die Einheit der Orthographie als höchstes Postulat aufgestellt hatte, so wurde doch vielfach der Versuch gemacht, die Ergebnisse der
orthographischen Forschungen praktisch zu verwerten, und das Ergebnis war eine stets zunehmende Unsicherheit der deutschen
Orthographie. Um derselben abzuhelfen, veröffentlichten das hannöversche Oberkollegium (1856), die Leipziger Lehrer (1857) und die Berliner
Oberlehrer (1871) neue Regelbücher, wurde 1876 von der preußischen Regierung eine Konferenz »zur Herstellung größerer Einigung
in der deutschen Rechtschreibung« nach Berlin einberufen und erfolgte endlich die Veröffentlichung der bayrischen und preußischen
offiziellen Regelbücher 1879 und 1880, die dann mit geringen Veränderungen auch im übrigen Deutschland angenommen wurden.
Die Einführung der »neuen Orthographie« machte
im Publikum und in der Presse großes Aufsehen. Um nur eine größere Einheit der Orthographie zu erzielen, hätte es genügt, eine Norm
für schwankende Fälle aufzustellen; es wurden aber auch mehrere wichtige Änderungen eingeführt. So sollten die nach Tausenden
zählenden Verba auf iren, ieren nun alle mit ie geschrieben werden, also: stolzieren, inspizieren, nicht:
stolziren, inspiziren. Ferner sollte das th, das in deutschen Wörtern wie Zierat, Armut längst wankend geworden war, jetzt
im Auslaut und in den Endungen tum, tüm ganz wegfallen und nur im Anlaut vor einfachen Vokalen stehen bleiben, also: Glut,
Not, Atem, Altertum, Ungetüm, auch Teil, verteidigen;
aber That, Thor, Unterthan wie bisher.
Die Vokalverdoppelung
sollte in Wörtern wie Ware, Schar beseitigt werden, aber in scheel, Paar etc. bleiben. Die häufige Endung niß, z. B. in Gleichniß,
sollte durchgehends nis geschrieben werden. Pluralformen, wie Theorieen, Sympathieen, sollten wieder allgemein mit doppeltem
e geschrieben werden, also nicht Theorien, Sympathien. Die Lautverbindung schst sollte ganz vermieden und
z. B. du wäscht, statt du wäschst, geschrieben werden. Betreffs der der Fremdwörter weicht die neuere bayrische Orthographie von der
norddeutschen ab, insofern sie z für c in weiterm Umfang einführt, z. B. auch in Zivil, Zentrum, für Civil, Centrum.
Diese wenn auch im Verhältnis zum Ganzen nicht umfassenden Neuerungen riefen eine starke Opposition hervor, an der sich sogar
der deutsche Reichstag und Fürst Bismarck beteiligten, letzterer durch einen Erlaß vom in dem er die Beamten seines
Ressorts »bei gesteigerten Ordnungsstrafen« aufforderte, nicht von der hergebrachten Orthographie abzugehen. Ungeachtet
dieser Opposition hat sich doch durch die ungeheure Macht der Schule und des Buchdrucks die neue Orthographie rasch in den weitesten
Kreisen Bahn gebrochen, und es ist kaum zu bezweifeln, daß die nächste Generation nur nach der neuen Orthographie schreiben wird.
Doch ist der Wunsch wohl allgemein, die baldige Wiederholung einer derartigen Reform der Orthographie vermieden zu
sehen. J. Grimm, selbst ein orthographischer Reformer, sagt treffend: »Veränderung üblicher Wortschreibung führt etwas Gewaltsames
und Störendes mit sich; niemand behelligt sich gern mit Kleinigkeiten«.
Vgl. »Verhandlungen der orthographischen Konferenz
zu Berlin« (Halle 1876);
Wilmanns, Die Orthographie in den Schulen Deutschlands (2. Bearbeitung des »Kommentars zur preuß.
Schulorthographie«, Berl. 1887);
Duden, Vollständiges orthographisches Wörterbuch nach den neuen amtlichen Regeln (3. Aufl.,
Leipz. 1887).
(Kalifeldspat), Mineral
aus der Ordnung der Silikate (Feldspatgruppe), kristallisiert monoklinisch,
rhombisch kurz säulenförmig, dick tafelartig, auch rechtwinkelig säulenförmig und zeigt große Neigung zur Bildung von
Zwillingskristallen. Er findet sich teils einzeln eingewachsen und dann völlig ausgebildet, teils aufgewachsen in Drusen,
auch derb in individualisierten Massen und groß- bis feinkörnigen Aggregaten, selten in Pseudomorphosen. Er ist farblos, bisweilen
wasserhell, häufiger rötlich bis ziegelrot, gelb, grau, grünlich, glasglänzend, durchsichtig bis
undurchsichtig, bisweilen mit Lichtschein (Mondstein), Härte 6, spez. Gew. 2,53-2,58.
Er besteht aus Kalithonerdesilikat K2Al2Si6O16 mit 64,68
Kieselsäure, 18,43 Thonerde, 16,89 Kali, enthält aber auch kleine Mengen von Kalk, Eisen, Magnesia, Wasser und bisweilen bis 8 Proz.
Natron.
Man unterscheidet mehrere Varietäten: a) Adular (edler Feldspat, Eisspat), s. d.; b) gemeinen Feldspat (Pegmatolith),
verschieden gefärbt, weniger glänzend als Adular, durchscheinend bis undurchsichtig, kristallisiert, eingewachsen und in
Drusen, derb, als wesentlicher Gemengteil vieler Gesteine, besonders des Granits, Gneises, Syenits, Porphyrs, sehr verbreitet.
Schöne Varietäten liefern Karlsbad, Elnbogen und Petschau in Böhmen, Bischofsgrün im Fichtelgebirge, Hirschberg
und Striegau in Schlesien, Baveno am Lago Maggiore, Elba, Arendal, Alabaschka am Ural.
Der farbenspielende Feldspat von Frederiksvärn wird auf Nadelsteine, Dosen, Stockknöpfe verarbeitet. Individualisierte Feldspatmassen,
mit verzerrten, bisweilen hohlen Quarzindividuen regelmäßig durchwachsen, bilden den Schriftgranit. c) Sanidin (s. d.). Man
benutzt Adular und den farbenwechselnden Orthoklas als Schmuckstein, Schriftgranit zu Platten, Dosen etc., den gewöhnlichen
Orthoklas als Zusatz zur Porzellanmasse, zu Glasuren und Emails. Vgl. Feldspat.
(v. griech. orthos, gerade, und paideia, Erziehung), derjenige Teil der Medizin, welcher sich mit den Verkrümmungen
des menschlichen Körpers und deren Heilung beschäftigt. Verkrümmungen bestehen entweder in einer wirklichen Verbiegung der
Knochen selbst oder in Biegungen und Verdrehungen an den Gelenkverbindungen der Knochen bei sonst normaler
Gestalt der letztern. Bei länger bestehenden Verkrümmungen kommt es oft zu teilweisen bleibenden Abweichungen der Gelenkflächen
voneinander; ja, die ganze Form der betreffenden Knochen kann mit der Zeit wesentlich verändert werden, indem an einzelnen
Stellen die Knochensubstanz schwindet, während an andern Stellen eine krankhafte Neubildung von solcher
stattfindet.
Die Verkrümmungen sind entweder Fehler der ersten Bildung, oder sie werden erst nach der Geburt im Verlauf des weitern Lebens
erworben. Die Ursachen der Verkrümmungen liegen in krankhaften, meist entzündliche Prozessen, welche bald den Knochen selbst
oder seine Gelenkkapseln und Gelenkbänder, bald die Muskeln, bald auch die äußere Haut betreffen. Die
Knochenkrankheiten, welche zu Verkrümmungen führen, sind vorzugsweise die Rhachitis (englische Krankheit), die Osteomalacie
(Knochenerweichung) und die Knochenvereiterung. In allen diesen Fällen verliert der Knochen seine natürliche Festigkeit und
Starrheit und wird deshalb bald durch den Zug
der sich an ihm befestigenden Muskeln, bald durch den Druck des
auf ihm lastenden Körpers in mannigfache Weise verzogen und verkrümmt. Von den Gelenkkrankheiten, welche zu Verkrümmungen
führen, sind namentlich akute und chronische Gelenkentzündungen aller Art,
mehr
Rheumatismus, Gicht etc. zu nennen. Von größter Wichtigkeit für das Entstehen von Verkrümmungen sind ferner gewisse Affektionen
der Muskeln, welche teils in einer fehlerhafte Innervation, teils in Gewebserkrankungen derselben bestehen. Erlangt nämlich
eine bestimmte Muskelgruppe, sei es durch Gewohnheit, Übung oder aus irgend einem andern Grunde, das Übergewicht über eine
andre, zu ihr in dem Verhältnis des Antagonismus stehende Muskelgruppe, oder ist der eine Muskel verhältnismäßig schwach
gegenüber der normalen Thätigkeit seines Antagonisten, so wird das Glied bleibend nach der Richtung verzogen, in welcher
der an Kraft überwiegende Muskel wirkt.
Auf diese Weise entstehen die sogen. Gelenkkontrakturen, zumal der Hände, nach Lähmungen. Besteht, wie
so häufig gerade im Alter des Wachstums bei schlecht genährten und schwächlichen Subjekten, eine mangelhafte Thätigkeit
der Muskeln, welche den Körper in seiner normalen Stellung erhalten sollen, und wird derselbe demzufolge, nur gehalten von
Knochen und Bändern, ganz dem Einfluß der Schwere überlassen, so entstehen die bekannten Rückgratsverkrümmungen,
das Schiefwerden, das krumme Knie etc. Von den Gewebserkrankungen der Muskeln, welche Ursache von Verkrümmungen werden können,
sind zu nennen die Narbenbildung in den Muskeln nach Wunden und Entzündungen, indem jede Narbe das Bestreben zeigt, sich zusammenzuziehen,
wodurch der Muskel als Ganzes abnorm verkürzt wird. In derselben Weise führen umfangreiche Hautwunden
und Hautgeschwüre, vorzugsweise diejenigen, welche nach ausgebreiteten Verbrennungen entstehen, durch die nachfolgende Verkürzung
der sich bildenden Narbe zu Verkrümmungen in den Gelenken.
Verkrümmungen kommen an allen Teilen des menschlichen Körpers vor. Die wichtigsten und häufigsten derselben sind der schiefe
Hals (caput obstipum), die Ausweichung der Wirbelsäule nach der Seite, vorn und hinten (Skoliosis, Lordosis,
Kyphosis, Buckel), verbunden mit mehr oder weniger hochgradiger Difformität des Brustkastens und des Beckens, ferner der Klumpfuß
und Plattfuß, der Pferdefuß und Hackenfuß, das krumme Knie (genu valgum), die Kontrakturen im Handgelenk, die Difformität
des ganzen Skeletts, zumal des Beckens und der langen Röhrenknochen, bei englischer Krankheit und Knochenerweichung
etc. Hierzu gesellen sich als Objekt der Orthopädie noch diejenigen Verunstaltungen der Glieder, welche durch schlecht geheilte Knochenbrüche,
durch verkürzte Hautnarben und auf ähnliche Weise entstanden sind.
Was die Aussicht auf Heilung bei den Verkrümmungen anbetrifft, so kommt alles darauf an, in welchem Grad
und wie lange die Verkrümmung besteht, und inwiefern die derselben zu Grunde liegenden ursachlichen Momente entfernt werden
können. Je jünger das Subjekt, je geringer die Verkrümmung selbst ist, um so günstiger sind die Aussichten. Bei ältern
Subjekten und lange dauernden Verkrümmungen ist die Behandlung immer langwierig, und in vielen Fällen
kann oft nur eine Verschlimmerung des Übels verhütet werden. Wo bei Verkrümmungen in den Gelenken organische Veränderungen
der Knochen, Zerstörungen, Verwachsungen etc. vorhanden sind, da ist das Übel, wenn nicht unheilbar, so doch nur durch
schwere operative Eingriffe zu verbessern.
Verkrümmungen, welche durch Muskelkontraktionen bedingt sind, gewähren im allgemeinen bessere Aussichten
für die Heilung. Nur wenn die Muskeln durch die lange Dauer der Verkrümmung so atrophisch geworden sind, daß sie ihre Funktionsfähigkeit
vollständig verloren
haben, ist die Heilung unmöglich. Die Aufgabe der Orthopädie besteht in der kunstgemäßen Behandlung der Verkrümmungen,
in der Entfernung der Ursachen und in der Wiederherstellung der natürlichen Richtung des betroffenen Gliedes,
und sie benutzt gymnastische Übungen mit elektrischer Reizung der mangelhaft thätigen Muskeln, Apparate und Maschinen und endlich
Operationen.
Gymnastische Übungen sind da am Platz, wo das aufgehobene Gleichgewicht in der Thätigkeit der verschiedenen Muskelgruppen
und eine absolute Schwäche derselben die Ursache der Verkrümmung ist. Sowohl die schwedische Heilgymnastik,
welche durch Kneten, Streichen und Pochen der Muskeln sowie durch Bethätigung derselben in der Form des aktiven und passiven
Widerstandes zu wirken sucht, als auch das deutsche Turnen, zumal zweckmäßig geleitete Freiübungen, üben den heilsamsten
Einfluß auf die genannten Verkrümmungen aus.
Leichte Grade derselben können bei sorgfältiger Berücksichtigung des allgemeinen Gesundheitszustandes
durch gymnastische Übungen und Manipulationen allein entfernt werden. Da bei längerer Dauer der Verkrümmung sowohl die zusammengezogenen
und verkürzten Muskeln als die zu ihnen führenden Bewegungsnerven verkümmern und ihre Funktionsfähigkeit einbüßen, so
kann schon eine passive Bewegung und die Anwendung der Elektrizität und andrer Reizmittel auf die genannten
Teile von wesentlichen Nutzen sein.
Ist die Verkrümmung bedeutender, so muß mit der Gymnastik die Anwendung zweckmäßiger Maschinen und Apparate verbunden werden.
Diese suchen durch Druck, Zug
oder durch Druck und Zug
zugleich in der entgegengesetzten Richtung von derjenigen, in welcher die Verkrümmung
selbst hervorgebracht wurde, auf das betreffende Glied einzuwirken. Von den chirurgischen Operationen ist
die nutzbringendste die subkutane Durchschneidung der Sehnen (Tenotomie) verkürzter Muskeln.
Sie wird jetzt vorzugsweise bei angebornen Verkrümmungen des Halses und der Füße angewendet und ist ohne Gefahr leicht und
schnell auszuführen. Nach der Durchschneidung der Sehne wird das betreffende Glied in die natürliche
Lage gebracht und durch Verbände, namentlich Gipsverbände, oder Maschinen in derselben erhalten, bis Heilung erfolgt ist. Auch
die gewaltsame Streckung (vorzüglich des Kniegelenks) in der Chloroformnarkose mit vorhergehender Sehnendurchschneidung oder
ohne dieselbe, die Ausschneidung von Hautnarben, die Resektion von Gelenkenden bei Unbeweglichkeit des Gelenks mit nachfolgender
Bildung eines falschen Gelenks und andre Operationen sind hier zu erwähnen.
Die Orthopädie war zu einer gewissen Zeit im Begriff, sich als ganz selbständiger Zweig aus der Medizin auszulösen und sich zu einer
Art mechanischer Wissenschaft umzuformen, die in nur losem Zusammenhang mit der Anatomie und auf Grund eines sehr mangelhaften
physiologischen Verständnisses in abgeschlossenen Heilanstalten, sogen.
orthopädischen Instituten, vermittelst quälender und oft genug wenig zweckmäßiger Maschinen und Apparate als eine Art Geheimwissenschaft
ausgeübt wurde. Seit man die anatomisch-physiologischen Verhältnisse der Deformitäten genauer studiert hat, ist die Orthopädie dahin
zurückgegangen, wohin sie gehört, d. h. in die Hände der Ärzte und Chirurgen. Die komplizierten Maschinen
und Apparate sind ersetzt durch viel sicherer wirkende Operationen und einfache Verbände; wo maschinelle Hilfsmittel nicht
zu entbehren sind, ist man bestrebt, an Stelle der komplizierten, schwer zu handhabenden und
mehr
kostspieligen Apparate einfache Vorrichtungen zu setzen. So verschwinden die eigentlichen orthopädische Institute immer mehr
und mehr, und jede chirurgische Klinik, jede chirurgische Abteilung eines größern Krankenhauses ist heutzutage auch eine
Heilanstalt für Verkrümmungen und Deformitäten.
Vgl. Andry, L'orthopédie (Par. 1741, 2 Bde.);
Hüter, Klinik der Gelenkkrankheiten mit Einschluß der Orthopädie (2. Aufl., Leipz.
1876-78, 3 Tle.);
Schildbach, Die Skoliose, Anleitung zur Beurteilung und Behandlung der Rückgratsverkrümmungen (das.
1872);
Busch, Allgemeine Orthopädie, Gymnastik und Massage (das. 1882).