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Wahlen, daß sie im oberösterreichischen und mährischen Landtag die Mehrheit erhielt; aus beiden schieden die Deutschen aus. Indem aber nun die Abgeordneten für Oberösterreich und Mähren [* 2] der Regierungspartei zufielen, verfügte diese mit Einschluß der Böhmen auf 203 gegen nur 66 verfassungstreue Stimmen und damit über die zu Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit. In dem Reskript an den böhmischen Landtag erkannte der Kaiser 14. Sept. die Rechte des Königreichs Böhmen an und erklärte sich bereit, diese Anerkennung mit seinem Krönungseid zu erneuern; er forderte den Landtag auf, über die zeitgemäße Ordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse Böhmens zu beraten. Ein Ausschuß dessen entwarf sofort im Einverständnis mit Hohenwart die 18 Fundamentalartikel, welche dem Königreich Böhmen eine ähnliche Stellung wie Ungarn [* 3] gaben und Österreich [* 4] in einzelne Staaten mit einem Delegiertenkongreß und einem Senat als gemeinsamen Vertretungen auflösten. Die Artikel wurden 10. Okt. dem Kaiser zur Genehmigung vorgelegt.
Die Aufregung, ja Erbitterung, welche diese Vorgänge in der verfassungstreuen deutschen Bevölkerung [* 5] hervorriefen, bewog den Reichskanzler Grafen Beust, den Kaiser in einer besondern Denkschrift auf die Unzulässigkeit der Fundamentalartikel und ihre Unvereinbarkeit mit dem ungarischen Ausgleich aufmerksam zu machen. Auch die übrigen Reichsminister und der ungarische Ministerpräsident Graf Andrássy sprachen ihre Bedenken gegen die Hohenwartschen Pläne aus, deren Verwirklichung die zentrifugalen Bestrebungen der ungarischen Slawen stärken würde. Da selbst ein paar Kollegen Hohenwarts, Holzgethan und Scholl, von ihm abfielen, lehnte der Kaiser die Genehmigung der Fundamentalartikel ab, und nachdem ein Versuch, die Tschechen zur Ermäßigung ihrer Ansprüche zu bewegen, gescheitert war, reichte das Ministerium Hohenwart 26. Okt. seine Entlassung ein. Nach längern Verhandlungen kam 25. Nov. ein neues verfassungstreues Ministerium unter dem Fürsten Adolf Auersperg zu stande, dessen hervorragendste Mitglieder Lasser, Stremayr, Glaser, Unger, Chlumecky und Depretis waren.
Unmittelbar nachdem er durch sein Einschreiten die österreichische Verfassung gerettet, stürzte Beust. Der Kaiser machte ihm zum Vorwurf, daß er im Frühjahr 1870 zum Ausgleich mit den Böhmen gedrängt, dadurch das damalige Ministerium erschüttert und jetzt mit seiner Warnung so lange gewartet hatte, bis der Monarch durch seine Erklärung vom 14. Sept. sich persönlich stark gebunden hatte. Außerdem schien die Annäherung an Deutschland, [* 6] die im Sommer 1871 durch die persönliche Begegnungen der beiden Kaiser Wilhelm und Franz Joseph in Ischl [* 7] und Gastein angebahnt wurde, einen andern auswärtigen Minister zu erfordern als Beust, der 1870 zum Kriege gegen Deutschland entschlossen gewesen war, überdies als Fremder und Protestant in Österreich keine festen Wurzeln schlagen konnte. Er erhielt daher 6. Nov. seine Entlassung und wurde 14. Nov. durch Andrássy ersetzt. An dessen Stelle als ungarischer Ministerpräsident trat der bisherige Reichsfinanzminister, Graf Lónyay, für den Holzgethan das Reichsfinanzministerium übernahm.
Das verfassungstreue Ministerium Auersperg.
Das erste, was die neue Regierung that, war die Auflösung der im Sommer neugewählten Landtage. Die von Mähren, Oberösterreich und der Bukowina wurden für die verfassungstreue Partei zurückgewonnen und dadurch die Beschlußfähigkeit des Reichsrats sichergestellt, trotzdem der böhmische Landtag, erbittert über die Zurückweisung der Fundamentalartikel, die Wahl der Reichsratsabgeordneten verweigerte und von den bei den darauf befohlenen direkten Wahlen gewählten Vertretern nur die 24 deutschen ihr Mandat auszuüben bereit waren.
Der neue Reichsrat mit einer verfassungstreuen Mehrheit wurde eröffnet. Die von den Führern dieser Mehrheit geforderte und vom Ministerium auch beabsichtigte sofortige Einführung der direkten Wahlen wurde von den Polen vereitelt, welche zuerst für Galizien die versprochene Ausnahmestellung verlangten. Daher ward im Februar 1872 ein neues Notwahlgesetz vorgelegt und angenommen, das die direkten Wahlen auch dann gestattete, wenn nicht der Landtag die Wahl, sondern der Gewählte die Ausübung des Mandats unterlasse.
Der Ausgleich mit Galizien kam aber nicht zu stande, weil die Polen jede Abweichung von der galizischen Landtagsdeklaration von 1868 ablehnten, und das Ministerium legte im Februar 1873 das neue Wahlgesetz dem Reichsrat vor, der es schon im März annahm; dasselbe führte die Wahl durch die Bevölkerung statt durch die Landtage ein und vermehrte die Zahl der Abgeordneten von 203 auf 353, wobei besonders die Städte bevorzugt wurden, die 137 Vertreter erhielten, während der Großgrundbesitz 85, der Bauernstand 131 zählte.
Die Wiener Weltausstellung, welche eröffnet wurde, sollte die großartigen Errungenschaften der neuen liberalen Ära verherrlichen. Der Besuch der Ausstellung war ein großartige, fast alle Fürsten Europas erschienen, auch die Kaiser Wilhelm und Alexander II. sowie König Viktor Emanuel. Ihr Glanz wurde freilich erheblich verdunkelt durch den gleichzeitig eintretenden Krach an der Wiener Börse (Mai 1873), eine Folge der schwindelhaften Gründungen der letzten Jahre; durch denselben wurde das Volksvermögen bedeutend geschädigt (man schätzte den Verlust 1873-75 auf 3 Milliarden Gulden) und auch der Staat in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch fielen die ersten direkten Reichsratswahlen, welche nach der Auflösung des Abgeordnetenhauses stattfanden, überwiegend regierungsfreundlich aus, indem 233 Abgeordnete verfassungstreu waren.
Die Tschechen traten nicht in das Haus ein, die 81 Mitglieder starke Opposition bestand aus den Polen und der ultramontanen Rechtspartei unter Hohenwart. Bei der Stärke [* 8] der liberalen Partei mußte das Ministerium deren Wünschen einigermaßen entgegenkommen, und so kündigte denn die Thronrede, mit welcher der neue Reichsrat eröffnet wurde, die Vorlage der kirchlichen Gesetze an, welche erfolgte. Es waren deren vier: das erste handelte von der Regelung der äußern Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche, das zweite von den Beiträgen aus den Pfründen zum Religionsfonds, aus welchem die Bedürfnisse des katholischen Kultus bestritten werden sollten, das dritte von den Rechtsverhältnissen der klösterlichen Gemeinschaften, das vierte von der gesetzlichen Anerkennung der noch nicht anerkannten Religionsgesellschaften. Das erste, zweite und vierte Gesetz wurde von beiden Häusern des Reichsrats im Mai angenommen, das dritte scheiterte daran, daß die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses die Gründung von neuen Klöstern von einem Spezialgesetz abhängig machen wollte, was vom Herrenhaus abgelehnt wurde. Ebenso verweigerte dies dem vom andern Haus beschlossene Zivilehegesetz seine Zustimmung.
Verschiedene Bischöfe hatten sich in heftigen ¶
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Ausdrücken über die Kirchengesetze beklagt, der Papst in einer Encyklika sie als eine Knechtung der Kirche und trotz scheinbarer Mäßigung für ebenso verderblich wie die preußischen erklärt, was Andrássy in einer scharfen Note zurückwies. Auch hatten die österreichischen Bischöfe nach Ablehnung ihres Antrags auf Tagesordnung sich aus dem Herrenhaus entfernt. Gleichwohl erließen sie keinen Gesamtprotest und kamen unter dem Vorgeben, sie erfüllten nur die Bestimmungen des noch immer rechtsgültigen Konkordats, den Gesetzen im wesentlichen nach.
Die Regierung ihrerseits handhabte dieselben in möglichst milder Form und vermied einen offenen Konflikt mit dem Klerus. Auch der neue päpstliche Nunzius, Jacobini, wirkte in versöhnlichem Sinn, und allmählich fügte sich, mit Ausnahme von Tirol, [* 10] die Geistlichkeit den Schulgesetzen und leisteten die Bischöfe die Anzeigepflicht. Unzweifelhaft war damit ein bedeutender Fortschritt erreicht, daß die Kirche unter das Gesetz gebeugt wurde, anstatt dem Staat als gleichberechtigte Macht gegenüberzustehen.
Indes war durch die kirchenpolitische Gesetzgebung, welcher sich die liberale Mehrheit mit ganzem Eifer widmete, deren Aufmerksamkeit von andern wichtigen Dingen abgezogen, ihr Gesichtskreis allzusehr verengert worden. Nichts war geschehen, um das Deutschtum durch Gesetze und Institutionen zu stärken, die Stellung des Deutschen als Staatssprache zu sichern und dem Slawismus zeitig einen Damm entgegenzusetzen. Die sogen. »Jungen« der Verfassungspartei, eine Fraktion, welche bei den Neuwahlen 1873 hervortrat und 65 Sitze errang, verlangten zwar, daß in den deutschen Kronländern das deutsch-nationale Interesse betont und zu diesem Zweck auch deren Autonomie vermehrt werden müsse.
Aber die durchaus zentralistisch gesinnte Mehrheit der Verfassungspartei wollte hiervon nichts wissen und eine Gefahr für die Herrschaft der Deutschen nicht anerkennen. Allzusehr wogen bei deren Führern, Herbst, Giskra, Rechbauer, Sturm, Skene u. a., die freisinnigen Grundsätze vor. Sowohl im cisleithanischen Reichstag als in den Delegationen bekämpften dieselben die Höhe der Forderungen für das Heer, so daß das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen durch die Ungarn und die Ultramontanen bewilligt wurde. Im österreichischen Landwehrgesetz wurde die Kavallerie gestrichen, ein Verhalten, welches neben dem Drängen auf Erlaß weiterer Kirchengesetze das Ansehen und den Einfluß des Ministeriums beim Kaiser erschüttern mußte. Ferner erlitt die Verfassungspartei dadurch eine moralische Einbuße, daß viele ihrer Mitglieder, so besonders Giskra und Petrino, in Gründerprozesse, wie den Ofenheimschen 1875, verwickelt und arg bloßgestellt wurden, so daß selbst der Handelsminister Banhans seine Entlassung nehmen mußte.
Inzwischen näherte sich die Zeit, wo der 1867 zwischen Österreich und Ungarn abgeschlossene finanzielle Ausgleich (s. oben, S. 523) einer Revision, die nach zehn Jahren eintreten sollte, unterzogen werden mußte. Die Ungarn suchten sich möglichst viele Vorteile zu sichern, insbesondere die Errichtung einer selbständigen ungarischen Staatsbank und einen größern Anteil am Ertrag der Konsumtionssteuern; sie drohten sogar mit der Auflösung der Zollunion, und der neue ungarische Ministerpräsident, Tisza, kündigte im November 1875 wirklich das Zollbündnis, als das österreichische Ministerium seine Forderungen nicht sofort bewilligte.
Die Verhandlungen wurden im tiefsten Geheimnis geführt und zogen sich lange Zeit ohne Ergebnis hin. Die Ungarn verlangten nun eine Ermäßigung ihrer Quote zu den gemeinsamen Ausgaben auf 29 Proz. Auch dies wurde von Cisleithanien abgelehnt. Endlich verständigen sich die beiderseitigen Ministerien darüber, daß eine Erneuerung des Zollbündnisses auf zehn Jahre stattfinden, der Quotensatz und die Berechnung der Konsumtionssteuern im wesentlichen wie bisher bleiben, dagegen einige Konsumtionszölle erheblich erhöht und die Direktion der Österreichischen Nationalbank paritätisch zusammengesetzt sowie 30 Proz. ihrer Noten der Pester Filiale überwiesen werden sollten. Da die Nationalbank diese Bestimmungen ablehnte und auch die verfassungstreuen Klubs des Reichsrats sich gegen dieselben erklärten, so war der Ausgleich wiederum gefährdet.
Erst 1877 wurde durch gegenseitige Zugeständnisse eine neue Vereinbarung erzielt und den Vertretungen beider Reichshälften zur Genehmigung vorgelegt. Tiszas Macht im ungarischen Parlament war groß genug, um die Zustimmung desselben zu erwirken. Dagegen konnte die Opposition der österreichischen Verfassungspartei gegen die hohen Finanzzölle und das neue Bankstatut nur durch die bestimmte Erklärung Auerspergs, daß er im Fall der Ablehnung zurückzutreten entschlossen sei, überwunden werden. Der neue Ausgleich wurde daher erst nach Ablauf [* 11] der Revisionsfrist im Juni 1878 formell zum Abschluß gebracht und ließ beide Teile unbefriedigt. Für Österreich war das Sinken der Macht des verfassungstreuen Ministeriums noch besonders bedenklich.
Österreich Ungarns orientalische Politik und der Sturz des Ministeriums Auersperg.
Seit Graf Andrássy die auswärtige Politik Österreichs leitete, hatte sich das Verhältnis zu Deutschland immer freundschaftlicher gestaltet. Unter deutscher Vermittelung fand auch eine Versöhnung mit Rußland statt, und im September 1872 erschienen Kaiser Franz Joseph und Kaiser Alexander II. in Begleitung ihrer obersten Minister in Berlin, [* 12] wo das Dreikaiserbündnis geschlossen wurde; durch dasselbe verbanden sich die drei Reiche zu gemeinschaftlichem Handeln in den europäischen Angelegenheiten, besonders im Orient, damit dadurch der allgemeine Friede gesichert werde.
Als nun dennoch infolge der von Rußland ausgehenden panslawistischen Wühlereien die orientalische Krisis 1875 mit den Aufständen in Bosnien [* 13] und Bulgarien [* 14] ausbrach, war die Stellung Österreich-Ungarns insofern schwierig, als die verschiedenen Nationen des Reichs mit ihren Sympathien in den entgegengesetzten Lagern standen, die Ungarn türkenfreundlich, die Polen russenfeindlich waren, die Südslawen und Tschechen dagegen für den Panslawismus schwärmten.
Die Deutschen wünschten vor allem die Aufrechterhaltung des Friedens, welche auch die finanziellen Verhältnisse dringend erheischten. Österreich lehnte daher eine Beteiligung am Kriege gegen die Türkei [* 15] durch bewaffnetes Einschreiten in Bosnien und der Herzegowina ab, erlangte jedoch Anfang 1877 von Rußland für das Versprechen seiner Neutralität das Zugeständnis, daß die an Österreich grenzenden Lande Bosnien und die Herzegowina sowie Serbien nicht in den Krieg hineingezogen und erstere nach dem Krieg von Österreich besetzt werden sollten. Dieser Vertrag wurde streng geheimgehalten, und die Regierung hatte nun die schwierige Aufgabe, die erregte öffentliche Meinung bei den verschiedenen Stämmen der Monarchie zu beschwichtigen und Ausschreitungen bei den Kundgebungen zu unterdrücken. Besonders in Ungarn gab die Ankunft einer ¶