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Winterquartieren, im Sommer auf den kühlern Bergen [* 2] (Jailaks oder Sommerquartiere); andre in Städten. Nahrung und Kleider geben ihnen ihre Schafherden, aus deren Milch sie Raffan oder flüssige Butter bereiten, die durch ganz Persien [* 3] verkauft wird; Pferde [* 4] und Kamele [* 5] ziehen sie zum Verkauf. Außerdem besitzen sie Rinder, [* 6] Maultiere, Ziegen, Esel und schöne Hunde. [* 7] Jedem Stamm ist von der Regierung sein Bezirk angewiesen, und wo einer die ihm gesteckten Grenzen [* 8] nicht innehält, da entstehen harte Kämpfe, wie solche z. B. in Luristan nie ganz aufhören.
An der Spitze der kleinen Gemeinden stehen Alte oder Risch e sefids (»Weißbärte«),
welche die Rechte ihres Stammes auch der Regierung gegenüber ohne Scheu wahrnehmen, bei Streitigkeiten die Entscheidung geben und die Verordnungen des Gouverneurs (Hakim) bestätigen. Von Geld wissen die Ilijat wenig, sie bezahlen mit Schafen oder Wolle. Ihre schwarzen Zelte bestehen aus Ziegenhaarfilz, den die Frauen weben, ihre Gerätschaften aus Teppichen, Polstern, dem nötigen Küchengeschirr, einem Kessel zum Butterauslassen und einem Schlauch zur Bereitung von saurer Milch und Butter.
Die Ilijat haben zwar auch Abgaben zu zahlen, doch sind sie verhältnismäßig viel weniger belastet als die übrigen Perser. Die Abgaben, je nach der Zahl ihres Viehs, zahlen sie ihren Oberhäuptern, und diese berechnen sich mit der Regierung. Auch sind sie zum Kriegsdienst verpflichtet, und zwar soll jeder größere Stamm ein Bataillon Fußvolk und 100 Mann Reiterei stellen. Viele Ilijat sind mit der Zeit feste Städtebewohner geworden, so daß man Schehr nischin (Städter) und Sohra nischin (Feldbewohner) unter ihnen unterscheidet.
Die Ilijat umfassen verschiedene Volksabteilungen. Bis zur Eroberung Persiens durch die Araber (651) mag die Bevölkerung [* 9] weniger gemischt gewesen sein, aber von da an wird das Volk allmählich zu einem andern. Später (1234) kamen unter Dschengis-Chan türkische Fremdlinge von O. her ins Land, und Timur mit seinen Scharen hat mehrfach das ganze Gebiet durchzogen und neue Mischungen hinzugebracht. Daher unterscheidet man jetzt noch türkische, arabische und lekische Ilijat, von denen jeder Stamm seine eigne Sprache [* 10] und seine Tradition hat, welche berichtet, wo seine ursprüngliche Heimat gewesen, und durch wen er nach Persien geführt worden sei. Zu den türkischen Ilijat gehört der an Zahl schwache, aber mächtige Stamm der Kadscharen, der persische Erbadel, der durch die jetzige, aus ihm hervorgegangen Dynastie die ganze übrige Bevölkerung beherrscht.
Sie sind Städtebewohner und haben Astrabad und Teheran zu Hauptorten. Zu den lekischen (altpersischen Ursprungs) gehören die Kurden in Chorasan und im W. Persiens und die Luren, welche in Feili und Bachtijaren zerfallen. Außerdem finden sich in allen Städten zahlreiche Juden, im NW. (Aserbeidschân, im O. von Ardilan, im NW. von Irak Adschmi) viele Türken und Armenier, im SW. Araber (je näher dem Westende des Persischen Meerbusens, desto zahlreicher), im N. Turkmenen: fast alles kriegerische und räuberische Völker, welche die Einwohner arg belästigen.
Die eigentlichen Perser (s. Tafel »Asiatische Völker«, [* 11] Fig. 33) sind im allgemeinen hoch gewachsen und von starkem Gliederbau. Kopf und Gesicht [* 12] haben kaukasische Gepräge; die Nase [* 13] ist kühn gebogen, die Augen sind groß und dunkel; der Mund ist süßlich und wollüstig gestaltet, die Gesichtsfarbe weiß, Bart und Haupthaar dicht und schwarz. Das Haar [* 14] wird auf dem Scheitel und am Hinterkopf geschoren; an den Seiten bleibt es stehen, meist in Locken lang herabfallend.
Der Bart wird in neuerer Zeit voll und lang getragen. In der Nationalkleidung der Männer ist die Kopfbedeckung, bestehend in einer fast ½ m hohen kegelförmigen Mütze von schwarzem Filz oder Schaffell mit eingestülpter Spitze, charakteristisch. In Bezug auf Charaktereigentümlichkeit hat man die Perser die asiatischen Franzosen genannt. Sie sind in ihren Manieren angenehm, gewandt und lebhaft, geschwätzig und voller Komplimente; sie halten viel auf den äußern Schein und Anstand, lieben Pracht und Schimmer und erscheinen höherer Bildung weit zugänglicher als die Türken.
Dabei aber sind sie unaufrichtig, arglistig, treulos und prahlerisch, geizig und diebisch und die ersten Lügner der Welt. Gegen ihresgleichen artig, sind sie gegen ihre Obern knechtisch und gegen Untergebene im äußersten Grad hochmütig. In religiöser Beziehung bekennen sich die Perser, sowohl Tadschik als Ilijat, fast ausschließlich zum Mohammedanismus, und zwar sind sie eifrige Schiiten, daher schon darum geschworne Feinde der sunnitischen Türken, Araber etc. Sie tragen die strengste Rechtgläubigkeit zur Schau, sollen aber unter dieser Decke [* 15] eine starke Neigung zum Abweichen von derselben verbergen.
Die Korangelehrten heißen, soweit sie die Stellung von Geistlichen einnehmen, Molla, die höhern Geistlichen Muschtahid (Glaubensverteidiger), die Obergeistlichen der großen Städte Imam Dschuma. Der Sejids oder Nachkommen des Propheten gibt es in eine große Menge, doch sind viele Betrüger; ein Zehntel der Landeseinkünfte wird als Gnadengehalt an sie verteilt. Daneben hat der pantheistische Sufismus viele Anhänger, die in Persien in zwei Hauptabteilungen zerfallen: Sufi Mutascharria (Sufi nach dem Gesetz), die den Koran als Gotteswort anerkennen, aber vieles in demselben sinnbildlich auslegen, und Sufi Mutlak (vollkommene Sufi), welche weder den Koran noch den Propheten anerkennen, jede geoffenbarte Religion verwerfen und nur aus dem innern Licht, [* 16] welches jedem Menschen innewohne, die wahre Erkenntnis schöpfen.
Außerdem finden sich, von Christen (Nestorianern) und Juden abgesehen, noch Gebern oder Parsi in einzelnen Orten. Die persische Sprache (s. d.) ist indogermanischen Stammes und im ganzen Orient verbreitet, wie die französische im Occident. Von der frühern geistigen Blüte [* 17] Persiens sind jetzt kaum noch schwache Spuren übrig, und die große Masse des Volkes befindet sich im Zustand ganzer oder halber Barbarei und geistiger Versunkenheit; aber der Schriftschatz der Perser von ältern Zeiten her ist sehr bedeutend, besonders auf dichterischem Gebiet (s. Persische Litteratur), und die glänzendsten Dichter der Vorzeit, wie Firdusi, Sadi, Hafis, Dschami, stehen noch jetzt in hohen Ehren.
Von wesentlicher Bedeutung im persischen Volksleben sind in dieser Beziehung die dem Land eigentümlichen Naqqal (Geschichtenerzähler), die ein Geschäft daraus machen, öffentliche Stücke aus dem »Shâhnâme« und andern Dichtungen sowie mündlich überlieferte Geschichten und Sagen vorzutragen. Druckereien gibt es zu Teheran und Tebriz, doch liefern sie nur groben Steindruck; dagegen gelten die Perser mit Recht für die ausgezeichneten Schönschreiber des Orients. Die Wissenschaft steht in Persien trotz der 72 Zweige, welche dieselbe dort zählt, und trotz Hinzuziehung europäischer Lehrer in neuerer Zeit auf sehr niedriger Stufe. Doch ist eine bedeutende Anzahl Medressen (s. d.) vorhanden, in welchen Lesen, Schreiben, persische, arabische und ¶
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türkische Sprache, Redekunst, Dichtkunst, Mathematik, Arzneikunde, Korankenntnis und Moral gelehrt werden. Sterndeuterei steht allenthalben in hohem Ansehen. Unter den Künsten ist nur die Architektur zur Ausbildung gelangt. Sie ist geschmackvoll, reich an Stalaktitenschmuck, Spiegelbekleidung und Blumenmalerei der Wände, Nischen und Kuppeln, gibt sich aber weniger im Äußern als im Innern der Häuser zu erkennen. Der persischen Malerei fehlt es an Perspektive und an Wechsel von Schatten [* 19] und Licht; auch die handwerksmäßig erlernte Musik steht auf niedriger Stufe. Was sich sonst an Kunstwerken findet, stammt aus früherer Zeit.
In Bezug auf das Standeswesen behaupten den ersten Rang die Schah Zadeh (die dem König zunächst stehenden Prinzen), den zweiten die Emir Zadeh (die entfernten Verwandten der Königsfamilie). Die nächste Stellung nehmen die Molla (Geistlichen) ein, deren Höchstgestellte wie Heilige verehrt werden; dann folgen die Chan (der erbliche Landadel) und die etwas niedriger stehenden Beg. Den ersten Bürgerstand bilden die Kaufleute (Tadschir), die zum Teil sehr reich sind und Adel wie Pachter vielfach ganz in ihren Händen haben, den untersten die Handwerker und Landbauer.
Alle Schriftkundigen werden als Mirza bezeichnet. Eine große Plage bilden die Derwische oder Bettelmönche. Die Stellung der Frauen in Persien ist nach Verschiedenheit der Stände sehr verschieden. In den niedern Ständen sind sie eigentlich Gehilfen der Männer und tragen keine Scheu, sich mit einem Fremden zu unterhalten und unverschleiert zu erscheinen. In den höhern dagegen, wo Vielweiberei zu Hause ist, zeigen sie sich nicht bloß öffentlich dicht verschleiert, sondern halten sich auch im Zenana (Harem) von allem männlichen Umgang entfernt.
Ihr Beruf ist die Überwachung des Hausstandes und die Erziehung ihrer Kinder; die meisten sind treffliche Köchinnen und Zuckerbäckerinnen. Ins Zenana darf der Mann nicht unangemeldet eintreten und, wenn die Frauen Besuch haben, überhaupt nicht erscheinen; dagegen dürfen die Frauen ihre Eltern und weiblichen Verwandten besuchen, ohne es dem Mann vorher angezeigt zu haben. Die Frauen bringen auch die Heiraten zu stande. Der Abschluß geschieht durch einen Bevollmächtigten beider Teile; die Braut wird dann bei Nacht zu Pferd [* 20] unter Begleitung von Freunden beider Familien mit Musik und Fackeln nach dem Haus des Bräutigams geführt; dieser empfängt sie an der Thür und führt sie ein, während die Begleiter sich zurückziehen. Das Vermögen der Frau bleibt ihr Eigentum; nur im Fall sie auf Scheidung, die in Persien sehr leicht ist, anträgt, muß sie es dem Mann überlassen.
Die Einrichtung der Wohnungen hängt natürlich von den Vermögensumständen der Besitzer ab. Die Häuser der Dörfer sind einstöckig, gewöhnlich ausgetrockneten Erdziegeln oder aus Lehm und Steinen gebaut und haben nur zwei Räume. Bei den bessern Stadthäusern, die nach der Straße zu kahle, fensterlose Wände haben, gelangt man durch einen kurzen Gang [* 21] zunächst in den Hof [* 22] (Haiat), der meist mit Fliesen [* 23] belegt ist und in der Mitte ein Wasserbecken mit Springbrunnen enthält. Um diesen Hof ist das Haus aufgeführt, dessen Hauptteil den Hintergrund bildet, während sich an der Eingangsseite Küche und ähnliche Räume, zu beiden Seiten kleinere Gemächer befinden.
Der Hinterteil ist zweistöckig mit plattem Dach; [* 24] der untere Stock enthält den Hauptsaal (Diwan Chaneh), der gegen die Hofseite durch eine oft sehr kostbare Fensterwand (Urusi) von farbigem Glas [* 25] abgeschlossen ist. Die drei andern Seiten sind innen etwa 1 m hoch mit Gips [* 26] überkleidet und mit Blumen und Laubwerk in Blau und Gold [* 27] bemalt; an den Wänden entlang liegen dicke Filzstücke (Nemmud) zum Niedersetzen. Der obere Stock ist zu Schlafzimmern (Guschwara) eingerichtet; im Sommer dient das platte Dach als Schlafstätte.
Die Häuser der Reichen und Hochgestellten haben einen bedeutenden Umfang und zerfallen in zwei Hauptabteilungen: das Merdana (Männerhaus) und das Zenana oder Enderun (Frauenhaus), welches hinter jenem liegt und durch einen zweiten Hof mit Gartenanlagen davon getrennt ist. Die Straßen der persischen Städte sind, wie im Orient überhaupt, der Sammelplatz von Schmutz und Elend aller Art und dabei so eng, daß sie ein beladenes Lasttier kaum passieren kann. An die hohen, fensterlosen Mauern, welche die Wohnhäuser [* 28] der Reichen und jedes Grün verstecken, sind die Schmutzhöhlen der Armen angeklebt. Den Namen Straße verdienen nur die Bazare, namentlich in Schiraz, Ispahan, Teheran, Tebriz etc. Es sind meist gewölbte, gut ausgeführte Ziegelbauten, in denen die verschiedenen Händler und Handwerker ihre Stätte haben. Karawanseraien (s. d.) findet man in jedem Ort und in allen Straßen. Die meisten Städte sind von einer hohen Erdmauer eingefaßt, die mit Türmen besetzt und zuweilen durch einen tiefen Graben geschützt ist.
Die Perser sind meist sehr mäßig und nähren sich vorzugsweise von Pflanzenkost. Man bäckt flache Brote aus Durra oder Weizen; nächstdem genießt man am meisten Reis (Pilaw), Braten, Eier, [* 29] Milch, Butter, dicke Sahne, Erbsen und Gartenfrüchte. Bei den Mahlzeiten sitzt man auf Filzstücken und zwar mit gebogenen Knieen auf den Fersen hockend; das Tischtuch (von gedrucktem Zitz) liegt unmittelbar auf dem Teppich des Fußbodens, und ein Brotfladen, vor jeden Tischgenossen gelegt, dient als Teller.
Die Speisen werden in kupfernen Platten, dazu Scherbett (in Wasser gelöste Obstgallerte) in Porzellantassen nebst geschnitzten Holzlöffeln aufgetragen. Man langt mit den Fingern zu und ißt und trinkt nach Belieben, ohne ein Wort dabei zu sprechen. Nach dem Essen [* 30] werden die Wasserpfeifen gebracht, und die Unterhaltung beginnt. Bei Besuchen finden vielerlei Förmlichkeiten statt; der gewöhnliche Gruß beim Eintritt besteht darin, daß man die rechte Hand [* 31] auf die linke Brust legt und den Kopf neigt. - Nach der bestehenden Zeitrechnung beginnt der Tag mit Sonnenuntergang.
Als Mohammedaner zählen die Perser nach Mondjahren; allein aus den Zeiten der Ahnen her, die das Sonnenjahr hatten, wird noch die Frühlingsnachtgleiche als eine Art Neujahrstag (Nauruz) mehrere Tage festlich begangen. Als allgemeiner Buß- und Bettag wird der Todestag des Imam Hassan, des veralteten Enkels Mohammeds, gefeiert. Andere Trauerfeste sind das Moharrem (die ersten zehn Tage des ersten Monats) zum Andenken an die Ermordung der Söhne Alis, Hassan und Husein, und der 19. Tag des Ramasan zum Andenken an die Ermordung Alis selbst.
Erwerbszweige.
Unter den Erwerbszweigen steht der Ackerbau obenan, obschon keineswegs aller anbaufähige Boden in der Nähe von Bächen und Flüssen oder künstlichen Kanälen (Kenat) wirklich bebaut ist, sondern ein großer Teil desselben bei der verhältnismäßig spärlichen Bevölkerung des Landes unbenutzt und wüst liegt. Der unsinnige Befehl der Regierung zu Beginn der 60er Jahre, alles taugliche Land mit Mohn zu ¶