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Manufakturwaren (Konfektionsartikel), optische Instrumente, Uhren [* 2] und Nähmaschinen [* 3] eingeführt. Der Hafen Odessas besteht aus einer Reede und zwei Häfen, dem sogen. Praktitscheski für die Küstenschiffahrt und dem Quarantänehafen für den auswärtigen Verkehr. Die Reede mit einem Flächenraum von 2124 Hektar, auf welchem ca. 1000 Schiffe [* 4] sich frei bewegen können, gehört zu den offenen und gefährlichen. Bei südwestlichen und nordwestlichen Winden [* 5] entsteht starker Wellenschlag, und die Schiffe laufen Gefahr, an das Ufer geworfen zu werden.
Der Praktitscheskihafen hat drei Molen: die Kriegs- (Wojennoy-) Mole [* 6] (399 m lang), die Androssow-Mole (441 m lang) und die Potapow-Mole (277 m lang). Zwischen der Wojennoy- und der Potapow-Mole befinden sich die Thore zum Eingang in den Hafen, im ganzen nur 67 m breit, was bei Wind und Wellenschlag für Segler den Eingang unmöglich und für Dampfer gefährlich macht. Die Hafenfläche umfaßt 32 Hektar, die Tiefe ist bei der Einfahrt 3⅓ m. Für den lebhaften Verkehr reichen die Molen nicht aus.
Der Quarantänehafen ist größer und tiefer als der Praktitscheski; seine Fläche umfaßt 42 Hektar. Die größte Tiefe ist 6,4 m. Er hat zwei Molen, die Karontinny-Mole, welche den Hafen gegen den gefährlichsten aller hier wehenden Winde, [* 7] den Südost, abschließt, und die Platonow-Mole. Die letztere dient nur zur Beladung der Lichterschiffe, welche die Waren nach den auf der Reede befindlichen Schiffen bringen. Der Eingang in den Hafen, an sich genügend breit, verengert sich durch zwei Sandbänke am Ende der Karontinny-Mole.
Auch hier ist der Stand der Fahrzeuge durchaus nicht ruhig und gefahrlos. Beide Häfen, besonders der Quarantänehafen, sind beständiger Versandung ausgesetzt. Mit Eis [* 8] sind die Reede und der Quarantänehafen selten bedeckt, und dasselbe ist gewöhnlich so dünn, daß der Verkehr nicht gehemmt wird. Mit dem Bahnhof der Odessaer Eisenbahn steht der Hafen durch eine Zweigbahn in Verbindung; daneben ermöglicht ein Viadukt in Holzkonstruktion, der die Kais entlang bis zum weit hinausragenden Ende des äußern Hafendamms führt, die Verladung unmittelbar vom Waggon in das Schiff. [* 9]
Die Schiffahrtsbewegung von und nach dem Ausland ergab 1886: 1126 Schiffe mit 1,137,998 Ton. im Eingang und 1132 Schiffe mit 1,158,002 T. im Ausgang. Unter den erstern waren 379 mit 403,890 T. in Ballast, unter den letztern waren 156 mit 113,134 T. unbeladen. Von den ausgelaufenen Schiffen mit Ladung segelten 203 Schiffe mit 212,422 T. unter russischer Flagge. Die Küstenschiffahrt wies 1886: 3517 Fahrzeuge mit 628,638 T. im Eingang (darunter 248 mit 94,200 T. unbeladen) und 3474 mit 620,388 T. im Ausgang (darunter 1535 mit 196,498 T. unbeladen) auf.
Die Reederei Odessas ist fast allein in den Händen der Russischen Gesellschaft für Dampfschiffahrt und Handel. Sie besitzt eine Flotte von 21 überseeischen Dampfern sowie 70 Dampfern und 76 Seglern für den Verkehr auf dem Schwarzen und Asowschen Meer sowie auf den Flüssen Djnestr, Dnjepr und Bug und unterhalt regelmäßige Dampferkurse nach Cherson, Nikolajew, allen Häfen des Schwarzen und Asowschen Meers, Konstantinopel, [* 10] den Häfen des Mittelmeers [* 11] sowie nach London; [* 12] auch sendet sie seit Eröffnung des Suezkanals Dampfer nach den chinesischen und indischen Häfen.
Durch nichtrussische Dampfer bestehen regelmäßige Verbindungen mit Triest, [* 13] Marseille, [* 14] Amsterdam, [* 15] Antwerpen, [* 16] Hull, [* 17] Hamburg [* 18] u. a. O. Dem Handel Odessas dienende Anstalten und Vereine sind ferner: die Börse, die Filiale der Staatsbank, die Odessaer Kommerzbank (Aktienkapital 5 Mill.), die Chersoner Bodenkreditbank, die Bessarabisch-Taurische Bodenkreditgesellschaft, die Gesellschaft für gegenseitigem Kredit, die Städtische Kreditgenossenschaft, viele bedeutende Bank- und Wechselfirmen, Transport- und Versicherungskontore und Agenturen auswärtige Schifffahrtskompanien.
Für die Pflege des wissenschaftlichen Lebens sowie für Erziehung und Unterricht sorgen zahlreiche Anstalten, vor allen das frühere Lyceum Richelieu (gegründet 1817), seit 1864 kaiserliche neurussische Universität (mit drei Fakultäten: der historisch-philologischen, der physikalisch-mathematischen und der juristischen; die Gründung einer medizinischen steht in Aussicht; Zahl der Zuhörer 1886: 588). Ferner bestehen an öffentlichen Schulen: ein geistliches Seminar, 4 Gymnasien (darunter eins für Mädchen), 2 Progymnasien, eine Realschule, eine Kreisschule, 24 Volksschulen, die jüdische Kreisschule;
dann an Privatanstalten: 2 Gymnasien, 4 Realschulen, 9 Pensionate für das weibliche Geschlecht, 22 jüdische Schulen, eine Talmud-Thora und 43 Cheders (jüdische Religionsschulen);
außerdem 13 Pfarrschulen der verschiedenen nichtorthodoxen Bekenntnisse und eine griechische Unterrichtsanstalt.
Von Fachschulen sind zu erwähnen: die Junker- (Unteroffizier-) Schule, die Kommerzschule (seit 1862), die Zeichen- und die Musikschule der Gesellschaft der schönen Künste, die Musikschule der Gesellschaft der Musikfreunde und die Handwerkerschule der jüdischen Gesellschaft »Trud«. Odessa [* 19] besitzt mehrere Theater: [* 20] das Stadttheater, das Russki (für russische Oper und Schauspiel), das Zirkustheater Suhr (auch Eremitage genannt, für russische und italienische Oper) und das Marientheater (für französische Operette).
Unter den wissenschaftlichen und gemeinnützigen Vereinen sind zu erwähnen: die Gesellschaft für Geschichte und Altertümer (1839 gegründet);
die Ökonomische Gesellschaft für Südrußland (gegründet 1828);
der Landwirtschaftliche Verein, der Verein der Naturforscher (seit 1869);
die Gesellschaft der Odessaer Ärzte (gegründet 1850);
der Ingenieur- und Architektenverein und die Gesellschaft der schönen Künste.
Die Mittelpunkt des deutschen Vereinslebens sind die Harmonia (gegründet 1859) und der Deutsche [* 21] Handwerkerverein. Von den zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten sind zu nennen: das Stadtkrankenhaus mit 1200 Betten;
das jüdische Krankenhaus [* 22] (seit 1829);
die Heilanstalt für Arme (gegründet 1853);
die Wohlthätige Gesellschaft der Odessaer Damen (gegründet 1829) mit einem Waisenhospiz, einem Versorgungshaus für weibliche Gebrechliche, einem Armenschutzkomitee;
die Slawische Wohlthätige Gesellschaft zu St. Cyrill und Methodius (seit 1870);
ferner ein Gebärhaus, ein Taubstummeninstitut (1843 gegründet), das Haus der Barmherzige Schwestern mit einem Frauenspital und mehreren Nachtherbergen, Waisen- und Findelhäuser.
Das litterarische und artistische Treiben Odessas wird durch 10 Buchhandlungen (darunter 2 deutsche und eine französische), zahlreiche Buch- und Steindruckereien unterstützt. Die öffentliche Bibliothek (gegründet 1829) enthält 30,000 Bände (darunter seltene Werke und Handschriften, z. B. der älteste russische Typendruckversuch, ein Neues Testament in Folio, 1581 in der bekannten Offizin des Fürsten Konstantin Ostroshski zu Ostrog gedruckt). Zeitungen erscheinen 5 russische, eine deutsche und eine französische. Odessa ist Sitz des Erzbischofs von Cherson und Odessa, eines Militärbezirks, des ¶
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Kommandos des 8. Armeekorps, eines Stadtgouverneurs, des Gerichtshof für Südrußland, eines Kreis- und eines Handelsgerichts sowie andrer Gerichtsbehörden, eines Lehrbezirks, einer Zensurbehörde, eines Zoll- und eines Acciseamtes, eines Steuerkontrollamtes, eines Hafenkapitäns, der Konsuln sämtlicher Handelsstaaten Europas und Amerikas und einer Telegraphenstation, welche auch Annahmestelle der europäisch-indischen Telegraphenlinie ist.
Vgl. J. Jahnson, Statistik des Getreidehandels im Odessaer Rayon (russisch, Petersb. 1870).
[Geschichte.]
Gegen Ende des 18. Jahrh. lag in der Gegend des heutigen Odessa ein tatarisches Dorf, und da, wo sich jetzt der Boulevard erstreckt, erhob sich eine türkische Burg (Hadschibej), die von den Russen unter dem Generalmajor Joseph de Ribas mit Sturm genommen wurde. Dank seiner günstigen Handelslage begann der kleine Ort bald aufzublühen und sich in eine Stadt umzuwandeln, welche auf Befehl Katharinas II. den Namen Odessa (nach der im Altertum in der Nähe gelegenen griechischen Kolonie Odessos) erhielt.
Unter der Leitung des ersten Gouverneurs, de Ribas, begann der Bau eines Forts zum Schutz der Reede; bald darauf ward von der Regierung auch die Anlage des Hafens (1795), der Quarantäne und der Zollhäuser befohlen und Odessa zum ersten Kriegshafen des Schwarzen Meers erklärt. Später wurden jedoch die Anstalten für Kriegszwecke nach Nikolajew, dagegen der Sitz des Generalgouverneurs von Neurußland nach Odessa verlegt, den als letzter General v. Kotzebue (bis 1874) einnahm.
Seitdem ist das Generalgouvernement aufgehoben. Von 1811 bis 1857 genoß Odessa Zollfreiheit, eine Vergünstigung, welche bei der ohnehin bevorzugten geographischen Lage und der Fruchtbarkeit des Hinterlandes nicht verfehlte, der Stadt einen Aufschwung zu geben, der ohne Unterbrechung bis in die jüngste Zeit andauerte und Odessa zum Hauptausfuhr- und Stapelplatz für Südrußland machte. Auch der Krimkrieg vermochte Odessa nicht zu schädigen, obgleich die Stadt von der vorbeisegelnden englischen Flotte beschossen wurde. Eine traurige Berühmtheit erlangte Odessa durch die wiederholt auftretende Choleraepidemie, welche 1866 von hier nach Deutschland [* 24] verschleppt wurde, und durch die 1859 und 1871 von der griechischen Bevölkerung [* 25] angestifteten Judenhetzen. Seit 1876 ist Odessa durch eine Anzahl Küstenbatterien [* 26] befestigt, welche den Zweck haben, die Stadt gegen eine Beschießung von der See aus sicherzustellen.