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(s. Nilseen). Über das Quellgebiet des Blauen Nils war man bereits in den ersten Jahrhunderte unsrer Ära durch Kosmas Indikopleustes unterrichtet. Die alte Kunde vom Ursprung dieses Bahr el Azrak im Tanasee wurde aufgefrischt durch die portugiesischen Missionäre, welche im 17. Jahrh. in Abessinien weilten, geriet aber so in Vergessenheit, daß der Schotte Bruce gegen Ende des vorigen Jahrhunderts als Entdecker der Quelle [* 2] des Blauen Nils gefeiert wurde. Erst 1839 begann man ernstlich an die Entdeckung der Quellen des Weißen Nils zu denken; Mehemed Ali rüstete eine Expedition aus, welche bis 6° 33' nördl. Br. gelangte, während eine zweite, bei welcher die Franzosen Arnaud, Sabatier und Thibaut sowie der Deutsche [* 3] Ferdinand Werne sich befanden, 1841 bis 5° nördl. Br. vordrang.
Zahlreiche Reisende suchten seitdem vergeblich das alte Rätsel zu lösen, bis es 1863 den Engländern Speke und Grant gelang, die großen Nilseen zu entdecken, welche als die Ursprungsstätte des Stroms angesehen wurden, bis Stanley 1876 die Flüsse [* 4] fand, welche dem umfangreichsten dieser Seen, dem Ukerewe (s. d.), zuströmen. Als den größten derselben nimmt er den auf der Westseite einmündenden Kagera (auch Alexandra-Nil genannt) an, der den Abfluß des Akenjaru oder Alexandrasees (unter 2½° südl. Br.) aufnimmt.
Aber ebensogut könnte man den Isanga, der von S. her in den Ukerewe eintritt, und dessen Quelle unter 5° südl. Br. liegt, als den Quellfluß ansehen. Aus dem Ukerewe ergießt sich am Nordrand ein großer kataraktenreicher Strom, Kivira genannt, der zuerst die Riponfälle, dann den See Gita Nzige und gleich darauf den großen Sumpf Kioga oder Kodscha bildet und nun unter dem Namen Somerset-Nil in zahlreichen Fällen (darunter die mächtigen Murchisonfälle), so daß er auf 150 km nicht weniger als 695 m fällt, zuerst nach Norden, [* 5] dann in scharfer Biegung bei Fauvera westwärts fließt und bei Masungo am Nordostende des Mwutan Nzige in diesen See sich ergießt, der durch den Dueru oder Kakibbi mit dem südwestlich gelegenen Muta Nzige verbunden sein soll.
Nach dem Austritt aus dem Nordende des Mwutan wird der Strom Bahr el Dschebel (»Fluß der Berge«) genannt; er fließt nun in einer Breite [* 6] von 500-2000 m, 5-12 m tief, ruhig dahin, selbst größere Fahrzeuge können hier verkehren; aber bei Dufilé (3½° nördl. Br.) hindern Katarakte abermals die Schiffahrt. Dieselbe wird erst wieder bei dem jetzt verlassenen Gondokoro, oberhalb Ladó, frei. Hier hat der Fluß nur noch eine Meereshöhe von 465 m, und Dampfer von Chartum können hierher gelangen.
Nun durchfließt der Strom eine sumpfige Waldlandschaft, die zur Regenzeit von unzähligen Flußbetten durchzogen ist. Unter 7½° nördl. Br. teilt er sich in zwei Hauptadern, von denen die kleinere, östlichere, der Bahr es Seraf, einen direktern Weg nach Norden einschlägt, wo unter 9½° nördl. Br. eine lange westöstliche Senke alle südlichen Flußadern aufnimmt. Hier wie auf den von W. her kommenden Zuflüssen wurden schon die von Nero ausgesandten Forschungsreisenden durch die kolossalen Ansammlungen von Grasmassen aufgehalten, welche die Flußläufe oft auf Jahre verstopfen und sie zwingen, sich ein andres Bett [* 7] zu suchen. So war der Bahr el Dschebel 1870-77 völlig gesperrt, und alle Schiffe [* 8] hatten den Weg des Bahr es Seraf zu nehmen. Einige von ihnen sind wochen-, ja monatelang auf den durch die Verwesung der Pflanzenteile dann todbringenden Gewässern eingeschlossen gewesen, so Gessi 1880 drei Monate auf dem Bahr el Gazal mit 500 Soldaten und vielen befreiten Sklaven, von denen die meisten (wie er selbst) sogleich oder später an den Folgen starben.
In der genannten Senke strömt dem Bahr el Dschebel von W. her der Bahr el Gazal zu, der selbst von S. kommt, aber eigentlich als eine Fortsetzung des aus zahllosen Flußläufen in Dar Fur [* 9] und Dar Fertit entstandene Bahr el Arab erscheint. Während Zuflüsse von Norden her ganz fehlen oder zur Klasse der periodisch fließenden Wadis gehören, sind die von der Wasserscheide zwischen Nil und Congo herabströmenden außerordentlich zahlreich. Die bedeutendsten sind der Rol, welcher in den Bahr el Gazal mündet, der Dschau, welcher sich mit dem Tondj zum Apabu vereinigt, der Dschur, der wasserreichste von allen, mit dem Wau, der Dembo, im Oberlauf Pango genannt, Kuru, Sabu u. a.; dem Bahr el Arab geht von S. her der Bahr el Fertit zu, an dessen Ufer die Kupferminen von Hofrah en Nahas liegen.
Nach der Vereinigung des Bahr el Gazal und Bahr el Dschebel behält der Strom die östliche Richtung, bis ihm aus SO. (5° nördl. Br.) der sehr bedeutende Sobat zugeht. Nun wendet er sich in scharfem Knie nach Norden und nimmt den Namen Bahr el Abiad oder Weißer Nil an. Obschon diese Zuflüsse gewaltige Wassermassen führen, erreicht doch ein sehr großer Teil den Strom gar nicht, sondern verdunstet vielmehr in den großen Sümpfen, welche sich zur Zeit des Hochwassers bilden.
Von der Mündung des Sobat bis Chartum empfängt der Nil keinen einzigen Nebenfluß, nur die periodisch gefüllten Rinnsale mehrerer »Chor« ziehen ihm zu. Von Faschoda ab setzt er, weit ausgebreitet, mit vielen Flußarmen und Inseln und oft mit ganzen Bänken von Wasserpflanzen [* 10] überzogen, seinen langsamen Lauf zwischen schlammigen Ufern fort. Erst vom 14.° nördl. Br. treten Hügelreihen an sein linkes Ufer heran, die dasselbe dann bis Chartum einfassen. Bis zu dieser Stadt (388 m ü. M.) beträgt das Gefälle vom Mwutan ab 312 m. Bei Chartum mündet rechts der Bahr el Azrak oder Blaue Fluß, der früher als der zweite ebenbürtige Quellfluß des Nils bezeichnet zu werden pflegte, während er jetzt, wo man den Weißen Fluß bis über den 5.° südl. Br. verfolgt hat, nur noch als ein Nebenstrom des letztern erscheint, welcher infolge der ausgleichenden Thätigkeit der großen Seen und Sümpfe weit geringere Schwankungen im Wasserstand hat als der Weiße Nil. Nach Linant de Bellefonds ist die Wassermenge des Bahr el Abiad bei Chartum in der Sekunde bei Hochwasser 5005, bei Niedrigwasser 297 m, bei dem Bahr el Azrak sind die Zahlen 6014 und 159. Der Weiße Nil unterhalt den Wasserlauf bis zum Meer, der Blaue Nil bringt die befruchtende Überschwemmung, ohne den erstern gäbe es kein Ägypten, [* 11] ohne den zweiten entbehrte dies Land seiner wunderbaren Fruchtbarkeit.
Der Bahr el Azrak ist der Astapūs des Ptolemäos; vielleicht hatten schon die Römer [* 12] eine Kenntnis seiner Quellen, denn sie lassen ihn in einem See, dem Coloe Palus, entstehen, den sie freilich 12° südlicher setzen, als der Tana liegt, den der Abaí, wie der Bahr el Azrak in Abessinien heißt, durchfließt, nachdem er an der innern Seite des Westrandes von Abessinien seinen Ursprung genommen. Er verläßt, zahlreiche Fälle und Stromschnellen bildend, in spiralförmig gewundenem Lauf das Gebirge und tritt unterhalb Fazogl, wo an seinen Ufern Gold [* 13] gewaschen wird, in die Steppenflächen von Senaar ein, die er in nordwestlich gewandtem Lauf bis Chartum durchströmt. Der Bahr el Azrak nimmt rechts den Beschilo, Dschamma, ¶
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Jabus und Tumat, links die zwar langen, aber wasserarmen Dinder und Rahad auf. Der Fall des Flusses vom Tanasee (1755 m) bis Chartum beträgt 1370 m.
Von Chartum ab beschreibt der Nil einen gewaltigen S-förmigen Bogen, [* 15] dessen Krümmungen durch Karawanenwege abschnitten werden, und schlägt dann jenseit des Wendekreises zuerst eine nördliche, dann eine nordwestliche und schließlich abermals eine nördliche Richtung ein, bis er sich, ein großes Delta [* 16] bildend, in zahlreiche Arme spaltet. Dieser Teil des Nillaufs läßt sich in zwei Abteilungen scheiden, entsprechend der uralten Teilung seiner Uferlandschaften in die beiden Länder Nubien und Ägypten.
Innerhalb Nubiens nimmt der Nil einen einzigen Nebenfluß auf, überhaupt den letzten, den Atbara nämlich, der in Abessinien, nicht weit vom Nordende des Tanasees, entspringt und rechts den Setit oder Takazzé mit zahlreichen Zuflüssen empfängt, welche vom östlichen Randgebirge abfließen. Der Atbara erreicht den Nil oberhalb Berbers, aber nur periodisch; häufig schrumpft sein Unterlauf zu einer Kette von größern und kleinern Teichen zusammen. Von ihm, dem Nil und dem Bahr el Azrak fast inselartig umschlossen, breitet sich eine weite Steppe aus, wie Senaar in der Regenzeit ein grünes Grasmeer.
Das ist die Insel Meroe der Alten, der Sitz eines bis in die Zeit der Ptolemäer hineinreichenden Priesterstaats. Innerhalb Nubiens hat der Nil viele Stromschnellen, welche die Schiffahrt in der trocknen Jahreszeit an einigen Stellen ganz unmöglich machen. Man zählt deren im ganzen sechs Gruppen. Bei dem nördlichsten Katarakt unter 24° nördl. Br., etwas südlich von Assuân (104 m ü. M.), überschreitet der Nil, zwischen granitischen Felswänden hinfließend und zahlreiche Inseln bildend, die ägyptische Grenze und fließt in ruhigem Lauf und als segenbringender Fluß über 700 km weit gerade nordwärts fort.
Bei Theben hat er eine Breite von 400, bei Siut von 800 m. Sein fruchtbares Thal, [* 17] das Tell, von einer mittlern Breite von 15 km, wird durch zwei Höhenzüge begrenzt, von denen der östliche das ganze Land bis zum Roten Meer anfüllt, der westliche aber von Libyen aufsteigt, wie ein oder Damm den Nil entlang hinzieht und in schräger Böschung in das Nilthal abfällt, während die östliche Begrenzung senkrecht abstürzt und daher Dschebel Mokattam (»steile Felswand«) genannt wird. Am schmälsten ist das Thal in Oberägypten (Said), in der alten Thebais; an einer der breitesten Stellen füllen hier die Ruinen von Theben dasselbe von O. nach W. aus. In Mittelägypten erweitert sich das Thal, doch wird es an der breitesten Stelle nur 22 km breit.
Aber von hier an zieht sich die libysche Hügelkette immer mehr nach W. zurück, während die östliche bei Kairo in [* 18] die Ebene des Delta abfällt. Unterhalb Kairo teilt sich der nun an 3 km breite Strom in zwei Hauptarme, von denen der eine geradeaus nordwärts bei Damiette sich ins Meer ergießt, der andre, kürzere und schwächere, aber sich nach W. wendet und bei Rosette seine Mündung hat. Beide Arme schließen das sogen. Delta ein, ein Dreieck, [* 19] dessen Basis an der Meeresküste eine Länge von 113 km hat, während der westliche Schenkel ungefähr 148, der östliche 155 km lang ist (s. auch Karte bei »Suez«).
Der Nilarm von Damiette hat wenige Inseln und ein enges Bett von 100-700 m Breite; er ist jetzt der einzige stets schiffbare Arm des Stroms, der aber auch mehr und mehr versandet. Beide Arme waren im Altertum weniger bedeutend als die pelusische Mündung im O. und die kanobische im W., zwischen denen in der Ordnung von O. her noch die tanitische, mendesische, phatnische (oder bukolische), sebennytische und bolbinitische Mündung genannt werden. Alle diese Arme sind gegenwärtig völlig versandet, wie der Nil überhaupt auf seinem Unterlauf mehrfache Veränderungen erlitten hat.
Von großer Wichtigkeit für den Handel Ägyptens ist der unterhalb Rahmanijeh vom Rosettearm ausgehende und bei Alexandria (s. d.) ausmündende Mahmudiehkanal. Der vereinigte Nil von Chartum bis zum Mittelmeer hat eine Länge von etwa 1900 km. Das Gefälle auf dieser langen Strecke ist nicht bedeutend; es liegt Berber in 350, El Kab (zwischen dem vierten und fünften Katarakt) in 294, Wadi Halfa am zweiten Katarakt in 128, Siut in 70 m Meereshöhe. Von der gesamten Stromentwickelung des Nils (7000 km) sind ca. 5200 schiffbar.
Eine der merkwürdigen Erscheinungen, welche seit dem Altertum die Gelehrten beschäftigte, ist das regelmäßige Steigen und Fallen [* 20] des Nils. Die namentlich im abessinischen Hochland sowie in den Tropen des innern Afrika [* 21] niedergehenden periodischen Regengüsse bedingen ein Steigen des Stroms in seinem ganzen Lauf bis zum Meer, welches im Juli beginnt und Ende September, wo der Fluß 6-7 m über sein tiefstes Niveau gestiegen ist, ganz Unterägypten in einen weiten See verwandelt.
Auf dieser Höhe verharrt der Fluß 2-3 Wochen. Ende Oktober beginnt er zu fallen, anfangs schnell, dann langsamer, gerade umgekehrt wie beim Steigen. Das Sinken währt bis in die zweite Hälfte des Mai. Während dieser Zeit ist das Wasser zuerst grünlich gefärbt von den verwesenden Pflanzenresten des Weißen Nils, dann rötlich infolge der feinen Erdteile, die es aus den abessinischen Bergen [* 22] mit sich führt. Durch die hieraus sich bildenden Niederschläge wird der Boden erhöht, das Thal flacher, das Land immer mächtiger.
An der Grenze von Ägypten bei Assuân beginnt das Steigen des Nils Ende Juni; Anfang Juli macht sich dasselbe in Kairo bemerkbar. Auf der Insel Rhoda bei Kairo befindet sich ein schon 847 vom Kalifen Motewakkil angebrachtes Nilometer, welches unter einem besondern Aufseher (Scheich el Mekyas) steht; letzterer stellt alltäglich vom 1. Juli ab die Wasserhöhe fest, welche regelmäßig jeden Morgen in der Stadt ausgerufen wird. Zu einer guten Überschwemmung muß das Wasser am Nilometer 22 Grad (10 m) erreichen.
Steigt es höher, so richtet es Verwüstungen an; bleibt es darunter, so genügt die Feuchtigkeit nicht, um alle Felder zu bewässern. Man hat bezüglich des Delta berechnet, daß die durch den Schlammniederschlag hervorgerufene Erhöhung des Bodens auf ungefähr 10 cm in einem Jahrhundert anzunehmen ist. Bei fortwährend steigender Erhöhung würde die Bewässerung immer schwieriger werden, wenn nicht gleichzeitig das Nilbett selbst sich entsprechend erhöhte.
Anderseits scheint aber auch eine säkulare Senkung des Bodens stattzufinden. Der Unterschied zwischen dem niedrigsten und höchsten Wasserstand bei Kairo beträgt gewöhnlich 7¾ m, bei Theben 12, bei Assuân sogar 16 m. Durch den bei Keneh (26° nördl. Br.) abzweigenden und am westlichen Rande des Nilthals sich hinziehenden Josephskanal (Bahr Jussuf) wurde ehemals der Möris (s. d.) gespeist und wird heute das Fayûm (s. d.) bewässert und schließlich noch der Überschuß in den schwachsalzigen Birket el Kurn abgeführt. - Nicht nur für die Bebauung des Bodens, sondern auch für die staatliche Organisation des Volkes war der Nil von jeher von der größten Wichtigkeit. Da die Fruchtbarkeit nur so weit reichte als sein Wasser, so waren die ¶