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rechtliche Stellung der Kirche schloß Pius besondere Konkordate mit den einzelnen Regierungen ab und erlangte dabei meist sehr günstige Resultate. Im Kirchenstaat erhielt er durch Milde und Nachgiebigkeit die Ruhe aufrecht, verbesserte das Verwaltungswesen, that viel für mildthätige Zwecke und unterstützte die Künste und Wissenschaften. Er starb an den Folgen eines Falles
Vgl. »Storia del pontificato di Pio VII« (Vened. 1815, 2 Bde.);
seine Biographie schrieben: Artaud de Montor (deutsch, Wien [* 2] 1837, 2 Bde.), Simon (Par. 1823), Gaudet (das. 1824), Jäger (Frankf. 1825), Pacca (Rom [* 3] 1836), Henke (Marb. 1862) und Giucci (Rom 1864).
8) Pius VIII., eigentlich Francesco Xaver, Graf Castiglione, geb. zu Cingoli in der Mark Ancona, [* 4] trat früh in den geistlichen Stand, wurde 1800 Bischof von Montalto, mußte sich aber 1808 ins Exil nach Südfrankreich begeben, ward 1814 von Pius VII. zum Bischof von Cesena, 1816 zum Kardinal, dann zum Großpönitenziar und Vorstand der Kongregation für den Index der verbotenen Bücher und 1821 zum Bischof von Frascati ernannt. Am bestieg er als Nachfolger Leos XII. den päpstlichen Stuhl. Seinen Unterthanen gewährte er mehrere materielle Erleichterungen und unterstützte die Kunst. Übrigens war seine Politik allen Konzessionen an den Liberalismus feind. Er starb
Vgl. Artaud de Montor, Histoire du pape Pie VIII (Par. 1843).
9) Pius IX., vorher Giovanni Maria, Graf von Mastai-Ferretti, geb. zu Sinigaglia, wurde im Piaristenkollegium zu Volterra erzogen, studierte in Rom Theologie und begleitete 1823 den apostolischen Vikar Muzi nach Chile. [* 5] Im Juli 1825 nach Rom zurückgekehrt, wurde Mastai zum Vorsteher des Michaelhospitals, im Mai 1827 zum Erzbischof von Spoleto, 1833 zum Bischof von Imola und 1840 zum Kardinal ernannt. Als nach Gregors XVI. Tod das beispiellos kurze Konklave den Kardinal Mastai auf den päpstlichen Stuhl erhob und dieser mit dem Namen Pius IX. an zwei milde und redliche Vorgänger anknüpfte, hegten die Liberalen Italiens [* 6] die kühnsten Erwartungen von ihm, da er die strengen reaktionären Maßregeln Gregors XVI. nicht gebilligt hatte. Pius erließ auch sofort eine allgemeine Amnestie und begann durchgreifende Reformen im Kirchenstaat: 1847 erhielt die Stadt Rom eine neue Munizipalverfassung und der Kirchenstaat eine Staatskonsulta, im März 1848 letzterer durch eine Verfassungsurkunde auch eine Pairs- und eine Deputiertenkammer sowie ein teilweise weltliches Ministerium.
Indes gingen die Wogen der radikalen Bewegung so hoch, daß die Verbannung der Jesuiten aus Rom 29. März von Pius bewilligt werden mußte, und nach der Ermordung Rossis (15. Nov.) floh der Papst nach Gaeta, von wo er erst nach Rom zurückkehrte, um unter dem Schutz französischer und österreichischer Bajonette eine rücksichtslose Reaktion durchzuführen, welche alle Mißbräuche der geistlichen Regierung wiederherstellte und sich allen Mahnungen der Mächte zu zeitgemäßen Reformen unzugänglich zeigte. In dem kirchlichen System hatte Pius von Anfang an keine Änderungen beabsichtigt. Obwohl persönlich liebenswürdig und mild sowie frei von jeder Asketik und jedem Zelotismus, bekannte sich Pius doch von Anfang an zu den hierarchischen Grundsätzen seiner Vorgänger. Die vom Nachfolger Petri geleitete unfehlbare römische Kirche erschien ihm in seiner sinnlichen äußerlichen Frömmigkeit und seiner naiven Unkenntnis der sittlichen und geistlichen Zustände Europas als das einzige untrügliche Heilmittel gegen alle materiellen und geistigen Schäden und Gebrechen der Menschheit, namentlich gegen die Pest des Liberalismus, wie schon seine Encyklika vom verbündete, und nach seiner Meinung unter dem besondern Schutz und der unmittelbaren Eingebung der Jungfrau Maria stehend, glaubte er sich selbst berufen, die Welt durch ihre Wiedervereinigung unter dem römischen Stuhl zum ewigen Heil zu führen. Pius errang auch überraschende Erfolge, indem er sich nach 1848 in geschicktester Weise zu gleicher Zeit die doktrinären Prinzipien der Liberalen und die reaktionären Bestrebungen der Regierungen zu nutze zu machen wußte. In England und den Niederlanden wurden nach dem Grundsatz unbedingter Religionsfreiheit katholische Bistümer errichtet, dagegen mit Österreich [* 7] und andern deutschen Regierungen Konkordate abgeschlossen. Überall wurde die Zahl und Thätigkeit der Orden [* 8] vermehrt. Zum Dank für solche Erfolge verkündete Pius zur größern Ehre seiner Schutzheiligen in einer Versammlung von 167 Bischöfen das Dogma der unbedeckten Empfängnis der Jungfrau Maria und begünstigte die Jesuiten, unter deren Einfluß er bisher so Großes errungen, fortan noch entschiedener. Bei den großen politischen Umwälzungen in Italien [* 9] 1859 und 1860, in denen ihm Napoleon III. als Gegengewicht gegen Sardinien [* 10] gern eine einflußreiche Rolle an der Spitze einer italienischen Konföderation verschafft hätte, verhielt er sich völlig negativ und halsstarrig, so daß der Verlust der Legationen und der Marken an das neue Königreich Italien nicht abzuwenden war. Pius bezeichnete denselben zwar als einen schädlichen Kirchenraub und belegte die »subalpinische« Regierung mit dem Bann; auch erklärten er und die Jesuiten den weltlichen Besitz für notwendig für den Bestand und das Heil der Kirche. Sein Hilferuf an die katholischen Mächte war aber erfolglos. Um so entschiedener und leidenschaftlicher wandte er sich mit seinen geistlichen Waffen [* 11] gegen den kirchenfeindlichen, verderblichen Zeitgeist. Am erließ er an sämtliche Prälaten der katholischen Kirche eine Encyklika, worin er in 80 Sätzen die freiern Ansichten der Neuzeit über Religion und bürgerliche Gesellschaft verdammte. An diese Encyklika schloß sich ein »Syllabus complectens praecipuos nostrae aetatis errores« an, ein Verzeichnis von 80 auf die Religion, die Wissenschaft und das bürgerliche Leben bezüglichen Irrlehren, worin sich der Papst ganz auf den mittelalterlichen Standpunkt stellte, indem er Unterordnung der Wissenschaft und des Staats unter die päpstliche Autorität verlangte. Die modernen Mittel der Presse [* 12] und der Vereine wurden mit Eifer und Erfolg verwendet, um jede abweichende Meinung zu ersticken, durch die Peterspfennige dem Papste den Ausfall seiner Einnahmen zu ersetzen und seine geistige Herrschaft zu einer so unumschränkten und tief eingreifenden Macht zu erheben, wie sie kaum ein Papst besessen. Am eröffnete er das vatikanische Konzil, welches trotz des Widerspruchs der angesehensten Bischöfe aus den bedeutendsten Kulturländern unter dem persönliche Einfluß des Papstes das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit annahm und den unbeschränkten Absolutismus in der römischen Hierarchie vollendete. Als nach dem Abmarsch der französischen Besatzung die Italiener in Rom einrückten, schloß er sich im Vatikan [* 13] ein, wies das Garantiegesetz vom zurück und überhäufte die italienische Regierung bei ¶
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jeder Gelegenheit mit Schmähungen. Auch mit dem neuen deutschen Kaiserreich, das die jesuitischen Pläne so unerwartet durchkreuzte, nahm er den Kampf in der herausforderndsten Weise auf. Nachdem er die drohende Äußerung vom Steinchen, das den Fuß des Kolosses zerschmettern werde, gethan, richtete er den anmaßenden Brief an Kaiser Wilhelm und erklärte in der Encyklika vom die preußischen Maigesetze für ungültig. Mit unverwüstlicher Siegesgewißheit verfolgte er seine überspannten Ziele, und das Glück begünstigte ihn insofern, als er trotz seines hohen Alters und seiner mitunter schwankenden Gesundheit nicht bloß sein 25jähriges, sondern 1876 sogar sein 30jähriges Jubiläum feierte. Im 86. Lebensjahr starb er und wurde 1881 in San Lorenzo beigesetzt.
Vgl. die Biographien von M. Marocco (Turin [* 15] 1861 ff., 5 Bde.), Legge (Lond. 1875, 2 Bde.), Gillet (franz., Münster [* 16] 1877), Wappmannsperger (Regensb. 1878), Stepischnegg (Wien 1879, 2 Bde.) und Pougeois (Par. 1877-86, 6. Bde.), sowie die kürzeren Lebensbilder von R. Pfleiderer (Heilbr. 1878) und Hasemann (Leipz. 1878).