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Johann Sobieski entsetzten endlich durch den Sieg am Kahlenberg die Hauptstadt. Durch deutsche Reichstruppen verstärkt, rückten nun die Kaiserlichen in Ungarn ein, nahmen 1683 Gran, 1686 Ofen ein und eroberten durch den Sieg bei Mohács Kroatien und Slawonien. Durch diese Erfolge seiner Waffen erreichte es Leopold, daß die ungarischen Stände 1687 in die Aufhebung des Wahlkönigtums willigten und das Land in ein Erbreich unter habsburgischer Herrschaft verwandelten, und vereinigte mit demselben Siebenbürgen, dessen Fürst und Landtag der türkischen Oberherrschaft entsagten. Durch die Siege des Markgrafen Ludwig von Baden bei Szalankemen und Eugens von Savoyen bei Zenta wurde der Sultan zum Frieden von Karlowitz gezwungen, in welchem ganz Siebenbürgen und alles Land zwischen Donau und Theiß, mit Ausnahme des Banats von Temesvár, an Österreich abgetreten wurde. Inzwischen war auch Tirol, welches seit 1564 von Seitenlinien beherrscht worden, nach dem Erlöschen der letzten 1665 an Österreich zurückgefallen.
Den Krieg im Westen gegen Frankreich führte Leopold zur Sicherung der Reichsgrenzen und der Wahrung der Stellung seines Hauses im Reich; hatte Ludwig XIV. doch schon 1658 sich ernstlich um die Kaiserkrone beworben. Die ersten französischen Kriege (1672-79 und 1688-97) waren freilich nicht so erfolgreich wie die türkischen. Die Friedensschlüsse von Nimwegen und Ryswyk ließen Ludwig XIV. seine meisten Eroberungen, namentlich die Reunionen. Von nun an bestimmte vornehmlich die Rücksicht auf Spanien die Haltung Leopolds gegen Frankreich.
Hier stand das Erlöschen der habsburgischen Dynastie bevor, da König Karl II. kränklich und kinderlos war, und der Kaiser war eifrig bemüht, die spanische Krone seinem Haus zu erhalten und auf seinen zweiten Sohn, Karl, zu übertragen. Als nun Karl II. 1700 starb und der von ihm testamentarisch zum Erben ernannte Enkel Ludwigs XIV., Philipp von Anjou, mit französischer Hilfe von Spanien Besitz ergriff, entschloß sich Leopold 1701 im Bund mit den meisten deutschen Fürsten und den Seemächte, die habsburgischen Ansprüche auf Spanien mit Waffengewalt geltend zu machen. In diesem Krieg (s. Spanischer Erbfolgekrieg), welcher nur für dynastische Zwecke, für die Vergrößerung der habsburgischen Hausmacht, geführt wurde, und in welchem Österreich zum erstenmal seine Hand nach dem Erwerb Bayerns ausstreckte, errangen die Kaiserlichen, hauptsächlich durch das Feldherrngenie des Prinzen Eugen, nach anfänglichem Mißgeschick endlich auch glänzende Erfolge.
Leopold I. erlebte noch den Sieg bei Höchstädt der dem Krieg die entscheidende Wendung zu gunsten Österreichs gab. Auf Leopold (gest. folgte sein älterer Sohn, Joseph I. (1705-11), der den spanischen Erbfolgekrieg mit Aufbietung aller Kräfte fortsetzte, obwohl in Ungarn eine Empörung unter Franz Rákóczy II. ausbrach; dieselbe wurde durch den Sieg der Kaiserlichen bei Trentschin (1708) unterdrückt und die völlige Pacifikation Ungarns durch den Száthmarer oder Károlyischen Frieden (1711) erreicht.
Inzwischen war Bayern besetzt, durch den Sieg von Turin (1706) Italien von den Franzosen befreit und durch die Schlachten von Oudenaarde (1708) und Malplaquet (1709) die französische Kriegsmacht fast vernichtet worden. Jetzt hätte der Friede unter den günstigsten Bedingungen abgeschlossen werden können, indem Ludwig XIV. zum Verzicht auf die spanische Erbschaft und zur Rückgabe seiner Eroberungen an der deutschen Westgrenze bereit war. Deutschland wäre künftig gegen französische Eroberungsgier gesichert gewesen, das Haus Habsburg hätte sich als den mächtigen Hort des Reichs erwiesen und Österreich sich unter der Regierung Josephs I., der sich auch im Innern als tüchtiger Regent bewährte, sich tolerant und aufgeklärt zeigte und in den Finanzen und der Justiz wirksame Reformen einführte, einer glücklichen Entwickelung erfreuen können.
Aber aus dynastischem Interesse brachte Joseph die Friedensverhandlungen zum Scheitern, indem er die ganze spanische Monarchie für seinen Bruder Karl verlangte und sogar von Ludwig XIV. forderte, daß er seinen Enkel aus Spanien vertreiben helfe. Inzwischen nahm der Krieg in Spanien für Karl eine so ungünstige Wendung, daß an eine Eroberung des Landes weniger als je zu denken war, und Frankreichs Streitkräfte erholten sich. Joseph I. starb aber ohne Söhne zu hinterlassen: der einzige Sproß des habsburgischen Hauses war sein Bruder, bisher Karl III. von Spanien, noch 1711 als Karl VI. (1711-40) auf den deutschen Kaiserthron erhoben. Die Fortsetzung der bisherigen Politik der Verbündeten hätte also die Vereinigung der österreichischen und der spanischen Monarchie in Eine Hand zur Folge gehabt, und da dies das europäische Gleichgewicht gefährden mußte, so trennten sich die Seemächte von Österreich und schlossen mit Frankreich 1713 den Frieden von Utrecht, den der Kaiser nach erfolgloser Fortsetzung des Kriegs 1714 im Friedensschluß von Rastatt anerkennen mußte.
Österreich erwarb aus der spanischen Erbschaft ansehnliche Gebietsteile, die spanischen Niederlande, Mailand, Mantua, Neapel und Sardinien, das 1720 gegen Sizilien ausgetauscht wurde. Eine weitere beträchtliche Gebietsvergrößerung erlangte es durch einen neuen Türkenkrieg (1716-18), in welchem Prinz Eugen die weit stärkern Türkenheere bei Peterwardein und bei Belgrad völlig besiegte und die Pforte im Frieden von Passarowitz zur Abtretung des Banats, von fünf Distrikten der Kleinen Walachei und Serbiens zwischen der Morawa und Drina zwang.
Doch gereichten diese Erwerbungen. Österreich nicht zum Heil und wurden auch nicht lange behauptet. In den Niederlanden und in den italienischen Besitzungen verschlang die Verwaltung alle Einnahmen; dagegen nahmen diese Lande einen Teil des Heers in Anspruch und verursachten wiederholt diplomatische Verwickelungen, da die Bourbonen immer wieder ihre begehrlichen Blicke nach ihnen richteten. Karl VI. wurde hierdurch ganz von der innern. Verwaltung abgezogen, die in den zerrütteten Zustand der Zeit Leopolds I. zurücksank.
Die höchsten Beamtenstellen wurden nach der Gunst des Hofs vergeben, die niedern Beamten waren träge, nachlässig und bestechlich. Die Einnahmen des Staats, ungeschickt verwaltet und am unrechten Ort verschwendet, reichten nie zur Deckung der Ausgaben, geschweige denn zur Schuldentilgung aus. So wurde selbst das Heer vernachlässigt: es war nie vollzählig, über die ganze Monarchie in Garnisonen verstreut, mangelhaft ausgerüstet und geschult, die Festungen vernachlässigt und meist nicht verteidigungsfähig.
Seit 1716 beschäftigte den Kaiser fast ausschließlich die Regelung der Thronfolge in seinen Landen. Karl VI. (s. Karl 7) hatte nämlich ebenfalls keine Söhne. Er erließ daher eine neue
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Thronfolgeordnung, die Pragmatische Sanktion, welche bestimmte, daß sämtliche österreichische Länder nach seinem Tod »untrennbar und unauflöslich« sein und sämtlich an seine älteste Tochter, Maria Theresia, und deren Nachkommen fallen sollten. Nachdem er die Zustimmung der Stände der verschiedenen Erbländer seines Reiches zu derselben erlangt hatte, suchte er auch die europäischen Mächte zur Anerkennung derselben zu bewegen, statt, wie Prinz Eugen riet, seine Nachfolgerin durch ein tüchtiges Heer und einen wohlgefüllten Schatz in stand zu setzen, ihren Thron mit eigner Kraft zu verteidigen, und brachte hierfür große Opfer.
Nachdem Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen, der Gemahl von Josephs I. ältester Tochter, die Pragmatische Sanktion anerkannt hatte, unterstützte Karl VI. dessen Bewerbung um die polnische Krone im polnischen Erbfolgekrieg (s. d.) und trat im Wiener Frieden 1738 Neapel und Sizilien als eine Sekundogenitur an die spanischen Bourbonen sowie Lothringen an Frankreich ab, wofür er Parma und Piacenza sowie für seinen Schwiegersohn Franz von Lothringen Toscana als Entschädigung erhielt. Hatten schon im polnischen Erbfolgekrieg die kaiserlichen Truppen keine Lorbeeren erworben, so trat der Verfall des Kriegswesens in dem Türkenkrieg, den Karl VI. 1737-39 im Bund mit Rußland führte, noch greller zu Tage: die Kaiserlichen wurden 1737 bei Banjaluka, bei Krotzka geschlagen und mußten im Frieden von Belgrad diese Festung, Serbien und die Walachei abtreten.
Österreich unter Maria Theresia.
Mit Karls VI. Tod erlosch der habsburgische Mannesstamm, und mit Maria Theresia (1740-80), der ältesten Tochter Karls VI., die mit Franz von Lothringen, Großherzog von Toscana, vermählt war, begann die Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen. Die junge Fürstin übernahm das Reich in einem kläglichen Zustand. Die Länder desselben bildeten eine lockere Föderation, die nur durch die Person des Herrschers, aber nicht durch eine Verfassung oder einen festen Verwaltungsorganismus vereinigt war.
Jedes Land hatte seine eigne ständische Verfassung, die dem Adel und der Geistlichkeit bedeutende Privilegien einräumte, und welche die habsburgischen Herrscher zwar nicht immer streng beachteten, doch auch nicht aufhoben. Die Zentralbehörden waren der Hofkriegsrat, die Hofkammer (Finanzen) und die Staatskanzlei (äußere Angelegenheiten), welche aber keine ausreichenden niedern Organe zu ihrer Verfügung hatten, sondern sich auf die ständischen und Lokalbehörden stützen mußten. Der Schatz war leer, das Heer in Zerrüttung, die Minister und Generale alt und unzuverlässig. In geistiger Beziehung herrschte völliger Stillstand, der Zusammenhang mit Deutschland schien gänzlich gelöst.
Karl VI. hatte die Wahl seines Schwiegersohns zum deutschen Kaiser bei seinen Lebzeiten nicht erreicht. Der Glaube, daß Maria Theresias Thronfolge durch die Verträge mit den Mächten gesichert sei, erwies sich als trügerisch. Der Kurfürst Karl Albert von Bayern machte Ansprüche auf das habsburgische Erbe. Friedrich II. von Preußen forderte Entschädigung für seine schlesischen Ansprüche und fiel, als diese sowie sein Anerbieten, zum Lohn für dieselbe die Pragmatische Sanktion verteidigen zu helfen, schroff zurückgewiesen wurden, in Schlesien ein (erster Schlesischer Krieg).
Mit Ausnahme weniger Festungen, die auch bald erobert wurden, fiel das ganze Land ohne erheblichen Widerstand in seine Hände, und der Versuch Neippergs, es wiederzuerobern, wurde durch die Schlacht bei Mollwitz zurückgewiesen. Jetzt fochten auch Sachsen, Sardinien, Spanien und Frankreich die Pragmatische Sanktion an und vereinigten sich mit Bayern und Preußen. Der österreichische Erbfolgekrieg (s. d., 1741-48), der aus diesem Bündnis hervorging, verlief anfangs für die junge Königin sehr ungünstig.
Durch ein französisches Heer verstärkt, eroberte der Kurfürst von Bayern Oberösterreich und empfing in Linz die Huldigung der Stände. Er drang bis vor Wien vor, wandte sich aber dann nach Böhmen und ließ sich in Prag krönen (Dezember 1741). Auch hier schlossen sich die Stände teils Bayern an, teils verhielten sie sich unthätig. Nur der ungarische Reichstag leistete Maria Theresia Beistand. Infolge der Fehler der französisch-bayrischen Kriegführung wandte sich die Sache 1742 zu gunsten Österreichs.
Ein österreichisches Heer unter Karl von Lothringen fiel in Böhmen, ein zweites unter dem General Khevenhüller in Bayern ein und besetzte München, während Maria Theresia nach der Niederlage bei Chotusitz mit Friedrich II. zu Berlin einen Frieden schloß, in welchem sie Schlesien (außer Troppau, Teschen und Jägerndorf) nebst der Grafschaft Glatz an Preußen abtrat. Um so energischer und erfolgreicher wurde nun der Krieg gegen die Franzosen und Bayern fortgesetzt.
Aus Besorgnis, daß nach dem völligen Sieg Österreichs ihm Schlesien wieder entrissen werden könne, begann Friedrich II. 1744 den zweiten Schlesischen Krieg, fiel in Böhmen ein und eroberte 16. Sept. Prag. Dies nötigte Karl von Lothringen, Bayern zu räumen und sich nach Böhmen zu wenden. Den geschickten Operationen des Grafen Traun war es zu danken, daß Friedrich sich unter großen Verlusten aus Böhmen nach Schlesien zurückziehen mußte. Schon hoffte Maria Theresia, Schlesien wiedergewinnen zu können, für das sie sich durch Bayern zu entschädigen gedacht hatte. Als daher nach dem Tod Karls VII. dessen Nachfolger Max Joseph III. um Frieden bat, ließ ihm Maria Theresia im Vertrag von Füssen Bayern, während er auf alle Ansprüche an Österreich verzichtete.
Österreichische Truppen rückten darauf in Ober- und Mittelschlesien ein; Friedrich rettete sich aber durch die Siege von Hohenfriedeberg (4. Juni), Soor (30. Sept.) und Kesselsdorf (15. Dez.) aus der Bedrängnis und behauptete Schlesien im Frieden von Dresden Der Krieg zwischen Österreich nebst seinen Verbündeten und Frankreich wurde noch drei Jahre in den Niederlanden und in Italien fortgesetzt und erst durch den Frieden von Aachen beendigt. Maria Theresia verlor einen Teil Mailands an Sardinien, Parma und Piacenza als Sekundogenitur an die sizilischen Bourbonen. Im übrigen wurde ihr Thronfolgerecht und ihr Besitzstand bestätigt und ihr Gemahl Franz von Lothringen als deutscher Kaiser anerkannt.
Die erheblichen Gebrechen, welche sich im österreichischen Staatswesen während dieser Kriege gezeigt hatten, den Mangel an Einheit und Staatsbewußtsein im Volk, die Geringfügigkeit und Unsicherheit der Einkünfte, die Schwäche der Zentralbehörden, die schwerfällig provinzielle Verwaltung und die ungenügende Heeresorganisation, zu beseitigen, war nun Maria Theresias Streben. Sie rottete das Feudalsystem nicht völlig aus, aber suchte es unschädlich zu machen. Mit Güte oder mit Gewalt wurden die
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Stände zur Erfüllung der landesherrlichen Befehle bewogen. Als Zentralbehörde ward ein Staatsrat eingesetzt, die österreichische und die böhmische Hofkanzlei vereinigt., die bisher ständischen Beamten in staatliche verwandelt. Die Justiz wurde wenigstens in den obern Instanzen von der Verwaltung getrennt und ein neues Strafgesetz erlassen, welches viele Härten milderte und die Tortur abschaffte (1776). Die von der Hofkammer verwalteten Finanzen wurden durch Vereinfachung der Verwaltung gebessert, die Einnahmen durch neue Zölle, Steuern und Monopole von 20 Mill. (1745) auf 40 (1754), ja auf 54 Mill. (1773) vermehrt.
Dennoch verschlangen die Kriege so ungeheure Summen, daß die öffentliche Schuld immer noch 250 Mill. betrug. Auch die Freigebigkeit Maria Theresias überschritt oft die verfügbaren Mittel, und das jährliche Defizit betrug 8-10 Mill. Das Heerwesen, dessen oberste Leitung der Hofkriegsrat behielt, wurde nach preußischem Muster reorganisiert und der Friedensstand der Armee auf 108,000 Mann mit einem jährlichen Erfordernis von 14 Mill. festgesetzt. Die drückende Lage der bäuerlichen Bevölkerung wurde erleichtert, die Robotpflicht 1775 erheblich herabgesetzt, dagegen die Steuerfreiheit der Grundherren aufgehoben. In kirchlicher Beziehung wurde die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche als Staatsreligion aufrecht erhalten und den Nichtkatholiken kaum Duldung gewährt.
Den Jesuitenorden hob Maria Theresia 1773 auf, nachdem der Papst ihn aufgelöst hatte. Die Universitäten wurden in Staatsinstitute umgewandelt und reorganisiert, der Gymnasialunterricht reformiert und die Volksschule als wichtigste Erziehungs- und Bildungsanstalt geschaffen (1774). Doch bezogen sich diese Reformen nur auf die österreichisch-böhmischen Lande. Ungarn, Belgien und die Lombardei nahmen in allen diesen Dingen eine Sonderstellung ein.
Unterbrochen wurde diese Reformthätigkeit durch den Siebenjährigen Krieg (s. d., 1756-63). Maria Theresia glaubte stark genug zu sein, ihren unversöhnlich gehaßten Feind Friedrich II. zu demütigen und Schlesien wiederzugewinnen; sie rechnete hierbei auf die Hilfe Rußlands, Schwedens, Sachsens und Englands. Als letzteres sich mit Preußen verbündete, that sie einen entscheidenden Schritt: sie schloß ein Bündnis mit Frankreich, welches dem mehr als zweihundertjährigen Antagonismus zwischen dem Haus Österreich und Frankreich ein Ende machte.
Österreich wollte den Krieg gegen Preußen erst 1757 beginnen, doch kam dieses mit dem Einfall in Sachsen und Böhmen 1756 zuvor. Die Schlacht bei Kolin setzte dem Siegeslauf des Preußenkönigs ein Ziel, und auch im weitern Verlauf des Kriegs bewährte das österreichische Heer seine erhöhte Kriegstüchtigkeit und errang unter hervorragenden Feldherren noch mehrere Siege. Aber Friedrich II. zeigte sich schließlich seinen zahlreichen Feinden und allen Wechselfällen des Schicksals gewachsen. Auch Österreichs Hilfsquellen, besonders die Finanzen, waren endlich erschöpft, und Maria Theresia mußte im Hubertusburger Frieden auf Schlesien endgültig verzichten.
Die ungeheuern Opfer an Geld und Menschen waren vergeblich gebracht. Nicht zu unterschätzen war die moralische Einbuße, welche Österreich durch den Siebenjährigen Krieg erlitt. Es hatte sich mit fremden Mächten, namentlich dem Erbfeind Frankreich, zur Zertrümmerung eines deutschen Staats, zur Auslieferung deutschen Gebiets (Pommerns und Ostpreußens) an das Ausland (Schweden und Rußland) verbunden, aus eroberungssüchtigem Ehrgeiz Deutschland der Verheerung durch fremde Truppen preisgegeben und dadurch die Sympathien verscherzt, welche es sich als Verteidiger der deutschen Grenzen früher im Volk erworben. Besonders die protestantische Bevölkerung Deutschlands sah jetzt in Friedrich II. ihren Nationalhelden.
Nicht lange nach dem Frieden, starb Maria Theresias Gemahl, Kaiser Franz I. (1745-65), der erste aus dem habsburg-lothringischen Haus. Ihm folgte als Kaiser der älteste Sohn, Joseph II. (1765-90), den Maria Theresia auch zum Mitregenten für Österreich ernannte; sie überließ ihm die Leitung des Militärs und der Finanzen, räumte ihm aber auch auf die auswärtige Politik einen erheblichen Einfluß ein. So geschah es, daß die Kaiserin, obwohl jedem neuen Ländererwerb und namentlich jeder kriegerischen Verwickelung persönlich abgeneigt, es geschehen ließ, daß sich Österreich 1772 an der ersten Teilung Polens beteiligte und bei derselben Galizien und Lodomerien (100,000 qkm) erwarb, wozu 1775 noch die von der Türkei abgetretene Bukowina kam. Joseph II. nahm auch den Plan der Erwerbung Bayerns wieder auf (s. Bayrischer Erbfolgekrieg), indem er nach dem Erlöschen der bayrischen Wittelsbacher mit dem Tode des Kurfürsten Maximilian III. Joseph sofort mit dessen Erben, Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, einen Vertrag schloß, der Österreichs Ansprüche auf den größten Teil von Niederbayern, Mindelheim und die böhmischen Lehen anerkannte.
Österreich wäre damit die einzig gebietende Macht in Süddeutschland geworden, zumal Joseph auch die übrigen Länder Bayerns durch Verträge zu erwerben hoffte. Friedrich II. war aber entschlossen, eine solche Vergrößerung Österreichs in Deutschland um keinen Preis zu dulden, veranlaßte den nächsten Erbberechtigten, den Herzog Karl von Zweibrücken, gegen den Vertrag vom 3. Jan. zu protestieren, und als dessenungeachtet Joseph die abgetretenen Gebietsteile besetzte und die Räumung verweigerte, rückte er 1778 in Böhmen ein.
Der Krieg, in welchem weniger gekämpft als demonstriert wurde, endete mit dem Frieden von Teschen in welchem Joseph II. sich mit der Erwerbung des Innviertels begnügen mußte. Ein Jahr darauf, starb Maria Theresia. Sie hinterließ einen Staat von 600,000 qkm mit 24 Mill. Einwohner in bedeutend besserm Zustand, als sie ihn 1740 übernommen hatte. Nicht bloß die Einheit und Kraft des Staatswesens waren gewachsen, auch in wirtschaftlicher Beziehung waren Fortschritte gemacht worden: Industrie und Handel nahmen einen bedeutenden Aufschwung. Die deutsche Aufklärung brach sich in Österreich Bahn und befreite es von dem geistigen Druck, der seit der Gegenreformation ertötend auf ihm gelastet hatte. In Wissenschaft, Litteratur und Kunst gewann man wieder Fühlung mit dem Reich, mit Deutschland.
Österreich unter Joseph II.
Kaiser Joseph hatte mit wachsender Ungeduld zusehen müssen, wie seine Mutter an hochkirchlichen und aristokratischen konservativen Grundsätzen festhielt und weitergehende Reformen ablehnte. Als alleiniger Regent (1780-90) wollte er, »von Fanatismus für das Wohl des Staats erfüllt«, die Umgestaltung des Staats nach seinen philosophischen Anschauungen möglichst rasch und möglichst gründlich durchführen. »Die Monarchie muß eine einzige, in allen Einrichtungen und Lasten gleiche Provinz bilden«, schrieb er; in den verschiedenen Völkern sah er
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nur eine willenlose Masse, die man durch Gesetzgebung und Verwaltung nach Belieben formen und zu einer vernünftigen Lebensführung u. Seelenordnung anhalten könne. Seine Ziele waren philanthropische und humane, seine Mittel, die Art seines Vorgehens aber oft despotisch, ja brutal. Wie sein Vorbild, Friedrich d. Gr., betrachtet sich Joseph als ersten Diener des Staats und war unermüdlich für ihn selbstlos thätig, aber doch zugleich durchaus Autokrat. »Das Reich, das ich regiere«, schrieb er, »muß nach meinen Grundsätzen beherrscht, Vorurteil, Fanatismus, Parteilichkeit und Sklaverei des Geistes unterdrückt werden.« In rascher Reihenfolge erschienen Josephs Gesetze und Verordnungen.
Zunächst schaffte er die Zensur ab, dann führte er für die Kirche das Placet ein, unterwarf den Klerus der Staatsaufsicht, hob 700 Klöster auf, wodurch die Zahl der Ordensleute um 36,000 vermindert wurde, griff durch das Verbot von Reliquienausstellungen, Prozessionen und Ablässen sogar in den römischen Kultus ein und sprach durch das Toleranzpatent vom die Duldung aller christlichen Religionsparteien aus. Die Ehe wurde der kirchlichen Jurisdiktion entzogen, Bischöfe eingesetzt, die Diözesangrenzen geändert, staatliche Priesterseminar errichtet.
Ein Besuch des Papstes Pius VI. in Wien (1782) änderte in Josephs Vorgehen gegen die Kirche nichts. Um den Bauernstand zu heben, beseitigte er 1784 die Leibeigenschaft, beschränkte die Strafgewalt der Gutsherren, gab den Bauern das Recht der freien Erschließung und der Freizügigkeit (1782) und stellte in den neuorganisierten, mit dem ausgedehntesten Aufsichtsrat über alle Kreisbewohner ohne Unterschied des Standes ausgestatteten Kreisämtern den Grundherren scharf blickende Wächter, den Unterthanen eifrige Beschützer zur Seite.
Das Steuerregulierungsgesetz vom verordnete die Einführung einer möglichst gleichmäßig veranschlagten Grundsteuer, wogegen die Zwischenmauten und die Konsumsteuern wegfallen sollten. Im Gerichtswesen wurde der Grundsatz »Ein Gesetz für alle« auch bei den Strafen rücksichtslos durchgeführt. Um in der Staatsverwaltung möglichste Einheit herzustellen, sollte fortan die deutsche Sprache in der ganzen Monarchie die ausschließliche Sprache der Gerichts- und Verwaltungsbehörden sein.
Der Erfolg dieses Erlasses war aber ein seiner Absicht entgegengesetzter: überall wurden die nationalen Feindseligkeit gegen das deutsche Element erst recht aufgerüttelt. Dazu kam, daß die Verwaltungsmaschine zu schwerfällig und unfähig war, die sich überstürzenden Reformen praktisch durchzuführen, so daß vielfach bloß zerstört, aber nichts Neues aufgebaut wurde. Die Gemeinnützigkeit der Reformen kam den Einwohnern daher sehr oft gar nicht zum Bewußtsein; diese sahen nur die Verletzung alter geheiligter Rechte und die Vernichtung liebgewordener Gewohnheiten und Anschauungen.
Das österreichische Volk fühlte wohl manchen Druck, hatte aber durchaus nicht ein lebhaftes, unwiderstehliches Gefühl von der Notwendigkeit solcher fast revolutionären Veränderungen. Daher zog sich Joseph den Haß der Geistlichkeit, des Adels, der nichtdeutschen Bevölkerung, besonders Ungarns, zu und entfremdete sich das niedere Volk durch die von ihm versuchte Sittenreform, namentlich durch die Begräbnisordnung vom welche das Verscharren der Toten in leinenen Säcken und ihre Bedeckung mit ungelöschtem Kalk befahl, aber eine so erbitterte Stimmung hervorrief, daß sie 1785 zurückgenommen werden mußte. In den Niederlanden (s. Belgien, S. 655) brach sogar eine Revolution aus.
Der Widerstand, den Joseph überall fand, war so groß, daß er, durch den unglücklichen Verlauf der äußern Politik und seine schwere Brustkrankheit niedergedrückt, durch die Verkennung seiner wohlwollenden Absichten bitter gekränkt, alle Neuerungen, die Aufhebung der Leibeigenschaft, den Religions- und Studienfonds und das Toleranzpatent ausgenommen, widerrief. Er that dies in der Resolution vom in der er die Verwaltungsformen, wie er sie bei seinem Regierungsantritt vorgefunden, wieder als zu Recht bestehend erklärte und durch Herstellung der alten Zustände mit Einem Federstrich die Schöpfungen einer zehnjährigen Herrscherthätigkeit fast vernichtete.
Dieselbe Kühnheit der Entwürfe, aber auch dieselbe Hast, die der Kaiser bei den innern Reformen an den Tag legte, bekundete er auch in seiner auswärtigen Politik. 1785 machte er einen zweiten Versuch, Bayern zu erwerben, diesmal durch Tausch, indem er dem Kurfürsten Karl Theodor den größten Teil der Niederlande als ein Königreich Burgund anbot; der Widerspruch des Herzogs von Zweibrücken und die Gegenvorstellungen Friedrichs II. und auf dessen Veranstaltung auch Rußlands vereitelten jedoch den Plan, und der 1785 von Friedrich II. zur Aufrechthaltung der deutschen Reichsverfassung gestiftete Fürstenbund schnitt weitere ähnliche Versuche ab, machte auch den anderweitigen Bestrebungen Josephs II., die kaiserliche Autorität im Reich zu verstärken, ein Ende.
Der Wunsch, den Handel in den Niederlanden durch die Aufhebung des 1714 geschlossenen Barrieretraktats und die Freigebung der Scheldemündungen zu beleben, verwickelte Joseph in Streitigkeiten mit Holland, die 1785 dadurch beigelegt wurden, daß der Kaiser gegen eine Geldentschädigung von 8½ Mill. Gulden seine Absichten aufgab. Im Bund mit Rußland, dessen Zarin Katharina II. Joseph 1780 und 1787 einen Besuch abgestattet hatte, erklärte er 1787 der Türkei den Krieg in der Hoffnung auf große Eroberungen.
Zwar siegte Laudon 1788 bei Pubitza, und der Prinz von Koburg eroberte Chotin; aber die Hauptarmee unter Joseph und Lacy wurde mit großem Verlust bis Temesvár zurückgedrängt. 1789 siegte Koburg, mit den Russen verbündet, 31. Juli bei Fokschani und 22. Sept. bei Martinesti, und Laudon eroberte 7. Okt. Belgrad. Aber die Erfolge waren nicht entscheidend, der Krieg sehr kostspielig, dazu Preußens Haltung feindlich. Mitten in diesen Schwierigkeiten starb Joseph II. Ihn überlebte der Josephinische Geist, dem es zu danken war, daß Österreich nicht ganz dem starren Ultramontanismus und der geistigen Verödung anheimfiel, sondern von Zeit zu Zeit trotz Hof und Klerus Anläufe zu Reformen machte.
Die Zeit der Revolutionskriege.
Leopold II. (1790-92), Josephs jüngerer Bruder, übernahm die Regierung unter schwierigen Verhältnissen, überwand sie aber durch Klugheit und Mäßigung. Er nahm mehrere verletzende Verordnungen zurück, beseitigte das neue Steuersystem, beruhigte den Klerus, indem er der Kirche die Leitung ihrer innern Angelegenheiten zurückgab, versöhnte die Ungarn, indem er die Verfassung beschwor und sich krönen ließ, und berief die Landtage in den einzelnen Provinzen wieder. Trotzdem blieb von den Josephinischen Reformen so viel bestehen, daß die einheitliche Staatsgewalt gekräftigt wurde. Den Krieg gegen die Türkei beendigte er durch den Frieden von Sistowa Von einem Einschreiten
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in Frankreich zu gunsten des gefährdeten Königtums seines Schwagers Ludwig XVI., zu welchem ihn die französischen Emigranten und Friedrich Wilhelm II. von Preußen drängten, hielt er sich vorsichtig zurück, versprach in Pillnitz (August 1791) nur für die Zukunft seine Mitwirkung und wich trotz aller Herausforderungen einer Kriegserklärung gegen Frankreich bis zu seinem Tod aus.
Sein Sohn Franz II. (1792-1806 deutscher Kaiser, 1804-35 als Franz I. Kaiser von Österreich) hatte für Reformen, wie sie sein Oheim und auch sein Vater erstrebten, keinen Sinn. Eifersüchtig auf seine absolute Fürstenmacht, war er vor allem darauf bedacht, daß im Reich alles wie in einem Uhrwerk seinen mechanischen Gang weiterging, den Befehlen pünktlich gehorcht wurde und keine freiere Regung das bestehende System gefährdete; zu diesem Zweck wurde eine umfassende polizeiliche Überwachung eingerichtet.
Das einzige, was sich von Joseph II. auf ihn vererbte, war die unruhige Begehrlichkeit nach Gebietsvergrößerung, als deren Vertreter der Minister Thugut gelten konnte, der seit 1794 Nachfolger von Kaunitz war. Daß dieser Beweggrund in Österreich (wie auch in Preußen und Rußland) der eigentlich maßgebende war, übte auf den Verlauf der Revolutionskriege, welche mit der Kriegserklärung Frankreichs begannen, die nachteiligste Wirkung. Österreich stellte in Belgien und am Oberrhein Heere auf, die aber, überdies in ungenügender Stärke, ebenso langsam und ungeschickt vorgingen wie die preußischen an der Mosel, so daß sie sich ebenso wie diese nach der Kanonade von Valmy (20. Sept.) aus Frankreich zurückziehen mußten und durch die Niederlage bei Jemappes (6. Nov.) Belgien verloren. Der Sieg des Prinzen von Koburg bei Neerwinden zwang zwar die Franzosen, Belgien wieder zu räumen. Aber diesen Sieg erfolgreich auszubeuten, waren weder die genügenden Streitkräfte noch der Wille da. Mit Eifersucht beobachtete Thugut die preußischen und russischen Vergrößerungspläne auf Kosten Polens, während sein Wunsch, Belgien gegen Bayern auszutauschen, keine Aussicht auf Erfüllung hatte. Der Krieg am Oberrhein und in Belgien wurde daher lau geführt, und letzteres kam nach den Niederlagen von Wattignies (15. u. und Fleurus von neuem in den Besitz der Franzosen, die es nun dauernd behielten.
Thugut glaubte sich durch die Erwerbung Westgaliziens bei der dritten polnischen Teilung (1795) hinreichend entschädigt, um so mehr, als Österreich keinen Schwertstreich hierfür hatte thun müssen. Nach dem Rücktritt Preußens von der Koalition durch den Baseler Frieden übernahmen die österreichischen Heere allein die Verteidigung der Rheingrenze, und Clerfait schlug 1795, Erzherzog Karl 1796 die in Deutschland eindringenden Franzosen zurück. Durch die Schlachten bei Amberg (24. Aug.) und Würzburg wurde nicht nur Jourdan zum Rückzug über den Mittelrhein genötigt, sondern auch Moreau sah sich gezwungen, nach dem Elsaß zu gehen. Aber inzwischen hatte Napoleon Bonaparte die Österreicher und ihre Verbündeten in Oberitalien geschlagen, Wurmser nach den Schlachten von Castiglione und Bassano in Mantua eingeschlossen und, nachdem er die Entsatzversuche Alvinczys durch die Siege von Arcole (15.-17. Nov. 1796) und bei Rivoli vereitelt, zur Übergabe gezwungen.
Indem Bonaparte mit größter Kühnheit durch Friaul in die Ostalpen rückte und über Leoben und Bruck im Murthal in das Herz Österreichs vordrang, erregte er in Wien einen solchen Schrecken, daß man Unterhandlungen mit ihm anknüpfte, obwohl Erzherzog Karl mit einem Heer zum Schutz Wiens bereit stand und im Rücken der Franzosen die patriotisch gesinnte Bevölkerung sich erhob. Cobenzl schloß zu Leoben einen Waffenstillstand ab, der 17. Okt. durch den Frieden von Campo Formio im wesentlichen bestätigt wurde. Österreich trat die Lombardei und Belgien ab und erhielt dafür Venedig, Istrien und Dalmatien; es willigte in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und bedang sich dafür Salzburg und einen Teil Bayerns aus, während Preußen keine Entschädigung erhalten sollte. Das österreichische Gebiet hatte sich also durch die Erwerbung Galiziens und der adriatischen Küstenländer vortrefflich abgerundet.
Schon 1799 brach der Krieg von neuem aus, da Thugut sich in seinen Hoffnungen auf Salzburg und Bayern getäuscht sah und die Franzosen allzu eigenmächtig in Deutschland schalteten. Österreich schloß sich der zweiten Koalition gegen Frankreich an und errang anfangs bedeutende Erfolge. Erzherzog Karl besiegte 25. März Jourdan bei Stockach und drang in die Schweiz ein, wo er 4. Juni Masséna bei Zürich schlug. Inzwischen hatten die verbündeten Österreicher und Russen den Franzosen fast ganz Italien wieder entrissen.
Aber durch Mangel an Einheit in der Kriegsleitung ging der Gewinn der glänzenden Siege verloren. Suworow fand, als er in kühnem Zug den St. Gotthard überschritt, das russisch-österreichische Heer bei Zürich geschlagen und Erzherzog Karl nicht geneigt, sich mit ihm in der Schweiz zu vereinigen. Dazu kam, daß das russische Kabinett Thugut im Verdacht hatte, nicht die Revolution bekämpfen, sondern bloß Bayern und Piemont erwerben zu wollen. Kaiser Paul rief seine Truppen ab, und Österreich sah sich 1800 allein den Franzosen gegenüber, welche nun der aus Ägypten zurückgekehrt Bonaparte wieder befehligte.
Während der österreichische General Melas Genua belagerte, überschritt Bonaparte den St. Bernhard und kam den Österreichern in den Rücken. Die Niederlage von Marengo zwang Melas, ganz Oberitalien bis zur Etsch zu räumen, und als in Süddeutschland Moreau den Erzherzog Johann bei Hohenlinden schlug und bis über die Enns in Österreich selbst eindrang, sah sich der Kaiser genötigt, den Waffenstillstand von Steyr und den Frieden von Lüneville im Namen Österreichs und des Deutschen Reichs zu schließen. Derselbe ließ Österreich die Grenzen von 1797 im wesentlichen unverkürzt. Doch erwarb es im Reichsdeputationshauptschluß (1803), welcher die Entschädigungen für das von den deutschen Fürsten auf dem linken Rheinufer abgetretene Gebiet regelte, weder Bayern noch Salzburg, sondern nur die Bistümer Trient und Brixen und mußte den Breisgau an den Herzog von Modena abtreten, während Salzburg dem Großherzog von Toscana zufiel.
Das Deutsche Reich war von Österreich preisgegeben worden, und in der Erwartung seiner bevorstehenden Auflösung nahm Franz II. den Titel eines erblichen Kaisers von Österreich an. Indes die Interessen der österreichischen Hausmacht waren wenigstens gewahrt worden, und deshalb behielt Cobenzl, Thuguts Nachfolger in der Staatskanzlei, die Leitung der auswärtigen Politik. Aber neben den rein dynastischen Gesichtspunkten kamen in Wien auch andre idealere zur Geltung.
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Viele Mitglieder des österreichischen Adels, auch des Kaiserhauses selbst, wie die Erzherzöge Karl und Johann, namentlich aber die zahlreichen »Reichsländer«, die in österreichischen Diensten standen, hielten den Kampf gegen den corsischen Eroberer für eine zugleich sittliche wie patriotische Pflicht und drängten zu Reformen in dem Heerwesen und zu Rüstungen, damit Österreich in den Stand gesetzt werde, an der Spitze Deutschlands die verhaßte Fremdherrschaft abzuschütteln und das Deutsche Reich in seiner frühern Macht wieder aufzurichten.
Wirklich trat Franz II. 1805 der dritten Koalition gegen Frankreich bei, aber von schwungvollen Gedanken und kräftigen Entschließungen war bei der Vorbereitung des Kriegs ebensowenig zu spüren wie von energischem, planvollem Handeln bei der Kriegführung selbst. Das größte Heer erhielt Erzherzog Karl in Italien, bekam aber nicht die Erlaubnis zu kräftiger Offensive. Den Hauptschlag wollte Mack als Oberbefehlshaber in Deutschland führen, hatte aber nicht die dazu erforderlichen Streitkräfte und wartete die russischen Truppen nicht ab. Statt Bayern zu besetzen, Württemberg und Baden in seine Botmäßigkeit zu bringen und den Franzosen am Rhein die Stirn zu bieten, war Mack in Ulm von dem Feind schon umstellt, als er denselben noch fern wähnte, und mußte mit dem Rest seines Heers, 23,000 Mann, kapitulieren.
Die bereits bis zum Inn vorgerückten Russen wichen nun nach Mähren zurück, und Napoleon konnte im November in Wien einziehen. Dennoch war seine Lage gefährdet, da Preußen die Räumung Deutschlands von ihm forderte, widrigenfalls es der Koalition beitreten werde, und die Erzherzöge Karl und Johann mit 90,000 Mann von Süden her heranzogen. Aber statt unter diesen Umständen eine Schlacht zu vermeiden, ließen sich die Russen unter Kutusow zur Schlacht bei Austerlitz verlocken, in welcher die Verbündeten vollständig geschlagen wurden. Da die Reste der russischen Armee nach Rußland zurückgingen, blieb Österreich nur die unbedingte Unterwerfung unter den Willen des Siegers als Ausweg übrig. Der Friede von Preßburg legte Österreich schwere Opfer auf: es mußte Venetien an Italien, Tirol und Vorarlberg an Bayern, im ganzen 66,000 qkm mit fast 3 Mill. Einw. abtreten und erhielt nur Salzburg. Noch erheblicher war die Einbuße an politischer Macht, indem Österreich von Italien und Deutschland abgeschnitten wurde, und diese Länder, die es als seinen Machtbereich anzusehen gewohnt gewesen, der Herrschaft Napoleons überlassen mußte. Daher verzichtete Franz II. nach der Stiftung des Rheinbundes auf den Titel eines römisch-deutschen Kaisers (6. Aug.) und führte fortan nur als Franz I. den eines Erbkaisers von Österreich.
Die Bedingungen des Preßburger Friedens waren viel zu hart und demütigend, als daß sie auf die Dauer hätten ertragen werden können. Auch der Kaiser war zur baldigen Wiederaufnahme des Kampfes und zu einer Änderung der bisherigen Politik entschlossen. Cobenzl wurde entlassen und Graf Philipp Stadion an die Spitze der Regierung gestellt. Derselbe, von Gesinnung und Bildung ein aufgeklärter, patriotischer Deutscher, beschloß in der Erkenntnis, daß nur durch Mitwirkung des gesamten Volkes ein glücklicher Krieg zu führen sei, durch Reformen die geistigen und sittlichen Kräfte des Volkes zu entfesseln, den Unterricht zu heben, die Presse zu befreien, dem Bürger- und Bauernstand freiere Bewegung und Erleichterung zu gewähren und hierdurch auf die Vaterlandsliebe einzuwirken.
Die Reform des Heers wurde dem Erzherzog Karl übertragen und durch ein kaiserliche Patent die Errichtung der Landwehr, die Einreihung aller waffenfähigen Mannschaften in die Armee befohlen. Die Reformen konnten nun freilich nicht in dem gewünschten Umfang durchgeführt werden, da Ungarn seine Sonderstellung hartnäckig festhielt, die Verwaltungsmaschine zu schwerfällig und ungenügend war und entgegengesetzte Einflüsse beim Kaiser vorübergehend den Sieg davontrugen. So unterwarf sich Österreich 1808 der Kontinentalsperre, wodurch der Hafen von Triest verödete und eine Handelskrisis ausbrach, die den schon ohnehin tief gesunkenen Kredit heftig erschütterte.
Man verzögerte die Kriegserklärung bis zum Frühjahr 1809, obwohl die Erhebung der Spanier im Sommer 1808 und die Aufforderung Napoleons an den Wiener Hof die Rüstungen einzustellen, Österreich zu größerer Eile hätten antreiben sollen. Dennoch versprach der Krieg diesmal siegreich zu enden. Eine herrliche Begeisterung erfüllte Wien und die deutschen Provinzen. Freiwillige aller Stände strömten zu den Fahnen, und mit Vertrauen blickte man auf die Männer, die an der Spitze standen, die Erzherzöge Karl und Johann und die Mitglieder der höchsten Aristokratie. Auch die patriotischen Kreise Deutschlands richteten auf Österreich hoffnungsvoll ihre Blicke, von dem allein noch Rettung vom fremden Joch kommen konnte. Die Freiheit Europas, die Erlösung der deutschen Brüder war nach dem Kriegsmanifest vom das Ziel des Kampfes.
Wiederum wurde die Langsamkeit der österreichischen Kriegführung verhängnisvoll. Erzherzog Karl hatte mit der Hauptarmee erst Niederbayern erreicht und seine Armeekorps zwischen Regensburg und München verteilt, als der mit ungeahnter Schnelligkeit herbeieilende Kaiser Napoleon ihn angriff, und in fünftägigen Gefechten (19.-23. April) die Österreicher zersprengte. Durch Böhmen zog sich Erzherzog Karl nach Niederösterreich zurück, während die Franzosen 13. Mai Wien zum zweitenmal besetzten.
Noch war nichts verloren. Erzherzog Johann hatte in Italien über den Vizekönig Eugen 16. April bei Sacile gesiegt, Tirol hatte sich erhoben, und in der Schlacht bei Aspern (21. und 22. Mai) wurde nach blutigem Ringen Napoleons Angriff unter furchtbaren Verlusten zurückgeschlagen. Aber die unbegreifliche Unthätigkeit des Erzherzogs, der, statt seinen Sieg zu benutzen, dem Gegner 6 Wochen Zeit ließ, sein Heer zu verstärken und sich auf einen neuen Kampf vorzubereiten, entschied den Ausgang des Kriegs. In der Schlacht bei Wagram wurden die Österreicher besiegt und schlossen 12. Juli den Waffenstillstand von Znaim, dem am 14. Okt. der Friede von Wien folgte. Österreich verlor über 100,000 qkm mit mehr als 3 Mill. Einw.; es trat Salzburg, Krain, den Villacher Kreis, Görz, Triest, einen Teil von Kroatien und das ungarische Dalmatien, endlich Westgalizien und einen Teil von Ostgalizien ab und mußte außerdem eine Kriegskontribution von 85 Mill. Gulden zahlen; seine jährlichen Einkünfte wurden um 11 Mill. gekürzt, sein Handel teils durch die von neuem übernommene Kontinentalsperre, teils dadurch gelähmt, daß es nun ganz vom Meer abgeschnitten war; die Industrie erlitt harte Verluste durch die Überlassung der Hälfte der Salzbergwerke von Wieliczka an Rußland, der Quecksilberbergwerke von Idria und der großen Eisen- und Stahlhämmer im Villacher Kreis an Frankreich. Eine Schmach für Österreich war es auch,
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daß es trotz der feierlichen Versprechungen die Tiroler wieder der Fremdherrschaft preisgab.
Der Wiener Friede hatte einen völligen Umschwung in der österreichischen Politik zur Folge, der durch den Wechsel in der Staatskanzlei bezeichnet wurde: an Stadions Stelle trat Metternich. Derselbe gab zunächst jeden Gedanken an einen neuen Krieg auf und stellte ein möglichst freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich her, indem er den Kaiser bewog, 1810 seine Tochter Marie Luise Napoleon zur Gemahlin zu geben. Österreich bedurfte dringend des Friedens, vor allem der zerrütteten Finanzen wegen.
Die Schulden hatten sich unter Joseph nicht vermindert und beliefen sich bei seinem Tod auf 399, 1802 aber schon auf 680 Mill. Da die gewöhnlichen und Zwangsanleihen erschöpft waren, hatte man zu Lotterieanleihen gegriffen und hierdurch wie durch die englischen Subsidien und Anleihen sich die ersten zehn Kriegsjahre hindurchgeholfen; da erließ der neue Finanzminister, Graf Zichy, 1802 das Verbot der Geldausfuhr, fing die Prägung von geringhaltiger Silber- und Kupferscheidemünze an und sah sich endlich gedrängt, durch eine Verfügung vom Kupfermünzen im Wert von 1600 Guld. vom Zentner prägen zu lassen.
Daneben waren in immer kleiner werdenden Zwischenräumen neue Bankozettel emittiert, die Emission aber wenigstens noch angekündigt worden. Selbst davon ging man 1788 ab, wiederholte den Versuch 1794 und 1796 und führte, da sich das Volk gegen die Annahme zu sträuben anfing, den Zwangskurs ein. So waren die ursprünglich angegebenen 12 Mill. 1806 bis auf 250 Mill. aufgelaufen; jetzt fing man an, an die Tilgung derselben zu denken. Eine Zwangsanleihe von 75 Mill., mit welcher die Tilgung angefangen werden sollte, wurde von den Kosten der Rüstung verschlungen, welche die Aufstellung einer Neutralitätsarmee 1806 erforderte. 1807 wurden die Bankozettel bis fast auf eine halbe Milliarde vermehrt bei einer Staatsschuld von über 700 Mill. und einem Defizit von 66 Mill. Eine Erhöhung der Bankozettel auf 729 Mill. hatte der Krieg von 1809 zur Folge, nach dessen Beendigung das bekannte Silberpatent des Finanzministers O'Donnell erschien, durch welches alles für entbehrlich geltende Silber gegen Anteilscheine oder Bankozettel vom Staat eingezogen wurde.
Nachdem die hierdurch gewonnenen Summen von der an Napoleon zu zahlenden Kriegsentschädigung verschlungen worden waren, sollten mit Hinweisung auf die liegenden Güter des Klerus und das unbewegliche Stammvermögen des Staats Einlösungsscheine angefertigt und im Kurs von 100 zu 300 gegen Bankozettel eingewechselt werden. Der Erfolg aber wurde vereitelt durch das allgemeine Mißtrauen, welches besonders dadurch hervorgerufen wurde, daß die Regierung die Summe der Einlösungsscheine nicht fixiert hatte.
Die Anarchie in Handel und Wandel, die durch das fortwährende Sinken des Werts der Bankozettel entstand, bewog den Finanzminister Grafen Joseph Wallis (seit einen Hauptschlag zu führen mit dem Erlaß des Patents vom welches 15. März in allen Provinzen zu derselben Stunde bekannt gemacht wurde; in Ungarn wurde es trotz des Widerspruchs des Reichstags als Provisorium eingeführt. Das Volk erfuhr durch dies Patent, daß 1060 Mill. Bankozettel umliefen, daß dieselben auf den fünften Teil des Nennwerts (212 Mill.) herabgesetzt und, da es unmöglich sei, auch diese verminderte Summe in Metallgeld auszuzahlen, gegen neue Einlösungsscheine umgetauscht werden sollten, die fortan allein als Papiergeld gelten sollten.
Zugleich gelobte die Regierung, nicht mehr als 212 Mill. Einlösungsscheine auszugeben. Da diese Summe aber für das Bedürfnis nicht ausreichte und neue Rüstungen neue Kosten verursachten, mußte man sich doch zur Ausgabe von neuem Papiergeld entschließen, das man Antizipationsscheine nannte, welche den künftigen Ertrag der Steuern vorwegnahmen, und die durch das Finanzpatent vom im Betrag von 45 Mill. ausgegeben wurden, welche Summe im Verlauf von drei Jahren heimlich um fast das Zehnfache vermehrt wurde.
1812 war Österreich Napoleons Bundesgenosse, und ein österreichisches Hilfskorps von 30,000 Mann unter Schwarzenberg bildete den rechten Flügel der Großen Armee im russischen Feldzug. Die Katastrophe von 1812 gab dem Wiener Kabinett seine Unabhängigkeit zurück, ja der Ausbruch des Kriegs in Deutschland (s. Deutscher Befreiungskrieg) 1813 und der für die Verbündeten, Rußland und Preußen, anfangs ungünstige Verlauf desselben verschaffen Österreich eine ausschlaggebend Stellung, die Metternich mit großem Geschick zu verwerten wußte.
Nachdem Napoleon Metternichs Anerbietungen abgelehnt, schloß sich Österreich den Verbündeten an und erklärte 12. Aug. an Frankreich den Krieg. Es spielte fortan sowohl bei der Führung des Kriegs, dessen oberste Leitung dem Fürsten Schwarzenberg übertragen wurde, als bei den Unterhandlungen eine bedeutende Rolle, obwohl die Leistungen weder der österreichischen Generale noch der Truppen bedeutend waren und sich mit denen der Preußen nicht vergleichen ließen.
Der patriotische Aufschwung, der 1809 zu bemerken gewesen, war 1813 völlig erloschen. Für Österreich war der Krieg von 1813 bis 1814 kein Volkskrieg, sondern nur ein Kabinettskrieg. Aber Metternich wußte die Lage der Dinge zum Vorteil des Hauses Österreich vortrefflich auszubeuten. Der Kongreß, der die europäischen Verhältnisse neu regeln sollte, fand 1814-1815 in Wien statt (s. Wiener Kongreß), und durch ein geschicktes Ränkespiel erreichte Metternich alles, was er erstrebt hatte.
Österreich wurde nicht nur in seinen alten Grenzen hergestellt, sondern erhielt auch noch einen Gebietszuwachs, so daß es 670,000 qkm zählte. Belgien und der Breisgau wurden abgetreten, dagegen in Italien das Lombardisch-Venezianische Königreich erworben, Galizien zum größern Teil behauptet. In Italien hatte es durch seinen Besitz und durch die Verträge mit den Dynastien der übrigen italienischen Staaten, von denen die von Toscana und Modena dem Haus Habsburg-Lothringen angehörten, die herrschende Stellung. In Deutschland beanspruchte es eine solche scheinbar nicht, hatte den Rheinbundstaaten sofort Integrität ihres Gebiets und ihrer Souveränität garantiert und zeigte keine Lust, die Kaiserkrone wieder anzunehmen. Es begnügte sich mit dem Präsidium des deutschen Bundestags, welches ihm durch die Bundesakte vom zugesprochen wurde. Dasselbe genügte, um jede andre Macht, besonders Preußen, an der Erringung einer herrschenden Stellung in Deutschland zu hindern und indirekt die deutschen Mittel- und Kleinstaaten sich dienstbar zu machen.
Die Herrschaft des Metternichschen Systems.
Die europäische Machtstellung, die Österreich auf dem Wiener Kongreß erlangt hatte, nicht nur unvermindert zu behaupten, sondern noch zu erhöhen, war das Ziel der Politik Metternichs, der als Staatskanzler bis 1848 an der Spitze der österreichischen
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Regierung stand. Zu diesem Zweck sollten die europäischen Verhältnisse, wie der Kongreß sie geschaffen, überall unverändert bleiben, durch Niederhaltung jeder Volksbewegung eine Wiederkehr der verderblichen Revolutionszeit für immer verhindert und in der unumschränkten landesväterlichen Monarchie das Heil der Welt gesucht werden. Diese konservative und absolutistische Staatsräson wurde von den talentvollen Ausländern, welche Metternich nach Wien gezogen hatte, zu einem hochpolitischen System ausgebildet: von dem genialen, aber charakterlosen Gentz, dessen Schützling Adam Müller, dem Romantiker Friedrich v. Schlegel und den Publizisten Pilat und Jarcke, deren Mehrzahl überdies zur römischen Kirche übertrat.
Die Heilige Allianz sollte das Werkzeug dieser Politik werden. In Österreich wurde jede freiere Regung auch auf litterarischem Gebiet durch eine strenge, ja brutale Zensur unterdrückt; nur wenige Dichter, wie Anastasius Grün, Lenau und Beck, wagten es, die Politik zu berühren und der Freiheit das Wort zu reden. Die geistigen Interessen auch der Wiener Bevölkerung gingen kaum über das Theater und musikalische Genüsse hinaus. In Deutschland konnte Metternich die Verleihung ständischer Verfassungen in den süddeutschen Staaten nicht verhüten.
Um so mehr war er darauf bedacht, Preußen daran zu hindern, damit es Österreich nicht an Einfluß überflügele, und das Wartburgfest und die Ermordung Kotzebues 1819 gaben ihm Anlaß, den Karlsbader Kongreß zu berufen, auf welchem beschlossen wurde (Karlsbader Beschlüsse), Deutschland einer strengen polizeiliche Überwachung zu unterwerfen. Aber auch überall sonst, wo es galt, die Regierungsgewalt gegen Ansprüche der Völker in Schutz zu nehmen oder Regungen nach größerer Selbständigkeit und nationaler Freiheit zu unterdrücken, stand Metternich 1815 bis 1848 an der Spitze der Reaktion.
Metternich war es, der die Berufung der drei europäischen Kongresse in Troppau (1820), Laibach (1821) und Verona (1822), also alle drei auf österreichischem Boden, bewirkte, auf denen beschlossen wurde, die in Neapel und Spanien eingeführten konstitutionellen Verfassungen durch bewaffnete Intervention umzustürzen und das absolute Königtum herzustellen. Während die Intervention in Spanien Frankreich übertragen wurde, übernahm sie in Neapel Österreich (1821).
Auch der Aufstand der Griechen (1821) wurde von Metternich als eine strafbare Auflehnung gegen die legitime Herrschaft der Türken angesehen und Alexander Ypsilanti, als er sich auf ungarischen Boden flüchtete, verhaftet und in Munkács gefangen gehalten. Dennoch konnte Österreich nicht hindern, daß Rußland, England und Frankreich 1827 Griechenland durch die Schlacht bei Navarino vom Untergang retteten und Rußland 1828 der Pforte den Krieg erklärte, der mit der Anerkennung der griechischen Unabhängigkeit endete.
Metternich war nicht abgeneigt, sich an Rußland durch geheime Begünstigung der polnischen Revolution 1830-31 zu rächen, zumal da dieselbe in Österreich, besonders in Ungarn, lebhafte Sympathien hervorrief und ein starkes polnisches Reich einen schützenden Damm gegen Rußlands Vergrößerungsgelüste bot. Indes die revolutionären Bewegungen, welche die französische Julirevolution in Italien und Deutschland hervorrief, führten Österreich zu seiner alten Rolle als unbedingten Verfechters des Bestehenden zurück. In Parma und Modena erhoben sich nämlich im Februar 1831 die Bewohner und vertrieben ihre Fürsten, die auf österreichischem Gebiet eine Zuflucht suchen mußten, während gleichzeitig aus der Romagna die päpstlichen Behörden verjagt wurden.
Schon im März rückten österreichische Truppen in Modena und Parma sowie in der Romagna ein und unterdrückten die Revolution, worauf die alten Regierungen wieder eingesetzt wurden. In Deutschland schritt Österreich nach dem Hambacher Fest (1832) und dem Frankfurter Attentat (1833) ein. Auf einer Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland und des Kronprinzen von Preußen in Münchengrätz (September 1833) wurden energische Maßregeln zur Unterdrückung der Revolution in Deutschland durch die Einsetzung der Zentralkommission in Mainz, Knebelung der Presse, Überwachung der Universitäten u. a. beschlossen. In der Schweiz unterstützte Österreich den Widerstand der alten katholischen Kantone gegen jede Reform der Bundesverfassung. Als der 1815 geschaffene kleine Freistaat Krakau sich zum Herd neuer Umtriebe gegen die russische Herrschaft in Polen machte, wurde er gemäß einem Vertrag zwischen den Schutzmächten vom Österreich einverleibt.
Nicht so ausschließlich beherrschte Metternich die innere Politik Österreichs. Diese hatte sich der Kaiser Franz I. selbst als das hauptsächliche Gebiet seiner Thätigkeit ausersehen, und diese bestand darin, jede Veränderung des Bestehenden abzuwehren und die Stagnation zu einer vollständigen Erstarrung zu steigern. Der langjährige, nur durch vorübergehende Störungen unterbrochene Friede hätte zu durchgreifenden Reformen auffordern müssen, deren das Reich so dringend bedurfte.
Nichts geschah, um die Finanzen in Ordnung zu bringen, und obwohl keine Verschwendung getrieben wurde, belief sich bloß wegen der Verrottetheit der Verwaltung und der kümmerlichen Entwickelung der innern Hilfsquellen das Defizit jährlich auf mehr als 30 Mill. Gulden. Das Beamtentum beharrte bei dem bisherigen Schlendrian, und zur Verschmelzung der verschiedenen Länder und Nationalitäten wurde nichts gethan, obwohl dies ohne Schwierigkeiten hätte geschehen können, da die Bevölkerung sich der Regierung willenlos fügte.
Auch die Deutschösterreicher ließen sich die geistige Abtötung ruhig gefallen und verloren dadurch die erforderliche Kraft zur Behauptung der Führerrolle in dem Völkergemenge. In Ungarn mußte die Regierung zwar bei der hartnäckigen Verteidigung der verfassungsmäßigen Rechte durch die ganze Nation auf eine Erweiterung ihrer Macht namentlich in Finanzfragen verzichten, überließ aber dann die ungarische Verfassung ihrer eignen unbehilflichen Schwerfälligkeit, die sie ungefährlich zu machen schien.
Selbst Metternich kam schließlich zur Erkenntnis, daß ein regelmäßiger Fortschritt der Erhaltung des Staats nicht schädlich, sondern förderlich sei, und daß eine Reform der Zoll- und Wirtschaftspolitik, wie Preußen sie vorgenommen und auf den Zollverein ausgedehnt hatte, Österreichs Machtmittel heben werde. Franz I. wollte hiervon nichts wissen, und als er starb, ermahnte er seinen Nachfolger: »Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes, regiere und verändere nicht!«
Franz' I. Sohn Ferdinand I. (1835-48) war zur wirklichen Regierung unfähig. Um nun Metternich nicht die ausschließliche Gewalt zu überlassen, setzte die Partei der Erzherzöge im Dezember 1835 die Einsetzung der Staatskonferenz durch, in der Metternich sein Rival Graf Kolowrat und der allen Neuerungen durchaus abgeneigte Erzherzog Ludwig an die Seite gestellt wurden. Die Folge war, daß nun alle Reformvorschläge, die Begünstigung des
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Handels durch Staatseisenbahnen, Handelsverträge u. dgl., die Berufung von Abgeordneten der Landtage zur Beseitigung der Finanznot u. a., an dem Widerstand des Erzherzogs scheiterten. Dennoch machte sich die lebhaftere politische Bewegung, welche in Deutschland 1840 begann, in Österreich kaum bemerkbar. Im niederösterreichischen Landtag erschreckte Graf Breuner die Regierung durch den Antrag auf Zuziehung bürgerlicher Vertreter, auf Ablösung der Feudallasten und Reform des Unterrichts; der böhmische petitionierte um mildere Handhabung der Zensur.
Aber dies waren vereinzelte Regungen ohne erhebliche Bedeutung. Wichtiger war, daß sich die Nationalitäten erhoben, daß in Ungarn (s. d.) die Magyaren eine zugleich freisinnige und nationale Reform ihres Staatswesens begannen und auch dem Wiener Hof gegenüber durchsetzten; daß die Kroaten, Serben und Slowenen zum Bewußtsein ihrer Stammesverwandtschaft erwachten und auch in Böhmen eine nationaltschechische Partei erstand, welche auf dem Landtag zwar auch liberale Zugeständnisse von der Regierung forderte, vornehmlich aber die Autonomie Böhmens unter österreichischer Oberhoheit erstrebte und tschechische Institute, Vereine und Zeitungen gründete. Hier zeigte sich die Österreich bei einer Erschwerung drohende Gefahr: die Autonomiegelüste seiner Nationalitäten, denen gegenüber die Zentralregierung jede Stärkung der einigenden Elemente unterlassen hatte.
Die Revolution von 1848.
Auf die erste Nachricht von der Pariser Februarrevolution dachte man in Österreich nicht an Politik, sondern an das Geld und bestürmte die Staats- und Sparkassen, da man allgemein von der Unvermeidlichkeit des Staatsbankrotts überzeugt war; das bare Geld war wie durch Zauberschlag verschwunden. Die feurige Rede, welche Kossuth im ungarischen Reichstag gegen das verrottete Regierungssystem hielt, die »Taufrede der österreichischen Revolution«, fand in allen Kronländern lauten Widerhall und veranlaßte auch in Wien einen Adressensturm für Reformen, gegen welchen Zensur und Polizei ohnmächtig waren. Am Hof war man uneinig, und es erfolgte zunächst nichts als die Abdankung Metternichs (13. März). Mit ihm brach auch sein System für immer zusammen; nicht eine bleibende Schöpfung überlebte ihn. Dann aber ließen sich die bisherigen Machthaber ein Zugeständnis nach dem andern, Bewaffnung der Studentenschaft, Preßfreiheit, Einberufung von Abgeordneten der deutschen, slawischen und italienischen Provinzen bis zum 3. Juli, entreißen, ohne dadurch die tumultuarische Menge zu befriedigen. Endlich sagte 15. März ein kaiserliche Manifest die baldigste Einberufung von Abgeordneten behufs »Konstitution des Vaterlandes« zu. An Stelle der Staatskonferenz trat 21. März ein verantwortliches Ministerium, erst unter dem Vorsitz des Grafen Kolowrat, seit dem 3. April unter dem des Grafen Ficquelmont, den am 4. Mai Freiherr v. Pillersdorf, ein wohlbekannter Gegner des alten Systems, ablöste. Dasselbe vermochte aber der herrschenden Anarchie um so weniger zu steuern, als die verfügbaren Truppen alle nach Italien geschickt worden waren. Die von radikalen Demagogen geführte Nationalgarde und die Aula, die konstruierte Studentenschaft, hatten das Heft in Händen und bildeten ein politisches Zentralkomitee zur Beschirmung der Volksrechte, welches sich ohne weiteres der Regierung bemächtigte. Das Staatsgrundgesetz, das Pillersdorf 25. April verkündigte, erntete nichts als Tadel und Spott, obwohl es der belgischen Verfassung nachgebildet war; die wichtigste Frage freilich, ob Österreich ein Föderativ- oder ein Einheitsstaat sein solle, ließ es ungelöst. Als die Minister 13. Mai sich erkühnten, der Nationalgarde die Teilnahme am Zentralkomitee zu verbieten, erzwang die entrüstete Aula mit Hilfe des Pöbels 15. Mai nicht bloß die Zurücknahme jenes Verbots, sondern auch die Suspension der Verfassung vom 25. April, ein Wahlgesetz ohne Zensus, die Einberufung einer konstituierenden Reichsversammlung und die gemeinschaftliche Besetzung der Stadtthore und der Burgwache durch Nationalgarde und Militär.
Gleichzeitig mit dem Zusammenbruch der Regierungsautorität in der Hauptstadt war auch die Einheit des Staats in höchster Gefahr. Ungarn riß sich fast ganz von Österreich los; die österreichischen Farben, die kaiserlichen Adler verschwanden. Die Erfolge der Ungarn veranlaßten die Kroaten und Serben, ihre Lostrennung von Ungarn zu verlangen. In Prag bildete sich ein Nationalausschuß, der vom Kaiser ein eignes böhmisches Ministerium, die Vereinigung sämtlicher Länder der Wenzelskrone zu Einem Staat und eine neue böhmische Verfassung forderte. In Krakau kam es zu einem Aufstand, der aber vom Gouverneur Grafen Stadion 26. April unterdrückt wurde. Dagegen mußten die Österreicher vor der Erhebung der Bevölkerung Mailand und Venedig räumen und Radetzky mit den Truppen sich in das Festungsviereck zurückziehen. Die Deutschösterreicher sahen aber in dieser Auflösung des alten Österreich in autonome Länder keine Gefährdung ihrer eignen politischen Stellung, sondern nur die Niederlage der verhaßten Regierung.
Überraschend und anfangs niederschmetternd wirkte 17. Mai die Kunde, daß Kaiser Ferdinand Schönbrunn verlassen und sich nach Innsbruck inmitten seiner treuen Tiroler begeben habe. Abgesandte aller Körperschaften gingen nach Innsbruck ab, um den Kaiser zur Rückkehr in seine Hauptstadt zu bewegen. Das Zentralkomitee löste sich auf, und 26. Mai verfügte das Ministerium auch die Auflösung der Studentenlegion. Aber schon war die Stimmung wieder umgeschlagen; von neuem erhoben sich die Barrikaden und kamen die Arbeiter ihren »Brüdern«, den Studenten, zu Hilfe, und ohne daß es zum Kampf kam, gab das Ministerium nach.
Pillersdorf, aller Machtmittel beraubt, erkannte den neuen Sicherheitsausschuß unter Fischhofs Vorsitz als unabhängig von jeder andern Behörde an, stellte sämtliches Staatseigentum unter seinen Schutz und ließ ihn mit diktatorischer Unabhängigkeit schalten. Von Erzherzog Johann, der am 15. Mai vom Kaiser für dessen Abwesenheit mit der Regierungsvollmacht bekleidet und 26. Juni nach Wien gekommen war, forderte der Ausschuß dennoch die Entlassung Pillersdorfs und erhielt sie zugestanden; Dobblhoff bildete ein neues Ministerium, in welches die Demokraten Hornbostl, Schwarzer und A. Bach berufen wurden, »um eine volkstümliche Monarchie auf Grundlage des gesetzlich ausgesprochenen Volkswillens zu gründen«.
Diese Aufgabe sollten die neuen Minister in Gemeinschaft mit dem ersten konstituierenden österreichischen Reichstag lösen, welcher 22. Juli vom Erzherzog Johann eröffnet wurde. In demselben waren die deutschslawischen Länder durch 383 Deputierte vertreten; dieselben entbehrten fast alle der parlamentarischen Schulung, viele waren des Deutschen unkundig; eine feste Parteibildung nach politischen Grundsätzen war nicht vorhanden, der Reichstag
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zerfiel in lauter nationale Gruppen. Von Bedeutung war, daß nicht weniger als 94 Bauern, darunter viele Ruthenen, in den Reichstag gewählt worden waren. Handelte es sich doch für den Bauernstand um die Aufhebung des drückenden Unterthänigkeitsverhältnisses und die Abschüttelung der Feudallasten (Robote), welche zwar meist thatsächlich erfolgt, aber nicht gesetzlich sanktioniert waren. Der dahin gehende Kudlichsche Antrag vom 26. Juli wurde vom Reichstag sofort beraten und 7. Sept. die Freiheit des Grund und Bodens beschlossen, ein bemerkenswerter Fortschritt, der auch nie zurückgenommen worden ist.
Inzwischen hatte die Regierung in den Provinzen wieder etwas an Ansehen und Kraft gewonnen. Ein Aufstand, der im Anschluß an den Slawenkongreß 12. Juni Prag ausbrach, wurde von Windischgrätz niedergeschlagen und damit den tschechischen Bestrebungen nach Selbständigkeit Böhmens ein Ende gemacht. Radetzky, der sich im Festungsviereck behauptet hatte, brach im Juli aus demselben hervor, besiegte 23. Juli bei Sommacampagna und 25. Juli bei Custozza die sardinische Armee und rückte wieder in Mailand ein.
Infolge des Waffenstillstandes von Vigevano (9. Aug.) räumten die Sardinier das Lombardisch-Venezianische Königreich, und nur Venedig blieb unbezwungen. Unter diesen Umständen kehrte der kaiserliche Hof von Innsbruck nach Wien zurück, wo er 12. Aug. unter lebhaftem Jubel des Volkes seinen Einzug hielt. Doch war die Stimmung des niedern Volkes in Wien infolge der Stockung aller Geschäfte und alles Verkehrs und der Abwesenheit der reichen Familien und Fremden eine verzweifelte geworden, die sie demagogischen Aufreizungen zugänglich machte. Als der Minister Schwarzer 21. Aug. den Tagelohn für die auf Staatskosten beschäftigten Arbeiter herabsetzte, brach ein Arbeiterkrawall aus, der zwar mit Waffengewalt unterdrückt wurde, dem aber wenige Wochen später (13. Sept.) ein zweiter folgte. Die Aufregung stieg infolge der Ereignisse in Ungarn. Im September begann der Banus von Kroatien, Jellachich, insgeheim vom Wiener Hof aufgemuntert, den Krieg gegen die Magyaren. Der ungarische Reichstag schickte, um hierüber Beschwerde zu führen, eine Deputation an den Reichstag und das Volk von Wien, welche zwar von der slawischen Mehrheit des Reichstags nicht vorgelassen, von der Wiener Demokratie aber mit offenen Armen aufgenommen wurde, da dieselbe erkannte, daß die Unterwerfung der Ungarn ihren eignen Untergang nach sich ziehen müsse. Als die Ermordung des Grafen Lamberg in Pest (28. Sept.) den Bruch zwischen Österreich und Ungarn unvermeidlich gemacht hatte und die Truppen an der ungarischen Grenze zusammengezogen wurden, suchten die Demagogen die Truppen zur Widersetzlichkeit aufzureizen. Wirklich weigerte sich 6. Okt. ein Grenadierbataillon, nach Ungarn abzumarschieren, und als sein Widerstand durch andre Truppen gebrochen werden sollte, entspann sich an der Taborbrücke zu Wien zwischen den Truppen, der Nationalgarde und dem Volk ein Kampf, in welchem letztere den Sieg behaupteten. Bei der Unthätigkeit und Kopflosigkeit der Behörden verbreitete sich der Aufruhr in das Innere der Stadt, der Kriegsminister Graf Latour wurde im Hofkriegsratsgebäude aufgespürt, aus seinem Versteck hervorgezogen, grausam ermordet und an einem Laternenpfahl aufgehängt. Ein Angriff auf das Zeughaus versorgte die aufrührerischen Massen mit Waffen, und als die Nacht hereinbrach, waren sie Herren der Stadt. Der Reichstag nahm die Vermittelung zwischen dem Hof und dem Aufstand in die Hand und verlangte vom Kaiser Einstellung des Kampfes, Amnestie und ein volkstümliches Ministerium. Fast wider Erwarten kam aus Schönbrunn die Nachricht, daß diese Forderungen gewährt seien, am Morgen des 7. Okt. aber die weitere, daß der Kaiser unter militärischer Bedeckung nach Olmütz gereist sei. Ein zurückgelassenes Manifest verurteilte das Vorgefallene aufs schärfste und rief die Völker Österreichs zum Kreuzzug gegen die Revolution auf. Das Ministerium löste sich auf, viele Abgeordnete verließen den Reichstag.
Auf die Kunde von den Wiener Ereignissen rückte Jellachich sofort gegen Wien, und der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen daselbst zog ihm entgegen. Gleichzeitig schickte Fürst Windischgrätz, der schon im Sommer vom Kaiser zum Oberbefehlshaber des ganzen kaiserlichen Heers außer dem Radetzkyschen in Italien ernannt worden war, von Prag aus Streitkräfte gegen Wien und verhängte 20. Okt. Belagerungszustand und Standrecht über die Stadt. In Wien, wo es außer dem neugebildeten Gemeinderat an jeder Behörde fehlte, war die Bevölkerung, von der 100,000 Menschen geflohen waren, zu einer entschlossenen Gegenwehr wenig geneigt.
Aber alle Versuche der Vermittelung und Versöhnung wurden vom Hof in Olmütz und von Windischgrätz zurückgewiesen. So fiel die Leitung der Dinge dem Zentralausschuß der demokratischen Vereine zu, der den ehemaligen Leutnant Messenhauser zum Oberkommandanten der Stadt ernannte. Ihm schlossen sich internationale Revolutionäre an, von denen der fanatische Pole Bem den Oberbefehl über die mobilen Truppen übernahm. Die Frankfurter Parlamentsmitglieder R. Blum und Fröbel, welche eine Zustimmungsadresse der Frankfurter Linken überbrachten, ermunterten die Wiener zum Widerstand.
Auch rechnete man auf den Beistand der Ungarn, welche schon die Leitha überschritten hatten. Als Windischgrätz' Forderungen, Entwaffnung und Auslieferung Bems, Pulszkys, der Mörder Latours u. a., nicht erfüllt wurden, schritt derselbe 26. Okt. zum Angriff zunächst auf die Vorstädte, 28. Okt. auf die Stadt selbst, die sich 30. Okt. auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Schon war man mit der Ausführung der Kapitulation beschäftigt, als der Kanonendonner die Ankunft der so lange vergeblich erwarteten Ungarn ankündigte und der Kampf von Messenhausers Adjutanten Fenner v. Fenneberg erneuert wurde.
Doch die Ungarn wurden bei Schwechat von Jellachich geschlagen und das planlos verteidigte Wien 31. Okt. abends von Windischgrätz erobert. Messenhauser, die Litteraten Becher und Jellinek sowie R. Blum wurden erschossen, viele andre von den Kriegsgerichten zu Kerkerstrafen verurteilt. Die Bevölkerung, welche sich die Herrschaft der Aula und des Pöbels ruhig hatte gefallen lassen, unterwarf sich kriechend der siegreichen Soldateska und unterstützte deren Rachewerk durch Denunziationen.
Die Reaktion.
Nach der Niederwerfung des Aufstandes in der westlichen Reichshälfte wurde Fürst Felix Schwarzenberg an die Spitze eines neuen Ministeriums gestellt, welches die Monarchie wieder aufrichten sollte, und der Reichstag unter Bestätigung seiner vor dem 6. Okt. gefaßten Beschlüsse zum 22. Nov. nach Kremsier berufen. Kaiser Ferdinand legte die Krone nieder, und Franz Joseph I. übernahm im Alter von 18 Jahren die Herrschaft, in der Hoffnung, wie seine Proklamation sagte, »daß es ihm gelingen werde, alle Länder und Stämme der Monarchie zu
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einem großen Staatskörper zu vereinigen«. In sicherer Erwartung einer baldigen Unterwerfung Ungarns ward der Reichstag zu Kremsier, der inzwischen in vollem Vertrauen auf die Versprechungen des Ministeriums dessen liberale Reformvorschläge eingehend beraten hatte, aufgelöst und die Oktroyierung einer vom 4. März datierten Verfassung für Gesamtösterreich verkündigt. Durch dieselbe wurden alle zur österreichischen Monarchie gehörigen Länder unter Aufhebung aller Unterschiede zu einem einheitlichen Staatskörper vereinigt; die ungarische Verfassung wurde zunächst noch nicht aufgehoben, aber die serbische Woiwodschaft, Serbien, Kroatien und die Militärgrenze von Ungarn losgetrennt; die Feststellung des Verhältnisses des Lombardisch-Venezianischen Königreichs wurde einem besondern Statut vorbehalten. Schwarzenberg unternahm es also, das von Maria Theresia und Joseph II. begonnene Werk, die Verwandlung Österreichs in einen zentralisierten Einheitsstaat, der im Heer sein Vorbild hatte, mit Einem Schlag zu vollenden.
Die erste Vorbedingung hierfür war die Unterwerfung Ungarns (s. d.). Dieselbe schien Anfang 1849 sicher. Windischgrätz rückte 5. Jan. in Ofen-Pest ein und glaubte durch seinen angeblichen Sieg bei Kapolna (27. Febr.) die ungarische Feldarmee vernichtet zu haben. Aber infolge seiner Unthätigkeit gewannen die Ungarn Zeit, sich zu sammeln, in Siebenbürgen und im Banat die Kaiserlichen zurückzudrängen und im April die österreichische Hauptarmee in mehreren Schlachten zu besiegen, so daß sie Pest räumen mußten. Nun beantwortet der ungarische Reichstag die Oktroyierung der Verfassung vom 4. März mit dem Beschluß vom 14. April, welcher Ungarn mit allen Nebenländern für einen selbständigen Staat und die habsburg-lothringische Dynastie für abgesetzt erklärte. Während die Ungarn Ofen belagerten und 21. Mai erstürmten, rief Österreich die russische Hilfe gegen die Revolution an, welche der Zar Nikolaus in einem Vertrag vom 21. Mai zusagte. Ein russisches Korps rückte in Siebenbürgen, die Hauptarmee unter Paskewitsch über die Karpathen in Ungarn ein. Gleichzeitig drangen die Österreicher unter Haynau die Donau abwärts vor. Die Ungarn erlagen der Übermacht, und 13. Aug. streckte Görgei mit der Hauptarmee (22,000 Mann) bei Világos vor dem russischen General Rüdiger bedingungslos die Waffen.
Die Russen überlieferten Ungarn auf Gnade und Ungnade den Österreichern, die, gereizt und erbittert, daß die Ungarn durch die Kapitulation von Világos dem hochmütigen Zaren einen leichten Triumph verschafft hatten, über die Häupter des Aufstandes ein grausames Strafgericht verhängten. Die ungarische Verfassung wurde für verwirkt erklärt und Ungarn zu einem bloßen Kronland des Gesamtstaats umgewandelt, die Nebenländer zu selbständigen Kronländern erhoben.
Der im März 1849 von Sardinien von neuem erklärte Krieg in Italien wurde schon 23. März durch den glänzenden Sieg Radetzkys bei Novara beendet, im August auch Venedig wieder unterworfen und die Verhältnisse auf der Apenninenhalbinsel ganz so wiederhergestellt, wie sie vor 1848 gewesen waren. Außer dem Lombardisch-Venezianischen Königreich beherrschte Österreich indirekt Parma, Modena, Toscana und die Romagna und besaß den maßgebenden Einfluß in Neapel. Dieselbe Wiederherstellung seiner Machtstellung glückte Österreich in Deutschland.
Hier hatte die Veröffentlichung der österreichischen Verfassung vom 4. März, welche auf die deutschen Verhältnisse keine Rücksicht nahm, die Mehrheit des Frankfurter Parlaments bewogen, im März 1849 den engern deutschen Bundesstaat und die Übertragung der Kaiserkrone auf den König von Preußen zu beschließen. Die neue Reichsverfassung scheiterte an der Anlehnung der Krone durch Friedrich Wilhelm IV. Während Preußen nun mit den deutschen Fürsten über die Bildung einer Union unter seiner Führung verhandelte, bewältigte Österreich die Unruhen im Innern und konnte schon 1849 mit einem siegreichen Heer im Hintergrund bestimmend in die deutschen Dinge eingreifen. Es verlangte nicht bloß Wiederherstellung des Bundestags, sondern auch Aufnahme Gesamtösterreichs in den Bund, und seine Forderungen wurden von den süddeutschen Königlichen und von Rußland unterstützt.
Preußen wagte keinen Krieg für seine Unionspolitik und unterwarf sich in Olmütz (November 1850). Schwarzenberg konnte sich rühmen, den preußischen Nebenbuhler aufs tiefste gedemütigt zu haben, und spielte an der Spitze der deutschen Mittelstaaten, welche bei Österreich Schutz vor den deutschen Einheitsbestrebungen suchten, die entscheidende Rolle im wiederhergestellten Deutschen Bund. Aber es belud sich auch mit dem Fluch freiheits- und deutschfeindlicher Reaktion durch die Unterdrückung der Kurhessen und die Auslieferung Schleswig-Holsteins an Dänemark. Und die Aufnahme Gesamtösterreichs in den Deutschen Bund erreichte es doch nicht, da die Westmächte gegen das Siebzigmillionenreich protestierten, ebensowenig wie die Zolleinigung mit Deutschland, zu welchem Zweck die ungarische Zolllinie aufgehoben und ein neuer Zolltarif erlassen worden war.
Die glänzenden Erfolge, welche Schwarzenberg Politik davongetragen, gaben der von ihm geleiteten Hof- und Militärpartei die Macht in die Hände. Nach Graf Stadions Tod welcher wenigstens ein vernünftiges Verwaltungssystem durchführen wollte, herrschte die Reaktion in Österreich unumschränkt. Sein Nachfolger Alexander Bach hatte nur das eine Ziel, Österreich zu einem einheitlichen, aber absolut monarchischen Staat zu machen. Nachdem als Beirat des Monarchen und Ersatz für die Volksvertretung ein aus kaiserlicher Ernennung hervorgegangener Reichsrat errichtet worden war, wurden 20. Aug. die Ministerverantwortlichkeit, das Stadionsche Gemeindegesetz und Schmerlings Gerichtsreform mit dem Institut der Schwurgerichte und 31. Dez. die Verfassung vom 4. März selbst aufgehoben.
Schwarzenberg starb auf der Höhe seines Glücks, aber auch nach seinem Tod schien sein Werk gesichert. Bach und der Kultusminister Graf Leo Thun arbeiteten im Sinn des Zentralismus und Absolutismus scheinbar erfolgreich, die meist slawische Büreaukratie entfaltete eine rührige Thätigkeit für Verschmelzung der Länder, und gegenüber der Zerfahrenheit und Thatenlosigkeit früherer Zeiten schien das neue System an sich nicht unzeitgemäß und ungeeignet zu sein.
Aber wirkliche Reformen wurden gar nicht versucht und nichts gethan, um durch wirtschaftliche Befreiung und materielle Wohlthaten die Bevölkerung mit dem Absolutismus zu versöhnen. Die Finanzlage war eine traurige, ergab Jahr für Jahr ein Defizit und zwang zur Ausgabe von Papiergeld, das immer tiefer im Wert sank und Handel und Gewerbe hemmte. Die Geistlichkeit gelangte zu schrankenlosem Einfluß, der seinen Höhepunkt in dem am mit dem päpstlichen Stuhl abgeschlossenen Konkordat erreichte, das die Souveränität des Staats mehr
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einschränkte als irgend eine Verfassung und den Unterricht dem Klerus überlieferte.
Wie zweifelhaft die Erfolge der äußern Politik von 1850 waren, zeigte sich, als 1853 von neuem eine orientalische Krisis ausbrach. »Die Welt soll über unsre Undankbarkeit erstaunen«, hatte Schwarzenberg einst im Übermut gesagt, und sein Nachfolger als Minister des Auswärtigen, Graf Buol-Schauenstein, sah sich durch die Verhältnisse gezwungen, das Wort zu erfüllen. Kaiser Nikolaus erwartete von Österreich, daß es seinen Unternehmungen gegen die Türkei nicht entgegentreten werde.
Aber Österreich konnte sich nicht dazu erschließen, da seine Interessen im Orient durch die Besetzung der Donaufürstentümer zu empfindlich getroffen wurden. Jedoch auch im Bund mit den Westmächten Rußland offen den Krieg zu erklären, wagte es nicht, zumal es dem tödlich beleidigten Preußen nicht traute. Die Politik der Halbheit, die demnach Österreich im Krimkrieg (s. d.) einschlug, indem es durch ein Ultimatum die Räumung der Donaufürstentümer erzwang und diese dann selbst besetzte, allem Drängen der Westmächte auf Beteiligung am Krieg aber widerstand und Sardinien sich zuvorkommen ließ, hatte zur Folge, daß es Rußland schwer verletzte und sich dessen Haß zuzog, das Vertrauen der Westmächte aber nicht gewann und auch keinen materiellen Vorteil aus dem Krieg zog. Vielmehr verschlang die Besetzung der Donaufürstentümer eine Anleihe von 500, in Wirklichkeit 611 Mill. Guld., da der Finanzminister den Überschuß der Zeichnungen ungescheut ebenfalls verwendete.
In wenigen Jahren hatte Österreich von dem Nimbus, den ihm der Sieg über die Revolution verschafft, erheblich eingebüßt. Nach außen isoliert, hatte es im Innern an Kraft nicht zugenommen. Ungarn war unversöhnt und verharrte in passivem Widerstand. Die Büreaukratie, welche Bach geschaffen, war ohne allen Halt im Volk und wurde von den Liberalen wie den Feudalen gleichmäßig gehaßt. Sie war nicht im stande gewesen, das Experiment eines absolutistischen Einheitsstaats durchzuführen.
Die Armee hatte keine Gelegenheit wieder gehabt, ihre Tüchtigkeit zu bewähren, so daß das dem Deutschösterreicher eingeborne pessimistische Mißtrauen gegen alle staatlichen Institutionen sich allmählich auch auf das Heerwesen übertrug, zumal man dem allmächtigen kaiserlichen Generaladjutanten, dem höchst unpopulären Grafen Grünne, im Volk und in der Armee die verderblichste Wirksamkeit zutraute. So war die Lage Österreichs, als Cavour die italienische Frage aufwarf und Napoleon III. dieselbe in die Hand nahm, um die österreichische Herrschaft in Italien zu stürzen und die Frankreichs an die Stelle zu setzen. Da Österreich die Verträge auf seiner Seite hatte, so hätte es den Verlauf der Dinge ruhig abwarten sollen.
England bereitete eine für Österreich ehrenvolle Vermittelung vor, und Preußen war geneigt, gemeinschaftlich mit dem Wiener Hof vorzugehen. Aber dieser verscherzte die Gunst der Umstände, indem er im April 1859 plötzlich von Sardinien sofortige Entwaffnung forderte und, als diese abgelehnt wurde, seine Truppen in Piemont einrücken ließ, wo sie aber unthätig stehen blieben, während die Franzosen die Alpen überschritten und sich mit Sardinien vereinigten.
Durch die Schlacht bei Magenta (4. Juni), welche der österreichische Befehlshaber Gyulay leicht hätte gewinnen können, ging die Lombardei verloren. Auch der zweite Kampf, bei Solferino (24. Juni), im Festungsviereck, dem Schauplatz der Siege von 1848, geliefert, hatte keinen glücklichen Ausgang. Neben der Unfähigkeit der Anführer zeigte sich eine verderbliche Schwerfälligkeit der Kriegsverwaltung, ja sogar ein Anteil höherer Beamten an den großartigen Betrügereien und Unterschleifen der Lieferanten. Dennoch hätte der Krieg eine günstigere Wendung nehmen können, wenn nicht der Kaiser Franz Joseph, nur um nicht Preußen den Oberbefehl im Krieg Deutschlands gegen Frankreich, dessen Ausbruch am Rhein bevorstand, lassen zu müssen, mit Napoleon den Frieden von Villafranca geschlossen hätte. Österreich trat die Lombardei ab und behielt Venetien, mußte aber, obwohl der Züricher Friedensvertrag die sonstige Erhaltung der frühern Zustände in Italien festsetzte, doch die Halbinsel an Sardinien überlassen, da es einen neuen Krieg zu führen weder gewillt, noch im stande war.
Erteilung einer Verfassung.
Der Verlauf des Kriegs von 1859 hatte die Hohlheit der österreichischen Regierungsmacht und die Unhaltbarkeit der bestehenden Zustände so deutlich gezeigt, daß niemand für die Aufrechterhaltung derselben die Hand zu erheben wagte. Die Minister Buol-Schauenstein und Bach wurden entlassen und durch Graf Rechberg und Goluchowski ersetzt. Der begabte und gewandte Finanzminister v. Bruck, der sich vergeblich bemüht hatte, die Finanzen in Ordnung zu bringen, entleibte sich selbst da in den Unterschleifprozeß gegen den Feldmarschallleutnant ^[richtig: Feldmarschalleutnant] v. Eynatten ein Verdacht auf ihn fiel, der sich später als völlig unbegründet erwies.
Ein kaiserliches Patent vom ordnete eine Verstärkung des 1851 eingesetzten Reichsrats in der Weise an, daß derselbe außer den ordentlichen Reichsräten aus lebenslänglichen Mitgliedern (Erzherzögen, hohen kirchlichen Würdenträger und im Zivil- oder Militärdienst ausgezeichneten Männern) und aus 38 Mitgliedern der Landesvertretungen bestehen sollte, welche letztern der Kaiser aus je drei vorgeschlagenen Kandidaten zu wählen hätte. Von Bedeutung für das Gelingen des Werkes war, ob die Ungarn sich zur Teilnahme erschließen würden.
Als der Reichsrat eröffnet wurde, erschienen zwar Vertreter Ungarns, an ihrer Spitze die Grafen Andrássy und Apponyi; dieselben sprachen es aber offen aus, daß der Reichsrat für sie nur insofern Bedeutung habe, als er ihnen zur Wiedererlangung ihrer 1849 verlornen Rechte verhelfen werde. Die Regierung war auch bereit, sich mit dem Reichsrat über weitere konstitutionelle Zugeständnisse zu verständigen. Die Finanzlage verlangte gebieterisch den Beistand der Bevölkerung bei ihrer Besserung, denn der Bericht der 1859 eingesetzten Staatsschuldenkommission stellte die Höhe der Staatsschuld auf 2351 Mill. Gulden fest, deren Verzinsung 103 Mill. und deren Tilgung 13 Mill. Guld. jährlich erforderten; das Budget von 1861 schloß mit einem Defizit von über 40 Mill. Guld. ab. Da indes die Regierung mit dem Reichsrat zu keiner Einigung über die neue Verfassung gelangen konnte, wurden dessen Sitzungen 28. Sept. geschlossen, und erschien ein kaiserliches Manifest (Oktoberdiplom), welches die Grundzüge einer neuen Verfassung veröffentlichte, in der sowohl für die Autonomie der einzelnen Kronländer als für die Einheit des Reichs gesorgt sein sollte. Den Ungarn wurde ihre Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden, zurückgegeben, die übrigen Kronländer sollten Landtage für ihre besondern Interessen erhalten, die gemeinsamen Angelegenheiten aber von einem Reichsrat beraten werden, dessen Mitglieder teils vom Kaiser, teils von den Landtagen
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gewählt werden sollten. Die Ministerien des Innern, der Justiz und des Kultus wurden aufgehoben, die ungarische und siebenbürgische Hofkanzlei wiederhergestellt und die oberste Leitung der administrativ-politischen Angelegenheiten einem Staatsminister, wozu Goluchowski ernannt wurde, übertragen. Ungarischer Hofkanzler wurde Baron Vay, ein Protestant.
Indes die neue Verfassung hatte keinen langen Bestand. Die liberale Bevölkerung sah in ihr nur eine Befestigung des Feudalwesens und des Föderalismus, namentlich als Goluchowski bei der Zusammensetzung der Landtage der Alpenländer dem Adel und Klerus einen unverhältnismäßigen Anteil an der Vertretung einräumte. Die Ungarn wurden nicht versöhnt, sondern beharrten bei ihrer Forderung der Gesetze von 1848, die vielfach ohne weiteres in Wirksamkeit gesetzt wurden.
Die allgemeine Unzufriedenheit bewog endlich den Kaiser, den als liberal und deutsch gesinnt bekannten Schmerling an die Spitze eines neuen Ministeriums zu berufen, welchem als bedeutendste Mitglieder Lasser für das Innere und Plener für die Finanzen angehörten. Das Programm Schmerlings verkündete 23. Dez., daß die Landtage nicht eine Vertretung der Stände, sondern der Interessen, besonders des Grundbesitzes bilden, ihnen und dem Reichsrat die Initiative und Öffentlichkeit eingeräumt, die Mitglieder des Reichsrats vermehrt und direkt durch die Landtage gewählt werden sollten.
Das Programm erhielt seine Ausführung durch die Verkündigung einer Verfassung (Februarverfassung) für den Gesamtstaat und von Landesstatuten für jedes einzelne Kronland der Monarchie, jedoch mit Ausschluß der Länder der ungarischen Krone und Venetiens die Vertretung des Gesamtstaats wurde einem aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden, jährlich zusammenzuberufenden Reichsrat übertragen; das Herrenhaus bestand aus erblichen und lebenslänglichen, vom Kaiser ernannten, das Abgeordnetenhaus aus 343 aus direkten Wahlen der Landtage hervorgehenden Mitgliedern. An demselben Tag (26. Febr.) erfolgte die Auflösung des verstärkten Reichsrats und die Einsetzung eines Staatsrats. Österreich trat hiermit in die Reihe der konstitutionellen Staaten ein.
Die Durchführung der neuen Verfassung stieß auf vielen Seiten auf hartnäckigen Widerstand. Die Anhänger des Absolutismus im Heer und in der Büreaukratie, die Verfechter der feudalen und klerikalen Anschauungen weissagten den Untergang des alten Österreich, und der Tiroler Landtag protestierte entschieden gegen die liberalen Grundsätze der Verfassung, besonders gegen die Gleichberechtigung der Protestanten. In Böhmen, Galizien und andern Ländern erhoben sich die nichtdeutschen Elemente und bewirkten, daß die Wahlen zum Reichsrat nur unvollständig und unter Verwahrungen vorgenommen wurden. In Ungarn äußerte sich die Abneigung gegen jede Gesamtstaatsverfassung trotz der Mahnungen einiger gemäßigter Magnaten in so heftiger Weise, daß man der Regierung auch die Steuern und die Aushebung zum Militär verweigerte. Im Landtag siegte zwar die gemäßigtere »Adreßpartei« unter Deák über die radikalere »Beschlußpartei« unter Tisza, forderte aber auch die Wiederherstellung der Gesetze von 1848 und nahm keine Wahlen zum Reichsrat vor. In Venetien wurde überhaupt die Einführung der Verfassung einem geeignetern Zeitpunkt vorbehalten.
Als der neue Reichsrat eröffnet wurde, waren Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Istrien und Venetien nicht in demselben vertreten. Dennoch enthielt die Thronrede des Kaisers die feierliche Versicherung, »daß er als seine im Angesicht aller seiner Völker übernommene und bekräftigte Regentenpflicht erkenne, die Gesamtverfassung als das unantastbare Fundament seines einigen und unteilbaren Kaiserreichs mit seiner kaiserlichen Macht zu stützen«, und verkündete den festen Entschluß, jede Verletzung der Gesamtverfassung als einen Angriff auf den Bestand der Monarchie und auf die Rechte aller seiner Völker und Länder nachdrücklich zurückzuweisen.
Doch wurde den thatsächlichen Verhältnissen insofern Rechnung getragen, als man den versammelten Reichsrat als bloße Vertretung der deutsch-slawischen Länder den engern nannte, der weitere das durch den Beitritt der ungarischen Vertreter vervollständigte Reichsparlament sein solle. Aber auch im engern Reichsrat war die Stimmung der Tschechen und Polen eine oppositionelle, so daß das ganze Verfassungswerk auf den Deutschen beruhte. Dennoch ward der Zusammentritt des Reichsrats mit Freude begrüßt, und sein Zusammenwirken mit der Regierung hatte auch die Wirkung, daß Ersparungen im Budget vorgenommen wurden, die Finanzlage sich besserte, die Valuta sich hob. Ein erheblicher Erfolg der Regierung war, daß 1863 der siebenbürgische Landtag die Februarverfassung annahm und die Wahlen zum Reichsrat vollzog.
Die deutsche Frage und der Ausgleich mit Ungarn.
In Deutschland hatte die Verleihung einer konstitutionellen Verfassung Österreich von neuem Sympathien erweckt, um so mehr als gleichzeitig in Preußen der Verfassungskonflikt ausbrach. Diese Sympathien waren um so wertvoller, als sie das Übergewicht der Deutschen in Österreich verstärken mußten, und Schmerling hielt es für möglich, sie für eine Bundesreform in großdeutschem Sinn auszubeuten, die Österreich die Hegemonie in Deutschland, Deutsch-Österreich aber die Herrschaft im Gesamtstaat verschafft hätte. Zu diesem Zweck lud Kaiser Franz Joseph 1863 die deutschen Fürsten und Freien Städte zu dem Fürstentag in Frankfurt (August) ein.
Die Eingeladenen erschienen auch alle außer dem König von Preußen, der auf Rat Bismarcks seine Beteiligung standhaft ablehnte und damit den ganzen Bundesreformplan vereitelte. Trotzdem vereinigte sich Österreich 1864 in der schleswig-holsteinischen Frage mit Preußen zum gemeinsamen Vorgehen gegen Dänemark und nach Ablehnung der Vorschläge der deutschen Großmächte zum Krieg, in welchem die österreichischen Truppen unter Gablenz sich durch ihre stürmische Tapferkeit auszeichneten.
Die Eroberung Schleswig-Holsteins, welches Dänemark im Wiener Frieden an Preußen und Österreich abtrat, war für letzteres ohne Wert, wenn es nicht ein dauerndes enges Bündnis mit Preußen einzugehen entschlossen war, und die schleswig-holsteinische Politik Rechbergs daher ein Fehler, da die Nichtanerkennung des augustenburgischen Erbrechts Österreich die Sympathien des deutschen Volkes und das Vertrauen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten raubte. Graf Rechberg erhielt deshalb im Oktober 1864 seine Entlassung und wurde durch den Grafen Mensdorff-Pouilly ersetzt.
Auch im Innern vollzog sich bald ein Umschwung. Das Scheitern der deutschen Bundesreformpläne untergrub auch Schmerlings Ansehen bei Hofe; noch mehr that dies die Haltung des Reichsrats. Noch in der Session von 1863 bis 1864 hatte derselbe die Geldforderungen der Regierung fast unverkürzt bewilligt, darunter auch zwei Anleihen im Belauf von 109 Mill. Gulden. Aber man hatte hierbei einen Blick in die völlige Zerrüttung der Finanzen gethan und die