der Stadtausschuß (in Stadtkreisen) besteht aus dem Bürgermeister oder dessen gesetzlichem Stellvertreter als Vorsitzendem und 4 Mitgliedern, welche vom Magistrat aus seiner Mitte für die Dauer ihres Hauptamtes gewählt werden. In Stadtkreisen, wo der Bürgermeister allein den Gemeindevorstand bildet, werden die sonst zu bestellenden Mitglieder von der Gemeindevertretung aus der Zahl der Gemeindebürger auf sechs Jahre gewählt.
Das Verfahren des Kreis- (Stadt-) Ausschusses und des Bezirksausschusses in Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung ist einerseits ein beschließendes, anderseits ein entscheidendes. Sie üben mit dem Oberverwaltungsgericht als oberster Instanz die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus; dagegen ist der Provinzialrat kein Glied dieser Gerichtsbarkeit (s. oben). Beratende Organe der Staatsverwaltung sind zunächst der Staatsrat, welcher durch königliche Verordnung vom ins Leben gerufen und in den Jahren 1853 und 1884 reaktiviert wurde. Er besteht aus den volljährigen königlichen Prinzen, den Ministern, höhern Militärs, Beamten und aus besonderm königlichen Vertrauen berufenen Staatsdienern, zur Zeit aus 73 Mitgliedern. Der Volkswirtschaftsrat wurde eingerichtet, um Entwürfe von Gesetzen und
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Verordnungen wirtschaftlichen Inhalts zu begutachten (75 Mitglieder, Sitzungsperiode fünf Jahre). Durch Gesetz vom wurde der Landeseisenbahnrat und die Bezirkseisenbahnräte zur beirätlichen Mitwirkung der Eisenbahnverwaltung errichtet. Die Aufgabe, den Minister der landwirtschaftlichen Angelegenheiten in der Förderung der Land- und Forstwirtschaft zu unterstützen, hat das Landes-Ökonomiekollegium errichtet). Durch Ministerialverfügung vom sind endlich Gewerbekammern, in der Regel für jeden Regierungsbezirk eine, geschaffen worden. Eine ältere Institution sind die Handelskammern, welche jedoch teilweise durch Gesetz vom eine neue Organisation erhalten haben. Von sonstigen Behörden mit beratenden Befugnissen sind noch zu nennen: die Akademie der Wissenschaften und die des Bauwesens, die technische Deputation für Gewerbe und die statistische Zentralkommission.
Selbstverwaltung.
Die Selbstverwaltung beruht in Preußen auf der Grundlage des Immobiliarbesitzes sowie der Wahl seitens der Eingesessenen. Die Vertretungskörper (Gemeindeversammlungen [Gemeinderäte], Stadtverordnetenversammlungen, Kreistage, Provinziallandtage) beraten und beschließen über die kommunalen Angelegenheiten ihres Verbandes, während als ausführende Organe teils enger begrenzte Vertretungen (Magistrate, Kreisausschüsse, Provinzialausschüsse), teils gewählte, nur in Kreisen (auf Präsentation) ernannte Einzelbeamte (Gemeindevorsteher, Bürgermeister, Landräte, Landesdirektoren) fungieren.
Die Kommunalverbände niederer Ordnung bilden die Gemeinden (Stadtgemeinden, Landgemeinden, Gutsbezirke) nach Maßgabe der verschiedenen Gemeindeverfassungsgesetze. Bezüglich der Landgemeinden sind drei Gebiete zu unterscheiden:
1) die sieben östlichen Provinzen mit dem Landgemeindeverfassungsgesetz vom
2) die beiden westlichen Provinzen mit einer formell abgeschlossenen Gemeindegesetzgebung, aber zum Teil kümmerlichen Selbstverwaltung: westfälische Landgemeindeordnung vom und rheinische Gemeindeordnung vom und Gesetz vom
3) die neuen Provinzen nebst Hohenzollern, wo für Schleswig-Holstein die Landgemeindeverhältnisse durch die schleswig-holsteinische Verordnung vom (für Lauenburg durch Ges. vom nach dem Muster der östlichen Provinzen neu geregelt sind; für Hannover gilt das hannöversche Landgemeindegesetz vom welches eine freie und gedeihliche Selbstverwaltung gewährleistet; für Hessen-Nassau besteht (von Frankfurt a. M. abgesehen) eine für Stadt- und Landgemeinden gemeinsame Gesetzgebung: kurhessische Gemeindeordnung vom Ges. vom nassauisches Gemeindegesetz vom und Ges. vom großherzoglich hessische Gemeindeordnung vom mit den Gesetzen vom 8. Jan. und und landgräflich hessische Gesetze vom und Frankfurter Landgemeindeordnung vom für Hohenzollern gelten die Gemeindeordnung von Hohenzollern-Sigmaringen vom nebst Ges. vom und Landgemeindeordnung für Hohenzollern-Hechingen vom Die städtische Verfassung ist in den sieben östlichen Provinzen (ohne Neuvorpommern, wo im wesentlichen die ältern Verfassungen durch Ges. vom bestätigt sind) mit der Städteordnung vom zu den freiern Grundsätzen der Steinschen Periode zurückgekehrt.
Sie beruht auf voller Selbstverwaltung. Sie hat den Städteordnungen für Westfalen vom und für die Rheinprovinz vom zum Muster gedient. Ebenso hat die Städte- und Fleckenordnung für Schleswig-Holstein vom und das Gemeindeverfassungsgesetz für Frankfurt a. M. vom enge Anlehnung an erstere gefunden, während Hannover seine besondere revidierte Städteordnung vom und Hohenzollern-Hechingen die Städteordnung vom beibehalten hat. In Hessen-Nassau (ohne Frankfurt) dagegen sowie in Hohenzollern-Sigmaringen beziehen die Gemeindeordnungen die Stadtverfassungen mit ein. In Westfalen sind sodann zwischen orts- und kreisgemeindliche Organisation die Ämter, in Rheinland die Bürgermeistereien als kommunale Zwischenglieder eingeschoben.
Für den weitern kommunalen Aufbau (der Kreise und Provinzen) ist zunächst durch die Kreisordnung vom für die östlichen Provinzen der Grundstein gelegt, auf welchem die Provinzialordnung vom weiterbaut. Die Kreisordnung erfuhr mit dem Gesetz vom Abänderungen und eine Neuredaktion, die Provinzialordnung wurde durch das Zuständigkeitsgesetz vom abgeändert. In der Provinz Posen aber sind die genannten Gesetze noch nicht durchgeführt, vielmehr steht diese Provinz noch unter der veralteten kreisständischen Verwaltung (Kreisordnung vom Dagegen sind die übrigen Provinzen mittels besonderer, provinzielle Eigentümlichkeiten berücksichtigender Gesetze nach und nach in der Weise angeschlossen, daß die Kreis- und die Provinzialordnung gleichzeitig zur Einführung gelangten.
Kommunalverbände mittlerer Ordnung mit Korporationsrechten zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten bilden die Kreise (in Hohenzollern Oberämter). Die Vertretung des Verbandes und der Kreiseingesessenen erfolgt durch den aus Wahlen hervorgegangenen Kreistag (in Hohenzollern Amtsversammlung) unter dem Vorsitz des Landrats (Oberamtmanns). Als Organe der Kreiskommunalverwaltung wirken der vom Kreistag gewählte Kreisausschuß (in Hohenzollern Amtsausschuß, in Stadtkreisen Stadtausschuß) mit dem Landrat (Oberamtmann) als Vorsitzendem, welcher zugleich die Geschäfte des Verbandes führt.
Städte mit 25,000 und mehr Zivileinwohnern können einen eignen Stadtkreis bilden. Kommunalverbände höherer Ordnung bilden die Provinzen und in Hessen-Nassau außerdem noch die Regierungsbezirke Kassel und Wiesbaden auf Grund folgender Gesetze:
1) Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen: Provinzialordnung vom
3) Hessen-Nassau: Ges. vom (s. auch 8 und 9); 4) Westfalen: Ges. vom
6) Schleswig-Holstein: Ges. vom
7) hohenzollerische Lande: hohenzollerische Amts- und Landesordnung vom
8) Regierungsbezirk Kassel: Ges. vom
9) Regierungsbezirk Wiesbaden: Ges. vom Die Vertretung dieser Verbände und die Beschlußfassung über die Angelegenheiten derselben steht den Provinzial-, bei den unter 7) bis 9) genannten Verbänden den Kommunallandtagen zu, welche sich aus Abgeordneten der Kreise zusammensetzen und ihren Vorsitzenden wählen. Als
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Selbstverwaltungsbehörden zur Wahrnehmung der Geschäfte des Verbandes bestehen in den Provinzen unter 1), 2) und 4) bis 6) kollegiale Provinzial-, in den Verbänden unter 7), 8) und 9) kollegiale Landesausschüsse. Die laufenden Geschäfte werden von gewählten Landesdirektoren, in Hannover von einem aus drei Oberbeamten unter Vorsitz des Landesdirektors zusammengesetzten Landesdirektorium, in Hohenzollern von dem Vorsitzenden des Kommunallandtags und Landesausschusses wahrgenommen.
Für den Kommunalverband der Provinz Hessen-Nassau sind die Vorschriften über die Einsetzung eines Provinzialausschusses und eines Landesdirektors bisher nicht in Kraft getreten. Für die Provinz Posen besteht noch ein provinzialständischer Verband, vertreten durch einen Provinziallandtag, der durch Abgeordnete der drei Stände, bez. die Virilstimmen der vormals unmittelbaren Reichsstände gebildet wird. Die Geschäftsverwaltung des Verbandes geschieht durch die provinzialständische Verwaltungskommission mit dem Direktor derselben als Organ für die laufenden Geschäfte.
Rechtspflege.
Die Rechtspflege wird von unabhängigen gewöhnlichen Staatsgerichten ausgeübt, die im Namen des Königs Recht sprechen. Als besondere Gerichte bestehen nur: die Militärgerichte, die Disziplinargerichte für Richter, Beamte und Studierende, die Austrägalgerichte der Standesherren, die auf Staatsverträgen beruhenden Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte, die Gerichte in Ablösungs- etc. Sachen (Generalkommissionen und Oberlandeskulturgericht) und Gewerbegerichte in Rheinland.
Die Richter werden vom König auf Lebenszeit ernannt, sind unabhängig und unabsetzbar und können unfreiwillig nur durch Richterspruch ihres Amtes enthoben oder in den Ruhestand versetzt werden. Die oberste Justizverwaltungsbehörde in Preußen bildet das Justizministerium. Organe desselben sind die Vorstände der Gerichte und die Staatsanwaltschaften. Die äußere Organisation der Gerichtsbehörde ist auf Grund des Gerichtsverfassungsgesetzes vom und des preußischen Ausführungsgesetzes vom seit einheitlich gestaltet; das Recht selbst soll durch die Annahme eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, das im Entwurf vorliegt, die lang ersehnte Gleichmäßigkeit erhalten.
Als oberster Gerichtshof für Preußen besteht das Reichsgericht in Leipzig. Für den Staat bestehen sodann 13 (mit Jena 14) Oberlandesgerichte:
1) zu Königsberg für Ostpreußen, mit den 8 Landgerichten zu Allenstein, Bartenstein, Braunsberg, Insterburg, Königsberg i. Pr., Lyck, Memel, Tilsit mit zusammen 71 Amtsgerichten;
2) zu Marienwerder für Westpreußen (mit Ausnahme des Kreises Deutsch-Krone), mit den 5 Landgerichten zu Danzig, Elbing, Graudenz, Konitz, Thorn mit zusammen 40 Amtsgerichten;
3) zu Berlin (mit der Bezeichnung Kammergericht) für Berlin und Brandenburg, mit den 9 Landgerichten zu Berlin (I u. II), Frankfurt a. O., Guben, Kottbus, Landsberg a. W., Potsdam, Prenzlau, Neuruppin mit zusammen 102 Amtsgerichten;
4) zu Stettin für Pommern, mit den 5 Landgerichten zu Greifswald, Köslin, Stargard, Stettin, Stolp mit zusammen 59 Amtsgerichten;
5) zu Posen für Posen und den westpreußischen Kreis Deutsch-Krone, mit den 7 Landgerichten zu Bromberg, Gnesen, Lissa, Meseritz, Ostrowo, Posen, Schneidemühl mit zusammen 58 Amtsgerichten;
6) zu Breslau für Schlesien, mit den 14 Landgerichten zu Beuthen, Breslau, Brieg, Glatz, Gleiwitz, Glogau, Görlitz, Hirschberg, Liegnitz, Neiße, Öls, Oppeln, Ratibor, Schweidnitz mit zusammen 128 Amtsgerichten;
7) zu Naumburg a. S. für die Provinz Sachsen (mit Ausnahme der Kreise Schleusingen und Ziegenrück), den hannöverschen Kreis Ilfeld sowie das Herzogtum Anhalt und das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen, mit den 8 Landgerichten zu Erfurt, Halberstadt, Halle a. S., Magdeburg, Naumburg a. S., Nordhausen, Stendal, Torgau mit zusammen 111 Amtsgerichten;
8) zu Kiel für Schleswig-Holstein, mit den 3 Landgerichten zu Altona, Flensburg, Kiel mit zusammen 70 Amtsgerichten;
9) zu Celle für Hannover (ohne Ilfeld), das Fürstentum Pyrmont, den Landgerichtsbezirk des Fürstentums Lippe (ohne Amt Lipperode und Stift Kappel) sowie den hessen-nassauischen Kreis Rinteln, mit den 8 Landgerichten zu Aurich, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück, Stade, Verden mit zusammen 108 Amtsgerichten;
10) zu Hamm für Westfalen und die rheinländischen Kreise Duisburg, Essen (Stadt und Land), Mülheim a. d. R., Rees und Ruhrort, mit den 8 Landgerichten zu Arnsberg, Bielefeld, Dortmund, Duisburg, Essen, Hagen, Münster, Paderborn (hierzu gehörig das lippesche Amt Lipperode und Stift Kappel) mit zusammen 108 Amtsgerichten;
11) zu Kassel für den Regierungsbezirk Kassel (mit Ausnahme der Kreise Schmalkalden und Rinteln), den Kreis Biedenkopf vom Regierungsbezirk Wiesbaden und das Fürstentum Waldeck, mit den 3 Landgerichten zu Hanau, Kassel, Marburg mit zusammen 76 Amtsgerichten;
12) zu Frankfurt a. M. für den Regierungsbezirk Wiesbaden (ohne Biedenkopf), Hohenzollern und von Rheinland die Kreise Wetzlar, Neuwied, Altenkirchen, Teile vom Landkreis Koblenz, mit den 5 Landgerichten zu Frankfurt a. M., Hechingen, Limburg a. d. Lahn, Neuwied, Wiesbaden, mit zusammen 52 Amtsgerichten;
13) zu Köln für die Rheinprovinz (mit Ausnahme der zu Hamm und Frankfurt a. M. gehörigen Teile) und das oldenburgische Fürstentum Birkenfeld, mit den 9 Landgerichten zu Aachen, Bonn, Düsseldorf, Elberfeld, Kleve, Koblenz, Köln, Saarbrücken, Trier, mit zusammen 108 Amtsgerichten;
14) zu Jena (gemeinschaftliche thüringisches Oberlandesgericht) für die Kreise Schleusingen und Ziegenrück von der Provinz Sachsen und Schmalkalden vom Regierungsbezirk Kassel; Schleusingen und Schmalkalden gehören zum Landgericht Meiningen, Ziegenrück zu Rudolstadt.
Man unterscheidet zunächst Gefängnisse und Strafanstalten. In letztern werden die Zuchthaus- und längern Freiheitsstrafen vollstreckt. Sie gehören fast ausschließlich zum Ressort des Ministers des Innern und stehen mit unter der Aufsicht der Regierungspräsidenten. Im ganzen kommen 50 Straf- und Gefangenanstalten sowie die 117 rheinischen Kantongefängnisse hier in Betracht, während die Gerichts- und einzelne Strafgefängnisse, zusammen 989, zum Ressort der Justizverwaltung gehören. Daneben gibt es Polizeigefängnisse, Arbeitshäuser und Besserungsanstalten (letztere beiden Gattungen für Bettler, Trunkenbolde, Arbeitsscheue und jugendliche Verbrecher).
Kirchenverwaltung.
Die Verfassungsgemeinschaft der evangelischen Landeskirche in Preußen beschränkt sich lediglich auf die in der Person des Königs vorhandene gemeinsame Spitze des obersten Kirchenregiments. In den elf ältern Landesteilen Ostpreußen, Westpreußen, Stadtkreis Berlin, Brandenburg, Pommern, Posen,
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Schlesien, Sachsen, Westfalen, Rheinland und Hohenzollern bildet die Landeskirche ein Ganzes, in welchem die Kirchengewalt auf Grund des am ergänzten Gesetzes vom und der Verordnungen vom und von dem evangelischen Oberkirchenrat zu Berlin als Zentralbehörde und unter diesem durch je ein Provinzialkonsistorium ausgeübt wird. Den nachstehend verzeichneten Konsistorien steht meistens je ein Generalsuperintendent zur Seite (demjenigen in Berlin 3 und in Magdeburg 2): Provinzialkonsistorium zu Königsberg mit 35 Kirchenkreisen, Danzig (18), Berlin (für Berlin und Brandenburg, 77), Stettin (56), Posen (22), Breslau (55), Magdeburg (93), Münster (20) und Koblenz (für Rheinland u. Hohenzollern, 29). Die Kirchengemeinde- und Synodalverfassung regelt die äußere Ordnung sowie die Selbstverwaltung der Kirche und deren Organe.
Vertretungskörper bilden die Gemeinden, Kreise (Kirchen-), Provinzen und der alte Gesamtstaat mit der Vertretung im Gemeindekirchenrat, in der Kreis-, Provinzial- und Generalsynode (Erlasse vom und Die Generalsynode besteht aus 150 von der Provinzialsynode erwählten Mitgliedern, aus 6 Mitgliedern der evangelische theologischen Fakultät der Universitäten, aus den Generalsuperintendenten der betreffenden Provinzen und 30 vom König zu ernennenden Mitgliedern; die Provinzialsynode aus den von der Kreissynode zu erwählenden Abgeordneten, einem Mitglied der evangelisch-theologischen Fakultät der Provinzialuniversität und aus vom König zu ernennenden Mitgliedern; die Kreissynode aus dem Superintendenten der Synode, sämtlichen innerhalb des Kirchenkreises ein Pfarramt verwaltenden Geistlichen und der doppelten Anzahl gewählter Mitglieder.
Die Landeskirchen der seit 1866 mit der preußischen Monarchie vereinigten Gebiete sind gemäß königlicher Verordnung vom unter dem Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten als der für sie gemeinschaftlichen kirchlichen Zentralbehörde in ihrer bisherigen Selbständigkeit verblieben. Schleswig-Holsteins evangelisch-lutherische Kirche steht unter dem Konsistorium zu Kiel mit 2 Generalsuperintendenten, welches in 28 Kirchenkreise zerfällt; durch Erlaß vom wurde daselbst eine kirchliche Gemeindeordnung eingeführt; die evangelisch-lutherische Kirche der Provinz Hannover unter dem Landeskonsistorium zu Hannover mit 4 Generalsuperintendenten und den diesem unterstellten 3 Spezialkonsistorien zu Hannover mit 5 Generalsuperintendenten und 65 Kirchenkreisen, zu Stade mit 2 Generalsuperintendenten und 26 Kirchenkreisen und zu Aurich mit 2 Generalsuperintendenten und 18 (darunter 9 reformierten) Kirchenkreisen.
Ebenfalls unter dem Konsistorium zu Aurich steht die evangelisch-reformierte Kirche der Provinz Hannover. Die Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche in Hannover beruht auf dem Gesetz vom nach welchem es Kirchenvorstände für die einzelnen Gemeinden, Bezirkssynoden und eine Landessynode gibt. Im Regierungsbezirk Kassel besteht für die evangelische Kirche das Konsistorium zu Kassel mit 3 Generalsuperintendenten (je einem für die unierte, lutherische und reformierte Kirche) und 13 Kirchenkreisen; im Regierungsbezirk Wiesbaden (ohne Frankfurt a. M.) fungiert das Konsistorium zu Wiesbaden (ein Generalsuperintendent und 20 Kirchenkreise), während für und in Frankfurt a. M. ein evangelisch-lutherisches und ein reformiertes Konsistorium bestehen. - Das Militärkirchenwesen ist dem Kriegsminister, dem Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten und dem evangelischen Oberkirchenrat unterstellt und umfaßt auch die Militärgemeinden im Reichsland Elsaß-Lothringen.
An der Spitze der evangelischen Militärgeistlichen steht der evangelische Feldpropst der Armee, und die Militärgeistlichkeit eines jeden Armeekorps, bez. der kaiserlichen Marine ist einem Militäroberpfarrer unterstellt. In den 7597 Kirchspielen der evangelischen Landeskirche (einschließlich Lutheraner und Reformierte) gibt es 14,143 Kirchen und Kapellen mit 9155 Pfarrstellen. Durchschnittlich entfällt eine Kirche oder Kapelle auf 25 qkm und auf 1280 Einw.
Die Angelegenheiten der römisch-katholischen Kirche sind durch die päpstliche Bulle »De salute animarum« vom geordnet. Es bestehen in Preußen zwei Erzbistümer: Köln und Posen-Gnesen. Die Erzdiözese Gnesen ist mit dem Erzbistum Posen auf immer vereinigt, doch besitzt jedes dieser Bistümer ein eignes Metropolitankapitel; das Bistum Kulm ist Suffragan von Gnesen. Ferner bestehen zehn Bistümer: die vier exemten (d. h. unmittelbar dem päpstlichen Stuhl unterworfenen): Ermeland, Breslau (Fürstbistum), Osnabrück und Hildesheim und die Suffraganbistümer (von Köln): Trier, Münster, Paderborn, (von Gnesen), Kulm und (vom Erzbistum Freiburg im Breisgau) Fulda und Limburg.
Der Sprengel des Fürstbischofs von Breslau begreift auch einen Teil von Österreichisch-Schlesien, während anderseits der Fürsterzbischof von Prag, bez. sein Vertreter für den auf preußischem Gebiet gelegenen Teil des Fürsterzbistums, der Großdechant der Grafschaft Glatz zu Neurode, die geistliche Jurisdiktion über die Kreise Neurode, Glatz und Habelschwerdt ausübt, ferner der Kreis Leobschütz sowie der südliche und westliche Teil des Kreises Ratibor (Regierungsbezirk Oppeln) mit dem Sitz des fürstbischöflichen Kommissars zu Katscher dem Fürsterzbistum Olmütz zugehören und endlich Hohenzollern dem Erzbischof von Freiburg unterstellt ist.
Die sogen. Maigesetze der Jahre 1873 bis 1875 sind im letzten Jahrzehnt durch verschiedene Novellen in manchen Punkten gemildert, 1886 aber im wesentlichen beseitigt, so daß auch mit Ausnahme des Ordens der Gesellschaft Jesu (Jesuitenordens) alle Orden und Kongregationen wieder freien Zutritt im Deutschen Reich und in Preußen haben können. Die Mehrzahl der Klöster, Orden etc. ist denn auch inzwischen bereits wieder besetzt und in Thätigkeit getreten. Die Altkatholiken in Preußen und dem Deutschen Reich haben einen eignen Bischof ohne abgegrenzten Sprengel, während die 300 Katholiken auf der schleswigschen Insel Nordstrand dem jansenistischen Erzbischof in Utrecht unterstellt sind.
Die kirchlichen Verhältnisse der separatistischen Altlutheraner sind durch das Patent vom geordnet. Der geistliche Vorstand derselben ist das Oberkirchenkollegium der evangelisch-lutherischen Kirche in Breslau. Die Kultusangelegenheiten der Juden sind durch Gesetz vom bez. durch Landesgesetze der neuen Landesteile geordnet. Nur in den Provinzen Hannover und Hessen-Nassau besteht eine staatliche Organisation der jüdischen Religionsgemeinden. In der Provinz Hannover ist für jeden Regierungsbezirk ein Landrabbiner vorhanden. Die Provinz Hessen-Nassau ist in sieben Rabbinatsbezirke geteilt. Im J. 1887 gab es in Preußen 1262 Synagogen (Religionsgemeinden), davon 265 in Hessen-Nassau und 126 in Posen. Die Kirchenaufsichts- und Verwaltungssachen, welche im Staate dem Kultusminister zukommen, werden in den Provinzen von den
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Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten, bez. den Kirchen- und Schulabteilungen der Regierungen geführt.
Andre Verwaltungszweige.
Das Eichungswesen in Preußen (bez. im Reich) beruht auf der Maß- und Gewichtsordnung vom der Eichungsordnung vom sowie dem preußischen Gesetz vom Die Zuständigkeit der kaiserlichen Normaleichungskommission zu Berlin erstreckt sich auf das Deutsche Reich mit Ausschluß von Bayern. Das Eichungswesen gehört zum Ressort des Handelsministers. Als Landes- und Aufsichtsbehörden fungieren die dem Oberpräsidenten unterstellten 11 Eichungsinspektionen. Diese sowie die am Sitz derselben befindlichen Eichämter sind königliche, alle übrigen dagegen Kommunalanstalten. - Strombau und Eisenbahnbau gehören besondern Verwaltungsgebieten an, so daß die Wirksamkeit der Staatsbauverwaltung im engern Sinn sich im wesentlichen als Baupolizei kennzeichnet, wobei allerdings den Staatsbaubeamten auch die unmittelbare Leitung der vom Staat auszuführenden Bauten obliegt.
Zentralinstanz ist der Minister der öffentlichen Arbeiten, bez. die dritte Abteilung (für das Bauwesen) seines Geschäftskreises; die Provinzialbehörde bildet in Berlin einerseits das Polizeipräsidium, anderseits die Ministerialbaukommission für die fiskalischen Bauausführungen innerhalb der Stadt Berlin, im übrigen Staate die Regierungspräsidenten (Regierungen), denen Bauräte als technische Beamte beigegeben sind; die Lokalbehörden dagegen bilden die allgemeinen Polizeibehörden und neben diesen als technische Organe die Kreisbaubeamten (Kreisbauinspektoren).
Nach dem Übergang der Staatsstraßen auf die Provinzialverbände mittels Gesetzes vom beschränkt sich die Thätigkeit der königlichen Kreisbaubeamten vorzugsweise auf das Hoch- und Wasserbauwesen. Das Staatsgebiet ist zum Zweck dieser Verwaltung innerhalb der Regierungsbezirke in Baukreise zerlegt, die meistens mehrere landrätliche Kreise oder Teile derselben umfassen. Neben den Hochbaukreisen bestehen für bestimmte Flußgebiete, bez. größere Landbezirke (mit Ausnahme der großen Flüsse) Wasserbaukreise mit Wasserbaubeamten. Besondere Verwaltungen bilden die zum unmittelbaren Ressort der Oberpräsidenten gehörenden:
1) Rheinstrom-, 2) Elbstrom-, 3) Oderstrom-, 4) Weichselstrombauverwaltung. - Die Staatseisenbahnverwaltung im Ressort des Ministers der öffentlichen Arbeiten zerfällt in 11 Eisenbahndirektionen:
1) zu Altona mit 4 Betriebsämtern, 2) Berlin (11), 3) Breslau (9), 4) Bromberg (10), 5) Elberfeld (5), 6) Erfurt (6), 7) Frankfurt a. M. (4), 8) Hannover (7), 9) Köln, linksrheinische (6), 10) Köln, rechtsrheinische (8) und 11) Magdeburg (6). - Die Bergwerksverwaltung untersteht demselben Minister. Das Staatsgebiet ist in die 5 Oberbergamtsbezirke (s. oben, S. 349): Breslau, Halle a. S., Klausthal, Dortmund und Bonn eingeteilt, von den Oberbergämtern ressortieren die Berginspektionen, Hütten- und Salzämter ebenso die Bergreviere zur Beaufsichtigung des Privatbergbaues etc. -
Auseinandersetzungsbehörden zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, der Gemeinheitsteilungen, Zusammenlegungen etc. sind die Generalkommissionen 1) zu Bromberg für Ostpreußen, Westpreußen und Posen;
2) zu Frankfurt a. O. für Berlin, Brandenburg und Pommern;
3) zu Breslau für Schlesien;
4) zu Merseburg für die Provinz Sachsen sowie für die Fürstentümer Schwarzburg-Sondershausen und -Rudolstadt, die Herzogtümer Anhalt und Sachsen-Meiningen;
5) zu Hannover für Hannover und Schleswig-Holstein;
6) zu Münster für Westfalen und die rheinischen Kreise Duisburg, Essen (Stadt und Land), Mülheim a. d. R., Ruhrort und Rees;
7) zu Kassel für Hessen-Nassau sowie die Fürstentümer Waldeck und Pyrmont und Schaumburg-Lippe;
8) zu Düsseldorf für das Geltungsgebiet des rheinischen Rechts, den Bezirk des vormaligen Justizsenats zu Ehrenbreitstein und für Hohenzollern. Als Organe der Generalkommissionen fungieren Spezialkommissare. - Die Verwaltung der direkten Steuern untersteht in der Zentralinstanz dem Finanzminister (zweite Abteilung des Ministeriums) und wird in den Provinzen von den Finanzabteilungen der Regierungen wahrgenommen. Die Veranlagung erfolgt (ausgenommen bei der Grundsteuer) durch die Kreis- und Gemeindebehörden.
Die Hebung geschieht mit Ausnahme der Einkommensteuer, welche direkt in die Kreiskassen einzuliefern ist, in den östlichen Provinzen seitens der Gemeinden durch Steuereinnehmer, in den westlichen und den neuen Provinzen dagegen durch königliche Steuerempfänger (Steuerkassen). Die Grund- und Gebäudesteuer (Gesetz vom macht noch eine besondere Organisation erforderlich: die Katasterverwaltung. Im allgemeinen ist für jeden Kreis ein Katasteramt mit einem Katasterkontrolleur eingerichtet, welcher zunächst unter den Regierungen und dem Finanzminister steht, bei denen je ein Katasterinspektor, bez. der Generalinspektor des Katasters angestellt ist. Die Verwaltung der indirekten Steuern und Zölle in Preußen, deren Erträge zum größten Teil an das Reich übergegangen sind, ist der dritten Abteilung des Finanzministeriums mit einem Generaldirektor der indirekten Steuern an der Spitze unterstellt; in den Provinzen besteht je eine Provinzialsteuerdirektion mit lokalen Verwaltungsorganen (Hauptzollämter, Nebenzollämter, Hauptsteuer- und Steuerämter).
Finanzen.
A. Staatsfinanzen. Die Finanzen des preußischen Staats befinden sich seit jeher in gutem Zustand. Die Bilanz der Einnahmen und Ausgaben stellt sich nach den Abrechnungen für 1875 bis 1886/87 sowie den Staatshaushaltsetats für 1887/88 und 1888/89 in Millionen Mark wie folgt:
1875 | 1877/78 | 1879/80 | 1881/82 | 1882/83 | 1883/84 | 1884/85 | 1885/86 | 1886/87 | 1887/88 | 1888/89 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Wirkliche Einnahmen | 971.6 | 935.2 | 905.9 | 1105.1 | 1213.8 | 1297.2 | 1349.6 | 1441.5 | 1473.9 | 1329.5 | 1410.7 |
Gesamte Ausgaben | 812.6 | 849.7 | 828.1 | 1011.2 | 1137.9 | 1220.7 | 1284.3 | 1376.4 | 1404.6 | 1316.7 | 1410.7 |
Bleibt ein Bestand: | 159.0 | 85.5 | 77.8 | 93.8 | 75.9 | 76.5 | 65.3 | 65.2 | 69.2 | - | - |
Die Einnahmen und deren Entwickelung im letzten Jahrzehnt lassen sich in folgender Weise veranschaulichen:
1) Aus den Einkünften aus eignem Besitz und dinglichen Rechten sind hervorzuheben die Pachtgelder der königlichen Domänen, Zinsen von Staatsaktivkapitalien, Einnahmen des vormaligen Staatsschatzes, Ablösungsgelder von Domänengefällen und Verkaufsgelder von Domänengrundstücken, Rente von der Reichsbank, Schuldverschreibungen, Privatrenten und Ablösungskapitalien: 1878/79: 43,883,000, 1886/87: 40,097,000, 1888/89 (Soll) 37,817,000 Mk. 2) Eine zweite Gruppe bilden die Einnahmen aus
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Staatsbetrieben: Forstverwaltung, Staatseisenbahnen, Bergwerke, Hütten, Salinen, Seehandlungsinstitut: 1878/79: 295,018,000, 1886/87: 852,301,000, 1888/89: 885,347,000 Mk. 3) In gewisser Beziehung gehören hierher die staatlichen Gestüte, die königliche Porzellanmanufaktur sowie die Arbeitsverluste etc. der Gefangenen in Strafanstalten und Gefängnissen: 1878/79: 5,694,000, 1886/87: 7,177,000, 1888/89: 6,980,000 Mk. 4) Die Bevölkerung am unmittelbarsten berührende Einnahmen fließen aus den Steuern: a) direkte Abgaben (Grundsteuer, Gebäudesteuer, klassifizierte Einkommensteuer, Klassensteuer, Gewerbesteuer, Eisenbahnabgabe), wozu auch die Erbschaftssteuer sowie die Bergwerksabgaben u. -Steuern zu zählen sind: 1878/79: 161,812,000, 1886/87: 161,704,000, 1888/89: 165,629,000 Mk.; b) indirekte Steuern oder Verbrauchsabgaben: Anteil an den Zöllen und der Tabakssteuer sowie an der Verbrauchsabgabe von Branntwein: 1886/87: 71,045,000, 1888/89: 149,899,000 Mk. 5) Gebühren, ferner Stempelabgaben u. dgl.: Vergütungen aus der Reichskasse für die Reichssteuererhebung, Anteil an den Reichsstempelabgaben, an der deutschen Wechselstempelsteuer, Stempelsteuer, Brücken-, Fähr-, Wäge- etc. Gelder, Kosten bei den Auseinandersetzungsbehörden, gerichtliche Kosten etc.: 1878/79: 101,339,000, 1886/87: 122,989,000, 1888/89: 131,369,000 Mk.
Staatsausgaben. Das für den Staatshaushalt in Betracht kommende Einkommen des Herrscherhauses beträgt insgesamt 12,219,296 Mk. Durch das Gesetz vom wurde statt der bisherigen »Handgelderreichung« dem Kronfideikommißfonds eine jährliche Rente von 7,719,296 Mk. auf die Einkünfte der Domänen und Forsten überwiesen. 1858 wurde diese Krondotation um 1,500,000 Mk. und 1868 um 3 Mill. Mk. erhöht. Die Kosten der königlichen Ministerien betrugen in Tausenden Mark: 1878/79: 5048, 1886/87: 5187, 1888/89: 5064. Die Oberpräsidien, Regierungen (einschließlich Finanzdirektion und Bezirkshauptkassen in Hannover), die landrätlichen Behörden und Ämter beanspruchten in Tausenden Mark: 1878/79: 19,118, 1886/87: 19,943, 1888/89: 19,882, wogegen die Justizverwaltung 1878/79: 75,546, 1886/87: 82,437, 1888/89: 85,527 Tausend Mk. kostete. Das gesamte Unterrichtswesen erforderte mit Einschluß der 3-4½ Mill. Mk. betragenden einmaligen außerordentlichen Ausgaben: 1878/79: 36,100, 1886/87: 43,697, 1888/89: 58,768 Tausend Mk.
Einen vergleichenden Überblick über die gegenwärtige Gestaltung der Staatseinnahmen und -Ausgaben gewährt die folgende Übersicht. In derselben weisen die ordentlichen Einnahmen eine Steigerung um 106¾ Mill. Mk. (besonders Einnahmen aus Reichsquellen +79 Mill., Eisenbahnverwaltung +34 Mill.), die ordentlichen Ausgaben eine Steigerung um 102 Mill. Mk. (besonders Matrikularbeiträge +55 Mill., Eisenbahnverwaltung +14¾ Mill., Kultus und Unterricht +13¾ Mill. Mk.) auf.
Bezeichnung der Einnahmen und Ausgaben | Einnahmen in Mark | Ausgaben in Mark | ||
---|---|---|---|---|
Ist 1886/87 | Soll 1888/89 | Ist 1886/87 | Soll 1888/89 | |
Ordentliche Einnahmen und Ausgaben. | ||||
Landwirtschaft, Domänen und Forsten | 82109673 | 81649924 | 39448019 | 39284690 |
Direkte Steuern | 152489415 | 156434300 | 10869798 | 11591900 |
Indirekte Steuern. | ||||
a) Vergütung für Erhebung der Reichssteuern | 25249735 | 39240370 | ↘ | |
b) Für Rechnung Preußens | 30775574 | 28359780 | ↘ | |
c) Lotterie | 6175633 | 8222700 | 25636771 | 31911700 |
d) Seehandlung, Münzverwaltung | 1493727 | 1896800 | ↗ | |
Berg-, Hütten- und Salinenwesen | 110998189 | 109618136 | 94323746 | 94666077 |
Eisenbahnverwaltung | 686209461 | 720255519 | 461210506 | 475988691 |
Dotationen. | ||||
a) Zuschuß zur Rente des Kronfideikommißfonds | - | - | 4500000 | 4500000 |
b) Ausgaben für die öffentliche Schuld | 206984 | 147940 | 211517758 | 205966800 |
c) Landtag | 6024 | 2222 | 1743991 | 1382360 |
Allgemeine Finanzverwaltung. | ||||
1) Einnahmen aus Reichsquellen. | ||||
a) Zölle und Tabakssteuer | 71045426 | 78949660 | - | - |
b) Reichsstempelabgaben | 11788343 | 11903190 | - | - |
c) Abgaben vom Branntwein | - | 70949350 | - | - |
2) Beiträge zu den Ausgaben des Reichs | - | - | 71971444 | 126809722 |
3) Hinterlegte Gelder und Zinsen, resp. Rückzahlungen davon | 28636199 | 23629187 | 25661570 | 24195999 |
4) Zu Provinzialfonds | - | - | 37559111 | 37559111 |
5) An die Kommunalverbände | - | - | 4002116 | 15000000 |
6) Aus Anleihen | 12398900 | - | - | - |
7) Sonstige | 16825253 | 15368536 | 3584082 | 3789825 |
Staatsverwaltung. | ||||
a) Finanzministerium | 2312097 | 1577181 | 46486366 | 48020734 |
b) Justizministerium | 50037399 | 48398000 | 83641960 | 86100300 |
c) Ministerium des Innern | 4679144 | 3931065 | 40828843 | 43565176 |
d) Kultus- und Unterrichtsministerium | 3067223 | 2556069 | 56455163 | 70184992 |
e) übrige Ministerien | 7520039 | 7395142 | 40373041 | 41206540 |
Zusammen: | 1304044438 | 1410728921 | 1269290280 | 1362123667 |
Bestand aus dem Vorjahr | 65158494 | - | - | - |
Einmalige und außerordentliche Ausgaben | - | - | 39662931 | 48605254 |
Außeretatmäßige extraordinäre Einnahmen und Ausgaben. | ||||
a) Für Eisenbahnzwecke | 63108534 | - | 62726655 | - |
b) Schwebende Schuld | 30000000 | - | 30000000 | - |
c) Für Verbesserung von Wasserstraßen etc. | 11581561 | - | 2469167 | - |
d) Für deutsche Ansiedelungen in Westpreußen und Posen | - | - | 9592197 | - |
Gesamtsumme: | 1473893027 | 1410728921 | 1404741230 | 1410728921 |
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Die Staatsschuld belief sich Ende März 1886 auf 4033,9 Mill. Mk., 1887 auf 4184,6 Mill. Mk., wovon 3875,1, bez. 3952,6 Mill. Mk., also fast der gesamte Betrag, auf die Staatseisenbahnkapitalschuld entfallen. Das sogen. Eisenbahngarantiegesetz vom welches die Verwendung der Überschüsse der Verwaltung der Eisenbahnangelegenheiten regelt, stellte die allgemeine Staatsschuld für auf 1,498,858,100 Mk. fest und nahm diese gesamte Summe als Staatseisenbahn-Kapitalschuld an. Dieselbe erhöht sich nun durch Erwerb und Bau neuer Bahnen etc. um die »außerordentlich« für Eisenbahnzwecke verausgabten Beträge und erfährt anderseits eine Tilgung oder Abschreibung mittels der jährlichen Nettoüberschüsse der Eisenbahnverwaltung.
Während die planmäßige Tilgung der ältern Eisenbahnschulden mit jährlich etwa 4 Mill. Mk. vorgenommen wird, belief sich der gesamte Nettoüberschuß, d. h. nach Abzug der Zinsen für die Eisenbahnschuld, nach dem Etat für 1882/83 auf 15,1 Mill. Mk., nach der Veranschlagung für 1888/89 dagegen auf 76,1 Mill. Mk. Als Zinsbetrag für die Gesamtsumme der Staatsschulden nimmt der Etat 1888/89: 176,1 Mill. Mk. (darunter 168,1 Mill. Mk. für die Eisenbahnschuld) an und für Tilgung 21,7 Mill. Mk.
B. Kommunalfinanzen. Der Gesamtbetrag der Gemeinde- und besondern Korporationsabgaben betrug (von den Gutsbezirken abgesehen) nach der letzten Aufnahme für 1883/84: 208,8 Mill. Mk., d. h. 8,3 Mk. pro Kopf der Bevölkerung (in Berlin 22,1 Mk., im Regierungsbezirk Schleswig 15,0, Köln 13,1, Düsseldorf 12,8; dagegen in den Regierungsbezirken Liegnitz 4,2, Köslin 4,4, Merseburg 4,8 und Oppeln 4,9 Mk.). In den Städten ist die Quote pro Kopf bedeutend höher als in den Landgemeinden (im Staatsdurchschnitt 12,4 gegen 5,8 Mk.), und zwar in allen Regierungsbezirken ausgenommen Schleswig.
Die Gemeindeabgaben allein machten 171,7 Mill. Mk. aus, wovon 115,4 Mill. Mk. auf die Zuschläge zu den direkten Staatssteuern entfielen. Als besondere Korporationsabgaben kamen auf: 13,8 Mill. Mk. Schulsteuern, 9,2 Mill. Mk. Kirchensteuern und 14,0 Mill. Mk. Kreis- und Provinzialsteuern. Obiger Gesamtbetrag der Kommunalabgaben ist gleichbedeutend mit 160 Proz. der direkten Staatssteuern (im Regierungsbezirk Arnsberg 283, in Merseburg 83 Proz.). In etwa 480 Stadtgemeinden übersteigen die Zuschläge zu den direkten Staatssteuern 200 Proz. der letztern.
Die durchschnittliche Belastung auf den Kopf der Bevölkerung mit direkten Staatssteuern, Gemeinde- und besondern Korporationsabgaben beträgt
in den Städten | Landgemeinden | |
---|---|---|
an direkten Staatssteuern | 7.9 Mk. | 3.5 Mk. |
an Gemeindeabgaben | 11.5 Mk. | 4.0 Mk. |
an besondern Korporationsabgaben | 0.9 Mk. | 1.8 Mk. |
überhaupt | 20.3 Mk. | 9.4 Mk. |
13.5 Mk. |
Die Einnahmen und Ausgaben der Provinzialverbände insbesondere belaufen sich im »Soll« für 1887/88 (ohne die Spezialverwaltungen) auf 52½ Mill. Mk. Der Hauptteil der Einnahmen (67 Proz.) fließt aus staatlichen Dotationen und nicht voll 20 Proz. aus besondern Umlagen.
Armee und Flotte sind an das Reich übergegangen (s. Deutschland, S. 843 ff.). Das Kontingent der königlich preußischen Armee umfaßt jetzt auf Grund verschiedener Verträge (Militärkonventionen) sämtliche Bundesstaaten mit Ausnahme von Sachsen, Württemberg und Bayern. Eine bedeutsame Stärkung der Wehrkraft des Landes und Reichs und wichtige Änderungen in der Wehrpflicht sind durch das Gesetz vom herbeigeführt.
Wappen, Farben, Orden.
Das Staatswappen (s. Tafel »Wappen«) ist ein dreifaches: Das kleine ist mit der Königskrone bedeckt und enthält in Silber einen schwarzen, goldbewehrten, gekrönten Adler mit roter Zunge, goldenen Kleestengeln auf den Flügeln und dem Namenszug des Königs auf der Brust, mit dem Zepter in der Rechten und dem Reichsapfel in der Linken. Das mittlere Wappen hat vier Mittelschilde (Wappen von Preußen, Brandenburg, Nürnberg und Hohenzollern) und zehn Felder (Embleme der Provinzen); es ist ebenfalls mit der Königskrone bedeckt und wird von zwei wilden, mit Herkuleskeulen bewaffneten Männern gehalten und von Kette und Kreuz des Schwarzen Adlerordens umgeben.
Das große Wappen enthält ebenfalls die erwähnten 4 Mittelschilde und 48 Felder mit den Zeichen der Provinzen, Landesteile und beanspruchten Länder. Es ist von einem gekrönten Helm bedeckt, vom Schwarzen und Roten Adlerorden umgeben, wird von zwei wilden, Fahnen tragenden Männern gestützt und steht auf einem blauen, goldeingefaßten Postament mit dem Wahlspruch: »Gott mit uns!« Das Ganze ist von einem purpurnen, mit Adlern und Königskronen bestickten Wappenzelt umgeben, dessen Gipfel die Königskrone und das Reichspanier decken.
Die Landesfarben sind Schwarz und Weiß. Die königliche Residenz ist Berlin, zweite Residenz Potsdam. Königliche Schlösser sind zu Königsberg, Breslau, Hannover, Kassel, Wiesbaden;
königliche Lustschlössern Monbijou, Bellevue, Charlottenburg, Sanssouci, Friedrichskron, Charlottenhof, das Marmorpalais u. a. -
Ritterorden (s. Tafel »Orden«) sind neun: der Orden vom Schwarzen Adler, gestiftet der höchste preußische Orden;
der Orden pour le mérite, gestiftet 1740, erweitert mit einer gestifteten Friedensklasse für Wissenschaft und Künste;
der Rote Adlerorden, 1705 in Baireuth gestiftet, durch Bestätigungsurkunde zum zweiten Ritterorden des königlichen Hauses erhoben, 1810, 1811, 1830, 1832, 1848, 1864 und 1865 erweitert;
der königliche Kronenorden, gestiftet
die königliche Hausorden von Hohenzollern, in die Reihe der königlich preußischen Orden übergegangen, neue Statuten vom
die Ballei Brandenburg des ritterliche Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem, errichtet reorganisiert
der Luisenorden, gestiftet erneuert erweitert
der Orden des Eisernen Kreuzes, gestiftet erneuert
das Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen, errichtet Ehrenzeichen sind: das allgemeine Ehrenzeichen, die Rettungsmedaille am Band und verschiedene Militärehrenzeichen und Kriegsdenkmünzen.
Oberhaupt aller Orden, mit Ausnahme der für Damen bestimmten, deren Vorsteherin die Königin ist, und aller Ehrenzeichen ist der König.
Geographisch-statistische Litteratur.
Für die meisten Gebiete des preußischen Staats- und Wirtschaftslebens kommen hauptsächlich die Veröffentlichungen des königlichen Statistischen Büreaus in Frage, insbesondere: »Statistisches Handbuch für den preußischen Staat« (Bd. 1, Berl. 1888) und dessen Vorgänger: »Jahrbuch für die amtliche Statistik des preußischen Staats« (5 Bde., 1861-83),
die »Preußische Statistik«, amtliches Quellenwerk (das., seit
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1859, bis jetzt 101 Hefte). »Gemeinde-Lexikon auf Grund der Volkszählung vom 1. Dez. 1885« (das. 1887 und 1888, in einzelnen Provinzialheften mit Registerband) und die »Zeitschrift des königlich preußischen Statistischen Büreaus« (seit 1861). Aus der übrigen Litteratur vgl. Schubert, Handbuch der allgemeinen Staatskunde des preußischen Staats (Königsb. 1846-48, 2 Bde.);
Töppen, Historisch-komparative Geographie von Preußen (Gotha 1858);
Dieterici, Handbuch der Statistik des preußischen Staats (Berl. 1858-61);
Ungewitter, Die preußische Monarchie (das. 1859);
Keller, Der preußische Staat (Minden 1864-66);
Neumann, Geographie des preußischen Staats (Ebersw. 1869; 2. Bearbeitung u. d. T.: »Das Deutsche Reich«, Berl. 1872-1874, 2 Bde.);
Derselbe, Geographisches Lexikon des Deutschen Reichs (Leipz. 1883);
Kraatz, Topographisch-statistisches Handbuch des preußischen Staats (3. Aufl., Berl. 1880);
Müller-Köpen, Die Höhenbestimmungen der königlich preußischen Landesaufnahme (einzelne Provinzhefte, das. 1880 ff.);
das amtliche preußische, jetzt »Deutsche Handelsarchiv« (das., Monatshefte);
Herrfurth u. v. Tzschoppe, Beiträge zur Finanzstatistik der Gemeinden in Preußen 1883-84 (das. 1884);
v. Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie (4. Aufl., Leipz. 1881-84, 4 Bde.);
H. Schulze, Das preußische Staatsrecht (2. Aufl., das. 1888, 2 Bde.; eine kürzere Darstellung in Marquardsens »Handbuch des öffentlichen Rechts«, Freiburg 1884);
Graf Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen und im Deutschen Reich (6. Aufl., Berl. 1888);
Bornhak, Preußische Staatsrecht (Freiburg 1888 ff., 2 Bde.);
Wiese, Das höhere Schulwesen in Preußen (Berl. 1864-74, 3 Bde.).;
Schneider u. v. Bremen, Das Volksschulwesen im preußischen Staat (das. 1886 ff.);
Petersilie, Die öffentlichen Volksschulen in Preußen und ihre Kosten (das. 1882);
Hinschius, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche in Preußen (das. 1874);
Derselbe, Die preußischen Kirchengesetze 1873-87 (das. 1874-87, 4 Bde.);
Meitzen, Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staats (das. 1868 bis 1873, 4 Bde.);
»Die Ergebnisse der Grund- und Gebäudesteuerveranlagung«, für jeden Regierungsbezirk (das. 1866-70, 25 Bde.).
Von Karten des preußischen Staats kommen zunächst die vom Generalstab herausgegebenen Kartenwerke, besonders die »Topograph. Karte des preuß. Staats«, jetzt »Karte des Deutschen Reichs«, 1:100,000 (Ausführliches darüber s. Landesaufnahme), und die betreffenden Blätter aus Reymanns (1:200,000, vom preuß. Generalstab fortgeführt) und Liebenows (1:300,000) Spezialkarte von Mitteleuropa in Betracht. Andre Karten (abgesehen von den größern Karten des Deutschen Reichs, wie von Ravenstein, 12 Blätter, 1:850,000, neue Ausg., Leipz. 1884; Berghaus, 25 Blätter, 1:740,000, Gotha 1876) sind: von Engelhardt (Berl. 1843, 23 Blätter; Generalkarte, das. 1866);
Handtke (2. Aufl., Glog. 1853, 36 Blätter);
der »Atlas des preußischen Staats« in 26 Karten (3. Aufl., Erfurt 1859);
»Karte vom preußischen Staat, mit besonderer Berücksichtigung der Kommunikationen«, 12 Blätter, 1:600,000 (6. Aufl., Berl. 1876);
die vom Generalpostamt herausgegebene »Post- und Eisenbahnkarte des Deutschen Reichs« (das. 1887, 20 Blätter);
»Übersichtskarte von den Waldungen Preußens« (amtlich, das. 1887, 8 Blätter);
Böckh, Sprachkarte vom preuß. Staat (das. 1864, 2 Blätter).
Vgl. auch unsre Karten bei den Spezialartikeln über die einzelnen Provinzen.
Geschichte des preußischen Staats.
(Hierzu die »Karte zur Geschichte Preußens«, mit Textblatt.)
Der Name Preußen ging von dem Herzogtum Preußen, dem jetzigen Ostpreußen (s. d., Geschichte), als dasselbe zum Königreich erhoben wurde, auf den gesamten Staat der bisherigen Kurfürsten von Brandenburg über, der erst 1806 bei der Auflösung des Deutschen Reichs von dem Lehnsverhältnis zum Kaiser befreit wurde. Streng genommen dürfte man von einem unabhängigen Königreich Preußen daher erst seit 1806 reden. Thatsächlich jedoch beginnt die politische Bedeutung des Kurfürstentums Brandenburg (s. d., Geschichte) und damit die Geschichte des Staats mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms des Großen Kurfürsten (1640), welche zusammenfällt mit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und der Auflösung des Deutschen Reichs in einzelne unabhängige Territorien.
Nächst Österreich war der Besitz der brandenburgischen Hohenzollern in Deutschland an Flächeninhalt der größte. Er umfaßte außer Brandenburg Ostpreußen, Kleve, Mark und Ravensberg, wozu im Westfälischen Frieden noch Hinterpommern mit Kammin, Magdeburg, Halberstadt und Minden kamen (im ganzen 110,000 qkm mit 1 ½ Mill. Einw.), und war über ganz Norddeutschland verteilt. Gab dies den Antrieb, immer mehr nach Machterweiterung zu streben, so hatte es auch den Nachteil, daß die Sicherung der Grenzen gegen äußere Gefahren sowie die Bildung eines einheitlichen Staatswesens durch die Zersplitterung, die weiten Entfernungen, die verschiedenartigen widerstrebenden Interessen der einzelnen Landesteile sehr erschwert wurden.
Überdies waren die größten Territorien im Vergleich zu andern deutschen Ländern wenig bevölkert. Wenn es dennoch gelang, aus diesem Konglomerat von Ländern einen einheitlichen, vorzüglich organisierten und auch zu verhältnismäßiger materieller Blüte sich entwickelten Staat zu schaffen und ihn trotz der ausgesprochenen Mißgunst aller Nachbarn und der offenen Angriffe neidischer Feinde nicht nur zu erhalten, sondern ihn auch zu vergrößern und so wehrhaft zu machen, daß er auf eignen Füßen zu stehen vermochte, so war dies dem klaren, staatsmännischen Blick, der unermüdlichen Thätigkeit und der konsequenten Politik der hohenzollerischen Regenten zu danken.
Zugleich bildete sich unter der Leitung der Hohenzollern nicht nur bei Offizieren und Beamten, sondern auch bei der Bevölkerung ein Staatsbewußtsein und ein Patriotismus heraus, welche seit den Greueln des Dreißigjährigen Kriegs im übrigen Deutschland fehlten, aber, wie schon früh deutsche Patrioten erkannten, Preußen gerade befähigten, an die Spitze Deutschlands zu treten. Darin liegt die höhere Bedeutung der Geschichte Preußens, daß sie darlegt, wie durch die Entwickelung dieses von den Hohenzollern geschaffenen u. geleiteten Staatswesens die politische Wiedergeburt des deutschen Volkes und die Wiederherstellung seiner Einheit und Macht nicht ohne Rückschläge und Verirrungen, doch im ganzen stetig fortschreitend erfolgt ist.
Die Regierung des Großen Kurfürsten 1640-88.
Als der Kurfürst Friedrich Wilhelm nach dem Tod seines schwachen Vaters Georg Wilhelm die Regierung seiner Erblande antrat, befanden sich diese in der kläglichsten Verfassung. Die westlichen Lande waren ganz in fremdem Besitz, die Mark teils von den Schweden, teils von ganz unzuverlässigen eignen Truppen besetzt und auf das furchtbarste verwüstet, Preußens Besitz nicht gesichert, weil die von engherzigem Luthertum und Partikularismus
Brandenburg beim Tode des Grossen Kurfürsten 1688.
Besitz Friedrichs I. 1440
Erwerbungen bis 1688
Österreichische Lande
Deutsche Reichsgrenze
Brandenburg unter den Ascaniern.
Nordmark 1134
Erwerbungen bis 1320
Preußen im Jahre 1806.
Brandenburg beim Tode des Grossen Kurfürsten 1688.
Von 1688 bis 1806 erworbene Lande.
Wieder verloren gegangene Lde.
Österreichisches Gebiet.
Preußen nach dem Wiener Kongreß 1815.
Preußen nach dem Tilsiter Frieden 1807.
Infolge der Befreiungskriege wiedererworbene u. neuerworbene Gebiete.
Nicht wiedererlangter Besitz v. 1806.
Österreichisches Gebiet.
Deutsche Reichsgrenze.
Preußen seit dem Jahre 1866.
Preußen nach dem Wiener Kongreß 1815.
Erwerbungen von 1815 bis 1866
Verluste (Fst. Neuenburg)
Österreichisches Gebiet.
Norddeutsche Bundesgrenze 1866-1871
Zum Artikel »Preußen«.
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verblendeten Stände in Polen gegen die Belohnung des neuen Kurfürsten agitierten. Mit Klugheit und Zähigkeit überwand der junge Fürst alle Schwierigkeiten, erlangte die polnische Belohnung für Ostpreußen, machte sich in der Mark durch Errichtung eines kleinen, aber tüchtigen, zuverlässigen Heers und einen Waffenstillstand mit Schweden wieder zum Herrn und sicherte sich durch die Vermählung mit einer oranischen Prinzessin und ein Bündnis mit den Generalstaaten seine westlichen Lande. Im Westfälischen Frieden erwarb er für Vorpommern, das er den Schweden lassen mußte, wichtige Gebiete im mittlern Deutschland.
Sein Streben war fortan darauf gerichtet, die Wunden des furchtbaren großen Kriegs zu heilen, den religiösen Hader durch die Duldung aller Glaubensmeinungen und die Aufrechthaltung des Friedens unter ihnen zu beseitigen und die Grundlagen eines einheitlichen Staatsorganismus zu schaffen. Obwohl es dem damaligen Bürger- und Bauernstand an Kapital, Kenntnissen und Unternehmungsgeist so sehr mangelte, daß manche Bestrebungen des Kurfürsten scheiterten, wurde doch der Ackerbau wieder belebt, Handel und Gewerbe, die völlig daniederlagen, durch Einrichtung der Post, durch den Bau von Kanälen sowie durch die Aufnahme der französischen Protestanten gefördert; ja selbst überseeische Kolonien gründete der Kurfürst.
Der Widerstand der von engherzigem Sondergeist beseelten Stände, unter denen die preußischen sich besonders hartnäckig und heftig den Plänen des Landesherrn widersetzten, wurde nicht ohne Anwendung von Gewalt gebrochen und in dem Geheimen Rat, in dem die obersten Beamten der einzelnen Landesteile vereinigt waren, eine einheitliche Landesbehörde geschaffen, deren Mitglieder die Absichten des Kurfürsten teilten und förderten. Hier bildete sich der erste Kern des preußischen Beamtentums, dem die Hohenzollern die Idee des preußischen Staatswesens einflößten, und das der ebenso intelligenz wie hingebende und uneigennützige Träger desselben lange gewesen ist.
Vor allem galt es, bei der damaligen Lage Deutschlands die äußere Wehrhaftigkeit des jungen Staats zu begründen. Der Kurfürst, selbst ein tüchtiger Soldat, schuf sich schnell ein vortreffliches Heer, dessen Führer sich durch kriegerische Tüchtigkeit und ritterliche Anhänglichkeit an den Kriegsherrn auszeichneten. Allerdings verschlang es bei der Kostspieligkeit der Truppen in jener Zeit bedeutende Summen, und der Kurfürst konnte zur Unterhaltung desselben auf Kriegsfuß die Hilfsgelder reicherer Bundesgenossen nicht entbehren, wodurch die Unabhängigkeit seiner Politik oft beeinträchtigt wurde.
Doch leistete es ihm auch wichtige Dienste. Im schwedisch-polnischen Krieg (1655-60), in welchem es sich in der Schlacht bei Warschau auszeichnete, erwarb er die Souveränität Preußens (1657), die ihn von dem Lehnsverband mit Polen befreite. Das im ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich (1672-79) durch die Schlacht bei Fehrbellin und die folgenden glücklichen Feldzüge den Schweden entrissene Vorpommern mußte er freilich im Frieden von St.-Germain wieder zurückgeben.
Allein bei der damaligen Ohnmacht Deutschlands mußte die Behauptung des Besitzstandes gegen die übermächtigen, habgierigen Nachbarn schon als ein Gewinn betrachtet werden, und jedenfalls war nun der Kurfürst von Brandenburg neben dem Kaiser der mächtigste und einflußreichste Fürst in Deutschland. Sachsen und das Haus Braunschweig-Lüneburg waren von Brandenburg überholt, welches den Schutz Norddeutschland gegen das Ausland auf sich nahm und sich als Hort religiöser Freiheit bewährte.
Der erste König 1688-1713.
Friedrich Wilhelms Sohn, Kurfürst Friedrich III., von den besten Absichten für Erfüllung seiner Pflichten als Fürst beseelt, aber eitel, kurzsichtig und zu Pracht und Verschwendung geneigt, ließ sich über die wirkliche Kraft des jungen Staatswesens durch die hohe Stellung verblenden, welche die bedeutende Persönlichkeit seines Vaters ihm verschafft hatte, und gefährdete durch seine äußerlich glänzende Regierung im höchsten Grade das von demselben begonnene Werk. Er glaubte den Wohlstand des Volkes schon hinreichend gemehrt, die Organisation der Staatsbehörden genug befestigt, um die innere Entwickelung ruhig ihren Gang gehen lassen und sich ganz den allgemeinen europäischen Dingen, der Erlangung einer der Bedeutung Brandenburgs entsprechenden äußern Würde und der Pflege höherer wissenschaftlicher und künstlerischer Interessen widmen zu können. An dem zweiten Koalitionskrieg gegen Frankreich (1689-1697) nahm er anfangs persönlich teil und ließ dann einen großen Teil seiner Truppen bei der verbündeten Armee bis zum Frieden von Ryswyk (1697), bei dem er nicht die geringste Entschädigung gewann, ja nicht einmal zu den Verhandlungen zugezogen wurde.
Auch in Ungarn kämpften brandenburgische Truppen gegen die Türken. Diese Opfer brachte er bereitwillig, um seinem Staat und seinem Haus einen höhern Rang zu verschaffen durch die Erhebung des souveränen Herzogtums Preußen zum Königreich. Die dazu erforderliche Zustimmung des Kaisers, welche er durch den Kronvertrag vom erlangte, erkaufte er mit der Verpflichtung, das Erbfolgerecht des österreichischen Hauses auf Spanien durch Stellung eines Hilfskorps zu unterstützen.
Der Preis war ein teurer, denn elf Jahre lang kämpften die preußischen Truppen auf den Schlachtfeldern Belgiens, Süddeutschlands und zwar in viel größerer Stärke, als bedungen war, und ohne Subsidien zu empfangen, während ihm die für seine Interessen viel wichtigere Beteiligung am Nordischen Krieg hierdurch unmöglich gemacht wurde. Immerhin war die Annahme des preußischen Königstitels (als König hieß der Kurfürst fortan Friedrich I.), welche in Königsberg stattfand und im Utrechter Frieden 1713 von den europäischen Mächten anerkannt wurde, ein Fortschritt in der Entwickelung des preußischen Staats; sie gab den Angehörigen desselben einen gemeinschaftlichen Namen, den Leitern den Antrieb, die wirkliche Macht mit dem hohen Rang in Übereinstimmung zu bringen.
Die Gründung der Universität Halle (1694), der Akademie der Künste (1699) und der der Wissenschaften (1700) in Berlin, die prachtvollen Schlüterschen Bauten daselbst zeigten, daß der neue Staat auch die geistigen und künstlerischen Interessen pflegen wolle. Aber die Aufopferung Friedrichs für die gemeinschaftliche Sache Europas und sein Streben, den neuen Königshof zu einem Sitz künstlerischer Pracht zu erheben, drohten die Finanzen völlig zu zerrütten; der vom Großen Kurfürsten gesammelte Staatsschatz war längst aufgezehrt, und selbst neue, drückende Steuern, der Verkauf von Domänen, die Vernichtung kostbarer Wälder vermochten die Kosten des Hofs und Heers nicht zu decken. Noch schlimmer war, daß Friedrich, gutmütig und schwach, völlig in die Hände fremder Abenteurer geriet, welche sich an dem Gut und Blut der hart bedrückten Unterthanen schamlos bereicherten, wie der berüchtigt Kolb von Wartenberg, und der
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Hof ein Schauplatz schmählicher Ränke und nichtsnutziger Günstlingsherrschaft wurde, während man die alten Geheimräte des Großen Kurfürsten, welche in dessen Sinn die Regierung sparsam und umsichtig fortführen wollten, zurücksetzte oder, wie den verdienten Danckelmann, mit dem schnödesten Undank belohnte. Eine nicht unwichtige Erwerbung an neuem Ländergebiet machte zwar auch der erste König: er kaufte von Sachsen die Erbvogtei über das Reichsstift Quedlinburg und die Reichsstadt Nordhausen sowie das Amt Petersberg und später die Grafschaft Tecklenburg, und aus der Erbschaft Wilhelms III. von Oranien fielen ihm 1702 Lingen, Mörs und Neuenburg zu. Dagegen wurden 1709-11 Preußen und Pommern von einer furchtbaren Pest heimgesucht, welche ein Drittel der Bevölkerung hinwegraffte. Obwohl das Volk den gutmütigen Fürsten, als er starb, betrauerte, war sein Tod doch die Befreiung aus einer Lage, in welcher der Staat hätte untergehen müssen.
Die Reorganisation des Staats unter Friedrich Wilhelm I. 1713-40.
Der Umschwung, den sein Sohn und Nachfolger, König Friedrich Wilhelm I. (1713-40), herbeiführte, war schroff und gewaltsam, aber für die Erhaltung des Staats notwendig und in seinen Folgen segensreich, wenn auch die Mitwelt fast nur die Härten des neuen Systems zu spüren bekam. Ohne feinere Bildung und rauh, wie der König war, lag ihm die Versuchung fern, die geringen Geldmittel des Staats für künstlerische u. wissenschaftliche Zwecke zu verwenden, welche über die unmittelbar Notwendigkeit hinausgingen; sein Mangel an Ehrgeiz sicherte ihn davor, die Kräfte desselben in zweifelhaften kriegerischen Unternehmungen zu vergeuden.
Der Utrechter Friede, welchem er nicht lange nach seiner Thronbesteigung beitrat befreite ihn von der Pflicht der weitern Teilnahme am spanischen Erbfolgekrieg und verschaffte ihm noch als Ersatz für Orange den Besitz von Obergeldern; nur der Zwang der Umstände veranlaßte ihn noch, am Nordischen Krieg teilzunehmen, indem er Vorpommern erst zur Sicherung desselben gegen Rußland besetzte, dann aber seine Ansprüche auf Entschädigung gegen den halsstarrigen Karl XII. von Schweden verteidigen mußte, und nachdem er 1715 Stralsund und Rügen erobert, behielt er 1720 im Frieden von Stockholm gegen Zahlung von 2 Mill. Thlr. Vorpommern bis zur Peene mit den Odermündungen (5000 qkm). Seitdem nahm der König an keinem Krieg mehr teil; nur im polnischen Erbfolgekrieg (1733-35) schickte er ein Hilfskorps von 10,000 Mann an den Rhein zur kaiserlichen Armee. Je mehr Mühe und Opfer ihn die Reorganisation des Staats kostete, desto mehr schrak er davor zurück, den Bestand desselben durch Kriege zu gefährden.
Nachdem Friedrich Wilhelm mit einem Federstrich den ganzen Flittertand des prunksüchtigen Hofs seines Vaters abgeschafft, in seiner Familie strengste Einfachheit und Sparsamkeit zum Gesetz gemacht und sich selbst für den Kriegs- und Finanzminister Preußens erklärt hatte, widmete er sich mit der rücksichtslosen Energie und der unermüdlichen Arbeitskraft, die ihm eigen waren, der Reorganisation des Staats. Er erkannte sehr richtig, daß eine selbständige Politik neben den übrigen weit mächtigern und mit natürlichen Hilfsmitteln weit reicher ausgestatteten europäischen Staaten für das emporstrebende Preußen nur möglich sei, wenn es eine starke, vortreffliche und aus den eignen Einkünften bezahlte, nicht von fremden Hilfsgeldern abhängige Armee habe.
Diese zu bilden, war daher vor allem seine Absicht. Den Sold, die Uniform, die Verpflegung, knapp, aber pünktlich, erhielten Soldaten und Offiziere fortan aus der königlichen Kasse, nicht, wie früher, vom Obersten, welcher das Regiment geworben. Die Rekruten wurden zur Hälfte aus den Landeskindern ausgehoben, zur Hälfte angeworben; zur Regelung der Aushebung führte der König 1733 das Kantonsystem ein, nach welchem das Land in Bezirke eingeteilt wurde, welche den einzelnen Regimentern zur Rekrutierung zugewiesen waren.
Hierdurch wurde eine beträchtliche Vermehrung des Heers möglich, welches 1720 bereits 50,000 Mann, 1740: 83,000 Mann, darunter 18,000 Mann Reiterei, zählte. Die Kriegszucht war furchtbar streng, der Dienst höchst mühsam; durch unermüdliches Drillen wurde es aber erreicht, daß die Ausbildung des preußischen Fußvolkes in allen Bewegungen, die im Gleichschritt stattfanden, und im Schießen, das durch den eisernen Ladestock wesentlich erleichtert wurde, eine außerordentliche und damals unerhörte war.
Für die Opfer und Entbehrungen, welche der anstrengende Dienst bei kärglicher Bezahlung den Offizieren, namentlich den niedern Chargen, auferlegte, entschädigte er sie dadurch, daß er ihren Stand zum ersten im Staat machte, in den mit der Zeit nur der Adel Aufnahme fand, und dem er selbst und sämtliche Prinzen anzugehören sich zur Ehre rechneten. Der König flößte den preußischen Offizieren hierdurch Korpsgeist und lebhaftes Gefühl für ihre Standesehre ein, welche der Gesamtheit einen festen Halt gaben, den Einzelnen stützten und zur Bewahrung ritterliche Tugenden anfeuerten.
Obwohl bei der Heeresverwaltung, mit Ausnahme des »Leibregiments der langen Kerle«, für das der König große Summen verschwendete, die höchste Sparsamkeit beobachtet wurde, so erforderte sie doch immer größere Einkünfte, und diese zu beschaffen und zu vermehren, war des Königs zweite Sorge. Vor allem war für eine geregelte Finanzwirtschaft die Aufstellung und Einhaltung eines jährlichen Staatshaushalts notwendig, welche jedoch bei der bisherigen Verwaltungsorganisation, wonach die Regierungen der einzelnen Länder nur ihre Überschüsse von alljährlich wechselnder und daher unberechenbarer Höhe an die allgemeine Staatskasse ablieferten, nicht möglich war.
Der König setzte daher 1723 das »Generaloberfinanz-, Kriegs- und Domänendirektorium«, gewöhnlich das »Generaldirektorium« genannt, ein, welchem er selbst präsidierte, und dessen Instruktion er selbst ausarbeitete. Dieses mußte alle öffentlichen Einkünfte einnehmen und nach der berechneten Einnahme die Aufstellung sämtlicher Staatsausgaben so einrichten, daß stets ein Überschuß blieb. Nie duldete der König eine Abweichung von diesem Voranschlag.
Durch Vereinfachung der Abgaben suchte er die Kosten ihrer Erhebung zu vermindern und so zugleich die Lasten der Unterthanen zu erleichtern. Die Erträge der Accisen und Zölle wurden durch strenge Kontrolle erheblich gesteigert, ebenso die Domäneneinkünfte. Privilegien und Sonderrechte beachtete er nicht. Die jährlichen Einnahmen beliefen sich infolgedessen zuletzt auf 7½ Mill. Thlr., u. er hinterließ trotz der großen Kosten des Heers seinem Nachfolger einen baren Schatz von 9 Mill.
Durch zweckmäßige Maßregeln bemühte sich der König, den Wohlstand des Landes zu vermehren, um seine Steuerfähigkeit zu erhöhen. Am segensreichsten waren seine Bestrebungen für den Ackerbau. In der Bewirtschaftung der Domänen ging er mit gutem Beispiel voran, indem er Sümpfe entwässerte, neue Kulturen einführte, die alten höher entwickelte. Unermüdlich
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drang er darauf, daß verödete Hofstellen wieder mit Bauern besetzt, Dörfer und Städte neu aufgebaut wurden. In Ostpreußen wo 1721: 60,000 Hufen wüst lagen, beförderte er die Einwanderung fremder Kolonisten mit großen Opfern (die Ansiedelung der 18,000 Salzburger in Litauen 1732 kostete über 5 Mill. Thlr.) und hatte die Genugthuung, daß hier 12 Städte, 332 Dörfer und 49 Domänengüter teils wiederhergestellt, teils neu angelegt wurden. Weniger Erfolg hatte für Handel und Gewerbe sein Merkantilsystem; nur die Wollmanufaktur wurde durch seine Zwangsmaßregeln begründet.
Zwar war der König durchaus Selbstherrscher, kümmerte sich um das Geringste und behielt sich in allem die Entscheidung vor. Gleichwohl wußte er den Wert eines arbeitsamen, redlichen, pflichttreuen und unterrichteten Beamtentums wohl zu würdigen. Die damals allgemein übliche Anschauung, daß ein Amt eine berechtigte Gelegenheit sei, sich selbst zu bereichern, rottete er durch mitunter grausame Strafen aus und kannte bei der Ahndung der geringsten Pflichtversäumnis keine Person, keinen Rang; eifrige, unterrichtete Beamte wurden dagegen rasch befördert.
Wie auf eine gewissenhafte Verwaltung, so sah er auf eine rasche und gerechte Justiz. Auf diese Weise gelang es ihm, unter den schwierigsten Verhältnissen ein Staatswesen zu begründen, welches, von einem energischen und intelligenten Willen einheitlich geleitet, mittels einer gut organisierten Verwaltungsmaschine die Kräfte des Landes hob und zugleich durch die Aufstellung eines großen und tüchtigen Heers für die Machtentwickelung des Staats im höchsten Grad nutzbar machte. Das Beamtentum und das Heer waren die Säulen, auf denen das schmucklose, rauhe, aber praktische und dauerhafte Gebäude des preußischen Staats ruhte.
Preußens Machtentwickelung unter Friedrich d. Gr.
Friedrich Wilhelm I. machte von den durch ihn geschaffenen Machtmitteln für die äußere Stellung Preußens keinen Gebrauch. Da er ohne Kenntnis der auswärtigen Verhältnisse und von Vorurteilen, namentlich einem ingrimmigen Haß gegen die Franzosen und einem lebhaften Gefühl seiner Lehnspflicht gegen den Kaiser, beherrscht war, bewegte sich unter dem Einfluß seiner von Österreich bestochenen Umgebung seine äußere Politik durchaus im Kielwasser des Wiener Hofs, der das gutmütige Vertrauen des Königs mit rücksichtsloser Selbstsucht ausbeutete. Preußen vernichtete sich in den Verträgen von Wusterhausen und von Berlin zur Garantie der Pragmatischen Sanktion und unterstützte im polnischen Erbfolgekrieg gegen sein Interesse den österreichischen Kandidaten August von Sachsen.
Österreich lohnte ihm damit, daß es die jülisch-bergische Erbschaft, die Preußen zukam und versprochen war, 1738 der Linie Pfalz-Sulzbach zusicherte. Jedoch hatte gerade dadurch König Friedrich II., der nach König Friedrich Wilhelms Tod den Thron bestieg, vollkommen freie Hand erhalten, und er war der Herrscher, welcher das Schwert, das sein Vater geschliffen, zum Ruhm und zum Vorteil seines Staats zu schwingen vermochte. Daß die Grundsätze der innern Verwaltung seines Vorgängers für Preußen die richtigen und erfolgreichsten waren, hatte Friedrich eingesehen und behielt sie daher bei, indem er nur die Pflege der geistigen Interessen nicht versäumte, der religiösen Aufklärung und der Geistesfreiheit Bahn brach und die Prinzipien derselben auch dem Beamtentum einpflanzte.
Auch er betrachtete sich als den obersten Verwaltungsbeamten oder Diener des Staats, fühlte sich für alles verantwortlich und behielt sich in allem die Entscheidung vor. Aber er wollte Preußen auch zu einer den Nachbarstaaten ebenbürtigen Macht erheben, es zu einem wirklichen Königreich machen, was es mit 118,000 qkm und 2½ Mill. Einw. nicht sein konnte. Er war daher entschlossen, alle seine Rechte und Ansprüche auf Gebietsvergrößerung voll zu wahren und von den Zeitumständen den Nutzen für sich zu ziehen, den er erlangen konnte.
Berg wollte er sich keinesfalls entreißen lassen und traf alle Vorkehrungen, sich seinen Besitz zu sichern, als der Tod des letzten Habsburgers, Karls VI. seine Blicke auf Schlesien lenkte, auf das sein Haus ein (freilich zweifelhaftes) altes Recht hatte. Um die Erbschaft der deutschen Habsburger mußte ein allgemeiner europäischer Krieg entbrennen; Friedrich beschloß, seine Militärmacht, die er auf 100,000 Mann erhöhte, zur teilweisen oder gänzlichen Erwerbung Schlesiens zu verwerten.
Nachdem seine Anerbietungen, gegen die Abtretung eines Teils von Schlesien die Thronfolge Maria Theresias zu verteidigen, schroff und höhnisch abgewiesen worden, sah er sich gezwungen, zum Schwert zu greifen. Der erste Schlesische Krieg (1740-42, s. Schlesische Kriege 1) zeigte der erstaunten Welt nicht bloß die Kriegstüchtigkeit der bisher oft verspotteten preußischen Armee, sondern verschaffte Preußen durch die Siege bei Mollwitz und Chotusitz in kurzer Zeit den Besitz von Schlesien und Glatz (im Berliner Frieden Aber bereits 1744 war er genötigt, um diese Erwerbung gegen die wieder erstarkende Macht Österreichs zu sichern, den zweiten Schlesischen Krieg (1744-45, s. Schlesische Kriege 2) zu beginnen, in welchem er anfangs in nicht geringe Bedrängnis geriet, aus der ihn aber der überaus glückliche Feldzug von 1745 mit den Siegen zu Hohenfriedeberg (4. Juni), Soor (30. Sept.) u. Kesselsdorf (15. Dez.) befreite. Im Frieden von Dresden begnügte er sich mit der Behauptung von Schlesien.
Das kühne Auftreten und das Glück des Emporkömmlings, wofür die alten Mächte Friedrich hielten, erregten deren Neid und den Gedanken einer gemeinsamen Aktion, um ihn zu unterdrücken. Der König begann den Siebenjährigen Krieg (s. d.), um die gefürchtete europäische Koalition durch rasche Niederwerfung des Hauptfeindes Österreich im Keim zu ersticken; indem ihm dies aber weder 1756 noch Anfang 1757 gelang, bewirkte er gerade das Zustandekommen des großen, zu seiner Vernichtung gestifteten Bundes, gegen den er sich in langem verzweiflungsvollen Ringen nur eben behauptete. Preußen erhielt für die ungeheuern Opfer an Geld und Menschen, die er in diesem Kriege gebracht, im Hubertusburger Frieden nicht die geringste Entschädigung, der Gewinn langer Friedensarbeit war wieder zerstört, und nur der Gebietsstand des Staats und der Kriegsruhm waren geblieben.
Indessen hatten die Kriege Friedrichs II. in andrer Hinsicht hohe Bedeutung. Nicht bloß die Offiziere und Soldaten waren stolz darauf, an dem Ruhm dieser Kriege einigen Anteil zu haben, auch die übrigen Bewohner Preußens rühmten sich, Unterthanen eines Königs und Glieder eines Volkes zu sein, die sich gegen fast ganz Europa mit Erfolg verteidigt hatten. Ja, das ganze deutsche Volk nahm an diesem nationalen Aufschwung teil. Durch die Thaten seines Großen Königs und seines tapfern Heers wurde Preußen zu einer europäischen Großmacht erhoben.
Die Verschärfung des Gegensatzes zu Österreich beengte allerdings die Aktionsfreiheit beider
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deutschen Großmächte und zwang Preußen, um einen neuen Krieg zu vermeiden, sich an Rußland anzulehnen. Vorübergehend bewirkte die polnische Frage eine Annäherung zwischen Preußen und Österreich, um die Eroberungsgier der russischen Kaiserin in Polen und der Türkei zu beschränken. Durch die erste polnische Teilung (1772) erwarb Preußen das 1466 von den Polen dem deutschen Ordensstaat entrissene Westpreußen zurück, welches Ostpreußen mit dem Hauptland in Verbindung setzte, sowie den Netzedistrikt (35,500 qkm mit 900,000 Einw.). Schon der bayrische Erbfolgekrieg (1778-79, s. d.) brachte aber die Nebenbuhlerschaft Preußens und Österreichs in Deutschland zum offenen Ausbruch, und indem sich Friedrich II. 1785 an die Spitze des deutschen Fürstenbundes stellte, um die Eroberungs- und Machterweiterungsgelüste Josephs II. im Reich zu vereiteln, zeichnete er der Politik seines Staats den Weg vor, auf dem derselbe zur Führerschaft des deutschen Volkes vorschreiten konnte.
Der ungeheure Fortschritt Preußens in der Entwickelung seiner äußern Macht infolge seiner zielbewußten Politik seit 1740 war offenbar: damals ein deutscher Territorialstaat, welcher den Druck des kaiserlichen Hofs empfindlich fühlte, ohne sich ihm entziehen zu können, war Preußen jetzt eine europäische Großmacht von fast 200,000 qkm und beinahe 6 Mill. Einw. mit einem Heer von 200,000 Mann, welches als das beste der Welt galt, einem jährlichen Einkommen von 22 Mill. Thlr. u. einem Staatsschatz von 55 Mill. Thlr., allgemein gefürchtet und gesucht und mehr und mehr seiner höhern Aufgabe bewußt, an die Spitze Deutschlands zu treten und ihm als Kern seiner politischen Neugestaltung zu dienen.
Auch im Innern erzielte die 46jährige Regierung des großen Königs trotz des Schadens, den der Siebenjährige Krieg angerichtet hatte, erhebliche Fortschritte. Unermüdlich war er darauf bedacht, den Landbau und die Viehzucht zu heben durch Verbreitung nützlicher Kulturgewächse, Anpflanzung von Obstbäumen an den Kunststraßen, Entwässerung von Sümpfen und Mooren, deren bedeutendste Beispiele die Anlage des Oderbruchs (1747-56) und die Entsumpfung des Netzedistrikts sind, und Anlegung von Kolonien sowohl einzelner Höfe als ganzer Dörfer. 800 Ortschaften legte er neu an, zu welchem Zweck er zahlreiche Einwanderer aus allen Teilen Deutschlands in sein Land zog.
Die rechtliche Lage des Bauernstandes veränderte er aber nicht und ließ seine Erbunterthänigkeit in den östlichen Provinzen bestehen, weswegen ein größerer Aufschwung des Bauernstandes ausblieb. Auch Industrie und Handel wurden bedeutend gefördert, indem der König selbst Fabriken anlegte, um neue Industriezweige heimisch zu machen, die Anlage andrer anregte und unterstützte; so wurden die Zuckersiederei, Papierfabrikation, Porzellanmanufaktur, Kattundruckerei, Baumwollspinnerei und -Weberei u. a. in Preußen eingeführt.
Der Handel wurde durch Kanalbau erleichtert. Doch auch hier waren die Fortschritte beschränkte, indem das Merkantilsystem, das Friedrich befolgte, den Antrieb zu immer erhöhter Anspannung der Kräfte raubte, und die hohen Accisen, namentlich die Regie, welche nach dem Siebenjährigen Krieg eingeführt wurden, lähmten den Verkehr. Der Wert der industriellen Produktion in Preußen betrug 1785: 30½ Mill. Thlr. Auch in geistiger Beziehung waren die Resultate von Friedrichs rastloser Fürsorge innerhalb Preußens selbst nur mittelbare.
Das Schulwesen konnte aus Rücksicht auf die Finanzen nur wenig unterstützt werden, noch weniger die höhere wissenschaftliche und künstlerische Thätigkeit. Indes das persönliche Beispiel des Königs, berühmte Erlasse und mündliche Äußerungen trugen wesentlich dazu bei, das preußische Volk von dem Bann beschränkter Vorurteile zu befreien und geistige Aufklärung unter den höhern Klassen der Gesellschaft zu verbreiten. Der Geist der Unabhängigkeit, des selbständigen Denkens wurde besonders dem Ritterstand eingepflanzt und der preußischen Justizpflege durch das preußische Landrecht eine gesunde Grundlage geschaffen. Der Beamtenstand, von echt Fridericianischem Geist erfüllt, unbeirrt durch eigennützige Rücksichten und unbeengt durch Vorurteile, strebte nur danach, der Vernunft gemäß zum Besten des Gemeinwohls zu handeln.
Als Friedrich d. Gr. starb, hatte der preußische Staat 73 Jahre lang (1713-86) unter Monarchen gestanden, welche, mit einem genialen Verwaltungstalent begabt und von unermüdlicher Thätigkeit, die Regierung ganz in ihrer Hand vereinigt und sie nach ihrem unumschränkten Willen geleitet hatten. Unbedingter Gehorsam war die Pflicht jedes Staatsbürger gewesen: er hatte die Befehle und Maßregeln der Regierung als Ausflüsse einer höhern Intelligenz anzusehen und sich ihnen völlig zu unterwerfen.
Auch den höhern Beamten war nur eine gewisse Selbständigkeit gelassen worden. In Preußen selbst hatte man zuletzt diese Bevormundung der Regierung unangenehm empfunden; die Mißstimmung gegen die Regie war so groß, daß selbst Friedrich zuletzt unpopulär wurde. Der Staat konnte in der bisherigen Weise nur fortbestehen, wenn der Nachfolger Friedrichs ein Mann von ebensolcher geistiger Überlegenheit und Thatkraft gewesen wäre. Eine höhere Entwickelung war nur möglich, wenn der Bürger- und Bauernstand aus den alten Fesseln des Zunftzwanges und der Erbunterthänigkeit befreit, das Volk unter Führung des selbständiger gewordenen Beamtentums zur Teilnahme an den öffentlichen Dingen herangezogen und dadurch seine Leistungsfähigkeit wie sein Interesse am Staat gesteigert worden wäre. Daß weder das eine noch das andre stattfand, war die Ursache, daß der scheinbar so fest gefügte, gesunde Staatsorganismus Friedrichs d. Gr. schon 20 Jahre nach seinem Tod schmählich zusammenbrach.
Die Regierung Friedrich Wilhelms II. 1786-97.
Friedrich Wilhelm II. (1786-97), bei seinem Regierungsantritt bereits 42 Jahre alt, gutherzig und wohlwollend, aber charakterschwach, sinnlich und zu mystischen Schwärmereien neigend, glaubte, im Besitz eines großen Staatsschatzes und eines für unbesiegbar geltenden Heers, mit vollen Händen geben und Preußens Kraft überall einsetzen zu können. Er hob die verhaßte Regie auf, sorgte aber nicht für einen Ersatz des Ausfalls an Einkünften. Sein verschwenderischer Hof verschlang ungeheure Summen und gab dem Lande das Beispiel zügelloser Sittenverderbnis unter der Maske religiöser Heuchelei. An die Stelle der Selbstregierung seiner Vorgänger trat eine Kabinettsregierung, welche den König von den Ministern abschloß und ihn dem Einfluß unwürdiger Günstlinge wie Wöllner, preisgab; machtlos mußten die tüchtigen Beamten Friedrichs d. Gr. mit ansehen, wie solche Leute das Werk mühevoller, jahrelanger Arbeit leichtfertig zerstörten. Statt dem Volk einen frischen Antrieb politischen und geistigen Lebens mitzuteilen, wurden das berüchtigt Religionsedikt und 19. Dez. das Zensuredikt erlassen, welche dem preußischen Volk die Freiheit auf dem einzigen Gebiet, das ihm Friedrich gelassen, dem religiösen und litterarischen, auch noch rauben sollten. Der
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Feldzug gegen die Niederlande (s. d., S. 152) 1787 wegen der Beleidigung der Prinzessin von Oranien, einer Schwester des Königs, kostete Preußen viele Millionen und steigerte den verhängnisvollen Dünkel und Übermut der Offiziere. Das 1790 begonnene Unternehmen, während Rußland und Österreich in den türkischen Krieg verwickelt waren, an die Spitze der vereinigten Macht Mitteleuropas zu stellen und ihm so eine schiedsrichterliche Herrschaft zu verschaffen, brachte nach den kostspieligsten Rüstungen der König selbst zum Scheitern, indem er aus unzeitiger und kurzsichtiger Großmut den Vertrag von Reichenbach abschloß, der Österreich von dem unheilvollen Türkenkrieg befreite, und zeigte hierdurch der Welt, daß er die herrschende Stellung Preußens nicht behaupten könne. Der Fürstenbund löste sich infolgedessen auf.
Nicht minder launenhaft war die Politik des neuen Königs gegen Frankreich. Gewohnt, seinen persönlichen Gefühlen das Wohl des Staats zu opfern, brannte er nach Ausbruch der französischen Revolution vor Begierde, als Ritter des legitimen Königtums von Gottes Gnaden einen Kreuzzug gegen Frankreich zu unternehmen, um Ludwig XVI. aus der Hand des Pariser Pöbels zu befreien, schloß mit Österreich 1792 den Pillnitzer Vertrag und begleitete selbst die Armee auf dem Feldzug in die Champagne; trotz der militärischen Schwäche Frankreichs endete dieser mit der erfolglosen Kanonade von Valmy, die in ihren Folgen einem Sieg der Franzosen gleichkam, und mit dem wenig ehrenvollen und verlustreichen Rückzug über den Rhein. 1793 schloß sich der König noch der ersten Koalition an und eroberte Mainz.
Dann aber wendete er sein Augenmerk Polen zu, wo, unterstützt durch die schwankende Haltung Preußens, Rußland durch die Targowitzer Konföderation die politische Reorganisation Polens vereitelte und durch Besetzung des ganzen Landes mit seinen Truppen dessen Einverleibung vorbereitete, und schloß, um dies zu verhindern, einen zweiten Teilungsvertrag mit Rußland, in dem Preußen Danzig, Thorn und Großpolen (Südpreußen), 57,000 qkm mit 1,100,000 Einw., und damit eine vortreffliche Abrundung seiner Ostgrenze gewann. Da Österreich hierbei leer ausging, so steigerte sich die Eifersucht zwischen beiden deutschen Mächten und lähmte ihre kriegerische Aktion gegen Frankreich. Daher beutete die preußische Armee ihre Siege bei Pirmasens und Kaiserslautern (28.-30. Nov.) nicht zu einem Einfall in Frankreich aus.
Aber auch zum Rücktritt von der Koalition konnte sich Friedrich Wilhelm nicht entschließen, obwohl die Finanzen Preußens bereits völlig erschöpft waren, und erniedrigte sich lieber zu dem schmählichen Haager Vertrag mit den Seemächten, durch welchen er ein Heer von 64,000 Mann an diese vermietete, denen auch die Eroberungen desselben gehören sollten. Dies Heer schlug die Franzosen zweimal bei Kaiserslautern (23. Mai 18.-20. Sept.), drang aber um so weniger in Feindesland ein, als Preußen gleichzeitig durch den polnischen Aufstand von 1794 in einen Krieg im Osten verwickelt wurde. Die preußische Armee unter dem König selbst eroberte Krakau, belagerte aber Warschau vergeblich. Indem es erst den Russen gelang, den Aufstand niederzuschlagen, fiel diesen die Entscheidung über die letzte Teilung Polens zu, und diese wurde im Vertrag zwischen Rußland und Österreich so geregelt, daß Preußen nur Masovien, Warschau und Bialystok (Neuostpreußen), 47,000 qkm mit 1 Mill. Einw., bekam; unterzeichnete es den dritten Teilungsvertrag.
Schon vorher hatte sich Preußen durch den Frieden von Basel von dem Kriege gegen Frankreich wegen gänzlicher Erschöpfung seiner Finanzen losgesagt und durch eine Demarkationslinie die Neutralität Norddeutschlands gesichert. Da 1791 auch Ansbach und Baireuth mit Preußen vereinigt worden waren, so war das Staatsgebiet zwar auf 300,000 qkm mit 8,700,000 Einw. erweitert; aber das Ansehen Preußens war schon sehr gesunken, das Heer verwahrlost, das Beamtentum unzufrieden und bei der ungeheuern Vergrößerung des Gebiets für eine sorgsame, gewissenhafte Verwaltung unzureichend, die Finanzen in völliger Verwirrung und der Staat mit 48 Mill. Thlr. Schulden belastet; die Bevölkerung stand der Regierung wie einer fremden gleichgültig gegenüber, und die Gebildeten neigten mehr und mehr einem kosmopolitischen Humanismus zu. So hinterließ Friedrich Wilhelm II. Preußen bei seinem Tod
Der Sturz der Monarchie Friedrichs d. Gr.
Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm III. (1797 bis 1840) besaß zwar die Tugenden eines Privatmanns, aber nicht die Eigenschaften eines Herrschers. Ihm fehlten die Einsicht in die Schwächen des Staatsorganismus sowie das Selbstvertrauen und die Energie zu einer gründlichen Änderung des Regierungssystems im Innern und zu einer kräftigen auswärtigen Politik. Er begnügte sich, einige der schreiendsten Mißstände zu befestigen, durch Sparsamkeit das Finanzwesen allmählich in bessern Stand zu setzen und das Religionsedikt aufzuheben. Am Heerwesen wurde trotz der Mahnungen verschiedener Offiziere zu Reformen nichts geändert, die auswärtige Politik blieb in den Händen von Haugwitz, Lombard u. a., welche Napoleon als den Bezwinger der Revolution freudig begrüßten und die Politik der freien Hand, der thatlosen Neutralität, der kleinmütigen Unentschlossenheit dem König als höchste Weisheit anpriesen.
Dieser ging um so eher auf solche Ratschläge ein, als sie seiner schüchternen Natur am meisten zusagten. Frankreich schmeichelte von Zeit zu Zeit den selbstzufriedenen preußischen Staatslenkern und gewährte Preußen zum Lohn für seine Fügsamkeit im Reichsdeputationshauptschluß (1803) eine beträchtliche Vergrößerung als Ersatz für die Abtretungen auf dem linken Rheinufer: die Stifter Paderborn und Hildesheim, den größten Teil von Münster, Erfurt und das Eichsfeld;
die Reichsstadt Nordhausen, Mühlhausen, Goslar u. a., zusammen 9500 qkm mit ½ Mill. Einw.
Selbst durch die Besetzung Hannovers durch französische Truppen (1803), welche so inmitten der preußischen Staaten sich festsetzten, ließ sich Preußen nicht aus seiner Neutralität herausreißen. 1805, als die dritte Koalition sich bildete, ermannte es sich nur zu einem Vermittelungsversuch, der überdies von Haugwitz so ungeschickt und frevelhaft leichtsinnig ins Werk gesetzt wurde, daß er sich bis nach Napoleons Sieg bei Austerlitz (2. Dez.) durch leere Verhandlungen hinhalten ließ und dann 15. Dez. den schimpflichen Vertrag von Schönbrunn schloß, indem Preußen Ansbach, Kleve und Neuenburg abtrat und das dem befreundeten England gehörige Hannover annahm. Das Zaudern, diesen Vertrag zu bestätigen, hatte nur den noch schmählichern Allianzvertrag vom zur Folge und raubte Preußen bei Napoleon den letzten Rest von Achtung. Dieser, von keinem andern Feind bedroht, suchte jetzt den Krieg mit Preußen, hetzte