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Regierung stand. Zu diesem Zweck sollten die europäischen Verhältnisse, wie der Kongreß sie geschaffen, überall unverändert bleiben, durch Niederhaltung jeder Volksbewegung eine Wiederkehr der verderblichen Revolutionszeit für immer verhindert und in der unumschränkten landesväterlichen Monarchie das Heil der Welt gesucht werden. Diese konservative und absolutistische Staatsräson wurde von den talentvollen Ausländern, welche Metternich nach Wien [* 2] gezogen hatte, zu einem hochpolitischen System ausgebildet: von dem genialen, aber charakterlosen Gentz, dessen Schützling Adam Müller, dem Romantiker Friedrich v. Schlegel und den Publizisten Pilat und Jarcke, deren Mehrzahl überdies zur römischen Kirche übertrat.
Die Heilige Allianz sollte das Werkzeug dieser Politik werden. In Österreich [* 3] wurde jede freiere Regung auch auf litterarischem Gebiet durch eine strenge, ja brutale Zensur unterdrückt; nur wenige Dichter, wie Anastasius Grün, Lenau und Beck, wagten es, die Politik zu berühren und der Freiheit das Wort zu reden. Die geistigen Interessen auch der Wiener Bevölkerung [* 4] gingen kaum über das Theater [* 5] und musikalische Genüsse hinaus. In Deutschland [* 6] konnte Metternich die Verleihung ständischer Verfassungen in den süddeutschen Staaten nicht verhüten.
Um so mehr war er darauf bedacht, Preußen [* 7] daran zu hindern, damit es Österreich nicht an Einfluß überflügele, und das Wartburgfest und die Ermordung Kotzebues 1819 gaben ihm Anlaß, den Karlsbader Kongreß zu berufen, auf welchem beschlossen wurde (Karlsbader Beschlüsse), Deutschland einer strengen polizeiliche Überwachung zu unterwerfen. Aber auch überall sonst, wo es galt, die Regierungsgewalt gegen Ansprüche der Völker in Schutz zu nehmen oder Regungen nach größerer Selbständigkeit und nationaler Freiheit zu unterdrücken, stand Metternich 1815 bis 1848 an der Spitze der Reaktion.
Metternich war es, der die Berufung der drei europäischen Kongresse in Troppau [* 8] (1820), Laibach [* 9] (1821) und Verona [* 10] (1822), also alle drei auf österreichischem Boden, bewirkte, auf denen beschlossen wurde, die in Neapel [* 11] und Spanien [* 12] eingeführten konstitutionellen Verfassungen durch bewaffnete Intervention umzustürzen und das absolute Königtum herzustellen. Während die Intervention in Spanien Frankreich übertragen wurde, übernahm sie in Neapel Österreich (1821).
Auch der Aufstand der Griechen (1821) wurde von Metternich als eine strafbare Auflehnung gegen die legitime Herrschaft der Türken angesehen und Alexander Ypsilanti, als er sich auf ungarischen Boden flüchtete, verhaftet und in Munkács gefangen gehalten. Dennoch konnte Österreich nicht hindern, daß Rußland, England und Frankreich 1827 Griechenland [* 13] durch die Schlacht bei Navarino vom Untergang retteten und Rußland 1828 der Pforte den Krieg erklärte, der mit der Anerkennung der griechischen Unabhängigkeit endete.
Metternich war nicht abgeneigt, sich an Rußland durch geheime Begünstigung der polnischen Revolution 1830-31 zu rächen, zumal da dieselbe in Österreich, besonders in Ungarn, [* 14] lebhafte Sympathien hervorrief und ein starkes polnisches Reich einen schützenden Damm gegen Rußlands Vergrößerungsgelüste bot. Indes die revolutionären Bewegungen, welche die französische Julirevolution in Italien [* 15] und Deutschland hervorrief, führten Österreich zu seiner alten Rolle als unbedingten Verfechters des Bestehenden zurück. In Parma [* 16] und Modena erhoben sich nämlich im Februar 1831 die Bewohner und vertrieben ihre Fürsten, die auf österreichischem Gebiet eine Zuflucht suchen mußten, während gleichzeitig aus der Romagna die päpstlichen Behörden verjagt wurden.
Schon im März rückten österreichische Truppen in Modena und Parma sowie in der Romagna ein und unterdrückten die Revolution, worauf die alten Regierungen wieder eingesetzt wurden. In Deutschland schritt Österreich nach dem Hambacher Fest (1832) und dem Frankfurter Attentat (1833) ein. Auf einer Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland und des Kronprinzen von Preußen in Münchengrätz (September 1833) wurden energische Maßregeln zur Unterdrückung der Revolution in Deutschland durch die Einsetzung der Zentralkommission in Mainz, [* 17] Knebelung der Presse, [* 18] Überwachung der Universitäten u. a. beschlossen. In der Schweiz [* 19] unterstützte Österreich den Widerstand der alten katholischen Kantone gegen jede Reform der Bundesverfassung. Als der 1815 geschaffene kleine Freistaat Krakau [* 20] sich zum Herd neuer Umtriebe gegen die russische Herrschaft in Polen machte, wurde er gemäß einem Vertrag zwischen den Schutzmächten vom Österreich einverleibt.
Nicht so ausschließlich beherrschte Metternich die innere Politik Österreichs. Diese hatte sich der Kaiser Franz I. selbst als das hauptsächliche Gebiet seiner Thätigkeit ausersehen, und diese bestand darin, jede Veränderung des Bestehenden abzuwehren und die Stagnation zu einer vollständigen Erstarrung zu steigern. Der langjährige, nur durch vorübergehende Störungen unterbrochene Friede hätte zu durchgreifenden Reformen auffordern müssen, deren das Reich so dringend bedurfte.
Nichts geschah, um die Finanzen in Ordnung zu bringen, und obwohl keine Verschwendung getrieben wurde, belief sich bloß wegen der Verrottetheit der Verwaltung und der kümmerlichen Entwickelung der innern Hilfsquellen das Defizit jährlich auf mehr als 30 Mill. Gulden. Das Beamtentum beharrte bei dem bisherigen Schlendrian, und zur Verschmelzung der verschiedenen Länder und Nationalitäten wurde nichts gethan, obwohl dies ohne Schwierigkeiten hätte geschehen können, da die Bevölkerung sich der Regierung willenlos fügte.
Auch die Deutschösterreicher ließen sich die geistige Abtötung ruhig gefallen und verloren dadurch die erforderliche Kraft [* 21] zur Behauptung der Führerrolle in dem Völkergemenge. In Ungarn mußte die Regierung zwar bei der hartnäckigen Verteidigung der verfassungsmäßigen Rechte durch die ganze Nation auf eine Erweiterung ihrer Macht namentlich in Finanzfragen verzichten, überließ aber dann die ungarische Verfassung ihrer eignen unbehilflichen Schwerfälligkeit, die sie ungefährlich zu machen schien.
Selbst Metternich kam schließlich zur Erkenntnis, daß ein regelmäßiger Fortschritt der Erhaltung des Staats nicht schädlich, sondern förderlich sei, und daß eine Reform der Zoll- und Wirtschaftspolitik, wie Preußen sie vorgenommen und auf den Zollverein ausgedehnt hatte, Österreichs Machtmittel heben werde. Franz I. wollte hiervon nichts wissen, und als er starb, ermahnte er seinen Nachfolger: »Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes, regiere und verändere nicht!«
Franz' I. Sohn Ferdinand I. (1835-48) war zur wirklichen Regierung unfähig. Um nun Metternich nicht die ausschließliche Gewalt zu überlassen, setzte die Partei der Erzherzöge im Dezember 1835 die Einsetzung der Staatskonferenz durch, in der Metternich sein Rival Graf Kolowrat und der allen Neuerungen durchaus abgeneigte Erzherzog Ludwig an die Seite gestellt wurden. Die Folge war, daß nun alle Reformvorschläge, die Begünstigung des ¶
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Handels durch Staatseisenbahnen, Handelsverträge u. dgl., die Berufung von Abgeordneten der Landtage zur Beseitigung der Finanznot u. a., an dem Widerstand des Erzherzogs scheiterten. Dennoch machte sich die lebhaftere politische Bewegung, welche in Deutschland 1840 begann, in Österreich kaum bemerkbar. Im niederösterreichischen Landtag erschreckte Graf Breuner die Regierung durch den Antrag auf Zuziehung bürgerlicher Vertreter, auf Ablösung der Feudallasten und Reform des Unterrichts; der böhmische petitionierte um mildere Handhabung der Zensur.
Aber dies waren vereinzelte Regungen ohne erhebliche Bedeutung. Wichtiger war, daß sich die Nationalitäten erhoben, daß in Ungarn (s. d.) die Magyaren eine zugleich freisinnige und nationale Reform ihres Staatswesens begannen und auch dem Wiener Hof [* 23] gegenüber durchsetzten; daß die Kroaten, Serben und Slowenen zum Bewußtsein ihrer Stammesverwandtschaft erwachten und auch in Böhmen [* 24] eine nationaltschechische Partei erstand, welche auf dem Landtag zwar auch liberale Zugeständnisse von der Regierung forderte, vornehmlich aber die Autonomie Böhmens unter österreichischer Oberhoheit erstrebte und tschechische Institute, Vereine und Zeitungen gründete. Hier zeigte sich die Österreich bei einer Erschwerung drohende Gefahr: die Autonomiegelüste seiner Nationalitäten, denen gegenüber die Zentralregierung jede Stärkung der einigenden Elemente unterlassen hatte.
Die Revolution von 1848.
Auf die erste Nachricht von der Pariser Februarrevolution dachte man in Österreich nicht an Politik, sondern an das Geld und bestürmte die Staats- und Sparkassen, da man allgemein von der Unvermeidlichkeit des Staatsbankrotts überzeugt war; das bare Geld war wie durch Zauberschlag verschwunden. Die feurige Rede, welche Kossuth im ungarischen Reichstag gegen das verrottete Regierungssystem hielt, die »Taufrede der österreichischen Revolution«, fand in allen Kronländern lauten Widerhall und veranlaßte auch in Wien einen Adressensturm für Reformen, gegen welchen Zensur und Polizei ohnmächtig waren. Am Hof war man uneinig, und es erfolgte zunächst nichts als die Abdankung Metternichs (13. März). Mit ihm brach auch sein System für immer zusammen; nicht eine bleibende Schöpfung überlebte ihn. Dann aber ließen sich die bisherigen Machthaber ein Zugeständnis nach dem andern, Bewaffnung der Studentenschaft, Preßfreiheit, Einberufung von Abgeordneten der deutschen, slawischen und italienischen Provinzen bis zum 3. Juli, entreißen, ohne dadurch die tumultuarische Menge zu befriedigen. Endlich sagte 15. März ein kaiserliche Manifest die baldigste Einberufung von Abgeordneten behufs »Konstitution des Vaterlandes« zu. An Stelle der Staatskonferenz trat 21. März ein verantwortliches Ministerium, erst unter dem Vorsitz des Grafen Kolowrat, seit dem 3. April unter dem des Grafen Ficquelmont, den am 4. Mai Freiherr v. Pillersdorf, ein wohlbekannter Gegner des alten Systems, ablöste. Dasselbe vermochte aber der herrschenden Anarchie um so weniger zu steuern, als die verfügbaren Truppen alle nach Italien geschickt worden waren. Die von radikalen Demagogen geführte Nationalgarde und die Aula, die konstruierte Studentenschaft, hatten das Heft in Händen und bildeten ein politisches Zentralkomitee zur Beschirmung der Volksrechte, welches sich ohne weiteres der Regierung bemächtigte. Das Staatsgrundgesetz, das Pillersdorf 25. April verkündigte, erntete nichts als Tadel und Spott, obwohl es der belgischen Verfassung nachgebildet war; die wichtigste Frage freilich, ob Österreich ein Föderativ- oder ein Einheitsstaat sein solle, ließ es ungelöst. Als die Minister 13. Mai sich erkühnten, der Nationalgarde die Teilnahme am Zentralkomitee zu verbieten, erzwang die entrüstete Aula mit Hilfe des Pöbels 15. Mai nicht bloß die Zurücknahme jenes Verbots, sondern auch die Suspension der Verfassung vom 25. April, ein Wahlgesetz ohne Zensus, die Einberufung einer konstituierenden Reichsversammlung und die gemeinschaftliche Besetzung der Stadtthore und der Burgwache durch Nationalgarde und Militär.
Gleichzeitig mit dem Zusammenbruch der Regierungsautorität in der Hauptstadt war auch die Einheit des Staats in höchster Gefahr. Ungarn riß sich fast ganz von Österreich los; die österreichischen Farben, die kaiserlichen Adler [* 25] verschwanden. Die Erfolge der Ungarn veranlaßten die Kroaten und Serben, ihre Lostrennung von Ungarn zu verlangen. In Prag [* 26] bildete sich ein Nationalausschuß, der vom Kaiser ein eignes böhmisches Ministerium, die Vereinigung sämtlicher Länder der Wenzelskrone zu Einem Staat und eine neue böhmische Verfassung forderte. In Krakau kam es zu einem Aufstand, der aber vom Gouverneur Grafen Stadion 26. April unterdrückt wurde. Dagegen mußten die Österreicher vor der Erhebung der Bevölkerung Mailand [* 27] und Venedig [* 28] räumen und Radetzky mit den Truppen sich in das Festungsviereck zurückziehen. Die Deutschösterreicher sahen aber in dieser Auflösung des alten Österreich in autonome Länder keine Gefährdung ihrer eignen politischen Stellung, sondern nur die Niederlage der verhaßten Regierung.
Überraschend und anfangs niederschmetternd wirkte 17. Mai die Kunde, daß Kaiser Ferdinand Schönbrunn verlassen und sich nach Innsbruck [* 29] inmitten seiner treuen Tiroler begeben habe. Abgesandte aller Körperschaften gingen nach Innsbruck ab, um den Kaiser zur Rückkehr in seine Hauptstadt zu bewegen. Das Zentralkomitee löste sich auf, und 26. Mai verfügte das Ministerium auch die Auflösung der Studentenlegion. Aber schon war die Stimmung wieder umgeschlagen; von neuem erhoben sich die Barrikaden und kamen die Arbeiter ihren »Brüdern«, den Studenten, zu Hilfe, und ohne daß es zum Kampf kam, gab das Ministerium nach.
Pillersdorf, aller Machtmittel beraubt, erkannte den neuen Sicherheitsausschuß unter Fischhofs Vorsitz als unabhängig von jeder andern Behörde an, stellte sämtliches Staatseigentum unter seinen Schutz und ließ ihn mit diktatorischer Unabhängigkeit schalten. Von Erzherzog Johann, der am 15. Mai vom Kaiser für dessen Abwesenheit mit der Regierungsvollmacht bekleidet und 26. Juni nach Wien gekommen war, forderte der Ausschuß dennoch die Entlassung Pillersdorfs und erhielt sie zugestanden; Dobblhoff bildete ein neues Ministerium, in welches die Demokraten Hornbostl, Schwarzer und A. Bach berufen wurden, »um eine volkstümliche Monarchie auf Grundlage des gesetzlich ausgesprochenen Volkswillens zu gründen«.
Diese Aufgabe sollten die neuen Minister in Gemeinschaft mit dem ersten konstituierenden österreichischen Reichstag lösen, welcher 22. Juli vom Erzherzog Johann eröffnet wurde. In demselben waren die deutschslawischen Länder durch 383 Deputierte vertreten; dieselben entbehrten fast alle der parlamentarischen Schulung, viele waren des Deutschen unkundig; eine feste Parteibildung nach politischen Grundsätzen war nicht vorhanden, der Reichstag ¶