Sprache
[* 20] und Litteratur. Die nordische Sprache ist ein
Zweig der germanischen Sprachfamilie
und steht innerhalb derselben dem
Gotischen am nächsten.
Gotisch und
Nordisch werden als ostgermanische
Sprachen den andern,
westgermanischen, gegenübergestellt. Die älteste nordische Sprache, Urnordisch oder Gemeinnordisch, ist nur in einer spärlichen
Anzahl von Runeninschriften erhalten, die nur eben zahlreich genug sind, um diese
Sprache als eine der gotischen gegenüber
zum Teil noch altertümlichere erscheinen zu lassen, aber durchaus nicht hinreichen, um eine urnordische
Formenlehre aufzustellen.
Die ältesten und wichtigsten dieser
Denkmäler finden sich auf dem »goldenen
Horn«, den
Steinen von
Tune und Istaby
u. a. (s.
Runen).
[* 21] In diese
Periode gehören auch zum Teil die germanischen
Lehnwörter des
Finnischen und Lappischen
(vgl.
Thomsen, Über den Einfluß der germanischen
Sprachen auf die finnisch-lappischen, deutsch von
Sievers,
Halle
[* 22] 1870). Die
Hauptmerkmale des
Nordischen sind: Erhaltung eines ursprünglich auslautenden Flexions-s als r;
Brechung
[* 23] eines stammhaften e
zu ea, später ja, vorzugsweise vor r und l;
Diese Gesamtsprache
der
Nordländer begann (etwa seit dem 9. Jahrh.) sich in zwei Sprachzweige zu
spalten, das
Norwegische oder Westnordische und das
Schwedisch-Dänische oder Ostnordische (vgl.
Ad.
Noreen,
De nordiska språken,
Ups. 1887, und die Art.
Schwedische Sprache und
Dänische Sprache). Das Westnordische herrschte, nachdem seit 874 von
Norwegen
aus
Island besiedelt worden war, auch auf dieser
Insel, wo sich nun eine eigne
Sprache entwickelte. Zwischen
dieser
Sprache der
KolonieIsland und den
Dialekten des norwegischen Mutterlandes bildeten sich nämlich allmählich Unterschiede
heraus, die zwar im ganzen gering, aber doch recht beachtenswert sind.
Meist ist hier das Altnorwegische altertümlicher. Unter der Fremdherrschaft verkümmerte in
Norwegen die einheimische
Sprache
und wich
vor der dänischen, die nunmehr (mit einigen Norwegismen) Schriftsprache und
Sprache der Gebildeten
ist, in die abgelegenen Gebirgsthäler zurück, wo sie noch heute lebt und Gegenstand sorgfältiger
Studien geworden ist,
besonders von I. ^[Ivar]
Aasen (»Norsk
Grammatik«,
Christ. 1864; »Norsk Ordbog«, 2. Aufl.,
das. 1873). Auf dem entlegenen
Island erhielt sich die
Sprache in besonderer Altertümlichkeit bis auf
den heutigen
Tag. Die
Laute sind zum Teil andre geworden, die
Formen aber im wesentlichen geblieben. Ein interessanter
Dialekt
ist die Volksmundart der
Färöer (vgl.
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Hammershaimb, Färöisk Sprogläre, in »Annaler« 1854), während auf den
andern nordischen Inselgruppen die nordische Sprache seit Jahrhunderte erloschen ist. Das Westnordische nun, und besonders
das Isländische, pflegt man speziell als Nordisch oder Altnordisch zu bezeichnen, indem die reiche altnordische Litteratur
zum weitaus größten Teil in altisländischen Handschriften erhalten ist. Die besten Grammatiken sind
die ältere von Rask (»Vejledning til det islandske eller gamle nordiske Sprog«, Kopenh.
1811; deutsch von A. Wienbarg, Hamb. 1839) und die neuern von Wimmer (»Oldnordisk Formläre«, 2. Aufl.,
Kopenh. 1876; deutsch von Sievers, Halle 1871; schwed., Lund 1874) und Noreen (Halle 1884). Außerdem sind zu nennen:
Gislason, Oldnordisk Formläre (unvoll., Kopenh. 1858),
Die abgeschiedene Lage gewährte Island, während im eigentlichen Skandinavien fortwährende Kämpfe tobten, im allgemeinen eine
friedliche Entwickelung und veranlaßte so die reiche Entfaltung der altnordischen Litteratur gerade auf
Island. Auch besaß Island einen einheimischen Priesterstand, der die alten Überlieferungen seines Volkes nicht etwa auszurotten
bemüht war, sondern dieselben nach Kräften pflegte und so der Begründer einer eigentlichen Litteratur ward.
Diese begann, nachdem an Stelle der für längere Aufzeichnungen ungeeigneten Runenschrift (s. Runen) die lateinische eingeführt
war (um 1150 wurde das lateinische Alphabet noch durch einige neue Zeichen vermehrt), im Anfang des 12. Jahrh.;
jedenfalls ist aber vieles in gebundener und ungebundener Rede schon lange vorher in mündlicher Überlieferung fortgepflanzt
worden. Die altnordische Litteratur zerfällt natürlich in Dichtung und Prosa, nur spielt letztere hier eine weit bedeutendere
Rolle als bei den andern germanischen Völkern.
Die Dichtung teilt sich wieder in Volksdichtung und Kunstdichtung. Die wertvollsten Erzeugnisse der erstern sind die allitterierenden
Lieder, die man unter dem Gesamtnamen Edda zusammenzufassen pflegt, obwohl der Name eigentlich nur der jüngern oder prosaischen
Edda zukommt (s. Edda); zu der letztern gehören die Dichtungen der Skalden, die sich den alten einfachen
Eddaliedern gegenüber durch künstliche Versmaße und Anwendung des Reims
[* 28] sowie durch den übermäßigen Gebrauch von Umschreibungen
(kenningar) auszeichnen.
Die Eddalieder zerfallen in Götterlieder (z. B. »Völu-spá«, »Thrymskvidha«, auch didaktischen Inhalts, wie »Hávamál«)
und Heldenlieder (hauptsächlich die Helgesage und die ursprünglich deutsche Siegfrieds- und Nibelungensage
behandelnd). Außerdem gehören hierher alte Volkslieder mythischen oder heroischen Inhalts, wie sie in der Hervararsaga und
Hálfssaga (Walkürenlied in der Njálssaga) enthalten sind. Eine Art Übergang zur Skaldendichtung bilden: Eiríksmál,
Bjarkamál, Krákumál oder Lodhbrókarkvidha (am besten hrsg. von Th. Wisén in seinen »Carmina norroena«, Lund 1826). Zweifellos
sind die Eddalieder im allgemeinen älter als
die Skaldenlieder, über eine positive Altersbestimmung
sind indessen die Ansichten geteilt.
Daß oft verschiedene Schichten der Überlieferung nebeneinander in demselben Lied vorliegen, macht die Entscheidung so schwierig.
Doch sind die meisten Lieder in ihrer überlieferten Gestalt mit einiger Wahrscheinlich ins 10. Jahrh., einige
vielleicht ins 9. und 11. Jahrh. zu setzen. Der Kern der meisten Lieder ist aber gewiß älter (weiteres
s. Edda). Die Skaldendichtung beginnt schon im 9. Jahrh., doch fällt die Blütezeit derselben erst ins 10. Jahrh. und reicht
bis ans Ende des 13. Jahrh. (s. Skalden).
Die Lieder sind meist Loblieder auf Lebende oder Tote, besonders Fürsten; diese Lieder heißen Drâpa (s. d.)
oder Flokkr. Später folgte eine geistliche Dichtung in skaldischen Versmaßen, deren berühmtestes Erzeugnis Eysteins »Lilja«
(um 1350), ein Loblied auf Christus und Maria, ist. Außerdem gab es auf Island eine Art von Gelegenheitsdichtung, bestehend
in einzelnen Strophen (lausavísur genannt), in deren Improvisation viele Isländer eine große Fertigkeit
besessen haben müssen, und von denen die Sagas eine große Menge aufbewahrt haben. (Eine leider unkritische Gesamtausgabe
der altnordischen poetischen Denkmäler ist Gudbr. Vigfussons »Corpus poeticum boreale«, Oxford 1883, 2 Bde.) Nach dem Verfall
der skaldischen Dichtung erwuchs auf Island eine neue, die sogen. Rimurpoesie, seit Ende des 14. Jahrh.,
mit Endreimen, eine Dichtung, die mit den Kämpeviser in Zusammenhang steht und unter südgermanischen Einflüssen entstanden
ist. Inhaltlich sind diese Rímur teils selbständig, wie Skídharíma (Ende des 14. Jahrh.,
hrsg. von K. Maurer, Münch. 1869) und Olafsríma (vor 1395), teils haben sie denInhalt romantischer Sagas
ziemlich getreu wiedergegeben, wobei oft eine verlorne ältere Handschrift benutzt ist (vgl. Kölbing, Beiträge zur vergleichenden
Geschichte der romantischen Poesie und Prosa des Mittelalters, Bresl. 1876; »Islenzk fornkvædhi«,
hrsg. von Grundtvig und Sigurdsson, Kopenhag. 1854 ff.). Hier ist auch der von Kölbing herausgegebene »Skaufhalabálkr« zu
nennen, ein stabreimendes Fuchslied, die älteste Bearbeitung der Fuchssage im Norden.
[* 29] Die letzte Fortsetzung
der ältern nordischen Dichtung sind die Volkslieder, von denen die norwegischen durch Landstad (»Norske Folkeviser«,
Christ. 1853),
die färöischen am besten von Hammershaimb (Kopenh. 1851-55) herausgegeben sind; ferner in
Prosa: »Isländische Volkssagen der Gegenwart« (hrsg. von Maurer, Leipz. 1860),
isländisch: »Islenzkar
thjódhsögur og äfintyri« (gesammelt von Arnason, das. 1862-64).
Die Prosa ist besonders vertreten durch die reiche Sagalitteratur (s. Saga). Während ein Teil derselben heroische Mythen behandelt
und zum Teil nachweislich auf alte Volkslieder zurückgeht, haben andre historische Ereignisse und Personen mit mythischen
verknüpft; noch andre, die zahlreichsten und wichtigsten, behandeln geschichtliche Ereignisse in den
Hauptzügen durchaus historisch. Die Entstehung der geschichtlichen Saga auf Island erklärt sich aus dem aristokratischen
Charakter der Bevölkerung:
[* 30] auf dem winterlich vereinsamten Hof
[* 31] suchten die vornehmen Isländer an langen Winterabenden Kurzweil
in der Erzählung der Thaten ihres Geschlechts oder einzelner hervorragender Ahnen. Die Geschlechtsregister
und die eingestreuten Verse wurden sozusagen das Knochengerüst der Saga, an welches sich ausschmückende Einzelzüge als Fleisch
und Blut ansetzten. Zuerst ist die älteste Geschichte Islands in
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