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schließlich mit dem Dichter Krasinski bei demselben Punkt an, nämlich bei der Apotheose des polnischen Volkes. Ihren Zenith erreichte diese Richtung in der Historiosophie von Waleryan Wroblewski (Pseudonym Koronowicz): »Słowo dziejow polskich« (1858 bis 1859). Dieser Schule im übrigen nahe verwandt, unterscheidet sich Karl Szajnocha (1818-65) dadurch vorteilhaft von ihr, daß er seinen historischen Gemälden, namentlich in der glänzenden Schilderung Jagellos und Hedwigs (»Jadwiga i Jagiello«, 1861), einen vollen Hintergrund verleiht und anstatt politischer Abstraktionen Gestalten von Fleisch und Blut liefert. Er bezeichnet dadurch neben Julian Bartoszewicz (1821-71) den Übergang zu der neuesten realistische Periode polnischer Geschichtschreibung.
Wie der französische Akademismus die polnische Poesie bis 1822 beherrschte, so fußten auch die bescheidenen Anfänge der polnischen Philosophie in dem französischen Sensualismus, dessen wichtigster Vertreter der einflußreiche Rektor der Wilnaer Universität, J. ^[Jan] Sniadecki, war. Die Reform lehnte sich auch hier an die deutsche Philosophie, namentlich an Kant, an, dem auch Mickiewicz viel verdankt. J. K. ^[Józef Kalasanty] Szaniawski (1764-93), auf der Königsberger Universität gebildet, zuletzt Mitglied des obersten Kriminalgerichtshofs, bekämpfte zuerst in den Schriften: »Co jest filozofia?« (»Was ist Philosophie?« 1802),
»O systemach moralnych« (1803),
»Dzieje filozofii« (1804) etc. die Theorie Condillacs und wies auf Kant und Schelling hin, welch letzterer auch auf den fähigsten Kunstrichter und Ästhetiker der romantischen Schule, M. Mochnacki, entscheidenden Einfluß ausgeübt hat. Jozef Goluchowski fußt mit seinem »Zasady logiki« (1821) vollständig im Schellingschen Idealismus. Doch entfaltete sich die philosophische Litteratur in Polen erst in den 40er Jahren und zwar unter dem Banner Hegels. Dessen Schüler Graf August Cieszkowski (geb. 1809) wandte des Meisters aprioristisches System auf den Geist der Geschichte der Slawen an (»Ojcze nasz«, Par. 1848); Karl Libelt (1807-1875) versuchte eine nationale polnische Philosophie zu schaffen (»System umnictwa«, »Filozofia i krytyka« etc.); Jozef Kremer (1806-75) erwarb sich namentlich durch seine »Ästhetischen Briefe« große Verdienste um die polnische philosophische Litteratur.
Auch Bronislaus Trentowski (1808-70) geht von der deutschen idealistischen Philosophie aus, obschon er den Anspruch erhob, eine neue »Philosophie der Slawen« zu begründen, welche den Idealismus der Germanen und den Realismus der Romanen zur Synthese oder höhern Potenz zu erheben hätte (deutsch: »Grundlage der universellen Philosophie«, Karlsr. 1837; polnisch: »Chowanna«, Posen [* 2] 1842, etc.). Den Mittelpunkt der philosophischen Bewegung bildete in den 40er Jahren Posen, wo dieselbe in der von Libelt redigierten Zeitschrift »Rok« ein vorzügliches Organ besaß. Die durchaus aprioristische, der Realität und Erfahrung abgeneigte Richtung dieser philosophischen Bestrebungen stimmte mit dem Geiste der polnischen Romantik vortrefflich überein, weshalb denn auch zwischen beiden eine fortwährende Wechselwirkung stattfand, z. B. Hegel und Garczynski, Libelt und Slowacki, Cieszkowski und Krasinski etc.
VI. Die neueste Epoche.
Die Romantik, welche die Poesie, die Geschichte und die Philosophie beherrschte, gipfelte in der Überzeugung, daß die Idee und der Wille alles vermögen, die verachtete und gelegentlich als nicht vorhanden betrachtet Materie nebensächlich sei, daß das polnische Volk das auserlesene sei und den absoluten Anspruch habe, von den andern Völkern gerettet zu werden, daß die russischen Heerscharen unmöglich der polnischen Begeisterung standhalten könnten. Diese Stimmung erklärt allein den im ungeeigneten Augenblick, ohne gehörige Vorbereitung und ohne die notwendigen Mittel unternommenen Aufstand von 1863. Im J. 1831 war die Romantik erst im Aufschwung begriffen und wies der polnisch-russische Krieg immerhin einige sehr erhebende Momente auf; 1863 hatte sie ihren Kreislauf [* 3] beendet.
Daher steigerte sie sich nach dem Fall jenes Freiheitskriegs, wogegen das Scheitern des letzten Aufstandes einen entschiedenen Rückschlag zu gunsten realistischer Auffassung der Dinge erzeugte. Zum erstenmal tritt jetzt mit den bedeutenden Werken von J. ^[Jozef] Supinski (»Grundzüge der allgemeinen Philologie«, 1860, und »Schule der polnischen Nationalökonomie«) die nationalökonomische Richtung in den Vordergrund, und es wagen kühne Schriftsteller, wie Franz Krupinski (»Über die Romantik und ihre Folgen«, Warsch. 1876),
über die als nationales Heiligtum geltende Romantik den Stab [* 4] zu brechen, was freilich wieder nur einen Mangel an echt historischer Auffassung verrät. Jedenfalls ist diese neueste, von »positivistischen« und ironisch-pessimistischen Ideen beherrschte Epoche der epischen und lyrischen Poesie nicht günstig. Unter den ältern Dichtern meldete sich der Nestor Bohdan Zaleski, welcher mit seinem »Damy" an der Wiege der Romantik stand und dann in »Duch od stepu« seinen Zenith erreichte, mit seltenen zarten Gelegenheitsgedichten; Teofil Lenartowicz (geb. 1822),
der Dichter der vielgelesenen »Lyrenka« (1851),
welcher in »Bitwa Raclawicka« auch das Gebiet der historischen Rapsodie ^[richtig: Rhapsodie] mit Glück betrat, bekundete neuestens in dem reizenden Idyll »Jagoda mazowieckich lasów« seine ungeschwächte Schaffungskraft; Kornel Ujejski, der sich mit seinen »Klagen des Jeremias« und »Biblischen Melodien« in den 40er Jahren als der talentvollste Nachahmer Slowackis eingeführt hatte (s. oben),
wandte sich dem dramatischen Gedicht (»Smok«, 1880) mit starkem Anklang an die politischen Tagesfragen zu. Noch sind unter den Dichtern, welche mit ihrer Richtung der vorigen Periode angehören und unter dem Einfluß Slowackis stehen, zu nennen: Wlad. Wolski, Leonard Sowinski (»Sonette und Satiren«),
Felicyan Falenski, Hedwig Luszczewska, Konopicka u. a. Als der bedeutendste lyrische Dichter der neuesten Zeit ist Ad. Asnyk (geb. 1838) zu nennen, bei dem sich ungewöhnliche Anlage mit geläuterter künstlerischer Gestaltungskraft aufs glücklichste vereinigt. Seine »Gedichte«, welche anfangs noch in der pessimistisch-elegischen Stimmung Slowackis fußten, greifen allmählich immer entschiedener in das volle Leben ein und zeichnen sich durch seltene Feinheit der Sprache [* 5] wie durch farbensatte Detailmalerei vorteilhaft aus. Auch besitzt Asnyk jenen unerschütterten Glauben an die unvergängliche Berechtigung der Poesie (»Przeminal czas«, »Naz gon poezyi« etc.),
welcher über augenblickliche Verdunkelungen ihrer Macht wie die gegenwärtige siegreich hinwegführt. Als Dialektdichter sind zu nennen Boutzek (»Stary kościol miechowski«, 1879) im schlesischen und J. Derdowski (»O panu Ozarlinskim«) im kassubischen Dialekt.
Einen sehr bedeutenden Aufschwung nahm in dieser Zeit das Drama. Die hervorragendsten Lustspieldichter sind: A. Asnyk (»Die Freunde Hiobs«),
Graf Joh. Alex. Fredro der jüngere (»Die einzige Tochter«, »Fremde Elemente«, »Arm oder reich« etc.),
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Balucki (»Die Jagd nach einem Mann«, »Die Räte des Herrn Rats«, »Die Nachbarn« etc.),
Kazimir Zalewski (»Mit dem Fortschritt«, »Vor der Hochzeit«, »Treffdame«, »Artikel 264«),
E. Lubowski (»Die Fledermäuse«, »Das Ehrengericht«). Ferner sind zu nennen: Graf Koziebrodski, Prybylski, Szymanowski, Narzymski, Abrahamowicz u. a. Auf dem Gebiet des historischen Dramas erlangten die meiste Anerkennung: J. Szujski (»Halszka z Ostroga«, »Marya Mniszchowna«, »Demetriusz II.«, »Dlugosz i Kallimach« etc.),
A. Asnyk (»Klejstut«),
K. Zalewski (»Marco Fornarini«),
A. Belcikowski (»Adam Tarlo«, »Hunyady«, »Król don Juan« etc.),
W. Rapacki (»Wit Stwosz«, »Acernus«, »Pro honore domus« etc.),
B. Grabowski (»Syn Margrafa«, »Królewicz Marko«) u. a. Indessen steht das historische Drama noch nicht auf der ziemlich bedeutenden Höhe des Lustspiels. Eigentliche Volksstücke schrieben namentlich Wl. Anczyc (»Die Bauernaristokraten«, »Die Bauernauswanderung«, »Kosciuszko« etc.) und der Krakauer Schlossermeister Staszczyk (»Die St. Johannis-Nacht«). Selbstverständlich werden auch alle bedeutendern Dramen des Auslandes ins Polnische übersetzt.
Unter Leitung Kraszewskis erschien 1877 die erste klassische Gesamtübersetzung Shakespeares; eine Gesamtausgabe Schillers ist ihr neuerdings gefolgt. Unter den Romanschriftstellern steht auch in dieser Epoche J. I. Kraszewski sowohl an Fruchtbarkeit als auch an Gediegenheit an der Spitze. Er behandelte in einer Reihe von Romanen, welche unter dem Pseudonym Boleslawita erschienen, die polnisch-russischen Beziehungen unter dem Gesichtspunkt des letzten Aufstandes. In einer andern Serie schildert er die gesellschaftlichen Verhältnisse in Polen, namentlich die Notwendigkeit, den untergehenden Adel durch Arbeit zu heben; in wieder einer andern behandelt er die sogen. sächsische Zeit der polnischen Geschichte, in einer vierten endlich die polnische Urgeschichte in Walter Scottschem Stil. Neben Kraszewski sind zu nennen: Johann Zachariasiewicz (geb. 1825) als Verfasser vorzüglicher politischer Tendenz- und Künstlerromane;
Sigismund Milkowski (pseudonym Jez, geb. 1820), dessen Thätigkeit mehr ins Weite geht und sich vielfach auf südslawische Stoffe wirft;
H. Sienkiewicz, Verfasser großer historische Romane (»Mit Feuer und Schwert«, »Die Sintflut« u. a., seit 1883);
welche ein neues Genre des polnisch-jüdischen Romans geschaffen hat;
Krechowiecki (»Starosta Zygwulski«, »Veto«, 1888);
ferner Balucki, Belcikowski, Chledowski, Waleryan Przyborowski, Swietochowski, Dygasinski u. a. Auch der ältere Romandichter Kaczkowski (s. oben) ist nach langem Schweigen neuestens mit historischen Romanen (»Abraham Kitay« u. a.) hervorgetreten.
Als Humoristen thaten sich besonders hervor: Heinrich Sienkiwicz (pseudonym Litwosz), dessen ergreifende kleinere Erzählungen zumeist tragisch ausklingen, und Wilczynski, bei dem der Roman jedoch zuweilen in das Gebiet des Pamphlets hinübergreift.
Sehr entschieden wirkte die neue realistische Richtung auf die Geschichtschreibung zurück, welche jetzt den aprioristischen Standpunkt der Verherrlichung der polnischen Geschichte um jeden Preis verließ und sich auf die Herausgabe der Materialien und auf rücksichtslose Aufdeckung der Gebrechen des polnischen Staatswesens verlegte. In erster Hinsicht sind hervorzuheben: die »Monumenta Poloniae historica« (bis 1880: 3 Bde.),
die »Acta Tomiciana« aus dem 16. Jahrh. (bisher 9 Bde.),
die von der Krakauer Akademie veröffentlichen ^[richtig: veröffentlichten] Sammlungen: »Scriptores rerum polonicarum« (seit 1871) und »Acta Poloniae historica« (seit 1878),
die »Akta grodzkie«, die »Zròdla dziejare«;
ferner die kritische Ausgabe der Werke des Dlugosz, der Briefe des Kardinals Hosyus, der Aktenstücke zur Regierung J. Sobieskis etc. In der andern Beziehung ist zuerst zu nennen: M. Bobrzynski (»Dzieje Polski«, welcher mit rücksichtslosem Realismus den Schleier von allen Gebrechen der polnischen Politik wegreißt; J. Szujski (»Dzieje Polski«),
welcher sich nur um weniges milder erweist;
W. Kalinka (»Sejm czteroletni«),
welcher den Nimbus, mit welchem der Reichstag von 1789-92 umgeben war, stark erschüttert hat;
Teodor Morawski (»Dzieje naro du polskiego«) u. a. Alle diese Geschichtsforscher gehen von dem Grundsatz aus, daß nur die Erkenntnis der reinen Wahrheit, wenn dieselbe auch oft patriotische Gefühle verletzt, die nationale Besserung und Wiedergeburt zu fördern geeignet ist.
Mit großer Ausdauer werden jetzt einzelne Partien der polnischen Geschichte aktenmäßig dargestellt. Es sind zu nennen für die ältesten Zeiten: A. Malecki (»Über den innern Organismus Polens in der ältesten Zeit«, »Das Testament Boleslaw Schiefmunds« etc.),
A. Lewicki (»Mieszko«),
St. Smolka (»Mieszko stary i niek jego«);
bis zum Ende des 15. Jahrh.: M. Bobrzynski (»Über das deutsche Recht in Polen«, »Der polnische Reichstag unter Albrecht«, »Pan [* 7] Ostróg« etc.),
J. Szujski (»Kasimir der Große«),
A. Prohazka (»Über die polnisch-böhmischen Beziehungen«),
St. Smolka (»Polen und die Hussitenkriege«),
A. Ketrzynski ^[Kętrzynski] (»Polnische Nationalität zur Zeit des Ritterordens«),
ferner Kantecki, Papèe, Maurer, Stadnicki, Sutewicz etc.;
bis zur Hälfte des 18. Jahrh.: Zakrzewski (»Nach der Flucht Heinrichs von Valois«),
J. ^[Józef] Szujski (»Renaissance und Reformation in Polen«, 1880; »Marie Muiszech«, »S. August« etc.),
A. Przezdziecki (»Jagielonki«),
ferner Kalicki, Kantecki, Jablonowski, Antoni J. Rembowski, namentlich auch K. Jarochowski (gest. 1888),
der die Zeit der Schwedenkriege mustergültig bearbeitete.
Die Regierungszeit Poniatowskis behandeln außer Kalinka (s. oben) H. Schmitt (»Dzieje Polski«, 18. u. 19. Bd.),
J. I. ^[Józef Ignacy] Kraszewski (»Polska w czasie trzech rozbiorów 1772-99«),
Gloger (»A. Tyrenhaus«),
Graf Skarbek (»Dzieje Krięstwa warszawskiego«). Kulturhistorische Stoffe behandeln Wenclewski (»Die Schlesier in Polen«),
v. Maciejowski (»Die Juden in Polen«). In der Philosophie vollzog Fr. Krupinski (»O filozofii w Polsce«, »Szkola pozytywna«, »Wczasy warszawskie«) den Sprung vom subjektiven Idealismus, dem die polnischen Philosophen der Romantik sämtlich huldigten, zum Comteschen Positivismus, welcher seither in Warschau [* 8] sein Hauptquartier aufgeschlagen hat und an den Professoren Ochorowicz (»Psychologiczne pytania«, »Zdziennika psychologa«) und H. Struve (»Synteza dwóch swiatów«) seine Hauptvertreter findet.
Begründer der polnischen Litteraturgeschichte ist Felix Bentkowski, welcher in seiner »Historya literatury polskiéj« (Warsch. 1814) zuerst den rein bibliographischen Standpunkt verließ und die innern Merkmale der verschiedenen Epochen festzustellen versuchte. Die große Litteraturgeschichte von Wiesniewski (Krak. 1845-57, 10 Bde.) reicht nur bis zum 17. Jahrh., desgleichen Maciejowskis »Pismiennictwo polskie« (Warsch. 1851, 3 Bde.),
welches namentlich für die älteste Periode vielfach unerwiesene Theorien aufstellt; die »Historya ¶