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Cavalieri und Viadana waren dagegen nicht bis zur Abtötung des musikalischen Fleisches gegangen, und auch auf dem Gebiet der dramatischen Komposition dauerte es gar nicht lange, daß der gesunde musikalische Sinn der Italiener die bloßen Schemen der Florentiner [* 2] mit lebendigem Blut anfüllte.
Den ersten großen Schritt that Claudio Monteverde in Venedig [* 3] (gest. 1643), der erste Opernkomponist von Gottes Gnaden und Vater der Kunst der Instrumentation (s. Musik, S. 924). Die Entwickelung des begleiteten Gesangs in der Kirche durch Cavalieri, Viadana und später Carissimi brachte mehr und mehr den neuen Stil zur Vollendung und führte der Oper neue Formen zu (Arie, Duett). Die bedeutendsten Geister neben Monteverde waren Cavalli und Cesti; in zweiter Linie sind zu nennen: Zanobi di Gagliano, Legrenzi, Rovetta und Pallavicini.
Eine neue Epoche der Oper beginnt mit Aless. Scarlatti (gest. 1725), dem Begründer der »neapolitanischen Schule«. Von ihm nimmt die italienische Oper in dem Sinn, wie wir sie heute kennen, ihren Ausgang; das Zeitalter des bel canto beginnt, d. h. Caccinis edle Verachtung der Musik war vergessen, und die Melodie dominierte vollständig. Der Sänger wurde die Hauptperson einer neuen der Komponist diente gar bald dem Sänger. Diese Wandlung, welche die nächste Reaktion (durch Gluck) heraufbeschwor, war indes in ihren Anfängen, d. h. unter Scarlatti selbst und seinen nächsten Schülern Leo, Durante und Feo, selbst noch immer Reaktion zu gunsten der berechtigten Ansprüche der Musik, welche erst in der Folge das Maß überschritten.
Unterdessen hatte die Oper auch im Ausland ihren Einzug gehalten. Mazarin berief schon 1645 eine italienische Operntruppe nach Paris, [* 4] welche zunächst Sacratis »La finta pazza« und 1647 Peris »Euridice« ausführte und sich dauernd etablierte. Doch schon 1650 begannen die Anfänge französischer Opernkompositionen, und 1671 eröffnete P. Perrin mit Camberts »Pomone« die Nationaloper (Académie) mit königlichem Privileg, das etwas später J. ^[Jean-] Baptiste Lully (gest. 1687) an sich brachte und so zum nominellen Schöpfer der französischen Oper wurde. Letztere bedeutete gegenüber den Italienern schon eine neue Reaktion zu gunsten der Poesie; die Rhythmik und das Pathos der französischen Sprache [* 5] prägten sich deutlich in ihr aus, und Koloratur war verpönt; diesen Prinzipien blieb auch Rameau (gest. 1764) treu. Es dauerte indes nicht lange, daß die Italiener wieder in Paris durchdrangen und zwar mit der inzwischen durch Logroscino und Pergolesi geschaffenen komischen Oper (Opera buffa).
Eine italienische Truppe bewirkte 1752 mit Pergolesis »La serva padrona« und »Maestro di musica«, daß sich Paris in zwei Heerlager spaltete, das der Buffonisten und Antibuffonisten (Verfechter der französischen Nationaloper), und als nach zwei Jahren die Italiener ausgewiesen wurden, entstand in Nachwirkung der Opera buffa die französische Opéra comique, deren erste wichtigste Repräsentanten Egidio Duni (gest. 1775), Philidor (gest. 1795), Monsigny (gest. 1817) und namentlich A. E. M. Grétry (gest. 1813) wurden. In Deutschland [* 6] kam, abgesehen von der ganz vereinzelten Aufführung einer Oper: »Dafne« von Heinrich Schütz und Stadens »Seelewig« (1640), die Oper 1678 auf und zwar in Hamburg, [* 7] wo von einer Anzahl wohlhabender Bürger ein öffentliches Theater [* 8] begründet wurde (das erste öffentliche Operntheater Italiens [* 9] war 1637 zu Venedig eröffnet worden, dem in den nächsten 60 Jahren allein in Venedig ein Dutzend andre folgten); dasselbe bestand bis 1738 und machte Hamburg 50 Jahre hindurch zur musikalischen Metropole Deutschlands. [* 10]
Die wichtigsten Komponisten der Hamburger Oper sind: Theile, J. W. ^[Johann Wolfgang] Franck, Strungk, Kusser, Reinh. Keiser (gest. 1739), Joh. Mattheson (gest. 1764), Händel, der 1703-1706 in Hamburg wirkte, und Telemann (gest. 1767). Italienische Operntruppen zogen unterdessen in Wien, [* 11] München, [* 12] Dresden, [* 13] Stuttgart, [* 14] Berlin, [* 15] Braunschweig [* 16] etc. ein und faßten 1740 auch in Hamburg Fuß. Zu den bedeutendsten Repräsentanten der italienischen Oper bis zum Auftreten Glucks gehören (außer den schon genannten) der Deutsche [* 17] Adolf Hasse (gest. 1783), ferner Giov. B. Buononcini, Nic. Antonio Porpora (gest. 1767), Vinci, Greco, Niccolò Jomelli (gest. 1774), Terradellas, Guglielmi, Antonio Sacchini (gest. 1786), Traetta, Nicola Piccini (gest. 1800); der letztere war es bekanntlich, den die Gegner Glucks in Paris auf den Schild [* 18] erhoben.
Ein unleugbarer Verjüngungsprozeß der italienischen Oper war die
Schöpfung der
Opera buffa gewesen. Der
schablonenhaften
Mache der Opern über antike
Süjets, welche schließlich nur noch einen schwachen Vorwand für die Gesan
gsevolutionen
der primi uomini und prime donne abgab, trat hier wirkliches dramatisches
Leben entgegen; der stereotype Sopranist
(Kastrat)
als
Träger
[* 19] der Hauptrolle verschwand, und der Baßbuffo und
Tenorist teilten sich in das lebendigere
Interesse
der
Hörer.
Glucks
Reform ging nur die
Opera seria an; die komische Oper trieb beachtenswerte
Blüten in den Werken eines Giov.
Paesiello (gest. 1816), Domenico
Cimarosa (gest. 1801) u. a., an welche anknüpfend
Mozart seine herrlichen Musikwerke schuf,
die wir wohl als die deutsche komische Oper bezeichnen dürfen (s. unten).
Noch einen großen
Meister stellte
Italien:
[* 20] Gioacchino
Rossini (gest. 1868), der in seinem
»Barbier von
Sevilla«
[* 21] in einer
Mozart
fast ebenbürtigen
Weise die italienische komische Oper zur Vollendung brachte, während sein
»Tell« dem
Genre der französischen
Großen Oper angehörte. Mit
Rossini erreichte die einseitige Bevorzugung des virtuosen
Elements ihren Gipfelpunkt.
Vincenzo
Bellini (gest. 1835) machte einen schwachen
Versuch der
Reaktion zu gunsten des dramatischen
Ausdrucks,
Gaetano
Donizetti
(gest. 1848) ermangelte gänzlich der Originalität und
Energie. In Giuseppe
Verdi (geb. 1813) endlich zeigte sich eine unglückliche
Verschmelzung italienischer Lotterigkeit der
Arbeit und Banalität der Melodiebildung mit der durch die
französische
Große Oper eingebürgerten
Sucht nach
Effekt. - In
Frankreich war von nachhaltigstem Einfluß die
Reform
Glucks (1774-80),
der seine volle
Kraft
[* 22] dem deklamatorischen
Stil zuwandte, während er das absolut
Musikalische dem poetischen
Inhalt unterordnete.
Er entfaltete das
Recitativ in seiner ganzen
Größe und bereicherte es wesentlich; den spezifisch musikalischen
Effekt hingegen
schloß er überall aus, wofern er nicht durch den
Gang des
[* 23]
Dramas zu motivieren war.
Dem Orchester endlich verlieh er eine größere Mannigfaltigkeit von Klangfarben und war auch der erste, welcher in der neuern Oper die Posaunen zur Anwendung brachte. Kurz, er hob die Musik aus ihrer trippelnden Kleinheit und Zierlichkeit und stellte sie auf den Kothurn, wenn er auch trotz der hohen Würde seines Ausdrucks immerhin noch in einer gewissen formalistischen Breite [* 24] und Steifheit befangen blieb. Als die drei bedeutendsten Musiker, welche mehr oder minder in die Fußstapfen Glucks traten, sind Etienne W. Méhul (gest. 1817), Luigi Cherubini (gest. 1842) und Gasparo Spontini (gest. 1851) zu nennen. Übrigens zeigen sich Gluck, Cherubini und selbst Spontini in ihren Hauptwerken so sehr vom deutschen Geist ¶
mehr
beeinflußt, daß diese Meister nur mit großer Einschränkung den Franzosen zugezählt werden dürfen. Spontini bildet schon den Übergang zu der »Ausstattungsoper« G. Meyerbeers (gest. 1864). Dieser, einer der begabtesten Musiker unsrer Zeit, zog es leider vor, statt der ohnehin auf abschüssigem Boden wandelnden Oper durch ernstes Kunststreben Hilfe zu bringen, zur Erzielung sichern Beifalls mittels eines raffiniert eklektischen Stils und unter weitgreifendster Beihilfe des Dekorationsmalers und des Ballettmeisters auf den derben Geschmack der großen Menge zu spekulieren. Das Gleiche gilt von Fromental Halévy (gest. 1862). Die wenigen Opern endlich, mit denen Hector Berlioz (gest. 1869) auftrat, sind, wenngleich ihre ernstere Richtung nicht zu verkennen ist, leider auch nicht danach beschaffen, um für die Folge fruchtbringend sein zu können. Die schon oben erwähnte Opera comique hingegen entfaltete sich in den durch leichtfaßliche Melodien, scharf pointierte Rhythmen und pikante, harmonische Wendungen erfreuenden Werken Grétrys, Monsignys, Dalayracs, Isouards u. a. auf das beste, bis sie mit Franç. Adrien Boieldieus (gest. 1834) »Weißer Dame« und »Johann von Paris« ihren Gipfelpunkt erreichte. Als die bedeutendsten Epigonen sind noch Adolphe Adam (gest. 1856),
Louis J. ^[Joseph] Ferd. Hérold (gest. 1833) und vor allen Dan. François Auber (gest. 1870) anzuführen. Letzterer erreichte in der vom Feuer revolutionäre Leidenschaft durchglühten Oper. »Die Stumme von Portici« nach der ernsten Seite hin seinen Höhepunkt und gab wiederum in der komischen Oper »Maurer und Schlosser« ein geistvoll gezeichnetes humoristisches Charakterbild, in welchem eine Reihe feiner, wirksamer Situationsmalereien vorkommen und besonders der französische Volkston in den Handwerkerszenen gut getroffen ist.
Unter den lebenden Opernkomponisten Frankreichs steht Gounod obenan, dessen »Faust« (1859) und »Romeo und Julie« (1867) zur Aufstellung des neuen Genres der »lyrischen« Oper Veranlassung gaben; ihm nahestehend ist Ambroise Thomas (»Mignon«, 1866; »Hamlet«, 1868). Außerdem sind noch zu nennen: Georges Bizet (gest. 1875), Camille Saint-Saëns (geb. 1835), Jules Massenet (geb. 1842), Léon Delibes (geb. 1836). Eine bedauerliche Frucht der neuesten Zeit ist die französische Operette (Hervé, Offenbach, [* 26] Lecocq).
In England hat die ernste Nationaloper niemals in Blüte
[* 27] gestanden. Zwar schien es, als ob sie durch die Bestrebungen des reichbegabten
Henry Purcell (gest. 1695) dieses Ziel erreichen und die italienische Oper sowohl als die am Hof
[* 28] Karls II. mit
Vorliebe gepflegte französische verdrängen könne; aber der Künstler starb bereits in seinem 37. Jahr, und von nun an war
der italienischen Opera seria die Alleinherrschaft gesichert. Daß der Deutsche Händel gleichfalls eine Reihe von Jahren hindurch
in dieser Richtung thätig war, konnte im wesentlichen nichts ändern; noch weniger vermochten dies die
völlig stillosen
Produkte von Thomas Arne (gest. 1778). Nicht viel besser steht es mit der komischen Oper, welche mit
Vorliebe sich im Gebiet des Niedrig-Komischen bewegt und über die Liedform kaum hinausgeht. Eins der rohesten Produkte dieser
Art ist die sogen. »Bettleroper«, wozu
Gay den Text schrieb und Pepusch, ein Deutscher, die Musik aus schottischen Volkslieder zusammenstellte. Den meisten Ruf erwarb
sich in neuerer Zeit der Irländer Balfe (gest. 1870) durch seine Opern: »Die vier
Haimonskinder« und »Die Zigeunerin«, die durch leichte, gefällige
Melodien gewinnen, welche aber nichts weniger als national, sondern lediglich
im Geiste der französisch-italienischen
Oper erfunden sind.
Andre englische Opernkomponisten sind Graf Westmoreland (gest. 1859), welcher als Dilettant gleichfalls keine höhere künstlerische Bedeutung erlangte, und Arthur Sullivan (geb. 1842), dessen Operetten großen Erfolg hatten. Spanien [* 29] und Portugal begnügten sich bisher mit italienischen und in neuerer Zeit auch vielfach mit französischen Opern, und in den skandinavischen und slawischen Ländern endlich waren bisher die Bestrebungen zur Gründung einer nationalen Oper noch viel zu gering, als daß sie hier einer weitern Erörterung bedürften. Von russischen und polnischen Komponisten sind besonders Glinka (1803-67) und Moniuszko (geb. 1820), von ungarischen nur F. Erkel (geb. 1810) zu nennen, deren Opern in ihrem Vaterland Popularität erlangt haben.
Auch in Deutschland herrschte, wie schon erwähnt (abgesehen von der vereinzelten Hamburger Oper), lange Zeit die italienische Oper; Wien, München, Dresden, Braunschweig, Berlin hatten bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts nur italienische Opern, und die deutschen Komponisten, wie K. H. Graun (gest. 1759), Gottl. Naumann (gest. 1801) etc., schrieben italienische Opern im echt italienischen Sinn. Wolfgang Amad. Mozart (gest. 1791) war es vorbehalten, die aus den Werken seiner Vorgänger resultierenden Stilmomente zu einem einheitlichen Ganzen zu verbinden, die italienische Äußerlichkeit und Sinnlichkeit mit der deutschen Innerlichkeit und Idealität zusammenzufassen und so einen Gesamtstil herauszubilden, dessen Universalität von nun an der deutschen Tonkunst den Vorrang über das Ausland verschaffte. Zugleich mit der ernsten Oper brachte er auch die komische auf eine bisher kaum geahnte Höhe, indem er sie aus jener spießbürgerlichen Sphäre emporhob, worin sich die gleichzeitigen deutschen Opern des immerhin reichbegabten Dittersdorf (gest. 1799) und die dürftigen Singspiele Georg Bendas (gest. 1795), J. A. ^[Johann Adam] Hillers (gest. 1804), J. ^[Johann] Friedr. Reichardts (gest. 1814) u. a. mit Vorliebe bewegten. Die den internationalen Stil Mozarts zu hausbackener Phraseologie verflachende Schule der »göttlichen Philister« (wie sie W. Riehl treffend nennt) ist samt ihren zahlreichen Produkten längst der Vergessenheit anheimgefallen. Als ihre Koryphäen führen wir an: Gyrowetz, Hoffmeister, Wranitzky und als die bedeutendsten darunter: Joseph Weigl (gest. 1820) und Peter v. Winter (gest. 1825). Eine eigentliche deutsche Oper wurde erst möglich, als die aus der französischen Revolution erwachsenden Völkerkriege den Sinn auf das Nationale zurückführten. Beethoven ging mit seinem »Fidelio« voran, jedoch blieb dieses Werk eine vereinzelte künstlerische Großthat. Eine neue Richtung schlugen dann die sogen. Romantiker ein, unter denen in der Oper Karl Maria v. Weber (gest. 1826) obenan steht, der, von echt nationalem Standpunkt ausgehend, mit Vorliebe Stoffe aus der Sagenwelt behandelte. Er legte zwar den Schwerpunkt [* 30] in die Melodie, machte aber zugleich von allen harmonischen und orchestralen Ausdrucksmitteln in genialer Weise den ausgedehntesten Gebrauch und schuf nach seiten sowohl der Siluationsschilderung als der Charakterzeichnung Gebilde, wie sie lebensvoller auf dem Gebiet der Oper keine andre Nation aufzuweisen hat. L. Spohr (gest. 1859) würde sich gemäß seiner künstlerischen Bildung Weber ebenbürtig zur Seite haben setzen können, wenn er sich nicht mit allzu großer Einseitigkeit im Bereich des Sentimentalen gehalten hätte. In direktem Anschluß an Weber ist Heinrich ¶