Während des
Bilderstreits galt der
Eifer für die
Bilder und
Reliquien für orthodox, und die
KaiserinTheodora
ließ den 842 errungenen
Sieg der Bilderfreunde durch ein jährliches
Fest (am ersten Fastensonntag) verewigen, welches sie
das
Fest der Orthodoxie nannte. Seit die orientalische und die occidentalische
Kirche sich einander feindlich gegenübertraten, nannte
sich die erstere die orthodoxe im
Gegensatz zu der eine Fortentwickelung des
Dogmas über die sieben ersten
Konzile hinaus bis
zu dem Tridentinum und Vatikanum statuierenden römischen. Während
Rom
[* 13] die Gesamtheit der
Protestanten für
Ketzer erklärte,
knüpften diese den
Begriff der Orthodoxie an das gläubige
Bekenntnis zu den interkonfessionellen Unterscheidungslehren.
Vgl.
Ketzer.
(griech., Orthoepik), in der
Grammatik die
Lehre von der richtigen
Aussprache der einzelnen Sprachelemente
(Vokale, Doppelvokale und
Konsonanten) sowie der aus diesen zusammengesetzten
Silben und
Wörter, insofern dieselben als Sprachteile
im allgemeinen, nicht als
Glieder
[* 14] eines besondern Gedankenausdrucks (eines rhetorischen
Satzes, einer
Periode etc.) betrachtet
werden. Vgl.
Lautlehre.
die richtige Wiedergabe der Sprachlaute durch Schriftzeichen. Diese Aufgabe
einer jeden
Schriftart ist freilich zu allen
Zeiten ein unerreichtes
Ideal geblieben, da die
Schrift, aus
Malerei und Bilderschrift
entstanden, die zahllosen Lautnüancen der menschlichen
Stimme von Anfang an nur in höchst ungenügender
Weise wiederzugeben vermochte. Hierzu
kommt, daß fast alle modernen
AlphabeteEuropas aus dem griechischen und lateinischen
abgeleitet sind, die ihrerseits wieder auf das phönikische wie dieses auf das ägyptische
Alphabet zurückgehen.
Bei diesen wiederholten
Übertragungen hat die Deutlichkeit der Lautbezeichnung stark gelitten, auch entwickelten sich viele
Schwankungen und örtliche Verschiedenheiten, indem die fremden Schriftzeichen bald so, bald anders zur
Bezeichnung der heimischen
Laute verwendet wurden.
Kamen dann Bestrebungen, die Orthographie einheitlich zu gestalten, so entstand, je
mehr diese Bestrebungen von Erfolg gekrönt waren, eine desto größere Ungleichheit zwischen
Sprache
[* 15] und
Schrift, da jede
Sprache sich rasch verändert, während die Orthographie diesen Veränderungen nur sehr langsam
oder gar nicht zu folgen vermochte.
Versuche, die Orthographie zu verbessern, treten in der Geschichte schon sehr früh auf, und selbst gekrönte
Häupter haben sich daran beteiligt, wie der römische
KaiserClaudius und der fränkische König
Chilperich, die beide es unternahmen,
mehrere neue
Buchstaben einzuführen, freilich ohne Erfolg. Ebenso vergeblich haben sich die in neuester
Zeit in
England gemachten
Versuche erwiesen, der im
Englischen besonders starken Verschiedenheit zwischen Orthographie und
Aussprache durch
Einführung neuer Lautzeichen abzuhelfen.
Die deutsche Orthographie war im
Mittelalter viel weniger einheitlich in den verschiedenen Teilen
Deutschlands
[* 16] als
heutzutage, dafür aber auch besser im
Einklang mit der jeweiligen
Aussprache. Erst die Reformationszeit brachte eine durch
den Buchdruck und die Fortschritte des
Schulwesens gestützte Einheitsbewegung, der dann die klassische Litteratur des 18. Jahrh.
und die politische Einigung, das Zeitungswesen und die bessern Verkehrsmittel zu statten kamen. J.
Grimm,
der berühmte Altertumsforscher, wirkte auf die deutsche Orthographie insofern keineswegs günstig ein, als er durch
Betonung
[* 17] der Abstammung der
Wörter, überhaupt des historischen Standpunktes in der Orthographie die mühsam errungene
Einheit wieder
gefährdete.
Die in philologischen Werken häufig begegnende Schreibung der
Hauptwörter mit kleinen
Buchstaben geht
auf
Grimm zurück; in noch viel weitern
Kreisen hat seine freilich auch durch die Übereinstimmung mit den
Alphabeten der Nachbarvölker
unterstützte Befürwortung der lateinischen
Schrift
(Antiqua) an
Stelle der deutschen
(Fraktur) Anklang gefunden. Auf die historische
Schule folgte eine phonetische
Richtung in der Orthographie. Hatte schon im vorigen
JahrhundertAdelung den
Grundsatz
aufgestellt: »Schreibe, wie du sprichst«, so wies nun R. v.
Raumer in seinen vielgelesenen
Schriften darauf hin, daß die deutschen
Buchstaben zum Teil mehrdeutig sind, wie z. B.
s in dem
Wort »lesen« weich, in »erste«
scharf klingt und in »spielen« nach der gewöhnlichen
Aussprache sogar ein sch ist;
daß anderseits der
nämliche
Laut vielfach durch verschiedene
Buchstaben bezeichnet wird, so der
Hauchlaut in »reinlich« neben »adlig«;
daß ferner zur Bezeichnung
langer
Silben bald das Dehnungs-h, bald ie verwendet wird, bald gar keine Bezeichnung eintritt, während die
Kürze eines Vokals
bald durch Verdoppelung der
Konsonanten, bald gar nicht ausgedrückt wird, etc. Obwohl nun
Raumer¶
mehr
die Einheit der Orthographie als höchstes Postulat aufgestellt hatte, so wurde doch vielfach der Versuch gemacht, die Ergebnisse der
orthographischen Forschungen praktisch zu verwerten, und das Ergebnis war eine stets zunehmende Unsicherheit der deutschen
Orthographie. Um derselben abzuhelfen, veröffentlichten das hannöversche Oberkollegium (1856), die LeipzigerLehrer (1857) und die Berliner
[* 19] Oberlehrer (1871) neue Regelbücher, wurde 1876 von der preußischen Regierung eine Konferenz »zur Herstellung größerer Einigung
in der deutschen Rechtschreibung« nach Berlin
[* 20] einberufen und erfolgte endlich die Veröffentlichung der bayrischen und preußischen
offiziellen Regelbücher 1879 und 1880, die dann mit geringen Veränderungen auch im übrigen Deutschland
[* 21] angenommen wurden.
Die Einführung der »neuen Orthographie« machte
im Publikum und in der Presse
[* 22] großes Aufsehen. Um nur eine größere Einheit der Orthographie zu erzielen, hätte es genügt, eine Norm
für schwankende Fälle aufzustellen; es wurden aber auch mehrere wichtige Änderungen eingeführt. So sollten die nach Tausenden
zählenden Verba auf iren, ieren nun alle mit ie geschrieben werden, also: stolzieren, inspizieren, nicht:
stolziren, inspiziren. Ferner sollte das th, das in deutschen Wörtern wie Zierat, Armut längst wankend geworden war, jetzt
im Auslaut und in den Endungen tum, tüm ganz wegfallen und nur im Anlaut vor einfachen Vokalen stehen bleiben, also: Glut,
Not, Atem, Altertum, Ungetüm, auch Teil, verteidigen;
Die Vokalverdoppelung
sollte in Wörtern wie Ware, Schar beseitigt werden, aber in scheel, Paar etc. bleiben. Die häufige Endung niß, z. B. in Gleichniß,
sollte durchgehends nis geschrieben werden. Pluralformen, wie Theorieen, Sympathieen, sollten wieder allgemein mit doppeltem
e geschrieben werden, also nicht Theorien, Sympathien. Die Lautverbindung schst sollte ganz vermieden und
z. B. du wäscht, statt du wäschst, geschrieben werden. Betreffs der der Fremdwörter weicht die neuere bayrische Orthographie von der
norddeutschen ab, insofern sie z für c in weiterm Umfang einführt, z. B. auch in Zivil, Zentrum, für Civil, Centrum.
Diese wenn auch im Verhältnis zum Ganzen nicht umfassenden Neuerungen riefen eine starke Opposition hervor, an der sich sogar
der deutsche Reichstag und FürstBismarck beteiligten, letzterer durch einen Erlaß vom in dem er die Beamten seines
Ressorts »bei gesteigerten Ordnungsstrafen« aufforderte, nicht von der hergebrachten Orthographie abzugehen. Ungeachtet
dieser Opposition hat sich doch durch die ungeheure Macht der Schule und des Buchdrucks die neue Orthographie rasch in den weitesten
KreisenBahn gebrochen, und es ist kaum zu bezweifeln, daß die nächste Generation nur nach der neuen Orthographie schreiben wird.
Doch ist der Wunsch wohl allgemein, die baldige Wiederholung einer derartigen Reform der Orthographie vermieden zu
sehen. J. Grimm, selbst ein orthographischer Reformer, sagt treffend: »Veränderung üblicher Wortschreibung führt etwas Gewaltsames
und Störendes mit sich; niemand behelligt sich gern mit Kleinigkeiten«.