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eifrigsten vertrat den sensualistischen Standpunkt der Wilnaer Professor Jan Sniadecki (1756-1830) in der Schrift »O filozofii« (1819),
während J. K. Szaniawski (1764-1843) sich an Kant und Schelling anlehnte (»Rzut oka na dzieje filozofii«, 1804; »O naturze«, 1808).
V. Die Romantik, von 1822 bis 1862.
Das Erscheinen der »Balladen und Romanzen« von Adam Mickiewicz (1822) eröffnet die romantische Periode, welche wesentlich zum Ausbruch des Aufstandes von 1830 beitrug, nach dem Scheitern desselben in der Emigrationslitteratur ihren ebenso glänzenden und genialen wie auch durch Überschwenglichkeit gefährlichen Ausdruck findet, dann die Warschauer Demonstrationen von 1862 und den Aufstand vom Januar 1863 mit erzeugt, damit aber auch abschließt und einer wesentlich realistischen Gegenströmung weicht.
Was Mickiewicz für den Aufstand von 1830 war, das war Julius Slowacki für jenen von 1863. Adam Mickiewicz (1798-1855) befreite die polnische Nationallitteratur von den Banden des starren französischen Klassizismus, wobei er namentlich der englischen und deutschen Poesie mächtige Anregung verdankt, fand aber nach einer kurzen Sturm- und Drangperiode in seinem Hauptwerk: »Pan [* 2] Tadeusz« (1835), das Gleichgewicht [* 3] zwischen originaler Unabhängigkeit und im besten Sinn klassischer Form.
Julius Slowacki (1809-49), dessen erste Dichtungen 1832 erschienen, brachte die polnische Romantik zu dem Extrem der subjektiven, durch keine Tradition und Regel gezügelten Empfindung, der patriotischen Leidenschaft und des absichtlichen Absehens von allen normalen oder prosaischen Lebensbedingungen. Endlich vertritt der dritte bedeutendste Dichter dieser Zeit, Graf Sigismund Krasinski (gest. 1859), die kirchlich-aristokratische Abart der polnischen Romantik. Neben Mickiewicz waren es namentlich folgende Dichter, welche in den 20er Jahren zum Sieg der Romantik über den absterbenden Nachklassizismus beitrugen: W. Brodzinski (gest. 1835) mit seinem reizenden Idyll »Wieslaw«, Graf A. Fredro (gest. 1876) mit seinem Lustspiel »Geldhab«, Bohdan Zaleski (gest. 1886) mit seinen »Dumy«, besonders aber der früh verstorben A. Malczewski (1792-1826) mit der poetischen Erzählung »Marya« und S. Goszczynski (gest. 1876) mit seiner schauerlich-brutalen poetischen Erzählung »Zamek Kaniowski«. Die episch-lyrische Poesie findet dann ihre hervorragendsten Vertreter in Winzenz Pol (1807-72),
dessen »Lied von unserm Land« und Rittergedicht »Mohort« in der glücklichen Weise alle Vorzüge der Kunst- und Volkspoesie vereinigen;
in dem sein ganzes Leben lang von Not verfolgten W. Kondratowicz (Pseudonym: Syrokomla, gest. 1862),
dessen »Lyrnik wioskowy«, »Stare Wrota« etc. ein ungewöhnliches, wenn auch nicht zur vollen Entfaltung gelangtes Talent verraten;
in Lucyan Siemienski (1809-77) mit slawistischer Richtung und entschiedener Vorliebe für das Volkslied;
in Anton E. Odyniec (1804-85);
ferner in Julian Korsak (1807-55) und Alex. Chodzko (geb. 1804), welche sich an die orientalisierende Richtung des Ad. Mickiewicz anlehnen;
in Stefan Garczynski (gest. 1833), dessen »Waclawa dzieje«, und Stefan Witwicki (1801-47),
dessen
»Edmund« auf
Byron verweisen;
endlich in Kornel Ujejski (geb. 1823),
dessen durch hohen Schwung ausgezeichnete »Skargi Jeremiego« (1847) und »Melodye biblijue« ^[richtig: »Melodye biblijne«] (1852) sowie die Dichtungen des jung verstorbenen Edm. Wasilewski (1814-46), dann die von Cyprian Norwid, Roman Zmorski, Berwinski u. a. einen starken Einfluß des romantischen Pessimismus und radikalen Patriotismus Slowackis verraten.
Auch das Drama nahm in der romantischen Epoche einen bedeutenden Aufschwung. Neben Slowacki, welcher eine stattliche Anzahl echt romantischer Trauerspiele schrieb, von denen jedoch viele Repertoirestücke wurden, sind insbesondere zu erwähnen: Graf Alex. Fredro der ältere (gest. 1876), der durch natürlichen Humor ersetzt, was ihm an echter dramatischer Kunst abgeht; Jozef Korzeniowski (1797-1863), der maßvollste unter den Romantikern, Magnuszewski (1810-47) u. a. Im allgemeinen aber war die Romantik in Polen so wenig wie in Deutschland [* 4] und Frankreich der Entwickelung des bühnengerechten Dramas förderlich. In glücklicher Weise vermittelt der Roman den Übergang zu der neuesten realistischen Epoche.
Den Bann des sentimentalen klassischen Romans versuchten schon im zweiten Jahrzehnt Bernatowicz (»Pojata«),
Niemcewicz (»Johann von Tenczyn«),
Graf Skarbek (»Pan Starosta«, »Damian Ruszczyc« etc.) zu brechen. Doch datiert die Popularität der Romane in Polen erst vom Anfang der 40er Jahre, seitdem sich nämlich J. I. ^[Józef Ignacy] Kraszewski (1812-87) mit dem Roman »Swiat i poeta« (1839) Bahn gebrochen, um alsbald der fruchtbarste und der am meisten gelesene Schriftsteller zu werden. Neben Kraszewski, welcher eine ebenso anziehende wie im ganzen gesunde geistige Nahrung bot, sind zu nennen: Jozef Korzeniowski (gest. 1863), der in seinen zahlreichen Sittenromanen, als »Spekulant«, »Garbaty«, »Emeryt« etc., sich als sehr bedeutender Erzähler und feiner Stilist erweist, indessen den populären und patriotischen Ton nicht so glücklich wie Kraszewski zu treffen wußte;
Michael Czajkowski (gest. 1886), dessen in der Ukraine spielende Romane seiner Zeit sehr beliebt waren, allein bald aus der Mode kamen;
Sigismund Kaczkowski (geb. 1826), welcher mit großem Erfolg den chronistischen Memoirenton zu treffen verstand, aber bald wieder verstummte;
J. ^[Józef] Dzierzkowski (gest. 1868) u. a.
Aber die polnische Romantik war keine ausschließlich poetische Richtung, sondern eine politisch-soziale Reaktion gegen die durch den Wiener Kongreß sanktionierten Verhältnisse und gegen jene aristokratisch-büreaukratische Koterie, welche den Fall des Reichs mit verschuldet und sich dann mit dem russischen Regime ausgesöhnt hatte. Sie beherrschte daher auch nicht allein die Dichtkunst, sondern auch die Geschichte und Philosophie. In der polnischen Geschichtschreibung behandelte die »klassische Schule« des übrigens sehr verdienstlichen A. Naruscewicz (gest. 1796) die Hof- und Staatsgeschichte.
An der Spitze der neuesten, romantischen Schule stand Joachim Lelewel (gest. 1861), welcher wie Mickiewicz wesentlich zum Aufstand von 1830 beitrug und sein bedeutendes Talent der patriotisch-demokratischen Tendenz vollständig dienstbar machte, zwar auf allen Gebieten der Geschichte und Geographie durch seine Forschungen anregend und bahnbrechend wirkte, aber durch das Hineintragen vorgefaßter Meinungen den Sieg realistisch-objektiver Geschichtsforschung hinderte.
Ganz in demselben Sinn wirkten Heinrich Szmitt und Andreas Moraczewski (gest. 1855), dessen »Polnische Geschichte« ein warmes Plaidoyer für republikanische Grundsätze ist und in dogmatisierender Richtung über die durch fortwährende Quellenforschung gemilderte und kontrollierte ähnliche Methode Rottecks und Guizots weit hinausgeht. Anstatt die Fehler und Gebrechen aufzudecken, welche den Fall des polnischen Staats herbeiführen, langte die Schule Lelewels ¶
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schließlich mit dem Dichter Krasinski bei demselben Punkt an, nämlich bei der Apotheose des polnischen Volkes. Ihren Zenith erreichte diese Richtung in der Historiosophie von Waleryan Wroblewski (Pseudonym Koronowicz): »Słowo dziejow polskich« (1858 bis 1859). Dieser Schule im übrigen nahe verwandt, unterscheidet sich Karl Szajnocha (1818-65) dadurch vorteilhaft von ihr, daß er seinen historischen Gemälden, namentlich in der glänzenden Schilderung Jagellos und Hedwigs (»Jadwiga i Jagiello«, 1861), einen vollen Hintergrund verleiht und anstatt politischer Abstraktionen Gestalten von Fleisch und Blut liefert. Er bezeichnet dadurch neben Julian Bartoszewicz (1821-71) den Übergang zu der neuesten realistische Periode polnischer Geschichtschreibung.
Wie der französische Akademismus die polnische Poesie bis 1822 beherrschte, so fußten auch die bescheidenen Anfänge der polnischen Philosophie in dem französischen Sensualismus, dessen wichtigster Vertreter der einflußreiche Rektor der Wilnaer Universität, J. ^[Jan] Sniadecki, war. Die Reform lehnte sich auch hier an die deutsche Philosophie, namentlich an Kant, an, dem auch Mickiewicz viel verdankt. J. K. ^[Józef Kalasanty] Szaniawski (1764-93), auf der Königsberger Universität gebildet, zuletzt Mitglied des obersten Kriminalgerichtshofs, bekämpfte zuerst in den Schriften: »Co jest filozofia?« (»Was ist Philosophie?« 1802),
»O systemach moralnych« (1803),
»Dzieje filozofii« (1804) etc. die Theorie Condillacs und wies auf Kant und Schelling hin, welch letzterer auch auf den fähigsten Kunstrichter und Ästhetiker der romantischen Schule, M. Mochnacki, entscheidenden Einfluß ausgeübt hat. Jozef Goluchowski fußt mit seinem »Zasady logiki« (1821) vollständig im Schellingschen Idealismus. Doch entfaltete sich die philosophische Litteratur in Polen erst in den 40er Jahren und zwar unter dem Banner Hegels. Dessen Schüler Graf August Cieszkowski (geb. 1809) wandte des Meisters aprioristisches System auf den Geist der Geschichte der Slawen an (»Ojcze nasz«, Par. 1848); Karl Libelt (1807-1875) versuchte eine nationale polnische Philosophie zu schaffen (»System umnictwa«, »Filozofia i krytyka« etc.); Jozef Kremer (1806-75) erwarb sich namentlich durch seine »Ästhetischen Briefe« große Verdienste um die polnische philosophische Litteratur.
Auch Bronislaus Trentowski (1808-70) geht von der deutschen idealistischen Philosophie aus, obschon er den Anspruch erhob, eine neue »Philosophie der Slawen« zu begründen, welche den Idealismus der Germanen und den Realismus der Romanen zur Synthese oder höhern Potenz zu erheben hätte (deutsch: »Grundlage der universellen Philosophie«, Karlsr. 1837; polnisch: »Chowanna«, Posen [* 6] 1842, etc.). Den Mittelpunkt der philosophischen Bewegung bildete in den 40er Jahren Posen, wo dieselbe in der von Libelt redigierten Zeitschrift »Rok« ein vorzügliches Organ besaß. Die durchaus aprioristische, der Realität und Erfahrung abgeneigte Richtung dieser philosophischen Bestrebungen stimmte mit dem Geiste der polnischen Romantik vortrefflich überein, weshalb denn auch zwischen beiden eine fortwährende Wechselwirkung stattfand, z. B. Hegel und Garczynski, Libelt und Slowacki, Cieszkowski und Krasinski etc.
VI. Die neueste Epoche.
Die Romantik, welche die Poesie, die Geschichte und die Philosophie beherrschte, gipfelte in der Überzeugung, daß die Idee und der Wille alles vermögen, die verachtete und gelegentlich als nicht vorhanden betrachtet Materie nebensächlich sei, daß das polnische Volk das auserlesene sei und den absoluten Anspruch habe, von den andern Völkern gerettet zu werden, daß die russischen Heerscharen unmöglich der polnischen Begeisterung standhalten könnten. Diese Stimmung erklärt allein den im ungeeigneten Augenblick, ohne gehörige Vorbereitung und ohne die notwendigen Mittel unternommenen Aufstand von 1863. Im J. 1831 war die Romantik erst im Aufschwung begriffen und wies der polnisch-russische Krieg immerhin einige sehr erhebende Momente auf; 1863 hatte sie ihren Kreislauf [* 7] beendet.
Daher steigerte sie sich nach dem Fall jenes Freiheitskriegs, wogegen das Scheitern des letzten Aufstandes einen entschiedenen Rückschlag zu gunsten realistischer Auffassung der Dinge erzeugte. Zum erstenmal tritt jetzt mit den bedeutenden Werken von J. ^[Jozef] Supinski (»Grundzüge der allgemeinen Philologie«, 1860, und »Schule der polnischen Nationalökonomie«) die nationalökonomische Richtung in den Vordergrund, und es wagen kühne Schriftsteller, wie Franz Krupinski (»Über die Romantik und ihre Folgen«, Warsch. 1876),
über die als nationales Heiligtum geltende Romantik den Stab [* 8] zu brechen, was freilich wieder nur einen Mangel an echt historischer Auffassung verrät. Jedenfalls ist diese neueste, von »positivistischen« und ironisch-pessimistischen Ideen beherrschte Epoche der epischen und lyrischen Poesie nicht günstig. Unter den ältern Dichtern meldete sich der Nestor Bohdan Zaleski, welcher mit seinem »Damy" an der Wiege der Romantik stand und dann in »Duch od stepu« seinen Zenith erreichte, mit seltenen zarten Gelegenheitsgedichten; Teofil Lenartowicz (geb. 1822),
der Dichter der vielgelesenen »Lyrenka« (1851),
welcher in »Bitwa Raclawicka« auch das Gebiet der historischen Rapsodie ^[richtig: Rhapsodie] mit Glück betrat, bekundete neuestens in dem reizenden Idyll »Jagoda mazowieckich lasów« seine ungeschwächte Schaffungskraft; Kornel Ujejski, der sich mit seinen »Klagen des Jeremias« und »Biblischen Melodien« in den 40er Jahren als der talentvollste Nachahmer Slowackis eingeführt hatte (s. oben),
wandte sich dem dramatischen Gedicht (»Smok«, 1880) mit starkem Anklang an die politischen Tagesfragen zu. Noch sind unter den Dichtern, welche mit ihrer Richtung der vorigen Periode angehören und unter dem Einfluß Slowackis stehen, zu nennen: Wlad. Wolski, Leonard Sowinski (»Sonette und Satiren«),
Felicyan Falenski, Hedwig Luszczewska, Konopicka u. a. Als der bedeutendste lyrische Dichter der neuesten Zeit ist Ad. Asnyk (geb. 1838) zu nennen, bei dem sich ungewöhnliche Anlage mit geläuterter künstlerischer Gestaltungskraft aufs glücklichste vereinigt. Seine »Gedichte«, welche anfangs noch in der pessimistisch-elegischen Stimmung Slowackis fußten, greifen allmählich immer entschiedener in das volle Leben ein und zeichnen sich durch seltene Feinheit der Sprache [* 9] wie durch farbensatte Detailmalerei vorteilhaft aus. Auch besitzt Asnyk jenen unerschütterten Glauben an die unvergängliche Berechtigung der Poesie (»Przeminal czas«, »Naz gon poezyi« etc.),
welcher über augenblickliche Verdunkelungen ihrer Macht wie die gegenwärtige siegreich hinwegführt. Als Dialektdichter sind zu nennen Boutzek (»Stary kościol miechowski«, 1879) im schlesischen und J. Derdowski (»O panu Ozarlinskim«) im kassubischen Dialekt.
Einen sehr bedeutenden Aufschwung nahm in dieser Zeit das Drama. Die hervorragendsten Lustspieldichter sind: A. Asnyk (»Die Freunde Hiobs«),
Graf Joh. Alex. Fredro der jüngere (»Die einzige Tochter«, »Fremde Elemente«, »Arm oder reich« etc.),
M. ¶