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Reformen, welche, indem sie die Nation in politischer und soziale Hinsicht hoben, auch das gesunkene Selbstgefühl derselben wieder kräftigten und erhöhten, würden sicherlich bedeutende litterarische Früchte getragen haben, wären sie nicht so rasch wieder einer bigotten Reaktion unterlegen. An die Spitze der französierenden pseudoklassischen Poesie in Portugal [* 2] stellte sich der General Francisco Xavier de Meneses, Graf von Ericeira, welcher, nachdem er Boileaus »Art poétique« in portugiesische Verse übertragen hatte, mit seiner poesieleeren Epopöe »Henriqueida« (Lissab. 1741), worin die Gründung der portugiesischen Monarchie durch Heinrich von Burgund besungen ist, zu jener dürftigen Theorie einen dürftigen praktischen Beleg gab.
Mehr als die oben erwähnte königliche Akademie wirkte zum Vorteil der portugiesischen Litteratur die Gesellschaft der »Arkadier«, die nach dem gleichnamigen Dichterverein in Rom [* 3] gebildet wurde und mit der französischen Klassizität und Eleganz den poetischen Geist der einheimischen dichterischen Meisterwerke des 16. Jahrh. zu vereinigen strebte. Zu ihren vorzüglichsten Mitgliedern gehörte Portugiesische Ant. Correa Garção (gest. 1772), der mit seinem Takte die Alten nachahmte und sich den mit Rücksicht auf sein Hauptvorbild erteilten Beinamen des »portugiesischen Horaz« erwarb.
Neben ihm sind als die bessern Vertreter der portugiesischen
Dichtkunst jener Zeit zu nennen: der Brasilier Claudio
Manoel
da Costa, dessen nach altitalienischen
Mustern geformte
Poesien
(»Obras«,
Coimbra 1761) den Vorzug einfacher,
eleganter
und doch inniger
Sprache
[* 4] haben;
Antonio Diniz da Cruz e Silva (»Obras«, Lissab. 1794),
feuriger und schwungvoller, aber auch weniger korrekt in der Diktion, der beste Anakreontiker der portugiesischen Poesie und Verfasser eines komischen Epos: »O hyssope« (»Der Sprengwedel«),
welches das beste heroisch-komische Gedicht der Portugiesen ist;
ferner der Friseur Domingos dos Reis Quita, dessen bukolische Poesien (»Obras«, das. 1781) großen Beifall fanden.
Auch den anmutigen Elegien, in welchen der Brasilier Tomas Antonio Gonzaga unter dem Namen Dirceu seine unglückliche Liebe zu der schönen Marilia besungen hat, sowie den Sonetten des Paulino Cabral de Vasconcellos (»Poesias«, Porto 1786) gebührt auszeichnete Erwähnung, während der um die kritische Behandlung der portugiesischen Litteratur des 16. Jahrh. verdiente Francisco Diaz Gomez als Poet, wiewohl er auch als solcher berühmt war (»Obras«, Lissab. 1799), unbedeutend ist.
Gegen den Schluß des 18. Jahrh. steigerte sich die Gallomanie in Portugal zu immer kläglicherm Übermaß; besonders äußerte sie sich in massenhafter Produktion von Übersetzungen französischer Dichtungen. Erst zu Anfang unsers Jahrhunderts traten wiederum einige wirklich ausgezeichnete portugiesische Dichter auf. Es waren dies Francisco Manoel do Nascimento, genannt Filinto Elysio (1734-1819), der trotz seiner im klassischen Stil gehaltenen formellen Eleganz und Korrektheit in seinen »Obras completas« (2. Aufl., Par. 1817-19, 11 Bde.) überall den echten Lyriker verrät, und M. M. Barbosa du Bocage (1765-1805), der berühmteste und volkstümlichste aller neuern Poeten seines Vaterlandes.
Unverdienterweise wird der letztere von den Litterarhistorikern Portugals als der Urheber einer neuen Art des Gongorismus, welche nach seinem poetischen Namen (Elmano) die Bezeichnung »Elmanismo« empfangen hat, genannt. Die eigentliche Urheberschaft dieser Manier gehört auf Rechnung der Nachahmer des trefflichen Dichters. Unter ihnen sind hervorzuheben der Tragiker João Baptista Gomes und J. M. da Costa e Silva, Verfasser des anmutigen Gedichts »O passeio«.
Der klassischen Schule des Nascimento folgten: Domingo Maximiano Torres, der besonders durch seine Idylle und Kanzonen Beifall erwarb, Antonio Ribeiro dos Santos, Nicoláo Tolentino de Almeida (Satiriker) und der philosophische Dichter José Anastacio da Cunha. Treffliche biblische Gedichte und Oden in Miltons und Klopstocks Manier verfaßte der Brasilier Antonio Pereira Souza Caldas. Ein trauriges Zeichen für den dichterischen Geschmack jener Zeit in Portugal war die Anerkennung, welche das dürftige Heldengedicht »O Oriente« des Miguelisten José Agostinho de Macedo fand, welcher Camoens' unverwelklichen Lorbeerkranz mit afterweiser Kritik zu plündern den eitlen Versuch machte und wirklich bei vielen seiner Zeitgenossen für einen größern Dichter galt als der Verfasser der »Lusiaden«. Die dramatische Poesie stand während des 18. Jahrh. in Portugal unter zwiefachem Einfluß von der Fremde her. Den französischen Vorbildern folgten: Correa Garção in Lustspielen (»Teatro novo« und »Assemblea ou partida«),
der auch Komödien in der Manier des Terenz schrieb (»Obras poeticas«, Lissab. 1770);
die Gräfin Vimieiro, deren Trauerspiel »Osmia« (das. 1795; deutsch, Halberst. 1824) von der Akademie gekrönt wurde;
Manoel Gaetano Pimenta de Aguiar, Pedro Nolasco u. a. Daneben hatte sich die bereits oben erwähnte, durch die italienischen Opern hervorgerufene Art von melodramatischen Komödien gebildet, der jeder eigentliche Kunstwert abging. - Die neuere und neueste Poesie Portugals zeigt zwar keinen sehr erheblichen Wertabstand gegen die des vorigen Jahrhunderts, doch hat sie wenigstens einige Repräsentanten von entschiedenem Talent aufzuweisen.
Als solche sind neben dem Eklogiker Mouzinho de Albuquerque, der sich vorzüglich durch seine »Georgicas portuguezas« rühmlich bekannt gemacht hat, besonders auszuzeichnen: Antonio Feliciano Castilho (1800-1875),
Verfasser der durch liebliche Naturschilderungen wertvollen Dichtungen: »Cartas de Echo e Narcisso«, »A noite de castelho« und »Amor e melancolia«, und Alex Herculano de Carvalho (1810-77),
ein gleich Castilho zur Zeit des Miguelismus vielverfolgter Patriot, der in seinen düstern religiös-politischen Gedichten, die er unter dem Titel: »A voz do propheta« und »A harpa do crente« herausgab, wieder in Portugal lange nicht vernommene nationale Klänge anschlug. Auch Baptista de Almeida-Garrett (gest. 1854) gehört zu den bedeutendern Dichtern der Neuzeit Portugals und hat sich besonderes Verdienst dadurch erworben, daß er die Aufmerksamkeit wieder auf das alte heimische Volkslied zu lenken versuchte.
Von den jüngsten Poeten Portugals nennen wir noch: den Lyriker und Dramatiker Luis Augusto Palmeirim, Thomaz Ribeiro, Verfasser des sehr hoch geschätzten Epos »D. Jayme« (1862), Arnaldo Gama, den philosophischen Lyriker Anthero de Quental, den Satiriker Guerra Junqueiro, den kühnen Bekämpfer des Aberglaubens und der konventionellen Lügen; ferner Barbosa y Silva, Ramalho Ortigão, den durch natürliche Anmut ausgezeichneten João de Deus, die Dramatiker Camillo Castelloblanco, J. Mendes Leal, Ernesto Biester, Pereiro da Cunha etc.
Unter der Romanlitteratur ist aus dem 18. Jahrh. des Paters Theodoro d'Almeida moralischer Roman »O feliz independente« (Lissab. 1786) hervorzuheben; in der neuern Zeit schufen Garrett und Herculano auf diesem Felde das Bedeutendste. Neben ¶
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ihnen sind besonders Eça de Queiroz, der das Gebiet des realistischen Romans bebaut, Julio Diniz, der Verfasser anmutiger Dorfgeschichten, und Luis Augusto Rebello de Silva, der sich durch seinen großen vaterländischen Roman »A mocidade de D. João V« (1851-53, 4 Bde.) großen Ruf erwarb, namhaft zu machen. In der Geschichtschreibung thaten sich in diesem Jahrhundert hervor: Francisco Solano Constancio (»Historia do Brasil«),
Tib. Ant. Craveiro, Visconde de Santarem, Ferreira de Freitas, Cordoso Casado Giraldes und vor allen Herculano durch seine trefflichen Werke: »Da origem e estabelecimento da inquisição em Portugal« und »Historia de Portugal«. Seit 1853 veröffentlicht die Lissaboner Akademie eine Sammlung von Quellenwerken zur Geschichte Portugals (»Portugaliae monumenta historica«).
Was die rein wissenschaftliche Litteratur der Portugiesen betrifft, so erscheinen deren Erzeugnisse gegenüber denen der übrigen Hauptnationen Europas im ganzen dürftig. Die hauptsächlichste Gunst und Pflege erfuhren in Portugal in früherer Zeit diejenigen Wissenschaften, welche mit der Nautik in mehr oder weniger naher Beziehung stehen. Das Studium der Geographie, Mathematik und Astronomie [* 6] fand in einigen fürstlichen Häuptern des Landes energische Begünstiger, wie denn aus der von dem Infanten Dom Henrique gebildeten Schule der Seewissenschaften, welche jener selbst eifrig betrieb, eine Reihe ausgezeichneter Männer hervorging (Barth. Dias, Vasco da Gama, Magelhaens u. a.). Unter den Vertretern jener und sonstiger wissenschaftlichen Disziplinen sind in neuerer Zeit über die Landesgrenze hinaus rühmlich bekannt geworden: der Mathematiker Garção-Stockler, die Natur- und Geschichtsforscher Correa de Serra und Figueiredo, die Rechtsgelehrten Mello, Figueiredo, Ribeiro, Ferreira, Tellez, der Astronom Ferreiro d'Araujo, der Botaniker Bodero, der Mineralog Camera, [* 7] der Chemiker Lobral, die Mediziner José Maria Soares und Silveira Pinto etc. In der Theologie und namentlich in der Philosophie erhoben sich die Portugiesen niemals zu bedeutenden Leistungen. Von den philologischen Leistungen sind zu erwähnen: Gonçalves' »Arte China« [* 8] (Macao 1829) und dessen »Diccionario portuguezchino« (das. 1831),
Ferreiras »Magnum lexicon novissimum latinum et lusitanicum« (Par. 1833) u. die von Jeron Soares Barbazo verfaßte philosophische Grammatik der portugiesischen Sprache (2. Aufl., Lissab. 1830).
Als Quellen der portugiesischen Litteraturgeschichte führen wir an: Diogo Barbosa Machados »Bibliotheca lusitana historica critica et chronologica« (Lissab. 1741-52, 4 Bde.),
die von Arvo do Cejo kommentierte »Bibliotheca historica de Portugal« (das. 1801) und die »Memorias da litteratura portugueza« (das. 1792-1812, 8 Bde.). Das neueste und vollständigste Werk ist das »Diccionario bibliographico portuguez« von Francisco da Silva (Lissab. 1858-70, 9 Bde.; fortgesetzt von Brito Acanha, 1883-85, Bd. 10-12). Almeida-Garrett hat in einer seiner Blumenlese aus der portugiesischen Dichtung (»Parnaso lusitano«) vorausgeschickten Übersicht einen brauchbaren litterarischen Wegweiser gegeben.
Als sonstige litterarhistorische Hilfsmittel zum Studium der portugiesischen Poesie sind zu nennen: Denis, Résumé de l'histoire littéraire du Portugal (Par. 1826);
Lopes de Mendoza, Memorias de litteratura contemporanea (Lissab. 1855);
Silv. Ribeiro, Resenha da litteratura portugueza (das. 1855);
Ferd. Wolf, Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen Litteratur (Berl. 1859);
Pereira da Silva, La littérature portugaise (Par. 1866);
Reis, Curso de litteratura portugueza e brazileira (Maranhão 1869, 4 Bde.).
Das Hauptwerk aber über die Nationallitteratur der Portugiesen ist die »Historia da litteratura portugueza« (Porto 1870-80, 20 Bde.) von Theophilo Braga, der auch einen »Manual da historia da litteratura portugueza« (das. 1875),
einen »Curso de historia da litteratura portugueza« (Lissab. 1885) und den »Parnaso portuguez moderno« (das. 1877) veröffentlicht hat. Um die Sammlung und Veröffentlichung der portugiesischen Volkslieder haben sich in neuerer Zeit Almeida-Garrett (»Romanceiro«, 2. Aufl., Lissab. 1863, 3 Bde.),
Braga (»Romanceiro geral colligido da Aradição«, Coimbra 1867, und »Cantos populares do archipelago Açorcano«, Porto 1869),
Barata (»Cancioneiro portuguez«, Lissab. 1866),
Estacio da Veiga (»Romanceiro do Algarve«, das. 1870),
A. Rodrigues de Azevedo (»Romanceiro do archipelago da Madeira«, [* 9] Funchal 1880) und Sylvio Romeiro (»Cantos populares do Brazil«, Lissab. 1883) verdient gemacht. Eine geschmackvolle Auswahl aus diesen Sammlungen, mit ungedruckten Stücken vermehrt, lieferte V. E. Hardung (»Romanceiro portuguez«, Leipz. 1877, 2 Bde.). Eine »Revista de estudos livres« erschien 1884-86 in Lissabon. [* 10]
Vgl. auch Loiseau, Histoire de la littérature portugaise (Par. 1885).