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seiner Erziehung vernachlässigt, aber mit reger Einbildungskraft und scharfem Verstand begabt, von unverwüstlichem Humor und stark zur Satire hinneigend, erscheint Rej als das Prototyp des Landjunkers seiner Zeit, welcher die Tage bei fröhlichen Gelagen zubringt, des Nachts aber zur Feder greift, ohne seine reiche, aber verworrene Phantasie künstlerisch zu beherrschen. Er versuchte sich im Drama (»Zywot Józefa«),
im Lehrgedicht (»Wizerunek własny« etc.),
in der Satire und Allegorie (»Zwierzyniec«),
im erotischen Gedicht (»Figliki«); seine bedeutendste Schrift ist jedoch das Sittenbild »Zywot poczciwego człowieka« (»Das Leben eines rechtschaffenen Menschen«, 1567), welches sich durch Originalität, frischen Humor und geistreiche Wendungen auszeichnet. Erst in den lyrischen Dichtungen des auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stehenden Johann Kochanowski (1530-84),
des glänzendsten Repräsentanten des »goldenen Zeitalters«, vereinigt sich gründliche Kenntnis der klassischen Litteratur mit tiefer poetischer Empfindung und meisterhafter Beherrschung der Sprache. [* 2] Seine »Treny«, Elegien auf den Tod seiner Tochter Ursula, gelten noch heute als das herrlichste Denkmal polnischer Lyrik; seine Übertragung der »Psalmen« ist ein Muster einfach-erhabenen Stils. Auch seine »Lieder« sind, obschon der Form nach Nachahmungen des Horaz, durchaus national, und sein dramatische Fragment »Odprawa poslów« (»Der Abschied der Gesandten«) ist der erste nennenswerte Versuch, den die polnische Poesie auf dramatischem Gebiet machte. In Seb. Fabian Klonowicz (1552-1608) greift zum erstenmal das bürgerliche Element mit zornigen Tönen in die Litteratur der Adelsrepublik ein.
Schon das beschreibende Gedicht »Flis« (1595) enthält Ausfälle gegen Adel und Klerus, die sich dann im »Judasbeutel« (1603) zu einem Schmerzensschrei steigern und in der »Victoria [* 3] deorum« zu einer »hundertarmigen Satire« gestalten. Neben diesen drei namhaftesten Dichtern sind zu nennen: Nikolaus S. Szarzynski (gest. 1581), welcher die Form des Sonetts in die polnische Poesie einführte;
Kaspar Miaskowski (1549-1622), voll lyrischen Schwunges und patriotischer Begeisterung, aber nachlässig in der Diktion;
Stanislaus Grochowski (1540-1616), welcher die volkstümliche Saite anschlägt.
Die Herrschaft des Latein war indessen noch so wenig beseitigt, daß eine ganze Reihe talentvoller Dichter in dieser Sprache schrieb, so: Klemens Janicki (1516-43), Simon Szymonowicz-Simonides (1558-1629), ein Schüler Scaligers, der »polnische Pindar« genannt, Andreas Krzycki, Erzbischof von Gnesen, der »polnische Catull«, Jan Dantyszek (Dantiscus, 1485-1548), Bischof von Ermeland, Freund des Kopernikus und des Erasmus von Rotterdam, [* 4] Verfasser von Kirchenliedern, Epigrammen u. a.
Auch die Geschichtschreibung vermag sich noch nicht der lateinischen Fesseln vollständig zu entledigen. Polnisch schrieb Mart. Bielski (gest. 1575) seine »Chronik der Welt«, sein Sohn Joachim eine »Chronik von Polen« bis 1599. Des Matthias Strykowski (1547-82) »Chronik von Polen, Litauen, Samogitien etc.« (Königsb. 1582) ist für die Geschichte Litauens die wichtigste Quellenschrift. Bartosz Paprocki (gest. 1614) verfaßte zahlreiche genealogische und heraldische Werke, unter denen die »Herby rycerstwa polskiego« (»Wappen [* 5] der polnischen Ritterschaft«, 1584) hervorzuheben sind.
Durch sein Werk »Dworzanin polski« (1566; deutsch: »Der polnische Demokrat als Hofmann«, Stuttg. 1856), ein Sittenbild der höhern Gesellschaft Polens, hat sich Lukas Górnicki (um 1560-90) einen hervorragenden Platz in der polnischen Litteraturgeschichte gesichert. Lateinisch schrieben: Martin Kromer (1512-89), Bischof von Ermeland, dessen »Geschichte Polens bis 1506« geringern Wert hat als seine »Beschreibung Polens« (»Polonia«, Köln [* 6] 1577);
Stanislaus Orzechowski (1513-66), welcher in Wittenberg [* 7] mit Luther und Melanchthon im Verkehr stand, nach seiner Rückkehr das geistliche Gewand annahm und bald in die heftigsten Streitigkeiten mit dem Episkopat verwickelt wurde, ein Mann von umfassenden Kenntnissen, hervorragend als polemischer Schriftsteller sowie als Redner (»Rede auf den Tod Sigismunds I.«, 1548; »Rede auf die Vermählung Sigismund Augusts«, 1553; »Türkenreden«, 1543),
endlich auch Verfasser von »Annales« über die Zeit von 1548 bis 1552, die sich durch freimütige Grundsätze auszeichnen, während seine polnisch geschriebene »Policya« (1566) in eine Verherrlichung der Würde des Primas ausläuft.
Orzechowski an Schwung und fesselnder Diktion nicht gewachsen, aber ihm überlegen in klarer Beweisführung ist Fr. Modrzewski (geb. 1520),
ebenfalls in Wittenberg gebildet, dann Sekretär [* 8] des Königs Sigismund August, zuletzt verschollen, dessen Schrift »De emendanda re publica« in freisinniger Richtung seiner Zeit weit vorauseilt. Noch sind unter den lateinischen Historikern zu nennen: J. ^[Ján] Demeter [* 9] Solikowski (gest. 1603 als Erzbischof von Lemberg, [* 10] Verfasser von Denkwürdigkeiten über die Zeit von 1572 bis 1590, Danz. 1647), Orzelski, St. Sarnicki, Wapowski und Decius. Von den parlamentarischen Institutionen begünstigt, entfaltete sich in Polen die Beredsamkeit frühzeitig zu voller Blüte [* 11] und zwar wieder in polnischer und lateinischer Sprache.
Unter den polnischen Rednern sind zu nennen: der Krongroßfeldherr Joh. Tarnowski, der Kastellan Andreas, Graf Górka, der Kanzler Polnische Tomicki, der Domherr Christ. Warszewicki, der Großkanzler Joh. Zamojski (die berühmte Reichstagsrede von 1605), namentlich aber der auch auf kirchengeschichtlichem wie auf polemisch-theologischem Gebiet äußerst thätige Hofprediger Peter Skarga (1536-1612), dessen bei Eröffnung der Reichstagsverhandlungen gehaltene Predigten (»Kazania Sejmowe«, Krak. 1600) ein Muster einfacher und ergreifender Rhetorik sind.
Vgl. St. Tarnowski, »Pisarze polityczni XVI. wieku« (Krak. 1886, 2 Bde.).
III. Die Zeit von 1622 bis 1750.
Die Zeit der allgemeinen Abblüte der Nationallitteraturen trägt in der polnischen das charakteristische Merkmal einer abgeschmackten Sprachmengerei. Infolge des Siegs der katholischen Gegenreformation monopolisierten die Jesuiten den öffentlichen Unterricht, welcher sich bald auf mechanische Anlernung eines nichts weniger als klassischen Latein und eifrige Pflege hohlen Phrasenpomps in unaufhörlichen Deklamationen und theatralischen Vorstellungen beschränkte.
Der junge Adel verließ die Schulen anmaßend, in äußerlicher Rechtgläubigkeit und politischen Vorurteilen bestärkt, ohne gründliche Kenntnisse und ohne Neigung und Fähigkeit zu selbständigem Denken. Der im vorhergehenden Jahrhundert so häufige Besuch fremder Universitäten kam jetzt außer Gebrauch; die Krakauer Hochschule aber schritt, dank den Anfeindungen der Jesuiten, welche 1622, im Widerspruch mit den Privilegien der Universität, das Recht erlangten, in Krakau [* 12] ein Kollegium zu gründen, ihrem gänzlichen Verfall rasch entgegen. Die Greuel des 60jährigen Schwedenkriegs (1600-1660), dessen ¶
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kurze Unterbrechungen mit Einfällen der Osmanen und Moskowiterkriegen gefüllt waren, hatten in Polen dieselben Folgen wie der Dreißigjährige Krieg in Deutschland: [* 14] Verwüstung, Verarmung, geistige Verwilderung und vollständige Lähmung des viel verheißenden nationalen Aufschwungs unter den Jagellonen. Wie ungünstig aber auch alle diese Verhältnisse auf die Litteratur einwirkten, so ist ihr doch auch in diesem Zeitraum das Merkmal einer durch die glänzenden Thaten eines Zolkiewski, Chodkiewicz, Sobieski gehobenen patriotischen Stimmung eigen, welche leider die Schranken eines steifen, panegyristischen Phrasenschwalles nicht zu durchbrechen vermag.
Die bedeutendste poetische Schöpfung dieser Zeit ist das Heldengedicht »Wojna Chocimska« von Waclaw Potocki (1622-93), welches den glänzenden Sieg der Polen bei Chotin über die Türken (1621) behandelt und sich durch lyrischen Schwung und vorzügliche Schilderung einzelner Szenen auszeichnet, aber sprachlich weit hinter den Dichtungen Kochanowskis zurücksteht, dem Potocki auch in seinen kleinern Gedichten nicht gleichkommt. Dieselben Vorzüge und Schattenseiten kennzeichnen des Samuel Twardowski (1600-1660) historisches Gedicht »Władyslaw IV.«, eigentlich ein Cyklus nur äußerlich verbundener Schilderungen der Kriegszüge und Reisen des Königs Wladislaw Wasa.
Die patriotische Tendenz überwiegt in dieser Dichtung so sehr, daß der Hof [* 15] von Moskau [* 16] als eine der Friedensbedingungen ihre öffentliche Verbrennung verlangte. Von geringerm Wert sind die übrigen Gedichte Twardowskis, wie die »Gesandtschaft Zbaraskis«, der »Kosakenkrieg«, seine von Gelehrsamkeit strotzenden »Oden« u. a. Als Erzeugnis erzwungener Mache erscheinen die Dichtungen des Reichshistoriographen Wespasyan Kochowski (1633-99),
namentlich sein »Werk Gottes oder das Lied des befreiten Wien«, [* 17] während auch seine lyrischen Gedichte größern Wert für die Geschichte als für die Poesie besitzen. Durch idealen Schwung zeichnen sich die Idylle »Roxolanki« des Simon Zimorowicz (1604-29) aus. Die Gebrechen der Zeit werden am schärfsten von einem Mann gegeißelt, welcher selbst den größten Tadel verdiente: der Palatin von Posen, [* 18] Christoph Opalinski (1609-55),
welcher unter den Magnaten zuerst auf die Seite der Schweden [* 19] trat und sich auch sonst als stolz, habsüchtig und käuflich erwies, verfaßte 52 »Satiren« von großer Sittenstrenge, aber mittelmäßiger Diktion und schlechtem Geschmack. Die lateinische Dichtkunst fand auch in diesem Zeitraum an Kasimir Sarbiewski (1595-1640) einen glänzenden Vertreter; seine Oden werden noch heute als mustergültig betrachtet. Den Übergang zum französischen Klassizismus vermittelt die gräfliche Dichterfamilie der Morsztyn, unter denen der Kronschatzmeister Andreas, das Haupt der französischen Partei unter König Sobieski, den bedeutendsten Einfluß ausgeübt hat. Er wies zuerst durch eine vorzügliche Übersetzung des »Cid« auf die französischen Muster hin, ahmte in der poetischen Erzählung »Psyche« französische Eleganz und Leichtigkeit nach und verfaßte zierliche lyrische Gedichte.
Sein Neffe Stanislaus Morsztyn übersetzte die »Andromache« von Racine und schrieb vortreffliche Elegien; auch Zbigniew Morsztyn erweist sich in seinen Gedichten als Meister anmutiger Diktion. Durch Einfachheit und Natürlichkeit zeichnen sich die epischen und lyrischen Gedichte (»Lob der Wälder«, »Der Frühling«, »Die Klagen«) der Elisabeth Druzbacka (1687-1760) aus. Das Drama kam auch in diesem Zeitraum über unbedeutende Anfänge nicht hinaus, obschon König Wladislaw IV. (1630-48) eine Hofbühne unterhielt und auch an den Höfen der Magnaten theatralische Vorstellungen in Gebrauch waren. Durch gelungene Charakteristik ragt der »Z chlopa Król« (Krak. 1637) des Peter Baryka hervor, welcher einzelne Züge mit Gryphius gemein hat.
Unter König Joh. Kasimir wurden, wie ein Zeitgenosse klagt, »die Fenster des Warschauer Schlosses von französischen Perücken verhüllt«. Der Hof und die Großen wendeten sich immer entschiedener der französischen Litteratur zu, was namentlich die Entwickelung des nationalen Dramas hindern mußte. Nach dem Tod Sobieskis erregte ein allegorisches Tendenzstück: »Das Königreich Polen«, von einem unbekannten Verfasser, großes Aufsehen (vgl. K. Wojcicki, Teatr starožytny w Polsce, Warsch. 1841). Auch die eigentliche Geschichtschreibung machte keinen Fortschritt, dagegen ist dieser Zeitraum reich an wertvollen Memoiren. Die erste Stelle gebührt hier den in mustergültiger Prosa abgefaßten »Pamiętniki« des Chrisostomus Pasek (beste Ausg., Wilna [* 20] 1854),
welcher die Kriege und politischen Ereignisse von 1656 bis 1668 aus eigner Anschauung schildert. Stilistisch unbedeutend, aber inhaltreich sind des Nikol. Jemiolowski »Denkwürdigkeiten« von 1648 bis 1679 (Lemb. 1850) und des Joachim Jerlicz »Chronik der Ereignisse von 1620 bis 1673« (Petersb. 1853),
während die unter dem Namen Otwinowski (Krak. 1850) veröffentlichten Memoiren scharfe Beobachtungsgabe des Verfassers bekunden. Sehr wichtig für die Geschichte des Königs Mich. Wisniowiecki ist das »Diarium« des an den Ereignissen in hervorragender Weise beteiligten Palatins Chrapowicki (Warsch. 1844). Unter den eigentlichen Geschichtschreibern sind hervorzuheben: der äußerst fruchtbare Polyhistor Simon Starowolski (gest. 1656), dessen »Reformacya obyczajów polskich«, »Polonia sive status regni Poloniae« (Köln 1632),
»De rebus Sigismundi I.« (Krak. 1616),
»Script. polon. hecatontas« (Vened. 1627) durch klare Auseinandersetzung der Gebrechen der Republik bemerkenswert sind; der oben genannte Wespasyan Kochowski, Verfasser eines vorzüglichen Geschichtswerkes: »Annalium Poloniae ab obitu Wladislai IV. climacter 1, 2, 3« (Krak. 1683-98, das 4. Buch befindet sich als Manuskript in der Dresdener Hofbibliothek). Adalb. Wijuk Kojalowicz (1609-77) schrieb eine »Historia Lithuaniae« (Danz. 1650),
welche Schlözer zu den besten Geschichtswerken des 17. Jahrh. zählt; des Reichskanzlers Andr. Chris. Zaluski (1650-1711) »Epistolae historico-familiares« (Braunsb. 1709-1711) sind Hauptquellen für die Geschichte dieser Zeit. Der Kastellan Paul Potocki (gest. 1674),
welcher 13 Jahre in russischer Gefangenschaft verbracht hatte, verfaßte eine »Beschreibung Moskoviens« (Warsch. 1747),
Fürst Albr. H. Radziwill eine »Geschichte König Sigismunds III.« Die heraldischen Vorarbeiten Paprockis fanden in dem großen Werke »Korona polska« (Lemb. 1728-41, 4 Bde.) des K. Niesiecki (gest. 1744) eine klassische Vollendung.
IV. Herrschaft des französischen Klassizismus, 1750-1822.
Der Ausgang des 17. und Anfang des 18. Jahrh. waren für die polnische Litteratur ganz unproduktiv; erst um die Mitte des 18. Jahrh. trugen die immer mächtiger eindringenden französischen Einflüsse den Sieg davon und förderten eine neue Litteraturepoche zu Tage, welche allerdings fast ausschließlich auf Nachahmung fremder Muster beruht, indessen für Verfeinerung des Geschmacks und der Sprache nicht ¶