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Leben regte sich, der Wohlstand hob sich, die produktive Thätigkeit in allen Zweigen des Erwerbes war entfesselt. Die peinliche Sparsamkeit der Regierung hatte das Defizit fast beseitigt und neue Anleihen vermieden, so daß die Kapitalien für produktive Unternehmungen flüssig wurden. Österreich spielte eine bescheidenere Rolle in Europa als früher, nahm aber immer noch eine geachtete und ehrenvolle Stellung ein, nur daß die auswärtige Politik nicht mehr so wie früher seine innern Verhältnisse beherrschte. Der Reichskanzler Graf Beust hatte allerdings ebensowenig wie der Hof und das Heer auf jede Wiedervergeltung für 1866 verzichtet und sich seit 1867 Frankreich in auffälliger Weise genähert. Wenigstens Süddeutschland hoffte er dem preußischen Machtbereich vorenthalten zu können. Aber seine Politik war durchaus vorsichtig und vermied jede Herausforderung. Als 1870 der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich ausbrach, rüstete Österreich allerdings, um bei der Regelung der deutschen Verhältnisse im Frieden seinen Wünschen Nachdruck geben, vielleicht auch in den Kampf selbst eingreifen zu können. Die Schnelligkeit und Entschiedenheit der deutschen Erfolge benahmen Österreich aber die Möglichkeit hierzu, und es mußte sich in die unabänderliche Thatsache der Vereinigung ganz Deutschlands unter preußischer Führung fügen, was Beusts Antwortsnote vom 26. Dez. 1870 auf die Depesche vom 14. Dez., in welcher Bismarck die Gründung des Deutschen Reichs anzeigte und die Hoffnung auf freundschaftliche Beziehungen desselben zu Österreich aussprach, in entgegenkommender Weise kundthat.
Die größte Schwierigkeit, auf welche das Bürgerministerium unter Taaffe (Auersperg war 24. Sept. 1868 zurückgetreten) bei seinen liberalen und zentralistischen Bestrebungen stieß, kam von den Slawen namentlich von den in ihren Hoffnungen auf die Autonomie der Wenzelskrone betrogenen Tschechen. Diese bestritten in ihren Versammlungen und in ihrer Presse von Anfang an die Rechtsbeständigkeit des Reichsrats, und ihr fanatische Haß gegen alles Deutsche und gegen die deutsch gesinnte Regierung gab sich in pöbelhaften Exzessen, besonders bei einem Besuch des Ministers Herbst in Prag, kund. Als 22. Aug. 1868 der böhmische Landtag zusammentrat, erschienen die 81 tschechischen Abgeordneten nicht, sondern überreichten 23. Aug. eine »Deklaration« (daher wurden sie Deklaranten genannt), in welcher sie gegen die Kompetenz des Reichsrats, für Böhmen gültige Gesetze zu geben, protestierten und die Regelung des Verhältnisses der böhmischen Krone zum Reich durch einen Vertrag zwischen dem Kaiser und der böhmischen Nation verlangten. Auch die tschechischen Mitglieder des mährischen Landtags traten mit einer ähnlichen Erklärung aus, wie denn die Tschechen auch nicht im Reichsrat selbst vertreten waren. Als die deutsche Mehrheit des böhmischen Landtags hierauf das Belcredische Sprachenzwangsgesetz vom 18. Jan. 1866 aufhob, steigerten sich die Demonstrationen und Ausschreitungen derart, daß die Regierung den General v. Koller zum Zivil- und Militärgouverneur von Böhmen ernannte und 10. Okt. den Belagerungszustand über Prag und Umgebung verhängte. Ebenso wünschten die Polen eine völlige Autonomie Galiziens, und der galizische Landtag beschloß 24. Sept. 1868 eine Resolution, welche für Galizien einen besondern, dem Landtag verantwortlichen Minister, völlig unabhängige nationale Verwaltung und Gesetzgebung forderte. Ähnliche Wünsche regten sich bei den Slowenen, und in Tirol wollte man von der Verfassung aus klerikalen Beweggründen nichts wissen. Die Schwäche der österreichischen Staatsverwaltungsmaschine zeigte sich aber 1869, als in Dalmatien das 1869 beschlossene Landwehrgesetz durchgeführt werden sollte und die Bewohner der Krivosčie, die Bocchesen, sich gegen die Einordnung in die Landwehrtruppen und die Ablieferung ihrer Waffen empörten. Die österreichischen Truppen mußten sich nach Cattaro zurückziehen, und auch General Rodich, der mit der Herstellung der Ordnung beauftragt wurde, erreichte dieselbe nur scheinbar, indem im Frieden von Knezlac (11. Jan. 1870) die Aufständischen zwar die Waffen niederlegten, aber sie sofort wieder empfingen und das Landwehrgesetz thatsächlich nicht eingeführt wurde.
Diesen zentrifugalen Bestrebungen gegenüber erwiesen sich Ministerium und Reichsrat, obwohl sie formell alle Gewalt besaßen, nicht kräftig und entschlossen genug. Dies hatte seinen Grund auch darin, daß in der deutschen Mehrheit des Abgeordnetenhauses wie in der deutschen Bevölkerung die liberalen Grundsätze das Interesse für die Aufrechterhaltung der Staatseinheit überwogen. Der Widerstand der Regierung gegen die Aufhebung des Konkordats und die Einführung der obligatorischen Zivilehe, welche der Reichsrat noch 25. Jan. 1869 beschloß, verleitete die öffentliche Meinung wieder zum pessimistischen Mißtrauen. Im Ministerium selbst war keine Einigkeit mehr. Im Dezember 1869 kam es aus Anlaß des Antrags des niederösterreichischen Landtags, der Reichsrat möge künftig aus direkten Wahlen hervorgehen, um dadurch von den Landtagen unabhängig zu werden und eine größere Kraft zu gewinnen, zum Bruch. Die Mehrheit der Minister, Giskra, Herbst, Hasner, Plener und Brestel, war dafür, daß die Wahlreform sofort durchgeführt werde; die Minderheit, Taaffe, Potocki und Berger, wollten aber der Reform nur unter der Bedingung zustimmen, daß die Polen und Böhmen durch Zugeständnisse zu gunsten ihrer Autonomie versöhnt und zur Beschickung des Reichsrats bewogen würden. Beide Teile legten ihre Ansichten dem Kaiser in Denkschriften (18. und 24. Dez. 1869) dar, und da die Majorität des Herrenhauses sich für die Ansicht der fünf Minister aussprach, beschloß Franz Joseph, zunächst einen Versuch mit deren Programm zu machen. Taaffe, Potocki und Berger erhielten 15. Jan. 1870 ihre Entlassung, und Hasner trat an die Spitze des Ministeriums, das durch den Eintritt von Stremayr, Banhans und Wagner ergänzt wurde. Doch wurde die Lösung der Frage, welche zum Ministerwechsel den Anstoß gegeben, die Wahlreform, vertagt, weil man der Zweidrittelmajorität im Reichsrat nicht sicher war, weswegen Giskra 20. März seine Entlassung nahm, und das Ministerium beschloß 20. März, bloß ein Notwahlgesetz vorzulegen, nach welchem für den Fall der Nichtannahme oder Niederlegung von Reichsratsmandaten, oder wenn ein Landtag die Wahl für den Reichsrat verweigerte, direkte Reichsratswahlen stattfinden sollten. Da aber 29. März der Ausschuß des Abgeordnetenhauses sich zur Ablehnung der galizischen Resolution ermannt hatte, erklärten die Polen 31. März ihren Austritt aus dem Reichsrat, und ihnen folgten die föderalistischen Abgeordneten von Triest, Istrien, der Bukowina sowie die Slowenen, nachdem die klerikalen Tiroler schon im Januar ausgeschieden waren. Da der Reichsrat jetzt kaum noch beschlußfähig war, verlangten die Minister die Auflösung der Landtage, deren Mitglieder den Reichsrat verlassen hatten, und reichten, als
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der Kaiser ablehnend antwortete, 4. April ihre Entlassung ein.
Der erste föderalistische Ausgleichsversuch.
Nach dem Rücktritt des Ministeriums Hasner beauftragte der Kaiser den Grafen Potocki mit der Bildung eines neuen Kabinetts. Da dieser sich mit den deutschen Autonomisten unter Rechbauer nicht verständigen konnte, so wählte er außer Taaffe hauptsächlich Beamte zu Mitgliedern des Ministeriums, das demnach einen provisorischen Charakter trug. Getreu dem in der Denkschrift vom 24. Dez. 1869 niedergelegten Programm begann nun Potocki mit den Führern der nationalen Opposition, besonders den Polen und Tschechen, Unterhandlungen über einen gütlichen Ausgleich auf Grundlage der Verfassung. Dieselben scheiterten jedoch an der Unerfüllbarkeit der polnischen und tschechischen Forderungen; ja, die Tschechen, denen sich die Feudalen und Klerikalen in Böhmen angeschlossen hatten, gingen hierbei noch über die Deklaration hinaus. Da die Regierung aber auch mit dem ihr mißtrauisch gegenüberstehenden, zu einem Rumpfparlament zusammengeschrumpften Reichsrat nichts ausrichten konnte, wurden 21. Mai 1870 das Abgeordnetenhaus und sämtliche Landtage, mit Ausnahme des böhmischen, dessen Auflösung erst 29. Juli erfolgte, aufgelöst und die neuen Landtage für 20. und 27. Aug. und 2. Sept., der Reichsrat für 15. Sept. einberufen.
In die Zeit der Neuwahlen fiel die Aufhebung des Konkordats aus Anlaß der ersten Abstimmung des vatikanischen Konzils über das Unfehlbarkeitsdogma (13. Juli). Auf den Bericht des Kultusministers Stremayr, der darlegte, daß mit jenem Dogma eine Veränderung in der Person des einen Kontrahenten stattgefunden habe, das Konkordat vom 18. Aug. 1855 damit hinfällig geworden sei, befahl der Kaiser 30. Juli 1870 dem Minister, die formelle Aufhebung des Übereinkommens dem päpstlichen Stuhl zu notifizieren und die erforderlichen Gesetzesvorlagen für den Reichsrat vorzubereiten. Im August traten die Landtage zusammen, bei ihrer Neuwahl hatte die deutsche Verfassungspartei in Böhmen die Mehrheit verloren und auch in Krain Einbußen erlitten. Überall suchte die Regierung durch Versprechungen die nationalen Parteien zu gewinnen und erreichte es auch, daß die Landtage von Galizien, der Bukowina und Istrien die Wahlen zum Reichsrat vornahmen. Nur der Landtag von Böhmen, in welchem die Deklaranten an den Sitzungen teilnahmen und mit den Feudalen die Majorität bildeten, weigerte sich und forderte in einer Adresse an den Kaiser 14. Sept. die Anerkennung des böhmischen Staatsrechts. Als daher der Reichsrat 15. Sept. eröffnet wurde, fehlten die böhmischen Abgeordneten. Als der Landtag trotz kaiserlichen Befehls auf seiner Weigerung und den Forderungen vom 14. Sept. beharrte, ordnete die Regierung 6. Okt. direkte Reichsratswahlen in Böhmen an. Infolge hiervon erhielt, da 24 Verfassungstreue und 36 Feudale und Deklaranten gewählt wurden, letztere aber nicht in den Reichsrat eintraten, die deutsche Verfassungspartei im Abgeordnetenhaus die Mehrheit, welche sie bisher nicht besessen hatte, weswegen dessen Sitzungen auch vertagt worden waren. Im November beschloß aber das Abgeordnetenhaus ebenso wie das Herrenhaus eine Adresse an den Kaiser, in welcher auf das entschiedenste die Aufrechterhaltung der Verfassung gefordert, Potockis Versuche eines Ausgleichs zwischen unvereinbaren Gegensätzen als unfruchtbar und aussichtslos bezeichnet und die föderalistischen Bestrebungen der Tschechen aufs schärfste getadelt wurden. Das Ministerium sah darin das beabsichtigte Mißtrauensvotum und reichte seine Entlassung ein. Dieselbe wurde zwar angenommen, doch beließ der Kaiser das Ministerium noch so lange im Amt, als die Delegationen in Pest tagten (24. Nov. 1870 bis 6. Febr. 1871). Dieselben bewilligten eine außerordentliche Ausgabe von 60 Mill. Guld. teils für die 1870 vorgenommenen, aber nach Sedan wieder eingestellten Rüstungen, teils für die Bedürfnisse der Zukunft.
Gleich nach Schluß der Delegationen wurde die Entscheidung des Kaisers über die Ministerkrisis veröffentlicht. Nachdem das Bürgerministerium zerbröckelt und Potockis Vermittelungspolitik gescheitert war, wurde auf Betreiben einer im verborgenen wirkenden reaktionären Kamarilla der Versuch beschlossen, die österreichische Verfassung den Forderungen der Slawen anzupassen. Diese Aufgabe übernahm das 7. Febr. 1871 ernannte neue Ministerium, an dessen Spitze der ultramontane Graf Hohenwart stand, dem außerdem zwei Tschechen (Habietinek für die Justiz und Jireček für den Kultus) und ein Pole, Graf Grocholski, angehörten, während die übrigen Minister zwar Deutsche, aber nicht Mitglieder der Verfassungspartei waren. In Wien nahm man das neue slawisch-feudal-klerikale Kabinett anfangs nicht ernst und nannte es das Faschingsministerium. Indes schritt Hohenwart entschlossen zur Verwirklichung seines deutschfeindlichen autonomistischen Programms. Nachdem es die Feier der deutschen Siege über Frankreich untersagt, legte es 25. April dem Reichsrat die erste der Vorlagen vor, welche nach seiner Ankündigung die legislative und administrative Autonomie der Länder so weit vermehren sollten, als es mit der notwendigen Reichseinheit vereinbar sei; dieselbe verlieh den Landtagen die Initiative in der Gesetzgebung. Sie wurde 9. Mai vom Abgeordnetenhaus abgelehnt. Hohenwart trat hierauf nicht nur nicht zurück, sondern erklärte am Tag darauf, 10. Mai, bei der ersten Beratung des am 5. Mai vorgelegten Gesetzentwurfs, der Galizien die in der galizischen Resolution geforderte Selbständigkeit verlieh, zugleich aber seinen Vertretern im Reichsrat das Recht beließ, in den Angelegenheiten der andern Provinzen mitzustimmen, daß er gesonnen sei, wenn die böhmische Opposition mit der Galizien zugestandenen Autonomie sich zufriedengeben würde, Böhmen dieselbe zuzugestehen. Die deutsche Mehrheit des Abgeordnetenhauses beschloß auf Antrag Herbsts 26. Mai, eine Adresse an den Kaiser zu richten, welche offen und rückhaltlos die gefährliche vom Ministerium geschaffene Lage darlegte. Aber als der Monarch beim Empfang derselben 30. Mai sein volles Vertrauen zu dem Ministerium aussprach und nun der Reichsratsmehrheit kein andres Mittel als die Verweigerung des Budgets übrigblieb, da versagte einigen der Abgeordneten doch der Mut, und sie enthielten sich der Abstimmung oder legten ihre Mandate nieder, und mit 77 gegen 66 Stimmen wurde Herbsts Antrag, nicht in die Budgetberatung eintreten, abgelehnt. Das Budget wurde 4. Juli genehmigt und 10. Juli 1871 der Reichsrat auf unbestimmt Zeit vertagt.
Nach diesem Sieg schritt Hohenwart auf der eingeschlagenen Bahn weiter vorwärts. Die Grundzüge des Ausgleichs wurden schon Anfang August dem Ministerrat vorgelegt und die Führer der tschechischen Opposition, Clam-Martinitz und Rieger, 5. Aug. vom Kaiser empfangen. Hierauf löste die Regierung die sieben verfassungstreuen Landtage auf und erreichte es durch rücksichtslose Beeinflussung der