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provinzialständischen Abgeordneten zusammengesetzter Staatsrat leitete die finanziellen Angelegenheiten, während die Admiralitäten von Holland und Zeeland dem Marinewesen vorstanden. Wie in den Provinzial-, war auch in den Generalstaaten Einstimmigkeit bei wichtigen Beschlüssen erforderlich, und die Regenten waren an die Lastbriefe (Instruktionen) ihrer Auftraggeber gebunden. Vermöge ihres Reichtums und ihrer großen Bevölkerung [* 2] (2 Mill.) übte die Provinz Holland und in dieser wieder Amsterdam [* 3] ein natürliches Übergewicht aus.
Doch wahrten die Provinzen eifersüchtig ihre Souveränitätsrechte, beanspruchten das Recht diplomatischer Vertretung im Ausland und verhinderten die Stärkung der Zentralgewalt. Auf jede Erweiterung der Union verzichtete man; ja, die später den Spaniern entrissenen Teile Gelderlands, Brabants und Flanderns sowie Drenthe wurden nicht in sie aufgenommen, sondern als unterthänige Lande vom Staatsrat im Namen der Generalität (daher Generalitätslande) regiert.
Trotzdem errang dies unfertige Staatswesen große Erfolge durch die Weisheit und Vaterlandsliebe seiner Staatsmänner und durch die kriegerische Tüchtigkeit sowie die uneigennützige Hingebung der Oranier, welchen zwar die erbliche Grafenwürde nicht wieder übertragen wurde, die aber als Statthalter der meisten Provinzen und als Oberbefehlshaber der Armee einen großen moralischen Einfluß im Sinn einheitlicher Politik ausübten. Dies war um so notwendiger, als es an Parteistreitigkeiten nicht fehlte.
Die Partei der Patrioten, geleitet von Oldenbarneveldt und aus der städtischen Aristokratie namentlich Hollands bestehend, erstrebte einen lockern Bund ohne monarchische Spitze und Aufrechterhaltung der Partikularrechte der Provinzen, um Hollands Übergewicht zu behaupten; die statthalterliche Partei, zu welcher das von den politischen Rechten ausgeschlossene niedere Volk, der Adel und das Heer gehörten, wollte dem Haus Oranien eine erbliche monarchische Gewalt übertragen.
Da es dem Prinzen Moritz an politischem Ehrgeiz fehlte und er sich mit seiner bescheidenen Stellung begnügte, so wäre es nicht so bald zu einem Konflikt gekommen, wenn sich nicht die holländischen Patrioten in dem kirchlichen Streit zwischen den freisinnigen Arminianern und den orthodoxen Gomaristen (s. d.) für die erstern erklärt, der Dordrechter Synode ihre Anerkennung versagt und zur Verteidigung ihres schroff partikularistischen Standpunktes Truppen aufgeboten hätten. Um das eifrig calvinistische Volk, das im Arminianismus Kryptokatholizismus witterte, zu beruhigen, schritt Moritz ein und ließ die Häupter der holländischen Aristokratie, Oldenbarneveldt, Hugo Grotius und Hoogerbeets, verhaften; ersterer wurde wegen Hochverrats hingerichtet, letztere zu ewigem Gefängnis verurteilt.
Nicht lange nach dem Wiederausbruch des Kriegs mit Spanien [* 4] (1621) starb Moritz von Oranien Ihm folgte als Erbstatthalter der fünf Provinzen Holland, Zeeland, Utrecht, [* 5] Gelderland und Overyssel sein Bruder Friedrich Heinrich, während die Provinzen Friesland und Groningen schon früher den Grafen Ernst Kasimir von Nassau zum Statthalter gewählt hatten. Prinz Friedrich Heinrich stellte den innern Frieden her, indem er den Religionsverfolgungen Einhalt that, die Verbannten zurückrief und die Eingekerkerten in Freiheit setzte.
Der Krieg gegen Spanien wurde mit Glück fortgeführt und durch den gleichzeitigen Kampf gegen das Haus Habsburg in Deutschland [* 6] sowie durch ein Bündnis mit Frankreich (1635) erleichtert. Herzogenbusch, Wesel, [* 7] Maastricht [* 8] und Breda wurden erobert, der spanischen Flotte mehrere Niederlagen beigebracht und durch Wegnahme der Silberflotte (1628) ansehnliche Beute gemacht. Das erschöpfte Spanien zeigte sich endlich zum Frieden geneigt, der nach 80jährigem Krieg 1648 in Münster [* 9] zu stande kam. Die Niederlande [* 10] wurden als unabhängiger Staat anerkannt, behielten ihre Eroberungen in Belgien [* 11] und den beiden Indien und erlangten vollkommene Handelsfreiheit in allen spanischen Häfen; auch die Verbindung mit dem Deutschen Reich wurde formell für immer gelöst.
Höchste Macht und Blüte der Niederlande.
Während ihres Freiheitskampfes waren die Niederlande das reichste Land Europas geworden, ihr Handel und ihre Industrie beherrschten die Welt; auch ihre bewaffnete Macht war eine bedeutende, und Künste und Wissenschaften standen in der höchsten Entwickelung. Der Kolonialbesitz [* 12] der Handelskompanien hatte eine überraschende Ausdehnung [* 13] gewonnen und wurde von den Niederländern mit rücksichtslosem Krämersinn ausgebeutet. Die Sundainseln, Ceylon, [* 14] die Kapkolonie waren im Besitz der Ostindischen Kompanie; die Westindische eroberte sogar 1636 Brasilien, [* 15] das sie indes nicht lange behauptete.
Die Handelsflotte der Niederlande zählte 1634: 35,000 Schiffe [* 16] mit 2 Mill. Lasten. Hand [* 17] in Hand mit dem Welthandel ging die Großindustrie, deren Fabrikate sich über die ganze Erde ausbreiteten. 300 Mill. Gulden in Metall lagen 1648 in den Kellern der Amsterdamer Girobank. Der Geldreichtum war so groß, daß der Zinsfuß auf 2-3 Proz. stand und selbst der berüchtigte Tulpenschwindel dem Nationalwohlstand nicht schadete. Die ungeheuern Kriegskosten wurden durch zahlreiche hohe Steuern (in Holland 25 Proz. von allen Geldrenten, 100 Proz. von Bier und Wein) leicht und ohne Beschwerde aufgebracht. Der unbedingten Freiheit des Handels und Verkehrs entsprach die Freiheit des Glaubens, der Wissenschaft und der Presse, [* 18] welche die Niederlande zum Zufluchtsort aller Verfolgten und des anderswo unterdrückten freien Wortes machte.
Prinz Wilhelm II. von Oranien, der 1647 seinem Vater Friedrich Heinrich als Statthalter gefolgt war, verweigerte nach dem Westfälischen Frieden die von den Staaten von Holland geforderte Verminderung des stehenden Heers und der Abgaben und ließ sechs Mitglieder der aristokratischen Partei verhaften; seine Absicht war die Errichtung einer Alleinherrschaft. Als er aber 1650 ohne Erben starb (erst nach seinem Tod wurde ihm ein Sohn, Wilhelm III., geboren), nahm die aristokratische oder Loevesteinsche Partei (so genannt nach der Festung, [* 19] wohin die Oranier ihre Gegner in Haft zu schicken pflegten) die Gelegenheit wahr, auf der Großen Versammlung (Groote Vergadering), einer außerordentlichen Zusammenkunft der Deputierten der sieben Provinzen, 1651 den Beschluß, die Statthalterwürde nicht wieder zu besetzen, zur Annahme zu bringen.
Ja, die aristokratische Partei, an deren Spitze seit 1653 der Ratspensionär von Holland, Johan de Witt, stand, ließ sich dazu herbei, den Frieden mit England, das 1652 einen Seekrieg gegen die Niederlande begonnen hatte, 1654 durch eine geheime Akte (acte van seclusie) zu erkaufen, welche das Haus Oranien von jedem Staatsamt ausschloß; das ewige Edikt (1667) der Staaten von Holland und die Harmonieakte der Generalstaaten (1670) trennten für immer die Statthalterwürde von dem Amte des Oberbefehlshaber und machten die erstere macht- und wertlos. ¶
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Der erste Seekrieg mit England (1652-54) war durch die von Cromwell erlassene Navigationsakte (1651) herbeigeführt worden, welche der Schiffahrt der Niederlande nach England einen tödlichen Streich versetzte; er wurde mit größter Erbitterung geführt, fügte den Niederlanden ungeheuern Schaden zu (1600 Schiffe wurden von den Engländern gekapert) und endete nach mehreren Niederlagen der niederländischen Flotte mit der Anerkennung der Navigationsakte. De Witt richtete die Hauptkraft der Niederlande auf die Wahrung der Schiffahrts- und Handelsinteressen gegen die gefährliche Nebenbuhlerschaft Englands und begann 1664 zur Abwehr englischer Übergriffe einen zweiten Seekrieg, der, von beiden Seiten mit Aufbietung aller Kräfte und mit wechselndem Erfolg geführt, im Frieden von Breda ohne Entscheidung über die Seeherrschaft endete.
Die Landmacht vernachlässigt die republikanische Regierung im Vertrauen auf das französische Bündnis, sah sich aber doch genötigt, als Ludwig XIV. 1667 die spanischen Niederlande besetzte, mit England und Schweden [* 21] im Januar 1668 die Tripelallianz zu schließen, welche Ludwig im Aachener Frieden zum Verzicht auf den größten Teil seiner Eroberungen zwang. Hierfür beschloß der französische König sich an den Niederlanden zu rächen, bewog in tiefstem Geheimnis England und Schweden zum Bündnis und überfiel im Frühjahr 1672 mit 100,000 Mann vom Niederrhein aus die wehrlose Republik, während Karl II. von England den Krieg zur See erklärte. In wenigen Wochen hatten die Franzosen vier Provinzen erobert; 83 feste Plätze öffneten ihre Thore.
Holland wurde noch im letzten Augenblick durch die Überschwemmung gerettet und der schimpfliche Friede, den die Patriotenpartei abschließen wollte, nur durch den Übermut Ludwigs XIV. vereitelt. Gegen die holländische Aristokratie richtete sich nun der ganze Haß des bestürzten und durch die Grausamkeit des Eroberers zur Verzweiflung getriebenen Volkes. Johan de Witt wurde nebst seinem Bruder Cornelius als Urheber des Unglücks auf gräßliche Weise ermordet, das ewige Edikt abgeschafft und der junge Prinz Wilhelm III. von Oranien zum Statthalter, 1674 auch zum Erbstatthalter erhoben.
Durch die Anspannung aller Kräfte unter der sichern, mutigen Leitung des jungen Prinzen und durch fremde Hilfe, erst des Kurfürsten von Brandenburg, [* 22] dann des Kaisers und Spaniens, gelang es, die Franzosen aus den Niederlanden wieder zu vertreiben (1674). Wenn die Verbündeten auch im fernern Verlauf des Landkriegs von Mißgeschick verfolgt wurden und sich in der Hoffnung, Frankreichs Macht brechen zu können, täuschten, so wußten die Niederlande doch durch kluge Benutzung der Umstände im Frieden zu Nimwegen [* 23] (1678), den sie einseitig abschlossen, nicht bloß ihr Gebiet zu behaupten, sondern auch Maastricht zu erwerben und von Frankreich einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen.
Die aristokratische Partei, welche diesen Frieden gegen den Willen des Statthalters durchgesetzt hatte, wünschte wegen der ungeheuern Kriegskosten, die eine drückende Steuerlast nötig machten, Frieden und Bündnis mit Frankreich. Aber Ludwigs XIV. unersättliche Eroberungssucht und seine Unduldsamkeit gegen die Protestanten verhalfen der Politik des Oraniers zum Sieg. Die Niederlande unterstützten die Unternehmung des Prinzen gegen England 1688, welche den Sturz der Stuarts und Wilhelms III. Thronbesteigung in England zur Folge hatte, schlossen sich 1689 der neuen Koalition gegen Frankreich an und nahmen mit Aufbietung aller Kräfte am Kampf teil.
Die Niederlande blieben dem von Wilhelm III. gestifteten Bunde der Seemächte auch nach dessen Tod (1702) getreu und halfen unter der Leitung des Ratspensionärs Heinsius im spanischen Erbfolgekrieg Frankreichs Übermacht brechen. Aber sie opferten hierbei ihre Sonderinteressen denen Europas auf. Sie erschöpften ihre Kräfte in den kostspieligen Kriegen, ohne für sich selbst einen andern Gewinn zu erzielen als den Barrieretraktat von 1713, welcher ihnen das Recht einräumte, die belgischen Festungen an der französischen Grenze zu besetzen. Den Hauptvorteil trug England davon, das, größer und von der Natur mehr begünstigt, seinen Handel und seine Schiffahrt auf Kosten der niederländischen entwickelte und den Bundesgenossen bald überflügelte.
Der Verfall der Republik.
Nach dem Erlöschen der ältern oranischen Linie mit Wilhelms III. Tod (1702) war die Statthalterwürde zum zweitenmal abgeschafft worden und die Leitung der Republik wieder in die Hände der aristokratischen Partei übergegangen, welche nach dem Utrechter Frieden (1713) eine unbedingte Friedenspolitik befolgte, um die Staatsfinanzen zu bessern und Handel und Industrie von neuem zu beleben. Die Land- und Seemacht wurde aufs äußerste beschränkt, was ihren völligen Verfall zur Folge hatte; der kriegerische Geist, damit aber auch Energie und Thätigkeitstrieb erloschen im Volk, und dies wirkte auch auf die gewerblichen Verhältnisse lähmend ein.
Das niedere Volk darbte infolge des Verfalls der Industrie und des Sinkens der Löhne, die Regenten erstickten in Reichtum und Wohlleben und behielten alle öffentlichen Ämter sich und ihren Verwandten vor. Der österreichische Erbfolgekrieg (1741-48) rüttelte die Niederlande aus ihrer trägen Ruhe auf. Sie mußten die belgische Barriere gegen Frankreich schützen; der Krieg wurde jedoch schlaff und ungeschickt betrieben, sämtliche Festungen gingen verloren, und 1747 fielen die Franzosen in Holländisch-Flandern ein, dessen feste Plätze sie eroberten. Da empörte sich das Volk in Holland und Zeeland, vertrieb die aristokratischen Magistrate und rief den Prinzen Wilhelm von Oranien aus der Linie Nassau-Dietz, der bisher Erbstatthalter von Friesland, seit 1718 auch von Groningen und seit 1722 von Gelderland gewesen war, zum Statthalter aus. Diesem Beispiel folgten die übrigen Provinzen, so daß Wilhelm IV. erster erblicher Generalstatthalter der sämtlichen sieben Provinzen wurde; auch erhielt er die Verwaltung der Generalitätslande und das Generalgouvernement von Indien.
Wilhelm IV. starb bereits und hinterließ einen erst dreijährigen Sohn, Wilhelm V., für den seine Mutter, die englische Prinzessin Anna, die Vormundschaft führte, während ihr Verwandter, der Herzog Ludwig von Braunschweig, [* 24] den Oberbefehl über die Armee erhielt. Nach Annas Tod (1759) nahmen die Staaten der Provinzen die Rechte der Statthalterschaft wahr und befolgten wieder das System unbedingter Neutralität, als der Siebenjährige Krieg ausbrach; nur in Ostindien [* 25] wurde die Eroberung Ceylons vollendet. 1766 übernahm Wilhelm V. selbst die Regierung, stand aber unter der Leitung des Herzogs Ludwig. Als 1776 die Engländer die abgefallenen amerikanischen Kolonien bekriegten, verlangten sie auf Grund alter Verträge von den Niederlanden Hilfstruppen gegen die Rebellen und erklärten, als die Niederlande dies ablehnten und über ihren Anschluß an die von Rußland errichtete Neutralität ¶