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Der erste Seekrieg mit England (1652-54) war durch die von Cromwell erlassene Navigationsakte (1651) herbeigeführt worden, welche der Schiffahrt der Niederlande [* 2] nach England einen tödlichen Streich versetzte; er wurde mit größter Erbitterung geführt, fügte den Niederlanden ungeheuern Schaden zu (1600 Schiffe [* 3] wurden von den Engländern gekapert) und endete nach mehreren Niederlagen der niederländischen Flotte mit der Anerkennung der Navigationsakte. De Witt richtete die Hauptkraft der Niederlande auf die Wahrung der Schiffahrts- und Handelsinteressen gegen die gefährliche Nebenbuhlerschaft Englands und begann 1664 zur Abwehr englischer Übergriffe einen zweiten Seekrieg, der, von beiden Seiten mit Aufbietung aller Kräfte und mit wechselndem Erfolg geführt, im Frieden von Breda ohne Entscheidung über die Seeherrschaft endete.
Die Landmacht vernachlässigt die republikanische Regierung im Vertrauen auf das französische Bündnis, sah sich aber doch genötigt, als Ludwig XIV. 1667 die spanischen Niederlande besetzte, mit England und Schweden [* 4] im Januar 1668 die Tripelallianz zu schließen, welche Ludwig im Aachener Frieden zum Verzicht auf den größten Teil seiner Eroberungen zwang. Hierfür beschloß der französische König sich an den Niederlanden zu rächen, bewog in tiefstem Geheimnis England und Schweden zum Bündnis und überfiel im Frühjahr 1672 mit 100,000 Mann vom Niederrhein aus die wehrlose Republik, während Karl II. von England den Krieg zur See erklärte. In wenigen Wochen hatten die Franzosen vier Provinzen erobert; 83 feste Plätze öffneten ihre Thore.
Holland wurde noch im letzten Augenblick durch die Überschwemmung gerettet und der schimpfliche Friede, den die Patriotenpartei abschließen wollte, nur durch den Übermut Ludwigs XIV. vereitelt. Gegen die holländische Aristokratie richtete sich nun der ganze Haß des bestürzten und durch die Grausamkeit des Eroberers zur Verzweiflung getriebenen Volkes. Johan de Witt wurde nebst seinem Bruder Cornelius als Urheber des Unglücks auf gräßliche Weise ermordet, das ewige Edikt abgeschafft und der junge Prinz Wilhelm III. von Oranien zum Statthalter, 1674 auch zum Erbstatthalter erhoben.
Durch die Anspannung aller Kräfte unter der sichern, mutigen Leitung des jungen Prinzen und durch fremde Hilfe, erst des Kurfürsten von Brandenburg, [* 5] dann des Kaisers und Spaniens, gelang es, die Franzosen aus den Niederlanden wieder zu vertreiben (1674). Wenn die Verbündeten auch im fernern Verlauf des Landkriegs von Mißgeschick verfolgt wurden und sich in der Hoffnung, Frankreichs Macht brechen zu können, täuschten, so wußten die Niederlande doch durch kluge Benutzung der Umstände im Frieden zu Nimwegen [* 6] (1678), den sie einseitig abschlossen, nicht bloß ihr Gebiet zu behaupten, sondern auch Maastricht [* 7] zu erwerben und von Frankreich einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen.
Die aristokratische Partei, welche diesen Frieden gegen den Willen des Statthalters durchgesetzt hatte, wünschte wegen der ungeheuern Kriegskosten, die eine drückende Steuerlast nötig machten, Frieden und Bündnis mit Frankreich. Aber Ludwigs XIV. unersättliche Eroberungssucht und seine Unduldsamkeit gegen die Protestanten verhalfen der Politik des Oraniers zum Sieg. Die Niederlande unterstützten die Unternehmung des Prinzen gegen England 1688, welche den Sturz der Stuarts und Wilhelms III. Thronbesteigung in England zur Folge hatte, schlossen sich 1689 der neuen Koalition gegen Frankreich an und nahmen mit Aufbietung aller Kräfte am Kampf teil.
Die Niederlande blieben dem von Wilhelm III. gestifteten Bunde der Seemächte auch nach dessen Tod (1702) getreu und halfen unter der Leitung des Ratspensionärs Heinsius im spanischen Erbfolgekrieg Frankreichs Übermacht brechen. Aber sie opferten hierbei ihre Sonderinteressen denen Europas auf. Sie erschöpften ihre Kräfte in den kostspieligen Kriegen, ohne für sich selbst einen andern Gewinn zu erzielen als den Barrieretraktat von 1713, welcher ihnen das Recht einräumte, die belgischen Festungen an der französischen Grenze zu besetzen. Den Hauptvorteil trug England davon, das, größer und von der Natur mehr begünstigt, seinen Handel und seine Schiffahrt auf Kosten der niederländischen entwickelte und den Bundesgenossen bald überflügelte.
Der Verfall der Republik.
Nach dem Erlöschen der ältern oranischen Linie mit Wilhelms III. Tod (1702) war die Statthalterwürde zum zweitenmal abgeschafft worden und die Leitung der Republik wieder in die Hände der aristokratischen Partei übergegangen, welche nach dem Utrechter Frieden (1713) eine unbedingte Friedenspolitik befolgte, um die Staatsfinanzen zu bessern und Handel und Industrie von neuem zu beleben. Die Land- und Seemacht wurde aufs äußerste beschränkt, was ihren völligen Verfall zur Folge hatte; der kriegerische Geist, damit aber auch Energie und Thätigkeitstrieb erloschen im Volk, und dies wirkte auch auf die gewerblichen Verhältnisse lähmend ein.
Das niedere Volk darbte infolge des Verfalls der Industrie und des Sinkens der Löhne, die Regenten erstickten in Reichtum und Wohlleben und behielten alle öffentlichen Ämter sich und ihren Verwandten vor. Der österreichische Erbfolgekrieg (1741-48) rüttelte die Niederlande aus ihrer trägen Ruhe auf. Sie mußten die belgische Barriere gegen Frankreich schützen; der Krieg wurde jedoch schlaff und ungeschickt betrieben, sämtliche Festungen gingen verloren, und 1747 fielen die Franzosen in Holländisch-Flandern ein, dessen feste Plätze sie eroberten. Da empörte sich das Volk in Holland und Zeeland, vertrieb die aristokratischen Magistrate und rief den Prinzen Wilhelm von Oranien aus der Linie Nassau-Dietz, der bisher Erbstatthalter von Friesland, seit 1718 auch von Groningen und seit 1722 von Gelderland gewesen war, zum Statthalter aus. Diesem Beispiel folgten die übrigen Provinzen, so daß Wilhelm IV. erster erblicher Generalstatthalter der sämtlichen sieben Provinzen wurde; auch erhielt er die Verwaltung der Generalitätslande und das Generalgouvernement von Indien.
Wilhelm IV. starb bereits und hinterließ einen erst dreijährigen Sohn, Wilhelm V., für den seine Mutter, die englische Prinzessin Anna, die Vormundschaft führte, während ihr Verwandter, der Herzog Ludwig von Braunschweig, [* 8] den Oberbefehl über die Armee erhielt. Nach Annas Tod (1759) nahmen die Staaten der Provinzen die Rechte der Statthalterschaft wahr und befolgten wieder das System unbedingter Neutralität, als der Siebenjährige Krieg ausbrach; nur in Ostindien [* 9] wurde die Eroberung Ceylons vollendet. 1766 übernahm Wilhelm V. selbst die Regierung, stand aber unter der Leitung des Herzogs Ludwig. Als 1776 die Engländer die abgefallenen amerikanischen Kolonien bekriegten, verlangten sie auf Grund alter Verträge von den Niederlanden Hilfstruppen gegen die Rebellen und erklärten, als die Niederlande dies ablehnten und über ihren Anschluß an die von Rußland errichtete Neutralität ¶
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verhandelten, 1780 den Krieg. Obwohl die Niederlande gänzlich ungerüstet waren, so war wegen des seit langem angesammelten Hasses gegen den eigennützigen, anmaßenden englischen Verbündeten der Krieg sehr populär, und trotz der großen Verluste für Handel und Schifffahrt wurde er mit Entschlossenheit geführt. Wiewohl die Schlacht an der Doggersbank unentschieden blieb, wurden die Friedensanträge Englands abgelehnt und mit den amerikanischen Freistaaten ein Allianz- und Handelsvertrag abgeschlossen.
Aber schließlich ließ Frankreich die Niederlande im Stiche, und diese mußten im Frieden vom England ihr Gebiet auf dem Festland von Vorderindien abtreten, demselben freie Schiffahrt in Ostindien zugestehen und den Grundsatz des Utrechter Friedens: »die Flagge deckt die Ladung«, preisgeben. Die Bedrängnis der Niederlande benutzend, hob Kaiser Joseph II. 1784 den Barrieretraktat auf, ließ die Grenzfestungen schleifen und verlangte die Freigebung der Schelde und die Abtretung von Maastricht. Die Landmacht der Niederlande war in einem solchen Zustand, daß sie einen Krieg gegen Österreich [* 11] nicht wagen konnten, und sie mußten sich im Vertrag von Paris [* 12] zur Abtretung von Lillo und Liefkenshoek und zu einer Zahlung von 10 Mill. Gulden verstehen, wogegen sie das Recht behielten, die Schelde zu schließen.
Die Entrüstung über diese Verluste wurde von der aristokratischen oder Patriotenpartei sehr geschickt gegen den Erbstatthalter gelenkt, welchem die Staaten von Holland mehrere Rechte, 1786 sogar die Würde des Generalkapitäns und Admirals, entzogen. Wilhelm V. verließ den Haag, [* 13] und seine Anhänger verteidigten seine Rechte sogar mit Waffengewalt, indem sie die ihm feindlich gesinnten geldrischen Städte Hattem und Elburg beschossen und besetzten. Als die Erbstatthalterin, die Prinzessin Wilhelmine von Preußen, [* 14] nach dem Haag reisen wollte, wurde sie von den Patrioten angehalten und zur Rückkehr gezwungen.
Dafür verlangte ihr Bruder, der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, Genugthuung, und als dieselbe im Vertrauen auf die nachher ausbleibende französische Hilfe von Holland in stolzem Ton verweigert wurde, rückten im September 1787: 25,000 Preußen in die Niederlande ein, eroberten in kurzer Zeit Holland und setzten unter dem Jubel des Volkes den Erbstatthalter wieder ein. Die Rechte des Hauses Oranien wurden darauf beträchtlich erweitert und zu einem Grundgesetz der Republik erklärt, auch schloß Wilhelm V. im April 1788 eine ewige Allianz mit England und Preußen.
Die Niederlande während der Revolutionszeit.
Der Ausbruch der französischen Revolution verlieh der niedergeworfenen Patriotenpartei neue Kraft. [* 15] Zwar nahm Wilhelm V. 1793 eine englische Armee in sein Land auf und schloß sich der Koalition gegen Frankreich an; aber durch die Niederlagen bei Hondschoote (7. und und bei Fleurus den Frost des Winters 1794-95, welcher die Wasserverteidigung unmöglich machte, und durch eine allgemeine Erhebung der Patrioten ward Pichegru die Eroberung der Niederlande erleichtert, und diese erklärten nun die Erbstatthalterwürde für abgeschafft und konstituierten sich als Batavische Republik, einen Einheitsstaat mit einer Gesetzgebenden Versammlung und einem Direktorium.
Mit Frankreich, dessen revolutionäre Institutionen bis ins kleinste nachgeahmt wurden, schloß die Republik ein beständiges Bündnis ab, welches ihr aber große Opfer auferlegte: Maastricht, Venloo, Staats-Limburg, Staats-Flandern mußten abgetreten, 100 Mill. Gulden bezahlt und 30,000 Mann französischer Truppen unterhalten werden;
das nun feindliche England lähmte den niederländischen Handel und bemächtigte sich der Kolonien, von denen Ceylon [* 16] 1802 förmlich abgetreten wurde. 1805 wurde eine Verfassungsänderung vorgenommen und ein Ratspensionär, Schimmelpenninck, an die Spitze des Staats gestellt.
Jedoch schon wurden die Niederlande auf Napoleons I. Befehl in ein Königreich Holland verwandelt, dessen Krone Ludwig Napoleon erhielt. Die französischen Gesetze wurden eingeführt, und die holländischen Truppen mußten an allen Kriegen Frankreichs teilnehmen. Durch die Kontinentalsperre wurde der Handel auf den Schmuggel mit England beschränkt, und als der König Ludwig 1810 abdankte, weil er sein Königreich nicht den französischen Interessen preisgeben wollte, erklärte ein kaiserliches Dekret vom die Vereinigung Hollands als »einer Anschwemmung französischer Flüsse« [* 17] mit Frankreich und Amsterdam [* 18] zur dritten Stadt des Kaiserreichs; die Zinsen der Staatsschuld wurden auf ein Drittel verringert.
Wenn die französische Herrschaft auch manche Mißbräuche mit scharfem Besen wegfegte und durch die Rechtsgleichheit der Landesteile und die Beseitigung der Standesunterschiede die nationale Verschmelzung beförderte, so empfand man in den Niederlanden, besonders in Holland, den Verlust politischer, geistiger und kommerzieller Freiheit, namentlich die Unterdrückung der Muttersprache, bitter genug. Daher ward 1813 die Nachricht von dem Sieg der Verbündeten bei Leipzig [* 19] freudig begrüßt und der Aufforderung des preußischen Heerführers Bülow, der in die Niederlande einrückte, sich den Verbündeten gegen Frankreich anschließen, bereitwillig entsprochen.
Ein Anhänger der altoranischen Partei, Hogendorp, bildete mit seinen Freunden van der Duyn und van Maasdam eine provisorische Regierung, und ward zu Amsterdam die Freiheit der Niederlande und der Sohn des 1795 vertriebenen Erbstatthalters Wilhelm V., Wilhelm I., der 30. Nov. in Scheveningen gelandet war, als deren souveräner Fürst proklamiert. Eine Kommission von 14 Mitgliedern arbeitete eine Verfassung aus, welche von einer Notabelnversammlung genehmigt wurde und 30. März in Kraft trat; die Macht des Fürsten wurde durch eine von den Provinzialstaaten gewählte Versammlung, die »Generalstaaten«, beschränkt.
Die Niederlande mit Belgien vereinigt.
Auf Englands Betreiben, das auf dem Festland einen Preußen ebenbürtigen protestantischen Staat wünschte, wurde durch die Londoner Artikel vom bestimmt, daß Belgien [* 20] und Holland unter dem Namen Königreich der Niederlande zu einem Ganzen vereinigt werden sollten; die Grenzen [* 21] desselben wurden durch die Wiener Schlußakte vom festgesetzt und Wilhelm I. als König der Niederlande von allen Mächten anerkannt. Außer Luxemburg, das der König als Ersatz für seine deutschen Besitzungen als Großherzogtum erhielt, das aber zum Deutschen Bund gehören sollte, umfaßte das neue Königreich 17 Provinzen (Nord- und Südbrabant, Limburg, [* 22] Gelderland, Lüttich, [* 23] Ost- und Westflandern, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur, [* 24] Antwerpen, [* 25] Utrecht, [* 26] Friesland, Overyssel, Groningen und Drenthe) mit zusammen 60,000 qkm und 5,5 Mill. Einw.; dazu kam im zweiten Pariser Frieden 1815, nachdem die Truppen des jungen Königreichs unter dem Prinzen von Oranien an den Kämpfen von Quatrebras und ¶