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ausgedehntesten Herrschaft über die französische Kirche. Die Schwäche der letzten Karolinger gab der päpstlichen Politik eine treffliche Gelegenheit, sich bei allen wichtigern Angelegenheiten einflußreich zu beweisen; indes hatte dieselbe Schwäche der regierenden Häupter auch die Folge, daß in Italien, [* 2] ja in Rom [* 3] selbst, Bürgerkriege ausbrachen, in denen der Papst mehrmals das Geschick der besiegten Partei teilen mußte. Römische [* 4] Adelsfamilien, an ihrer Spitze Theodora und Marozia, konnten es versuchen, das Papsttum ganz zu einer nationalen Macht und zu einem weltlichen Besitztum umzugestalten.
Mit Sergius III. begann die Zeit des sogen. Hurenregiments (Pornokratie), welchem erst das Einschreiten der deutschen Kaiser ein Ende machte; aber jetzt ruhte die Hand [* 5] der Ottonen schwer auf den Italienern. Die völlige Unterordnung der päpstlichen unter die Kaisergewalt war nie entschiedener als unter diesen sächsischen Kaisern. Aber die Kaiser befreiten zugleich das Papsttum von der Herrschaft des römischen Adels und stellten seine moralische Autorität wieder her.
Heinrich III. selbst beseitigte 1046 drei sich streitende Päpste und setzte fromme, kirchlich eifrige Männer in die päpstliche Würde ein. Daher nahm das Papsttum im 11. Jahrh. gleichzeitig mit der Zunahme streng religiösen Eifers in der Christenheit einen mächtigen Aufschwung. Die Pseudo-Isidorischen Dekretalen kamen jetzt zu vollster Geltung, und der Papst erntete für die Handhabung der ihm darin übertragenen Macht den Dank der Mitwelt. Überall war er der Unterstützung des Volkes gewiß, wenn er unwürdige Geistliche absetzte und auf Synoden ziemlich willkürlich verfuhr. Es galt ja der Regeneration der Kirche, und in Betracht des allgemeinen Wohls fragte man nicht nach der Quelle, [* 6] aus welcher Rom seine reformatorische Befugnis ableitete.
Selbst seine während der Pornokratie verloren gegangene lokale Unabhängigkeit und Würde gewann der päpstliche Stuhl zurück durch das von Nikolaus II. auf Betrieb Hildebrands 1059 erlassene Dekret über die Papstwahl. Dasselbe übertrug letztere dem Kardinalkollegium, brach dadurch den Einfluß, den das römische Volk und der Adel darauf geübt hatten, und hob das Recht der Bestätigung auf, welches bisher dem Kaiser zustand. Seitdem nimmt der Papst in dem allgemeinen Bewußtsein der westeuropäischen Christenheit den höchsten Rang ein.
Die Kaiser mußten sich damit begnügen, die Lehnsherrlichkeit der Päpste abzulehnen; sie waren zu schwach, um noch die Staatshoheit über die Päpste geltend machen zu können. Gleichfalls auf Hildebrand läuft die enge Verkettung der Ordensgeistlichen mit den päpstlichen Interessen zurück. Die neuen Ordensstiftungen seit dem Anfang des 11. Jahrh., wodurch die alte Benediktinerregel stets geschärft ward, bis endlich die Bettelmönche im Anfang des 13. Jahrh. auftraten, verstärkten die Zahl ergebener Diener des päpstlichen Interesses; von Rom mußten sie ihre Anerkennung, die Bestätigung ihrer Regeln und Privilegien erbitten, und dafür waren sie die natürlichen Verbündeten des Papstes bei allem, was er gegen Volk, Weltgeistliche und Fürsten ins Werk setzte.
Hierzu kam endlich die für Rom günstige Lösung des alten Streits mit dem Nebenbuhler in Konstantinopel; [* 7] derselbe endigte zwar mit einem Schisma zwischen dem Orient und dem Occident (s. Griechische Kirche), allein Rom verlor dadurch keine einzige Provinz, in der es bis jetzt Rechte von Belang ausgeübt hatte, und stand nun im unbestrittenen Primat an der Spitze des gesamten Abendlandes. Die Päpste dieser Periode (im Katalog der Päpste die Zahlen 109-162 umfassend) sind:
Nikolaus I. | (bis 867), |
Hadrian II. | (bis 872), |
Johann VIII. | (882), |
Marinus I. | (Martin II., 883 bis 884), |
Hadrian III. | (bis 885), |
Stephan VI. | (bis 891), |
Formosus | (bis 896), |
Bonifacius VI. | (896), |
Stephan VII. | (bis 897), |
Romanus | (897), |
Theodorus III. | (897), |
Johann IX. | (898-900), |
Benedikt IV. | (bis 903), |
Leo V. | (903), |
Christoph | (bis 904), |
Sergius III. | (bis 911), |
Anastasius III. | (bis 913), |
Lando | (bis 914), |
Johann X. | (bis 928), |
Leo VI. | (bis 929), |
Stephan VIII. | (bis 931), |
Johann XI. | (bis 936), |
Leo VII. | (bis 939), |
Stephan IX. | (bis 942), |
Marinus II. | (Martin III., bis 946), |
Agapetus II. | (bis 955), |
Johann XII. | (bis 963), |
Benedikt V. | (964), |
Leo VIII. | (bis 965), |
Johann XIII. | (bis 972), |
Benedikt VI. | (bis 974), |
Benedikt VII. | (bis 983), |
Johann XIV. | (bis 984), |
Bonifacius VII. | (bis 985), |
Johann XV. | (bis 996), |
Gregor V. | (bis 999), |
Johann XVI. | (Gegenpapst bis 998), |
Silvester II. | (bis 1003), |
Johann XVII. | (1003), |
Johann XVIII. | (bis 1009), |
Sergius IV. | (bis 1012), |
Benedikt VIII. | (bis 1024), |
Johann XIX | (bis 1033), |
Benedikt IX. | (bis 1045), |
Gregor VI. | (bis 1046), |
Clemens II. | (bis 1047), |
Damasus II. | (1048), |
Leo IX. | (bis 1054), |
Viktor II. | (bis 1057), |
Stephan X. | (bis 1058), |
Benedikt X. | (bis 1059), |
Nikolaus II. | (bis 1061), |
Alexander II. | (bis 1073). |
Die fünfte Periode reicht von Gregor VII. bis zur Verlegung des päpstlichen Stuhls nach Avignon, vom Ende des 11. bis zum Anfang des 14. Jahrh., und zeigt uns das Papsttum, dessen weltlicher Besitz durch die Erbschaft der Gräfin Mathilde vermehrt ward, auf dem Gipfel seiner Macht und seines Glanzes. Jene neuorganisierte Papstwahl, welche Nikolaus II. unter bloß scheinbaren, auch nicht lange mehr gültigem Vorbehalt der kaiserlichen Rechte angeordnet hatte, sicherte der römischen Kirche den Besitz talentvoller Häupter und erleichterte die konsequente Durchführung eines und desselben Plans.
Die Idee, welche sich Gregor VII. vom Papsttum gebildet hatte und die in vieler Beziehung auch schon von Pseudo-Isidor ausgesprochen worden war, hat eine doppelte Seite, eine politische und eine kirchliche. Nur die erstere ist fast ganz die Erfindung Gregors. Alle frühern Verherrlicher des Papsttums wollten den römischen Bischof nur zum Primas der Kirche erheben; nach Gregors Plan aber sollte derselbe als Repräsentant Gottes auf der Erde erscheinen, von dem nicht bloß die kirchlichen, sondern auch die weltlichen Gewalten abhängen, dem nicht bloß die bischöfliche Autorität, sondern auch die Majestät der Könige ihren Ursprung verdanke. Es ist die Idee einer alles umfassenden Theokratie, an deren Spitze der Papst steht, eines großen Lehnsverbandes, der allen kirchlichen und weltlichen Besitz umschließt, und dieser Idee gemäß handelten Gregor VII. und seine Nachfolger, wenn sie Fürsten bannten und absetzten, über Kronen [* 8] verfügten und Länder verschenkten.
Den ersten Schritt zum Kampf gegen die weltliche Macht that Gregor in der Aufnahme des Investiturstreits. Es handelte sich um das wichtige Kronrecht, wonach der Landesherr dem neuerwählten Bischof die Temporalien seiner Pfründe durch Belohnung mit Ring und Stab [* 9] zu verleihen hatte. Was Gregor hier freilich nur anbahnen konnte, das setzte Innocenz III. zuletzt siegreich durch, und statt der alten feudalen Belohnung blieb dem Kaiser nichts als ein Empfehlungsrecht. Der zweite Hauptzweck, die Unterwerfung des geistlichen Standes und aller kirchlichen Autoritäten unter die Alleingewalt des Papstes, wurde bereits von Gregor VII. vollständig erreicht. Die Geistlichkeit wurde durch den Glaubenseid, durch den Cölibat etc. ¶
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von allem Verband [* 11] mit Staat und Familie abgelöst und zu einem großen Heer von päpstlichen Beamten umgewandelt. Der Papst ist nicht bloß die höchste, sondern auch die einzige ordentliche Würde in der Kirche, alle übrigen sind nur ein Ausfluß [* 12] von ihm; er ist also nicht bloß Nachfolger des Petrus, sondern Stellvertreter Christi auf Erden. Von dieser Unterwürfigkeit legten alle Kirchenbeamten gleich bei ihrer Einführung Zeugnis ab: die Erzbischöfe holten in Rom das Pallium, [* 13] die Bischöfe erhielten von Rom ihre Konfirmation, und während ihrer Amtsführung ward ihnen das Unterthänigkeitsverhältnis dadurch stets ins Gedächtnis zurückgerufen, daß alle einzelnen Rechte des Bischofs und Erzbischofs auch vom Papst in ihrem Sprengel ausgeübt wurden, er sich als Ordinarius, sie aber als Delegierte hinstellte.
Die höchste Entscheidung in kirchlichen und Ehesachen wohnte fortan dem römischen Stuhl bei. Was sonst jedem Bischof in seiner Diözese freistand, und zwar nur ihm allein: von Verbrechen zu absolvieren, von Strafen zu dispensieren, die niedern Pfründen und Benefizien zu verleihen, Heilige zu kanonisieren, kirchliche Auflagen auszuschreiben, dies geschah jetzt ebenfalls nur kraft von Rom erhaltenen Auftrags. Durch die Aussendung von päpstlichen Legaten mit allgemeiner Vollmacht zur Visitation der Kirche setzte Gregor VII. seiner hierarchischen Autokratie die letzte Spitze auf.
Wohin ein solcher Legat kam, war sofort jedes Recht des Ortsbischofs erloschen, und die Rechtspflege wie die Administration geschah im Namen des Papstes. Die päpstliche Universalmonarchie, wie sie während des 12. und 13. Jahrh. faktisch bestand, vielleicht die großartigste Realisierung einer Idee, welche je zur Darstellung gekommen ist, fand ihre Hauptträger und Vertreter nach Gregor VII. in Hadrian IV. und Alexander III. zu Friedrichs I. Zeit, dann in dem größten aller Päpste, dem ersten wirklichen Souverän des Kirchenstaats, Innocenz III., nach ihm in Gregor IX. und Innocenz IV., den furchtbaren Gegnern Friedrichs II., endlich in Bonifacius VIII., welcher die Grundsätze der Hierarchie in ihrer äußersten Konsequenz aussprach, aber auch durch einen überlegenen Gegner, König Philipp IV. von Frankreich, gestürzt wurde.
Die Kaiser hatten sich beugen müssen; England, Polen, Ungarn, [* 14] Bulgarien, [* 15] Aragonien, Sizilien [* 16] waren dem päpstlichen Stuhl zinspflichtige Königreiche; hätten die Kreuzzüge, an sich schon ein Erweis päpstlicher Macht über die Gemüter, Erfolg gehabt, so wäre auch der Orient tributpflichtig geworden. Die Könige der Erde nannten sich Söhne des Papstes und waren bei den schlechten Verfassungsverhältnissen ihrer Länder, bei der Furcht der Völker vor dem Interdikt, bei der Empörungslust der Vasallen gegen Könige, deren Recht u. Macht fraglich zu werden anfing, der Obervormundschaft des Papstes fast rettungslos verfallen. Die Päpste der fünften Periode (im Katalog der Päpste 163-201) sind:
Gregor VII. | (bis 1085), |
Viktor III. | (1086-1087), |
Urban II. | (1088-1099), |
Paschalis II. | (bis 1118), |
Gelasius II. | (bis 1119), |
Calixtus II. | (bis 1124), |
Honorius II. | (bis 1130), |
Innocenz II. | (bis 1143), |
Cölestin II. | (bis 1144), |
Lucius II. | (bis 1145), |
Eugen III. | (bis 1153), |
Anastasius IV. | (bis 1154), |
Hadrian IV. | (bis 1159), |
Alexander III. | (bis 1181), |
Lucius III. | (bis 1185), |
Urban III. | (bis 1187), |
Gregor VIII. | (1187), |
Clemens III. | (bis 1191), |
Cölestin III. | (bis 1198), |
Innocenz III. | (bis 1216), |
Honorius III. | (bis 1227), |
Gregor IX. | (bis 1241), |
Cölestin IV. | (1241), |
Innocenz IV. | (1243-54), |
Alexander IV. | (bis 1261), |
Urban IV. | (bis 1264), |
Clemens IV. | (1265-68), |
Gregor X. | (1271-76), |
Innocenz V. | (1276), |
Hadrian V. | (1276), |
Johann XXI. | (bis 1277), |
Nikolaus III. | (bis 1280), |
Martin IV. | (1281-85), |
Honorius IV. | (bis 1287), |
Nikolaus IV. | (1288-92), |
Cölestin V. | (1294), |
Bonifacius VIII. | (bis 1303), |
Benedikt XI. | (bis 1304), |
Clemens V. | (bis 1314). |
Viele dieser Päpste hatten übrigens Gegenpäpste zu bekämpfen, welche meist die Sache der Kaiser vertraten. So standen sich Alexander III. und Viktor IV. gegenüber, jener durch König Wilhelm von Sizilien, dieser durch Kaiser Friedrich unterstützt. Auch nach dem Tod Viktors (1164) wählte die kaiserliche Partei neue Gegenpäpste: Paschalis, Calixtus und Innocenz; aber Alexander behauptete sich.
Die sechste Periode reicht von der Verlegung des päpstlichen Stuhls nach Avignon bis zur Reformation (1305-1517) und bezeichnet die Zeit des tiefsten Verfalls des Papsttums. Clemens V. war durch französische Unterstützung zum Papst erhoben worden und stand fortwährend unter französischer Gewalt, so daß er, wie seine Nachfolger, nur gegen andre Mächte, namentlich gegen den Kaiser, die alte Papstsprache anwenden konnte. Der Papst wurde zum Werkzeug der Eifersucht, die Frankreich gegen Deutschland [* 17] nährte, herabgewürdigt; seine ganze Stellung aber ward noch verächtlicher dadurch, daß das Streben der päpstlichen Kurie im Grund nur noch auf Geldgewinnung gerichtet war.
Nach der Entfernung von Rom hörte bald der Zuschuß aus dem dortigen Patrimonium Petri auf, und die kostspielige Hofhaltung war allein auf Finanzspekulationen bei den Gläubigen angewiesen. Die geistlichen Benefizien und Pfründen wurden jetzt von den Päpsten ebenso verhandelt, wie es unter der Herrschaft der von den Kaisern und Fürsten geübten Simonie geschehen war. Unter stets neuen Vorwänden (Ablaß von Sünden, Steuer zum Türkenkrieg, Taxen und Annaten, Spolien, Zehnten, Vakanzen) wurde das Abendland vom Papst gebrandschatzt.
Die Sitten waren nirgends und nie tiefer gesunken als am päpstlichen Hof [* 18] zu Avignon. Vermehrt wurden diese Übelstände und jene Erpressungen, als beim Beginn des päpstlichen Schismas die Haushaltungen verdoppelt wurden. Das Schisma entstand, als nach Gregors XI. Tod 1378 Urban VI. in Rom gewählt wurde, wodurch die 70jährige babylonische Gefangenschaft der Kirche ihr Ende nahm, die meisten Kardinäle dann aber in Avignon einen andern Papst, Clemens VII., auf den Stuhl Petri erhoben.
Das Abendland zerfiel in zwei Hälften, und auch nach dem Absterben der Rivalen war an keine Vereinigung zu denken; denn sofort beeilte sich jede Kardinalpartei, durch die Wahl eines Nachfolgers sich einen neuen Stützpunkt zu verschaffen. So kam es, daß 40 Jahre lang kein allgemein anerkannter Papst zu finden war, und ebenso lange vernahm man die Bannflüche des einen Papstes gegen den andern. Gleichzeitig konsolidierten sich die Staatsgewalten, besonders in Frankreich, immer selbstbewußter und stieg zugleich die Autorität der weltlichen Wissenschaften.
Nur schwer vermochten sich jetzt die Päpste in ihrer Herrschermacht mehr zu behaupten. Eine Krise nahte; man rief nach »Reform an Haupt und Gliedern«, und bald fand man, nach dem Vorgang der Universität Paris, [* 19] nur in einem allgemeinen Konzil die Möglichkeit der Rettung (s. Episkopalsystem und Konzil). Zwar zu Pisa [* 20] 1409, wo man einen neuen Papst in der Person Alexanders V. einsetzte, noch ehe man die allgemein ersehnte Reform der Kirche in Angriff genommen hatte, gewann man, da auch die abgesetzten Päpste nicht von ihren Posten ¶