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des britisch-indischen Reichs hat ganz den Charakter dieser Halbinsel. Von N. nach S. ziehende Gebirgsketten trennen das Land in breite, fruchtbare Thäler, durch welche große Flüsse [* 2] zum Meer eilen.
Die Hauptgewässer Ostindiens entspringen im Himalaja. Es sind dies der Ganges mit dem Brahmaputra und der Indus, welche, die mächtigen nördlichen Gebirgskette durchbrechend, mit zahlreichen Nebenflüssen die großen Tiefebenen durchziehen, die nach ihnen benannt werden. Während sie aber außerhalb Indiens ihren Ursprung nehmen, haben sämtliche andre Flüsse ihre Quellen innerhalb des Landes. Das nördliche Plateau wird entwässert durch die Flüsse Subarmati ^[richtig: Sabarmati], Mahi, Narbada und Tapti, die sämtlich gegen W. ablaufen, die Mahanadi und Godaweri, welche in den Bengalischen Meerbusen münden.
Dahin ziehen auch die Flüsse des Dekhan, wie Kistna, Pennar und Kaweri. Die kurzen Küstenflüsse der Westküste stürzen über die Westghats in jähem Lauf zur schmalen Randebene. Als Wasserstraßen sind nur Ganges, Brahmaputra, Indus und Irawadi von Wert; auf die Schiffbarmachung der Godaweri wurden nahezu 1½ Mill. Pfd. Sterl. vergebens verwandt. Von den Flüssen Südindiens ist keiner schiffbar; doch sind die meisten von vielen Flüssen ausgehenden Bewässerungskanäle so angelegt, daß sie zugleich der Schiffahrt dienen können. An Seen ist das Land äußerst arm. Der größte ist der 891 qkm (16 QM.) umfassende Tschilkasee in Orissa, der nächst größte der Salzsee Sambhar in Radschputana; in Kaschmir [* 3] liegt der 260 qkm (5 QM.) große Wularsee. Durch Querdämme in Thälern hat man zumeist in Südindien große künstliche Seen hergestellt, darunter den 30 qkm großen Radschnagarteich.
Klima und Naturprodukte.
Das Klima Indiens ist, wenn man von dem hohen Gebirgswall des Himalaja absieht, eins der heißesten der Erde. Die mittlere Temperatur ist natürlich am höchsten im S., die höchsten Temperaturgrade überhaupt kommen aber im trocknen Nordwesten vor. Auf die Gesundheit der Bewohner wirken die klimatischen Einflüsse periodisch im höchsten Grad verderblich ein. Das Ausbleiben der Regen zu rechter Zeit hat wiederholt Hungersnöte zur Folge gehabt, welche große Strecken Indiens heimsuchten und Millionen von Menschen hinrafften.
Cyklone vernichteten durch die über die flache Küste getriebenen Meeresfluten wiederholt die Ortschaften ganzer Gegenden mit ihren Bewohnern, während Cholera und Fieber fast unaufhörlich das Menschenmaterial Indiens schwächen. Für Europäer ist ein längerer Aufenthalt nur unter Beobachtung größter Vorsicht möglich; europäische Kinder aber müssen schon früh in ein kühleres Klima [* 4] geschickt werden. Die Errichtung zahlreicher Gesundheitsstationen im Himalaja und in den Nilgiri hat sich namentlich für die europäischen Soldaten sehr wohlthätig erwiesen.
Der Mineralreichtum Indiens ist ein sehr bedeutender, doch hat sich seine Ausbeutung bisher nicht als sehr nutzbringend erwiesen. Goldseifen existieren seit undenklichen Zeiten an vielen Orten, lohnen aber kaum die Arbeit; auch die in Südindien im Wainad (Nilgiri) und in Kolar (Maissur) durch englisches Kapital in Angriff genommenen Goldquarzminen haben noch keine Resultate ergeben. Kupfer [* 5] findet sich am Südabhang des Himalaja sowie in Tschutia Nagpur (Bengalen) und Nellor (Madras), [* 6] Blei [* 7] im westlichen Himalaja, Zinn in sehr reichen Lagern in Britisch-Birma.
Auch Antimon und Kobalt kommen vor. Überall stößt man auf Lager [* 8] von Eisenerzen, zuweilen von großem Reichtum und hoher Güte; doch ist das Schmelzen schwierig wegen des geringen Wertes der Kohle. Ein großes Eisenwerk wird auf Kosten der Regierung betrieben. Die Kohlenfelder liegen fast ausschließlich im Zentrum der Halbinsel zwischen Ganges und Godaweri; sie zerfallen in vier Gruppen: das Damodarthal mit den Gruben von Ranigandsch und Kaharbari, welche neun Zehntel aller indischen Kohle liefern, die Tschutia-Nagpurgruppe, das Narbada- und das Godawerithal.
Nur Kalkutta [* 9] und die nördlichen Bahnen verwenden indische Kohle, Bombay [* 10] und Madras beziehen ihren Bedarf von England. Salz [* 11] wird aus dem Meer, aus Salzseen und aus den Gruben der Salt Range im Pandschab gewonnen. Salpeter findet sich in Fülle im obern Gangesthal; Kalkutta führt jährlich 50,000 Ton. aus. Petroleum ist vornehmlich im ehemaligen Königreich Birma, dann in Britisch-Birma, Assam und im Pandschab vorhanden. Wegen seiner Diamanten war Indien von jeher berühmt, einige der größten u. schönsten (s. Diamant, [* 12] S. 932) stammen von hier; heute ist die Ausbeute eine kaum nennenswerte. An schönem Baumaterial (Marmor, Sandstein, Schiefer) ist die Halbinsel reich.
Die Flora Indiens begreift wenige ihm eigentümliche Pflanzen, ist aber sehr mannigfaltig. An den höhern Abhängen des Himalaja gewahren wir Vertreter des gemäßigten Sibirien, im westlichen Teil des Gebirges findet eine starke Beimischung europäischer Typen statt, die nach Osten zu durch chinesische ersetzt werden. An den tiefern Abhängen finden wir Gewächse, die identisch oder doch verwandt sind mit denen von Griechenland, [* 13] vom Libanon, von Afghanistan; [* 14] das Pandschab und Sind sind botanisch verwandt mit Arabien, den Euphratländern, Persien; [* 15] Assam, Birma und die Malabarküste haben eine malaiische Flora, das westliche Indien zeigt in seinen meist offenen Waldungen Anklänge an Afrika. [* 16]
Der König der indischen Wälder, der für Schiffbauten unübertroffene Teakbaum, ist hauptsächlich in den Westghats zu finden; nächstdem sind wertvoll der Salbaum (Shorea robusta), die Deodorazeder, der Pun (Calophyllum elatum), eine Ebenholzart (Diospyros ebenum), das Schwarzholz (Dalbergia latifolia), Sandelholz. Früher war der Kautschukbaum in Assam sehr zahlreich, ist aber dort jetzt ganz ausgerottet. An Palmenarten (Sago-, Dattel-, Betelnußpalme u. a.) ist Indien überaus reich. Die Dschangeln des Gangesdelta bestehen zumeist aus Sandari (daher Sanderbands) und Bambus.
Die Tierwelt entbehrt gleichfalls besonderer Typen. Der früher in Hindostan und im Pandschab häufige mähnenlose Löwe ist bis auf ein Dutzend, die man in Kathiawar schont, verschwunden. Das charakteristische Raubtier [* 17] Indiens ist der Königstiger, jetzt auf das Tarai, das Gangesdelta und die Dschangeln des zentralen Plateaus beschränkt; ebenso häufig und schädlich ist der Panther, dagegen wird der Tschitah (Felis jubata) zur Jagd verwandt. Andre Raubtiere [* 18] sind: der Wolf (Canis pollipes ^[richtig: Canis pallipes]), die Hyäne, der schwarze Bär (Ursus labiatus), der wilde Hund.
Der Schaden, den diese Tiere anrichten, ist beträchtlich; 1885 wurden von wilden Tieren getötet 22,907 Menschen und 59,029 Stück Vieh. Dagegen wurden erlegt: 1855 Tiger, 5466 Panther, 1874 Bären, 6278 Wölfe, 2238 Hyänen, 420,044 Schlangen [* 19] und dafür 22,412 Pfd. Sterl. Belohnung gezahlt. Der Elefant, [* 20] wovon es zwei Arten, eine mit, die andre ohne Stoßzähne, gibt, ist namentlich in Assam anzutreffen, und der Fang dieser Tiere steht unter strenger Kontrolle ¶
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der Regierung. Das einhörnige Nashorn haust in den Sanderbands und im Brahmaputrathal, das zweihörnige in Tschittagong und Birma. Dem Landmann am schädlichen ist das wilde Schwein [* 22] (Sus scrofa), in den Sandwüsten von Sind und Katsch findet sich der durch seine Schnelligkeit ausgezeichnete wilde Esel (Equus onager), wilde Schafe [* 23] und Ziegen schweifen in verschiedenen Arten im Himalaja umher. Von Antilopen und Hirschen gibt es mehrere Arten. Die Rinder [* 24] werden repräsentiert durch den Gaur (Bos gaurus) und den Büffel (Bubalus arni), beide gewaltige und gefährliche Tiere.
Die zahlreichen Affen [* 25] werden häufig zu einer ernstlichen Gefahr für den Landmann. Von den Vögeln sind namentlich die als Straßenreiniger nützlichen Geier zu nennen. Groß ist die Zahl der Schlangen, darunter die gefürchtete Cobra di Capello (Naja tripudians). In Flüssen und Sümpfen hausen zwei Krokodile [* 26] (Crocodilus porosus und C. biporcatus) und der Gavial (Gavialus gangeticus). Die Gewässer sind sehr fischreich; Ganges und Indus werden von einer Walart, dem Susu (Platanista gangetica), aufgesucht, das sich darin bis zu einer Entfernung von 1500 km vom Meer findet. Unter den Insekten [* 27] sind die Biene, [* 28] Seidenraupe, das Lackinsekt und die oft große Verheerungen anrichtenden Heuschrecken [* 29] zu nennen.
Bevölkerung.
Nach dem am angestellten Zensus war die Zahl der Einwohner ganz Britisch-Indiens 255,800,137, wovon 198,802,353 auf die unmittelbaren, 56,997,784 auf die mittelbaren Besitzungen kommen. Auf die einzelnen Provinzen und Staaten verteilte sich diese Bevölkerung [* 30] folgendermaßen:
QKilom. | QMeil. | Bevölkerung | |
---|---|---|---|
I. Unmittelbare Besitzungen: | |||
1) Vom Generalgouverneur direkt verwaltet: | |||
Adschmir und Merwara | 7021 | 128 | 460722 |
Berar | 45870 | 833 | 2672673 |
Kurg | 4100 | 74 | 178302 |
Andamanen und Nikobaren | 8269 | 150 | 26128 |
2) Unter Gouverneuren: | |||
Madras | 362326 | 6580 | 30868504 |
Bombay | 321646 | 5841 | 16489274 |
3) Unt. Leutnant-Gouverneuren | |||
Bengalen | 405484 | 7364 | 66691456 |
Nordwestprovinzen u. Audh | 274797 | 4991 | 44107869 |
Pandschab | 276165 | 5015 | 18850437 |
4) Unter Chief-Commissioners: | |||
Assam | 119930 | 2178 | 4881426 |
Britisch-Birma | 225890 | 4102 | 3736771 |
Zentralprovinzen | 218704 | 3972 | 9838791 |
Zusammen: | 2270202 | 41228 | 198802353 |
II. Tributärstaaten: | |||
Haidarabad | 211872 | 3848 | 9845594 |
Maissur | 64030 | 1163 | 4186188 |
Baroda | 22195 | 403 | 2185005 |
Zentralindien | 194838 | 3538 | 9261907 |
Radschputana | 336038 | 6103 | 10268392 |
Kaschmir | 178558 | 3243 | 1534972 |
In Bengalen (mit Sikkim) | 101612 | 1846 | 2895405 |
In den Nordwestprovinzen | 13273 | 241 | 741750 |
Im Pandschab | 92762 | 1685 | 3861683 |
In den Zentralprovinzen | 74677 | 1356 | 1709720 |
In Bombay | 191013 | 3469 | 6941249 |
In Madras | 24961 | 453 | 3344849 |
In Assam (Manipur) | 20719 | 376 | 221070 |
Zusammen: | 1526548 | 27724 | 56997784 |
Ehemal. Königreich Birma | 457000 | 8300 | 4000000 |
Britisch-ind. Reich: | 4253750 | 77252 | 259800137 |
Dem Geschlecht nach unterschied man bei 253,982,595 Personen, über welche genauere Erhebungen gemacht werden konnten, 129,998,007 männliche u. 123,984,588 weibliche, der Nationalität nach von Nichtindern 89,015 Briten, 6400 andre Europäer, darunter 1207 Deutsche, [* 31] 12,723 Chinesen, 13,358 Araber u. a. Die Auswanderung ist sehr schwach, als Arbeiter (Kulis) gingen 1876-85 von Kalkutta 124,208, von Madras 23,216, von französischen Häfen 20,982 aus, von denen viele zurückkehren.
Das Religionsbekenntnis konnte bei 253,831,836 Personen ermittelt werden; darunter waren 187,937,450 Hindu, 50,121,585 Mohammedaner, 6,426,511 Naturanbeter, 3,418,884 Buddhisten, 1,862,634 Christen, 1,853,426 Sikh, 1,853,426 ^[?] Dschaina, 85,397 Parsen, 12,009 Juden etc. Die Hindu zerfallen in 272 Kasten, von denen 36 je über 1 Mill. Angehörige zählen. So zählen z. B. die Brahmanen 13,730,045, die Radschputen 7,107,828, die Banjanen 3,275,921, die Parias 3,290,028 Mitglieder.
Die Hindu bekennen sich zum Brahmanismus (s. d.); die uralten Lehren [* 32] sind zu ganz neuen Folgerungen geführt worden, und zahlreiche Sekten blühen unter dem Volk, das dabei immer mehr in einen groben Götzendienst versinkt. Die wichtigsten Gegensätze unter diesen Sekten bilden der Siwaismus, aus dem die Lingaiten (s. d.) hervorgingen, und der Wischnuismus. Anderseits haben die Hindu infolge der Berührung mit den Europäern und der Erziehung der jüngern Generation in von Engländern geleiteten Schulen auch bereits begonnen, sich von ihren alten Lehren abzuwenden und einer deistischen Richtung zu folgen, welche in der Vereinigung der Brahmo Samadsch (s. d.) Ausdruck gefunden hat. Die Christen sind teils römisch-katholische (1885: 1,070,334), teils syrische (1881: 304,410), teils protestantische (492,882). Missionen bestehen namentlich in Südindien, geleitet durch Jesuiten, Anglikaner, Lutheraner, Presbyterianer.
Volksstämme gibt es, abgesehen von den Völkern der mongolischen Rasse an den Abhängen des Himalaja, in Indien nur zwei, deren einer, die Drawida (s. d.), früher über ganz Indien verbreitet, gegenwärtig den südlichen Teil, das Dekhan, nebst dem gebirgigen Innern einnimmt, während der andre, die Arier (s. d.), in den nördlichen Ebenen vom Indus bis in das Thal [* 33] des Brahmaputra hinein ansässig ist; doch sind die letztern nirgends, die erstern nur in den Gebirgsthälern des Innern heute noch rein zu finden.
In den ersten Zeiten vermischten sich die arischen Sieger vielfach mit den dunkeln Aboriginern, später aber bildete sich ein Gegensatz heraus zwischen den drei alten arischen Klassen der Priester, Krieger und ansässigen Ackerbauer einerseits und den gemeinen Arbeitern anderseits, welche den unterworfenen Aboriginern angehörten. Darauf deutet die Sanskritbezeichnung Varna (ursprünglich »Farbe«) für Kaste hin. Jene Einteilung in Kasten bestand aber bereits lange vor Christi Geburt (1200, nach andern 500 v. Chr.) nicht mehr; es hatte sich bereits damals eine Menge andrer Kasten gebildet, die sich in der Folge noch vermehrte.
Unter dem Einfluß der mohammedanischen Herrschaft griff die Zersetzung noch weiter um sich. Aber obschon die Zahl der Verbände sich mehrte, nahm das Kastenvorurteil nur noch zu; denn die Mohammedaner schlossen sich ebenfalls streng ab, und Bruch des Kastengesetzes ward unter ihnen mit strengen Strafen belegt. Die Engländer rüttelten an dem Kastenwesen nicht, trugen ihm sogar Rechnung, wo das öffentliche Interesse es gebot, traten dagegen 1850 durch Gesetze den Mißbräuchen entgegen, die sich mit der Zeit gebildet hatten. Die ¶