desselben
Passionen ist nur eine inhaltliche, die Form ist dieselbe. Was aber die neuere (protestantische) Passionsmusik von
den ältern biblischen Oratorien unterscheidet, ist die Einführung des subjektiven
Elements, der frommen Betrachtung in dieselbe;
den Anfang machte wohl
BartholomäusGese, der die Passionsmusik durch einen
Chor: »Erhebet eure
Herzen etc.«, eröffnete
und mit einem Dankchor: »Dank sei dem
Herrn etc.«, schloß. Diese Neuerung übernahm hierauf
Schütz in seinem Osteroratorium
und führte noch einige kleine neue
Momente hinzu (das
Victoria! des
Evangelisten, den sechsstimmigen
Chor der
Jünger inmitten
des Werkes etc).
eine unter den dramatischen Aufführungen des
Mittelalters besonders häufig vertretene Art der »geistlichen
Spiele«, welche ursprünglich wohl überall am
Karfreitag aufgeführt wurden und sich aus der Karfreitagsfeier selbst und aus
den mimischen
Darstellungen, die bei derselben in vielen
Kirchen stattfinden, entwickelt hatten. Sämtliche Passionsspiele haben das
Leiden
[* 4] und den
Tod des
Erlösers zur Haupthandlung, und schon hieraus und aus dem engen Anschluß an die
Erzählung
der Evangelien ging ein im ganzen wesentlich epischer
Charakter der
Spiele hervor.
Wie weit die Ausführung eigentlicher Passionsspiele zurückreicht, ist nicht genau festzustellen;
die Aufzeichnung auch nur der Szenarien und der in die
Spiele verwobenen
Gesänge erfolgte erst, als dieselben längst eingebürgert
waren. In
Frankreich führten
sie denNamenMysterien (s. d.), der auch, nach
Deutschland
[* 5] übergehend, wesentlich nur den
Spielen
zugeteilt wurde, welche die
Leidens- und Auferstehungsgeschichte des
Heilands zum Gegenstand hatten, während
die dramatische Vorführung von Legendenstoffen mit dem
NamenMirakel belegt wurde. In deutschen
Handschriften des 13. Jahrh.
sind zwei Passionsspiele bruchstückweise erhalten, von denen das
erste, mit wesentlich lateinischem
Text
(»Ludus paschalis sive de passione
Domini«, hrsg. von
Hoffmann in »Fundgruben«, Bd.
2, S. 245 ff., und vonSchmeller in den
»Carmina burana«),
einzelne deutsche
Strophen enthält, während
das andre, von einem höfisch gebildeten Dichter herstammend, ganz in deutscher
Sprache
[* 6] und in den Kunstformen des 13. Jahrh.
gehalten ist (vgl.
Bartsch, Das älteste deutsche Passionsspiel; in
»Germania«,
[* 7] Bd. 8, S. 273 ff.).
Zu den spätern Niederschriften, die aber meist auf ältern Ursprung zurückweisen, gehören: das
»Frankfurter
Passionsspiel« (von dem ein Szenarium in einer alten Pergamentrolle der Bartholomäistiftsschule zu
Frankfurt
[* 8] a. M. erhalten
blieb),
die niederdeutsche »Marienklage« (hrsg.
von O.
Schönemann, Hannov. 1855) und das »Redentiner
Osterspiel« (hrsg. von
Ettmüller, Quedlinb. 1851) u. a. Sie alle legen
Zeugnis für die typische Gleichartigkeit und
Ähnlichkeit
[* 10] der Passionsspiele ab. Sie sind sämtlich melodramatisch behandelt; die
Reden wechseln mit gesungenen
Stellen (in denen
sich die lateinischen Kirchenhymnen am längsten innerhalb des
Rahmens der Passionsspiele erhielten) und nehmen in den
Gang
[* 11] der
Handlung
possenhafte und komische
Episoden auf, zu denen das
Leben der
MariaMagdalena vor ihrer
Bekehrung, die
Höllenfahrt Christi, der
Einkauf der
Salben und
Spezereien durch die dreiMarien vor dem Besuch des
HeiligenGrabes die szenischen
Anlässe bilden.
Nach der
Reformation warfen sich die protestantischen Dramendichter überwiegend auf biblische
Stoffe des Alten
Testaments,
die sich in moralisierendem
Sinn behandeln ließen, und bildeten die Passionsspiele zu
Moralitäten (s. d.) aus.
In den katholisch bleibenden
Teilen
Deutschlands,
[* 12] namentlich in denBayrischen,
Tiroler und
Salzburger Alpen, bestanden dieselben jedoch
fort, teils in der vollen mittelalterlichen
Naivität, teils in einer tendenziösen Umarbeitung und Zurichtung, welche besonders
die
Jesuiten und die von ihnen gebildeten
Geistlichen vornahmen. Diejenigen der ältern
Spiele, welche sich bis ins 18. Jahrh.
hinein behauptet hatten, fielen der überall eindringendenAufklärung allmählich zum
Opfer. Unter
KarlTheodor und König
MaxJoseph I. wurden selbst in
Bayern
[* 13] die Passionsaufführungen untersagt und eine Ausnahme nur mit dem
gemacht, welches in neuester Zeit die
Blicke der ganzen gebildeten
Welt auf sich gezogen hat. Die
Gemeinde von
Oberammergau hatte
bei einer 1633 ihr Dorf heimsuchenden
Seuche das
Gelübde gethan, nach dem Erlöschen der
Krankheit das
Leiden und Sterben des
Erlösers dramatisch auszuführen. Mit den anderwärts noch fortdauernden mittelalterlichen Passionsspielen
stand die neue in
Oberammergau entstehende (und periodisch, zuletzt von zehn zu zehn
Jahren wiederholte) Aufführung insofern
in Bezug, als die
Bauern und Bildschnitzer, die das
Gelübde geleistet hatten, auf alle
Fälle ihr
Spiel
den vorhandenen ähnlichen Aufführungen anzunähern wünschten. Das ursprüngliche Gedicht, dessen sich die
Oberammergauer
bedienten, und von dem eine alte
Handschrift von 1662 erhalten blieb (hrsg. von
Hartmann, Leipz. 1880), erweist sich in der
That als Verschmelzung eines alten geistlichenSchauspiels aus dem
¶
mehr
15. Jahrh. und eines Passionsspiels des AugsburgerMeistersängersSeb. Wild. Im Lauf der Zeit wurde der alte Text stark verzopft
und verschnörkelt und endlich durch Ettaler Klosterherren vollends den rhetorischen, opernhaften und schwülstig-allegorischen
Jesuitenspielen der damaligen Zeit angenähert, während die Darstellung sich an die reinern Vorbilder der deutschen Maler
und Holzschneider des 15. u. 16. Jahrh.
anlehnte. Das Ammergauer Spiel entwickelte sich unter reger Teilnahme der gesamten Bevölkerung
[* 15] des Ortes namentlich nach der
malerisch-plastischen Seite der Aufführungen hin in ungewöhnlicher Weise und bestand, wie schon erwähnt wurde, selbst den
Sturm, welcher in der Zeit des Rheinbundes und unter dem gewaltsam neuernden Regiment des MinistersMontgelas
seine Existenz bedrohte.
König Max I. gestattete die Fortsetzung nach einer vorgängigen Umarbeitung des Gedichts, welche durch Othmar Weiß (ehemals
Benediktiner zu Ettal, gest. 1843 als Pfarrer in Jesenwang) erfolgte, während der Lehrer von Oberammergau, Rochus Dedler, die
noch heute zu dem Spiel gehörte Musik komponierte. In die Modernisierung des Textes, der 1850 eine nochmalige
Überarbeitung erfuhr durch den geistlichen Rat Daisenberger (gest. 1883, Verfasser einer Schrift über Oberammergau) drangen
schwache Nachwirkungen der Humanitätsanschauungen des 18. Jahrh. ein, und die Musik trug einen durchaus eklektischen, weichlichen
und opernhaften Charakter.
Gleichwohl blieb dem Oberammergauer Passionsspiel durch die den Evangelien unmittelbar entlehnten Szenen,
durch die geschlossene Einheit derDarstellung, die wirksame Vorführung von Aufzügen und Volksszenen (namentlich beim Einzug
Jesu, bei der Kreuztragung und der Kreuzigung) und die schlichte Kraft
[* 16] seiner malerischen Vorbilder ein bedeutender Eindruck
gewahrt; das Spiel wuchs mit seinem Ruf, wenn auch die Gemeinde mit gutem Rechte daran festhielt, niemals
andre als ihr angehörige Kräfte an demselben sich beteiligen zu lassen.
Die Leitung des gesamten Spiels ist einem Ausschuß anvertraut; die Besetzung der Rollen
[* 17] erfolgt durch diesen, einzelne Rollen
vererben sich wie Ehrenämter in gewissen Familien. So bildete sich im Lauf der Zeit ein Stil, eine künstlerische
Tradition heraus, welche zu der vollendeten Darstellung der Hauptgestalten, insbesondere der Gestalt Christi, führte, welche
die Aufführungen in den letzten Jahrzehnten auszeichnete. Das Theater
[* 18] selbst, eine mächtige Bühne, welche nach herkömmlichem
Plan zu den Aufführungen eigens errichtet wird, steht auf einer Wiese vor dem Dorf, und die Matten und
Hügel, welche dasselbe umgeben, bilden gleichsam einen letzten großartigen Hintergrund des Ganzen.
Der Zuschauerraum steigt amphitheatralisch auf und ist groß genug, um mehrere tausend Menschen zu fassen; die übrige Einrichtung
des Theaters bietet der Darstellung nicht minder wesentliche und eigentümliche Vorteile. Das große Podium trägt eine überdachte
Innenbühne, welche durch einen Vorhang geschlossen ist, je nach Bedarf durch wechselnde Dekorationen die
veränderte Szene anzeigt und zur Vorführung aller der Auftritte dient, die nicht auf den Straßen von Jerusalem
[* 19] vorgehen können.
Rechts und links von dieser Mittelbühne, deren Vorhang gleichsam ein Stück der Stadt Jerusalem vorstellt, stehen die mit
Balkonen versehenen Häuser des Hohenpriesters und des Pontius Pilatus, und durch offene Thorbogen sieht man in die StraßenJerusalems
hinein, welche wie die Vorderbühne unter freiem Himmel
[* 20] liegen und die überdachte Innenbühne einschließen. Die ganze Anordnung
vereinigt
so die Vorteile eines stehenden, der Phantasie des Zuschauers sich einprägenden Schauplatzes mit
der Mannigfaltigkeit des Szenenwechsels und zeigt sich im Verlauf der Handlung oft in ausgezeichneter Weise benutzt. Die Aufführungen
von 1830, 1840 und 1850 trugen den Ruf des OberammergauerSpiels in die weitesten Kreise;
[* 21] EduardDevrient lenkte mit seiner Schrift
»Das Passionsspiel zu Oberammergau« (Leipz. 1850) die Aufmerksamkeit auch der Dramaturgen auf das mächtige
Ensemble und die erstaunlichen Wirkungen dieser Volks- und Festbühne des Alpendorfs.
Seitdem übten die Aufführungen, bei denen je an 550 Darsteller von allen Altersklassen mitwirken, eine beständig steigende
Anziehungskraft, und die letzten (1880) wurden von Zehntausenden von Schaulustigen aus dem gesamten Deutschland, aus England
und Amerika
[* 22] besucht. Die einzelnen Aufführungen finden regelmäßig an Sonntagen statt, jede währt (mit
Unterbrechung von einer Stunde) volle neun Stunden; eine kirchliche Feier geht in der Regel voraus. Die Einnahmen der Ammergauer
Spiele (1880: 300,000 Mk.) kommen nach Abzug der Kosten und einer mäßigen Entschädigung an die Darsteller lediglich der Gemeinde,
ihrer Kirche und Schule, ihren Stiftungen etc. zu gute.