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Siegmunds I. Sohn und Nachfolger Siegmund II. August (1548-72) betrieb besonders den Plan einer Vereinigung aller allmählich erworbenen Länder, Litauens, Preußens, [* 2] der russischen Provinzen Wolhynien, Podolien, Podlachien und Ukraine, mit Polen zu einem Staatskörper, welcher in einem gemeinsamen Reichstag seine Vertretung haben sollte. Trotz des Widerstrebens Preußens, dessen Autonomie durch Verträge verbürgt war, der Litauer und der Russen, welche für ihre kirchliche Selbständigkeit fürchteten, wurde die Vereinigung mit ebensoviel Gewalt wie Überredung in der sogen. Lubliner Union (1569) zu stande gebracht, welche den Höhepunkt der Entwickelung Polens bezeichnet.
Durch glückliche Kriege gegen die Walachei und gegen Rußland sowie durch geschickte Benutzung der Auflösung der Ordensherrschaft in Livland [* 3] brachte Siegmund auch die Ausdehnung [* 4] des Reichs auf die größte Höhe; denn Polen umfaßte damals von den Küsten des Baltischen Meers im N. bis Bender am Dnjestr im S., von der Mündung der Netze im W. bis zur Desna im O. mehr als 940,000 qkm (17,000 QM.). Die innere Entwickelung trieb allerdings mehr und mehr einer Adelsrepublik zu. Die Heirat Siegmunds mit einer Frau aus dem Landadel, Barbara Radziwill, erregte die Eifersucht der Edelleute in solchem Grade, daß infolge der Gärung eine geraume Zeit gar kein Reichstag abgehalten werden konnte.
Dazu kam die religiöse Spaltung. Die Reformation fand auch in Polen zahlreiche Anhänger, und es schadete ihr anfangs nicht, daß beide Lehren, [* 5] die lutherische und die calvinische, nebeneinander auftraten. Man nahm an, daß fünf Sechstel aller Einwohner sich der neuen Lehre [* 6] anschlossen. Selbst die der alten Kirche treu blieben, verlangten durchgreifende Reformen, und der König, ja selbst der Primas Jakob Uchanski näherten sich in ihren Forderungen sehr den Anhängern der Reformation. Da erwählten sich die Jesuiten Polen zu einem Hauptgebiet ihrer gegenreformatorischen Thätigkeit in der Erkenntnis, wie wichtig es sei, dem Katholizismus zwischen dem protestantischen Deutschland [* 7] und dem schismatischen Rußland ein Herrschaftsgebiet zu wahren. Durch ihre in ihrer Art vortrefflichen Schulen gewannen sie Einfluß auf den Adel, den sie bald überzeugten, daß der Bestand der Adelsrepublik mit einer wohlgegliederten Hierarchie verträglicher sei als mit den Gleichheit aller Gläubigen predigenden Lehren der Ketzer. Zudem schwächte sich die Reformation in Polen durch das Aufkommen von Sekten, besonders der Socinianer, so daß ihre Ausbreitung zum Stillstand kam.
Verfall des Reichs unter der Wahlmonarchie.
Mit Siegmund August erlosch 1572 der Mannesstamm der Jagellonen, und das bisher nur der Theorie nach bestehende Recht der Königswahl bekam jetzt eine praktische Bedeutung. Vor der Wahl vereinbarte der »Konvokationsreichstag« die Pacta conventa, die Verfassungsbestimmungen, welche jeder künftige König vor seinem Regierungsantritt beschwören sollte; danach mußte er geloben, ohne Einwilligung des Reichstags keine Steuern zu erheben, nicht über Krieg oder Frieden zu beschließen, sich mit einem Rat von Senatoren und Landboten zu umgeben u. a.; bei Lebzeiten eines Königs sollte niemals die Wahl des Nachfolgers stattfinden, sondern erst nach seinem Tode der Erzbischof-Primas einen Konvokationsreichstag, dem nicht nur die gewöhnlichen Mitglieder, Senatoren und Landboten, sondern jeder polnische Edelmann beizuwohnen berechtigt sei, zur Festsetzung und Vornahme der Wahl berufen; ein den Pacta conventa zugefügter Religionsartikel (Pax dissidentium) sicherte allen Edelleuten ohne Rücksicht auf die Konfession völlige Gleichheit zu. Damit war die polnische Adelsrepublik mit einer gewählten monarchischen Spitze vollendet und bei jeder Königswahl den Ränken des herrschsüchtigen Adels und den Umtrieben auswärtiger Mächte freier Spielraum eröffnet.
Der Adel gewöhnte sich, sein Wahlrecht auszubeuten, um sich selbst zu bereichern und von den Thronbewerbern außerordentliche Subsidien zu erpressen. Gleich der erste Wahlkönig, der französische Prinz Heinrich von Anjou (1573-74, s. Heinrich 29), mußte außer den Pacta conventa sich verpflichten, auf Kosten Frankreichs eine Flotte für Polen herzustellen, um ihm die Herrschaft auf der Ostsee zu erringen, ferner 4000 Mann französischer Hilfstruppen gegen die Russen zu stellen und für alle etwanigen Kriege Hilfsgelder sowie ½ Mill. Fl. jährlich aus Frankreich zur Verwendung in Polen zu beziehen. Unter diesen Umständen fand Heinrich die Krone so wenig begehrenswert, daß er vier Monate nach seiner Krönung Polen heimlich verließ.
Nachdem Heinrich, als er an dem ihm von der Nation bestimmten Termin nicht zurückkehrte, im Mai 1575 abgesetzt worden, wählte der Reichstag den Fürsten von Siebenbürgen, Stephan Báthori (1575-86), zum König, der sich mit der Schwester des letzten Jagellonen, Anna, vermählte. Preußen [* 8] und insbesondere Danzig [* 9] mußten erst mit Waffengewalt zur Anerkennung Báthoris gezwungen werden. Den Krieg mit Rußland führte der neue König aber mit Glück, siegte 1578 bei Wenden, eroberte 1579 Polozk und das nördliche Livland mit Riga, [* 10] so daß der Zar 1582 einen zehnjährigen Waffenstillstand abschließen mußte.
Aber Stephans und seines Günstlings Johann Zamojski Bestreben, mit Hilfe des niedern Adels dem Königtum größere Macht und Selbständigkeit zu verschaffen, scheiterte gänzlich und kam nur den Jesuiten zu statten, denen Stephan im Interesse seiner innern Politik die größte Förderung zu teil werden ließ. Die katholische Restauration griff daher im Adel immer mehr um sich, und von einer Gleichberechtigung der Protestanten war keine Rede mehr. Die Folge war, daß die der Reformation geneigte deutsche Bevölkerung [* 11] der Städte, von allen politischen Rechten ausgeschlossen und nun auch in ihrer Religionsfreiheit bedroht, allmählich auswanderte; an ihre Stelle traten die Juden, und da diese völlig rechtlos waren, so verschwand in Polen das selbständige bürgerliche Element fast ganz.
Ein Ergebnis der Politik der römischen Kurie und der Jesuiten war auch die Wahl Siegmunds III., Sohns des Königs Johann von Schweden, [* 12] nach dem Tod Stephan Báthoris (1586). Die gemäßigte Partei des Adels unter Zborowski hatte den Erzherzog Maximilian von Österreich [* 13] als Kandidaten aufgestellt. Dem gegenüber betrieben Zamojski und der Primas die Wahl des mütterlicherseits von den Jagellonen abstammenden schwedischen Prinzen, durch welche Polen mit Schweden vereinigt und im letztern Lande die Reformation unterdrückt werden könnte. Nach heftigen Parteikämpfen auf dem Reichstag zu Warschau [* 14] 1587 wählte die katholische Partei Siegmund, die gemäßigte Maximilian, und ein Bürgerkrieg brach aus, der aber 1588 durch die Niederlage und Gefangennahme Maximilians bei Pitschen beendet wurde.
Siegmund III. (1587-1632), der erste Wasa auf dem polnischen Thron, [* 15] ein fanatischer Anhänger der römischen Kirche, ließ den Jesuiten völlig freies Spiel, verlieh nur den Katholiken Ämter und Würden und ¶
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beraubte die Dissidenten ihrer staatsbürgerl. Rechte. Der Adel, mit dem Plan einer Heirat des Königs mit einer österreichischen Prinzessin unzufrieden, bildete unter Führung des Palatins Nikolaus Zebrzidowski 1607 eine Konföderation, beschloß eine Anklage (Rokosz) gegen den König und wurde zwar bei Guzow besiegt, erlangte aber durch Vertrag völlige Amnestie. Die gehoffte Vereinigung Schwedens mit Polen erfolgte nicht, indem Siegmund nach seines Vaters Johann Tod (1592) vom schwedischen Thron ausgeschlossen wurde und sein Versuch, ihn mit Waffengewalt zu erobern, scheiterte (1598). Die ebenso unbegründete Hoffnung, das moskowitische Reich für die römische Kirche zu gewinnen, veranlaßte Siegmund, sich des falschen Demetrius (s. Demetrius 5) anzunehmen und einen kostspieligen, verheerenden Krieg zu führen, der im Frieden von Diwylja (1619) Polen nur den zeitweiligen Besitz von Smolensk, Severien und Tschernigow verschaffte.
Ein Krieg mit Gustav Adolf von Schweden, den Siegmund nicht als König von Schweden anerkennen wollte, kostete Polen Livland und einen Teil von Preußen. Siegmund starb 1632, und nach einem stürmischen Interregnum wurde sein Sohn Wladislaw IV. (1632-48) gewählt. Dieser schloß mit Schweden den Frieden von Stumsdorf (1635) und gewann den von seinem Vater abgetretenen Teil Preußens zurück. Er war ein unterwürfiger Diener des jesuitischen Systems. Das Mißtrauen des übermütigen Adels wußte er aber nicht zu überwinden, und der Reichstag faßte den Beschluß, daß es dem König untersagt sei, andre Truppen als eine Ehrenwache von 1200 Mann zu halten, wodurch derselbe ganz von den Aufgeboten und dem guten Willen des Adels abhängig wurde.
Ihm folgte nach heftigen Wahlkämpfen sein Bruder Johann Kasimir (1648 bis 1669), ehemals Jesuit und Kardinal. Unter ihm brach ein gefährlicher Aufstand der vom Adel bedrückten und durch Zwangsbekehrungen seitens des römischen Klerus gereizten Kosaken und Tataren aus. Der Führer der erstern, Chmelnizky, warf sich, da der polnische Senat jedes religiöse Zugeständnis verweigerte, den Russen in die Arme und veranlaßte sie zu einem Einfall in Polen, auf dem sie bis Lemberg [* 17] vordrangen (1654). Um dieselbe Zeit gab Johann Kasimir durch seinen Protest gegen die Thronbesteigung des Pfälzers Karl Gustav in Schweden (1654) diesem ehrgeizigen Fürsten den erwünschten Anlaß, Polen den Krieg zu erklären und 1655 in raschem Siegeslauf Groß- und Kleinpolen mit Warschau und Krakau [* 18] zu erobern. Eine Adelskonföderation brachte eine nicht unbeträchtliche Streitmacht zur Vertreibung des Feindes auf, die aber in der Schlacht bei Warschau (28.-30. Juli 1656) gegen das schwedisch-brandenburgische Heer unterlag. Die Kriegserklärung Dänemarks an Schweden und die Parteinahme Österreichs für Polen retteten es vor der Gefahr der Teilung, die Karl Gustav plante. Aber im Vertrag von Wehlau mußte es zu gunsten Brandenburgs auf die Lehnshoheit über Ostpreußen, [* 19] im Frieden von Oliva auf Livland verzichten und im Waffenstillstand von Andrussow Smolensk, Siewierz und Tschernigow an Rußland abtreten.
Noch schlimmer war die Lage im Innern. Das Liberum veto (s. d.), das Einspruchsrecht jedes Mitglieds des Reichstags gegen einen Beschluß desselben, war deswegen so verderblich, weil nach Gesetz und Herkommen nach einem solchen Einspruch der Reichstag vertagt und alle seine Beschlüsse, auch die, auf welche der Einspruch keinen Bezug hatte, für null und nichtig angesehen wurden. Indem es seit 1652, da der Landbote Sicinski durch sein Veto die Zerreißung des Reichstags bewirkte, immer häufiger angewendet wurde, geriet die ganze Thätigkeit des Staats, die durchaus von der des parlamentarischen Körpers abhing, ins Stocken.
Nicht weniger schädlich und alle staatliche Ordnung untergrabend war das Korrektiv des Einstimmigkeitsprinzips, zu dem man griff, nämlich das Recht der »Konföderation«, das Recht des Adels, einen Bund zu bilden, um dem Willen sei es einer Minorität oder einer Majorität nötigen Falls mit Gewalt Geltung zu verschaffen. Jeder einflußreiche Große maßte sich das Recht an, sich einem Plan der Krone oder auch des Reichstags mit Waffengewalt zu widersetzen, so 1666 der Kronfeldherr Georg Lubomirski, als die Königin, eine Französin, dem Prinzen Condé die Thronfolge zuzuwenden beabsichtigte.
Die Anhänger der Königin wurden bei Montwy besiegt, und im Frieden von Lengowice mußte die Königin auf ihren Plan verzichten. Als Johann Kasimir 1669 auf die dornenvolle Krone verzichtete und sich in ein französisches Kloster zurückzog, kam es wegen der Neuwahl zum offenen Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Prinzen von Condé und der Konföderation von Golub, welche einen eingebornen Edelmann, Michael Wisniowiecki (1669-73), auf den Thron erhob. Währenddessen wurde Polen von verheerenden Einfällen der Kosaken und Tataren, schließlich auch der Türken heimgesucht, denen es trotz der glänzenden Kriegsthaten des Kronfeldherrn Johann Sobieski im Frieden von Budziak Kamenez-Podolsk abtreten mußte.
Johann Sobieski (1674-96), nach Michaels Tod zum König gewählt, vermochte trotz seiner Siege über die Türken bei Lemberg (1675) und vor Wien [* 20] (1683) denselben Podolien nicht zu entreißen. Die Vererbung der Krone an seinen Sohn Jakob vereitelte seine eigne Gemahlin Maria Kasimira, die im Bund mit den Sapiehas schon bei Lebzeiten ihres Gemahls für die Wahl des französischen Prinzen Conti zum König intrigierte. Hierdurch rief sie nach Sobieskis Tod (1696) energische Anstrengungen Österreichs hervor, dem es nach einem Interregnum voll Kampf und Hader durch unerhörte Versprechungen und Bestechungen gelang, seinem Kandidaten für den polnischen Thron, dem Kurfürsten Friedrich August von Sachsen, [* 21] der deswegen zum Katholizismus übertrat, zum Sieg zu verhelfen.
Die Herrschaft der sächsischen Könige.
Die Herrschaft Augusts II. (1697-1733) war für Polen insofern vorteilhaft, als Österreich ihm das verpfändete Wieliczka zurückgab und ihm im Frieden von Karlowitz (1699) von den Türken die Rückgabe Podoliens erwirkte. Dagegen verwickelte er durch seinen Bund mit Rußland und Dänemark [* 22] Polen in den Nordischen Krieg, in welchem Karl XII. von Schweden nach seinem Sieg bei Narwa in Polen einfiel, Augusts II. Truppen bei Kliszow schlug und 1703 Warschau einnahm. Nachdem er bis Krakau vorgedrungen, ließ er von der französischen Partei des Adels Stanislaus Leszczynski zum König wählen und zwang im Frieden von Altranstädt (1706) August II. zum Verzicht auf Polen. Aber nach Karls XII. Niederlage bei Poltawa (1709) ward Stanislaus von russischen und sächsischen Truppen vertrieben und August unter dem Schutz des Zaren Peter d. Gr. wieder eingesetzt. Die ihm feindliche Partei setzte den Widerstand noch fort und schloß gegen ihn 1715 die Konföderation von Tarnogrod. Erst der »stumme Reichstag« von 1717 machte dem Bürgerkrieg ein Ende. August II. faßte nach dem ¶