mehr
Ausdrücken über die Kirchengesetze beklagt, der Papst in einer Encyklika sie als eine Knechtung der Kirche und trotz scheinbarer Mäßigung für ebenso verderblich wie die preußischen erklärt, was Andrássy in einer scharfen Note zurückwies. Auch hatten die österreichischen Bischöfe nach Ablehnung ihres Antrags auf Tagesordnung sich aus dem Herrenhaus entfernt. Gleichwohl erließen sie keinen Gesamtprotest und kamen unter dem Vorgeben, sie erfüllten nur die Bestimmungen des noch immer rechtsgültigen Konkordats, den Gesetzen im wesentlichen nach.
Die Regierung ihrerseits handhabte dieselben in möglichst milder Form und vermied einen offenen Konflikt mit dem Klerus. Auch der neue päpstliche Nunzius, Jacobini, wirkte in versöhnlichem Sinn, und allmählich fügte sich, mit Ausnahme von Tirol, [* 2] die Geistlichkeit den Schulgesetzen und leisteten die Bischöfe die Anzeigepflicht. Unzweifelhaft war damit ein bedeutender Fortschritt erreicht, daß die Kirche unter das Gesetz gebeugt wurde, anstatt dem Staat als gleichberechtigte Macht gegenüberzustehen.
Indes war durch die kirchenpolitische Gesetzgebung, welcher sich die liberale Mehrheit mit ganzem Eifer widmete, deren Aufmerksamkeit von andern wichtigen Dingen abgezogen, ihr Gesichtskreis allzusehr verengert worden. Nichts war geschehen, um das Deutschtum durch Gesetze und Institutionen zu stärken, die Stellung des Deutschen als Staatssprache zu sichern und dem Slawismus zeitig einen Damm entgegenzusetzen. Die sogen. »Jungen« der Verfassungspartei, eine Fraktion, welche bei den Neuwahlen 1873 hervortrat und 65 Sitze errang, verlangten zwar, daß in den deutschen Kronländern das deutsch-nationale Interesse betont und zu diesem Zweck auch deren Autonomie vermehrt werden müsse.
Aber die durchaus zentralistisch gesinnte Mehrheit der Verfassungspartei wollte hiervon nichts wissen und eine Gefahr für die Herrschaft der Deutschen nicht anerkennen. Allzusehr wogen bei deren Führern, Herbst, Giskra, Rechbauer, Sturm, Skene u. a., die freisinnigen Grundsätze vor. Sowohl im cisleithanischen Reichstag als in den Delegationen bekämpften dieselben die Höhe der Forderungen für das Heer, so daß das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen durch die Ungarn [* 3] und die Ultramontanen bewilligt wurde. Im österreichischen Landwehrgesetz wurde die Kavallerie gestrichen, ein Verhalten, welches neben dem Drängen auf Erlaß weiterer Kirchengesetze das Ansehen und den Einfluß des Ministeriums beim Kaiser erschüttern mußte. Ferner erlitt die Verfassungspartei dadurch eine moralische Einbuße, daß viele ihrer Mitglieder, so besonders Giskra und Petrino, in Gründerprozesse, wie den Ofenheimschen 1875, verwickelt und arg bloßgestellt wurden, so daß selbst der Handelsminister Banhans seine Entlassung nehmen mußte.
Inzwischen näherte sich die Zeit, wo der 1867 zwischen Österreich [* 4] und Ungarn abgeschlossene finanzielle Ausgleich (s. oben, S. 523) einer Revision, die nach zehn Jahren eintreten sollte, unterzogen werden mußte. Die Ungarn suchten sich möglichst viele Vorteile zu sichern, insbesondere die Errichtung einer selbständigen ungarischen Staatsbank und einen größern Anteil am Ertrag der Konsumtionssteuern; sie drohten sogar mit der Auflösung der Zollunion, und der neue ungarische Ministerpräsident, Tisza, kündigte im November 1875 wirklich das Zollbündnis, als das österreichische Ministerium seine Forderungen nicht sofort bewilligte.
Die Verhandlungen wurden im tiefsten Geheimnis geführt und zogen sich lange Zeit ohne Ergebnis hin. Die Ungarn verlangten nun eine Ermäßigung ihrer Quote zu den gemeinsamen Ausgaben auf 29 Proz. Auch dies wurde von Cisleithanien abgelehnt. Endlich verständigen sich die beiderseitigen Ministerien darüber, daß eine Erneuerung des Zollbündnisses auf zehn Jahre stattfinden, der Quotensatz und die Berechnung der Konsumtionssteuern im wesentlichen wie bisher bleiben, dagegen einige Konsumtionszölle erheblich erhöht und die Direktion der Österreichischen Nationalbank paritätisch zusammengesetzt sowie 30 Proz. ihrer Noten der Pester Filiale überwiesen werden sollten. Da die Nationalbank diese Bestimmungen ablehnte und auch die verfassungstreuen Klubs des Reichsrats sich gegen dieselben erklärten, so war der Ausgleich wiederum gefährdet.
Erst 1877 wurde durch gegenseitige Zugeständnisse eine neue Vereinbarung erzielt und den Vertretungen beider Reichshälften zur Genehmigung vorgelegt. Tiszas Macht im ungarischen Parlament war groß genug, um die Zustimmung desselben zu erwirken. Dagegen konnte die Opposition der österreichischen Verfassungspartei gegen die hohen Finanzzölle und das neue Bankstatut nur durch die bestimmte Erklärung Auerspergs, daß er im Fall der Ablehnung zurückzutreten entschlossen sei, überwunden werden. Der neue Ausgleich wurde daher erst nach Ablauf [* 5] der Revisionsfrist im Juni 1878 formell zum Abschluß gebracht und ließ beide Teile unbefriedigt. Für Österreich war das Sinken der Macht des verfassungstreuen Ministeriums noch besonders bedenklich.
Österreich Ungarns orientalische Politik und der Sturz des Ministeriums Auersperg.
Seit Graf Andrássy die auswärtige Politik Österreichs leitete, hatte sich das Verhältnis zu Deutschland [* 6] immer freundschaftlicher gestaltet. Unter deutscher Vermittelung fand auch eine Versöhnung mit Rußland statt, und im September 1872 erschienen Kaiser Franz Joseph und Kaiser Alexander II. in Begleitung ihrer obersten Minister in Berlin, [* 7] wo das Dreikaiserbündnis geschlossen wurde; durch dasselbe verbanden sich die drei Reiche zu gemeinschaftlichem Handeln in den europäischen Angelegenheiten, besonders im Orient, damit dadurch der allgemeine Friede gesichert werde.
Als nun dennoch infolge der von Rußland ausgehenden panslawistischen Wühlereien die orientalische Krisis 1875 mit den Aufständen in Bosnien [* 8] und Bulgarien [* 9] ausbrach, war die Stellung Österreich-Ungarns insofern schwierig, als die verschiedenen Nationen des Reichs mit ihren Sympathien in den entgegengesetzten Lagern standen, die Ungarn türkenfreundlich, die Polen russenfeindlich waren, die Südslawen und Tschechen dagegen für den Panslawismus schwärmten.
Die Deutschen wünschten vor allem die Aufrechterhaltung des Friedens, welche auch die finanziellen Verhältnisse dringend erheischten. Österreich lehnte daher eine Beteiligung am Kriege gegen die Türkei [* 10] durch bewaffnetes Einschreiten in Bosnien und der Herzegowina ab, erlangte jedoch Anfang 1877 von Rußland für das Versprechen seiner Neutralität das Zugeständnis, daß die an Österreich grenzenden Lande Bosnien und die Herzegowina sowie Serbien nicht in den Krieg hineingezogen und erstere nach dem Krieg von Österreich besetzt werden sollten. Dieser Vertrag wurde streng geheimgehalten, und die Regierung hatte nun die schwierige Aufgabe, die erregte öffentliche Meinung bei den verschiedenen Stämmen der Monarchie zu beschwichtigen und Ausschreitungen bei den Kundgebungen zu unterdrücken. Besonders in Ungarn gab die Ankunft einer ¶
mehr
Deputation der Softas im April 1877 nach der russischen Kriegserklärung den Magyaren Gelegenheit, ihren türkischen Sympathien stürmischen Ausdruck zu verleihen, und die russischen Niederlagen im Sommer 1877 wurden dort mit Flaggen [* 12] und Illumination gefeiert. Andrássy ließ in den Kammern beider Reichshälften dem gegenüber erklären, daß das Hauptziel seiner Politik sei, eine europäische Komplikation zu vermeiden, daß er aber bei der definitiven Gestaltung der Dinge im Orient den der Lage und den Interessen der Monarchie entsprechenden Einfluß unter allen Umständen geltend machen werde.
Die unerwarteten Erfolge der Russen im Winter 1877-78, ihr unaufhaltsames Vordringen in Rumelien, endlich der Waffenstillstand von Adrianopel, wodurch Rußland Herr der Balkanhalbinsel [* 13] wurde, machten allerdings alle die Voraussetzungen zu nichte, unter denen Andrássy sich Anfang 1877 zur Neutralität verstanden hatte. Er regte daher bei den Mächten die Berufung einer Konferenz über die Orientfrage an, welche überall Anklang fand. Gleichzeitig forderte er aber im Februar 1878 von den Delegationen eine Anleihe von 60 Mill. Gulden, durch welche die Mittel für eine eventuelle kriegerische Aktion bereit gestellt wurden, und angesichts des Friedens von San Stefano, der die österreichischen Besorgnisse steigerte, ward sie bewilligt.
Auf dem Berliner Kongreß [* 14] vertrat Andrássy selbst nebst Graf Károlyi und Baron Haymerle die Interessen Österreich-Ungarns und erlangte 29. Juni die Bestätigung des ihm schon von Rußland gemachten Zugeständnisses, Bosnien und die Herzegowina besetzen und in Verwaltung nehmen zu dürfen. Doch ward im Berliner Frieden vom 13. Juli über die Modalitäten der Okkupation und Verwaltung eine besondere Konvention zwischen Österreich und der Pforte vorbehalten. Da der Abschluß derselben sich verzögerte, weil der Sultan auf dem Vorbehalt seiner Souveränität bestand, so rückten die Österreicher ohne Konvention als »Freunde«, wie die Proklamation besagte, 29. Juli drei Divisionen unter General Philippovich in Bosnien und der Herzegowina ein, im Vertrauen darauf, daß weder die Behörden noch die Bevölkerung [* 15] irgend welchen Widerstand leisten würden.
Dies erwies sich jedoch als verhängnisvoller Irrtum. In Sarajewo brach bei der Kunde vom Einmarsch ein Aufstand der mohammedanischen Bevölkerung aus, die türkischen Behörden wurden beseitigt, und ein kühner Abenteurer, Hadschi Loja, stellte sich an die Spitze der Empörer und rief alle Bewohner Bosniens zu energischem Widerstand gegen die fremden Eroberer auf. Die Österreicher stießen daher auf hartnäckigen Widerstand, den sie erst nach Aufbietung sehr bedeutender Streitkräfte (drei Armeekorps) und teilweise unglücklichen, verlustreichen Gefechten überwinden konnten.
Sarajewo wurde 19. Aug. erstürmt und bis Ende September beide Provinzen besetzt. Mit der Pforte ward eine Konvention abgeschlossen, in welcher jene die Okkupation Bosniens und der Herzegowina sowie des Sandschaks Novipasar so lange anerkannte, bis sie die Kosten derselben zurückerstattet habe, aber sich die Souveränität vorbehält. Die neuen Provinzen wurden dem gemeinsamen Zollgebiet einverleibt und ihre Verwaltung dem Reichsfinanzminister übertragen.
Die bedeutenden Opfer und Kosten (62 Mill.) der Okkupation riefen sowohl in Österreich als in Ungarn große Unzufriedenheit hervor. Aber während die Magyaren, dem Rate Tiszas folgend, ihre Mißstimmung unterdrückten und die Kosten und Einrichtungen der Okkupation genehmigten, um sich die Gunst des kaiserlichen Hofs und die Zustimmung zur nationalen Organisation ihres Staats zu sichern, griffen die Führer der Verfassungspartei, Herbst und Giskra, sowohl in der Presse [* 16] als im Reichsrat die Regierung wegen ihrer Orientpolitik aufs heftigste an, fanden die Okkupation im Auftrag Europas unwürdig und einen Krieg mit Rußland vorzuziehen.
Sie erschütterten hierdurch die Stellung des Ministeriums Auersperg so, daß dieses seine Entlassung forderte, die der Kaiser annahm. Noch wünschte der Kaiser keinen Systemwechsel und beauftragte daher den bisherigen Finanzminister, v. Pretis, mit der Bildung eines neuen cisleithanischen Kabinetts. Da Pretis die Okkupation aber nicht ungeschehen machen konnte und wollte, fand sein Programm keine Gnade vor den Augen der Liberalen, und er verzichtete auf das Ministerium.
Auersperg führte vorläufig die Regierung weiter. Obwohl die Opposition gegen den Berliner Vertrag und die Okkupation um so verkehrter war, als sie keinen Erfolg haben konnte und die Österreicher allein auch gar nicht das Recht hatten, die auswärtige Politik der Monarchie zu bestimmen, so beschloß doch der Budgetausschuß des Abgeordnetenhauses 30. Okt. auf Giskras Antrag, auf die Vorlage der Regierung wegen Bewilligung von 25 Mill. für die Okkupationskosten gar nicht einzugehen, sondern die Regierung aufzufordern, den Berliner Vertrag, der eigentlich schon vor der Okkupation hätte vorgelegt werden sollen, nunmehr ungesäumt dem Reichsrat zur verfassungsmäßigen Behandlung vorzulegen.
Sturm beantragte eine Adresse, die 5. Nov. unter heftigen Reden angenommen wurde und die Okkupation vom politischen und finanziellen Gesichtspunkt aus tadelte. Herbst und Giskra setzten die Opposition in den Delegationen fort, aber ohne Erfolg. Auch die österreichischen Delegierten genehmigten die Okkupationskosten, da ein Teil der Verfassungstreuen Andrássys Orientpolitik billigte. Völlig zersprengt wurde die bisherige Verfassungspartei im Januar 1879, als sie nicht bloß die Verwerfung oder Mißbilligung des inzwischen vorgelegten Berliner Vertrags, sondern auch die Ablehnung der Verlängerung [* 17] des Wehrgesetzes und die Bewilligung der provisorischen Steuererhebung für 1879 nur für einen Monat beantragte.
Alle diese Anträge wurden abgelehnt; nur 112 Abgeordnete verharrten bei der Opposition. Das ganze Verhalten der bisherigen Mehrheit, welche wichtige Lebensinteressen der Monarchie in hartnäckiger Verbindung verkannte, mußte den Kaiser und die Armee entfremden und sie in die Arme der Föderalisten und Ultramontanen treiben, welche die Okkupation als eine glorreiche That feierten, welche Österreichs Großmachtstellung wahre, und alle Mittel bereitwillig gewährten.
Mitte Februar 1879 beauftragte der Kaiser den Grafen Taaffe mit der Bildung eines neuen Ministeriums, indem dieser selbst das Innere, Stremayr den Vorsitz übernahm. Auersperg und Unger schieden aus, die übrigen Minister blieben vorläufig. Hierauf wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst und Neuwahlen angeordnet. Bei diesen, welche im Juni und Juli stattfanden, verlor die Verfassungspartei infolge des Abfalls des mährischen und böhmischen Großgrundbesitzes 30 Sitze und sank auf 132 Mitglieder, während die Rechte und die Slawen 181 Mitglieder zählten. Jetzt löste sich das verfassungstreue Ministerium ganz auf, indem Glaser, Pretis, Chlumecky und Mannsfeld ausschieden; Taaffe ward 12. Aug. zum Ministerpräsidenten ernannt und berief den ¶