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kurze Unterbrechungen mit Einfällen der Osmanen und Moskowiterkriegen gefüllt waren, hatten in Polen dieselben Folgen wie der Dreißigjährige Krieg in Deutschland: [* 2] Verwüstung, Verarmung, geistige Verwilderung und vollständige Lähmung des viel verheißenden nationalen Aufschwungs unter den Jagellonen. Wie ungünstig aber auch alle diese Verhältnisse auf die Litteratur einwirkten, so ist ihr doch auch in diesem Zeitraum das Merkmal einer durch die glänzenden Thaten eines Zolkiewski, Chodkiewicz, Sobieski gehobenen patriotischen Stimmung eigen, welche leider die Schranken eines steifen, panegyristischen Phrasenschwalles nicht zu durchbrechen vermag.
Die bedeutendste poetische Schöpfung dieser Zeit ist das Heldengedicht »Wojna Chocimska« von Waclaw Potocki (1622-93), welches den glänzenden Sieg der Polen bei Chotin über die Türken (1621) behandelt und sich durch lyrischen Schwung und vorzügliche Schilderung einzelner Szenen auszeichnet, aber sprachlich weit hinter den Dichtungen Kochanowskis zurücksteht, dem Potocki auch in seinen kleinern Gedichten nicht gleichkommt. Dieselben Vorzüge und Schattenseiten kennzeichnen des Samuel Twardowski (1600-1660) historisches Gedicht »Władyslaw IV.«, eigentlich ein Cyklus nur äußerlich verbundener Schilderungen der Kriegszüge und Reisen des Königs Wladislaw Wasa.
Die patriotische Tendenz überwiegt in dieser Dichtung so sehr, daß der Hof [* 3] von Moskau [* 4] als eine der Friedensbedingungen ihre öffentliche Verbrennung verlangte. Von geringerm Wert sind die übrigen Gedichte Twardowskis, wie die »Gesandtschaft Zbaraskis«, der »Kosakenkrieg«, seine von Gelehrsamkeit strotzenden »Oden« u. a. Als Erzeugnis erzwungener Mache erscheinen die Dichtungen des Reichshistoriographen Wespasyan Kochowski (1633-99),
namentlich sein »Werk Gottes oder das Lied des befreiten Wien«, [* 5] während auch seine lyrischen Gedichte größern Wert für die Geschichte als für die Poesie besitzen. Durch idealen Schwung zeichnen sich die Idylle »Roxolanki« des Simon Zimorowicz (1604-29) aus. Die Gebrechen der Zeit werden am schärfsten von einem Mann gegeißelt, welcher selbst den größten Tadel verdiente: der Palatin von Posen, [* 6] Christoph Opalinski (1609-55),
welcher unter den Magnaten zuerst auf die Seite der Schweden [* 7] trat und sich auch sonst als stolz, habsüchtig und käuflich erwies, verfaßte 52 »Satiren« von großer Sittenstrenge, aber mittelmäßiger Diktion und schlechtem Geschmack. Die lateinische Dichtkunst fand auch in diesem Zeitraum an Kasimir Sarbiewski (1595-1640) einen glänzenden Vertreter; seine Oden werden noch heute als mustergültig betrachtet. Den Übergang zum französischen Klassizismus vermittelt die gräfliche Dichterfamilie der Morsztyn, unter denen der Kronschatzmeister Andreas, das Haupt der französischen Partei unter König Sobieski, den bedeutendsten Einfluß ausgeübt hat. Er wies zuerst durch eine vorzügliche Übersetzung des »Cid« auf die französischen Muster hin, ahmte in der poetischen Erzählung »Psyche« französische Eleganz und Leichtigkeit nach und verfaßte zierliche lyrische Gedichte.
Sein Neffe Stanislaus Morsztyn übersetzte die »Andromache« von Racine und schrieb vortreffliche Elegien; auch Zbigniew Morsztyn erweist sich in seinen Gedichten als Meister anmutiger Diktion. Durch Einfachheit und Natürlichkeit zeichnen sich die epischen und lyrischen Gedichte (»Lob der Wälder«, »Der Frühling«, »Die Klagen«) der Elisabeth Druzbacka (1687-1760) aus. Das Drama kam auch in diesem Zeitraum über unbedeutende Anfänge nicht hinaus, obschon König Wladislaw IV. (1630-48) eine Hofbühne unterhielt und auch an den Höfen der Magnaten theatralische Vorstellungen in Gebrauch waren. Durch gelungene Charakteristik ragt der »Z chlopa Król« (Krak. 1637) des Peter Baryka hervor, welcher einzelne Züge mit Gryphius gemein hat.
Unter König Joh. Kasimir wurden, wie ein Zeitgenosse klagt, »die Fenster des Warschauer Schlosses von französischen Perücken verhüllt«. Der Hof und die Großen wendeten sich immer entschiedener der französischen Litteratur zu, was namentlich die Entwickelung des nationalen Dramas hindern mußte. Nach dem Tod Sobieskis erregte ein allegorisches Tendenzstück: »Das Königreich Polen«, von einem unbekannten Verfasser, großes Aufsehen (vgl. K. Wojcicki, Teatr starožytny w Polsce, Warsch. 1841). Auch die eigentliche Geschichtschreibung machte keinen Fortschritt, dagegen ist dieser Zeitraum reich an wertvollen Memoiren. Die erste Stelle gebührt hier den in mustergültiger Prosa abgefaßten »Pamiętniki« des Chrisostomus Pasek (beste Ausg., Wilna [* 8] 1854),
welcher die Kriege und politischen Ereignisse von 1656 bis 1668 aus eigner Anschauung schildert. Stilistisch unbedeutend, aber inhaltreich sind des Nikol. Jemiolowski »Denkwürdigkeiten« von 1648 bis 1679 (Lemb. 1850) und des Joachim Jerlicz »Chronik der Ereignisse von 1620 bis 1673« (Petersb. 1853),
während die unter dem Namen Otwinowski (Krak. 1850) veröffentlichten Memoiren scharfe Beobachtungsgabe des Verfassers bekunden. Sehr wichtig für die Geschichte des Königs Mich. Wisniowiecki ist das »Diarium« des an den Ereignissen in hervorragender Weise beteiligten Palatins Chrapowicki (Warsch. 1844). Unter den eigentlichen Geschichtschreibern sind hervorzuheben: der äußerst fruchtbare Polyhistor Simon Starowolski (gest. 1656), dessen »Reformacya obyczajów polskich«, »Polonia sive status regni Poloniae« (Köln [* 9] 1632),
»De rebus Sigismundi I.« (Krak. 1616),
»Script. polon. hecatontas« (Vened. 1627) durch klare Auseinandersetzung der Gebrechen der Republik bemerkenswert sind; der oben genannte Wespasyan Kochowski, Verfasser eines vorzüglichen Geschichtswerkes: »Annalium Poloniae ab obitu Wladislai IV. climacter 1, 2, 3« (Krak. 1683-98, das 4. Buch befindet sich als Manuskript in der Dresdener Hofbibliothek). Adalb. Wijuk Kojalowicz (1609-77) schrieb eine »Historia Lithuaniae« (Danz. 1650),
welche Schlözer zu den besten Geschichtswerken des 17. Jahrh. zählt; des Reichskanzlers Andr. Chris. Zaluski (1650-1711) »Epistolae historico-familiares« (Braunsb. 1709-1711) sind Hauptquellen für die Geschichte dieser Zeit. Der Kastellan Paul Potocki (gest. 1674),
welcher 13 Jahre in russischer Gefangenschaft verbracht hatte, verfaßte eine »Beschreibung Moskoviens« (Warsch. 1747),
Fürst Albr. H. Radziwill eine »Geschichte König Sigismunds III.« Die heraldischen Vorarbeiten Paprockis fanden in dem großen Werke »Korona polska« (Lemb. 1728-41, 4 Bde.) des K. Niesiecki (gest. 1744) eine klassische Vollendung.
IV. Herrschaft des französischen Klassizismus, 1750-1822.
Der Ausgang des 17. und Anfang des 18. Jahrh. waren für die polnische Litteratur ganz unproduktiv; erst um die Mitte des 18. Jahrh. trugen die immer mächtiger eindringenden französischen Einflüsse den Sieg davon und förderten eine neue Litteraturepoche zu Tage, welche allerdings fast ausschließlich auf Nachahmung fremder Muster beruht, indessen für Verfeinerung des Geschmacks und der Sprache [* 10] nicht ¶
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wenig geleistet hat. Der Kampf gegen die Schulmethode der Jesuiten knüpft sich an den Namen des Piaristen Stanislaus Konarski (1700-1773), der in seiner Schrift »De emendandis eloquentiae vitiis« die widerliche Sprachmengerei bekämpfte, in den »Institutiones oratoriae« (1767) eine ungekünstelte Theorie der Beredsamkeit mit Beispielen aus mustergültigen Schriftstellern gab und dem französischen Klassizismus durch vorzügliche Übersetzungen aus Corneille u. a. die Bahn brach.
Diese Richtung fand eifrige Unterstützung an dem Hof des Königs Stan. Poniatowski, welcher seine Schwäche und Charakterlosigkeit wenigstens zum Teil durch die den Künsten und Wissenschaften erwiesene Aufmunterung gesühnt hat. Der »Dichterfürst« dieser Zeit, Erzbischof Graf Ignaz Krasicki (1735-1801), vereinigt alle ihre Vorzüge: zierliche Sprache, feinen Witz, geistreiche Satire, mit ihren Schattenseiten, als sklavische Nachahmung französischer Muster, unbedingte Unterwerfung unter die Kunstregeln Boileaus und Mangel an wahrer poetischer Empfindung. Im steifen Stil der »Henriade« besang er den »Krieg um Chotin«, ohne die frühere Bearbeitung desselben Stoffes von W. Potocki zu kennen; belebter sind seine satirischen Epopöen (»Myszeïs«, »Monomachia«, »Antimonomachia«),
am gelungensten seine Fabeln und Satiren und die Sittenromane (»Der Untertruchseß« etc.), während die unter dem Namen seines Sekretärs Mrowinski veröffentlichten Dramen ganz verfehlt sind. Unter den eigentlichen Hofpoeten sind zu nennen: der Bischof Ad. Naruszewicz (1733-96), welcher in seinen Oden, Idyllen, anakreontischen Liedern und in seinen vortrefflichen Satiren noch eine gewisse Würde bewahrt, während der königliche Kammerherr St. Trembecki (1732-1812) sich nicht nur mit dem Schoßhündchen des Königs vergleicht, sondern auch der Zarin Katharina schmeichelt, obschon seine lyrischen Gedichte und sein großes beschreibendes Gedicht »Zofijówka« in sprachlicher Hinsicht ausgezeichnet genannt werden müssen.
Auch sein früh verstorbener Amtsgenosse Cajetan Wegierski (1755-87) ahmte in seinem beschreibenden Gedicht »Organy« wie in seinen »Oden« und »Poetischen Briefen« die französischen Muster sklavisch nach. In höherm Grade trägt der nationalen Stimmung Rechnung Fr. Dion. Kniaznin (1750-1807) in seinen Oden und Opern, welche indessen der Form nach streng »klassisch« sind, gleichwie die seinerzeit als Meisterwerke gepriesenen Trauerspiele: »Ludgarda« des Generals Ludwig Kropinski (gest. 1844) und »Barbara Radziwill« von Aloys Felinski (1771-1820). Als Vorbote der Befreiung der Nationallitteratur aus den Fesseln des französischen Akademismus erscheint zunächst Franz Karpinski (1741-1828),
welcher zwar in seinen Dramen: »Judith«, »Der Zins«, »Alceste« etc. noch auf pseudoklassischem Boden steht, dagegen in seinen Idyllen und Elegien den volkstümlichen Ton aufs glücklichste anzuschlagen wußte. Auch der Erzbischof Joh. Woronicz (1757-1819),
nach Skarga der bedeutendste polnische Kanzelredner: welcher in seinem didaktischen Gedicht »Swiatynia Sibylli« an den Moderegeln festhält, erhebt sich in einzelnen Dichtungen, namentlich in dem Fragment »Assarmot«, zu wahrer poetischer Begeisterung. Der eigentliche Dichter des Übergangs ist indessen der auch als Staatsmann, Redner und Adjutant Kosciuszkos bekannte Julian Ursin Niemcewicz (1757-1841). Seine politischen Tendenzdramen: »Die Heimkehr des Landboten« und »Kasimir d. Gr.« greifen kühn in die nationale Strömung;
noch anregender haben seine »Historischen Gesänge« und die Erzählung »Jan z Tenczyna« gewirkt.
Unter den Dichtern des Übergangs sind ferner zu nennen: Franz Wenzyk (1784-1862),
welcher Dramen (»Glinski«, »Barbara«, »Wanda«) und ein beschreibendes Gedicht: »Okolice Krakowa« (Krak. 1820), schrieb, der Kastellan Cajetan Kozmian (1771-1856), Winzenz Reklewski (1785-1812) u. a. Charakteristisch für diesen Zeitraum sind die zahlreichen, zum Teil vorzüglichen Übersetzungen von Meisterwerken der altklassischen wie der modernen Litteraturen. Einen bedeutenden Aufschwung nahm jetzt die Geschichtschreibung. Dem oben genannten Ad. Naruszewicz gebührt der Ruhm, durch seine auf umfassenden kritischen Quellenstudien beruhende, auch sprachlich ausgezeichnete »Geschichte des polnischen Volkes« eine sichere Grundlage für die moderne Geschichtschreibung Polens geschaffen zu haben.
Unter den historischen Schriften des Grafen Tadeusz Czacki (1765-1813) ist diejenige »Über die litauischen und polnischen Gesetze« hervorzuheben, obschon es ihm nicht gelang, das reiche Material systematisch zu ordnen. Joh. Albertrandi (1731-1808) schrieb eine »Geschichte Heinrichs von Valois und Stephan Báthoris«, eine »Geschichte der Regierung Kasimirs« und zahlreiche Monographien. Auch der Dichter Niemcewicz hat sich durch seine »Geschichte Sigismunds III.« als Geschichtsforscher einen Namen erworben.
Denselben Stoff mit besonderer Berücksichtigung der staatlichen Einrichtungen, Sitten, Trachten etc. behandelte Fr. Siarczynski (1758-1829); geringern Wert besitzen Golembiowskis (1773-1849) zahlreiche Beiträge zur Sittengeschichte Polens. Der Erforschung der slawischen Urgeschichte widmete sich außer Surowiecki (1769-1827) Adam Czarnocki (1784-1825), dessen in polnischen und russischen Zeitschriften veröffentlichte Aufsätze auf diesem Gebiet bahnbrechend wirkten.
Sehr bedeutend gestaltete sich auch in diesem Zeitraum die Memoirenlitteratur; fast jedes Jahr bringt jetzt Denkwürdigkeiten aus dem 18. Jahrh., und sehr viele ruhen noch in den Familienarchiven. Unter den bekannten sind am wichtigsten: die Denkwürdigkeiten des Königs Stan. Poniatowski, dessen interessanter Briefwechsel mit Frau v. Geoffrin später in Paris [* 12] veröffentlicht wurde; sodann des Andreas Kitowicz »Denkwürdigkeiten zur Regierung Augusts III. und Stanisl. Augusts« (Pos. 1840),
des an der Barer Konförderation ^[richtig: Konföderation] in hervorragendem Maß beteiligten Wybicki »Pamiętniki« (das. 1840),
dann »Pamiętniki czasów moich« von Niemcewicz (Par. 1840),
die Memoiren des Generals Zajonczek, Kozmians, die (jüngst veröffentlichten) des Fürsten Adam Czartoryiski u. a. Auf staatswissenschaftlichem Gebiet trat Konarski (s. oben) mit seiner Gesetzsammlung »Volumina legum« und namentlich mit dem epochemachenden Werk »O skutecznym rad sposobie« (1760-63) als Reformator auf. Ihm schließen sich an der Reichskanzler Hugo Kolontaj (1750-1812),
der freisinnige und geistreichste Führer der Reformpartei auf dem sogen. großen Reichstag von 1788-92, und der Staatsrat Stan. Staszic (1755-1826; »Uwagi nad žyciem Zamoyskiego«, »Przestrogi dla Polski«); ferner Ignaz Potocki, Severyn Rzewuski, Jezierski, Tomaszewki u. a. Auch in den Versuchen auf dem Gebiet der Philosophie herrschte die französische Richtung vor. Die von Condillac im Auftrag des polnischen Unterrichtsrats verfaßte »Logik« wurde von Jan Znosko übersetzt (1802); Cyankiewicz schrieb eine Logik nach den Grundsätzen Lockes (1784). Am ¶