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des Königs und deren Deszendenten nach dem Rechte der Erstgeburt und in Ermangelung dieser auf die Tochter des letzten Königs nach dem Rechte der Erstgeburt über. Zur Thronfolge berechtigt ist gegenwärtig zunächst die Prinzessin Wilhelmine (geb. sodann die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar, Schwester des Königs, resp. deren Dependenz. Das Einkommen des Königs fließt teils aus Domanialgütern, teils besteht es aus einer festen, jedesmal bei der Thronbesteigung fixierten Zivilliste; außerdem werden jährlich 50,000 Guld. für Unterhaltung der königlichen Schlösser bewilligt.
Der König hat die Oberleitung der auswärtigen Angelegenheiten, das Recht der Kriegserklärung, schließt und bestätigt Verträge mit andern Mächten. Er hat den Oberbefehl über die Land- und Seemacht, die oberste Verwaltung der Kolonien und der Finanzen, verleiht Adelstitel, übt das Recht der Begnadigung, legt den Kammern Gesetzentwürfe vor, sanktioniert oder verwirft die Anträge der Kammern, hat den Vorsitz im Staatsrat, dessen Mitglieder er ernennt und wählt, und entläßt seine Minister nach Belieben.
Alle königlichen Beschlüsse und Bescheide müssen aber durch einen Minister kontrasigniert sein. Gegenwärtiger König ist Wilhelm III. (seit Sein Titel ist: »König der Niederlande, Prinz von Oranien-Nassau, Großherzog von Luxemburg«. Der Kronprinz (gegenwärtig nicht vorhanden) führt den Titel: »Prinz von Oranien«. Königliche Residenz ist Haag. Im Monat April pflegt der Hof eine Woche lang in Amsterdam auf Kosten dieser Stadt zu residieren.
In administrativer Beziehung besteht das europäische Gebiet des Königreichs aus den oben aufgeführten 11 Provinzen. An der Spitze der Staatsverwaltung steht ein Ministerrat, der aus den Chefs der 8 Ministerien: des Auswärtigen, der Justiz, des Innern, der Marine, der Finanzen, des Kriegs, der Kolonien, endlich des Handels und der Industrie (Departement van Waterstaat) besteht. Das Präsidium wechselt unter den Ministern nach der Reihenfolge ihrer Ernennung alle drei Monate.
An der Spitze der Verwaltung einer jeden Provinz steht ein königlicher Kommissar (früher Gouverneur genannt). Jede Provinz wird durch Provinzialstände vertreten, deren Mitglieder auf sechs Jahre gewählt werden. Die Obrigkeit jeder Gemeinde besteht aus einem Rat von 7-39 Mitgliedern, einem Bürgermeister und Schöffen (Wethouders). Der Bürgermeister wird vom König auf sechs Jahre ernannt, die Schöffen werden vom Rat aus seiner Mitte auf dieselbe Zeit gewählt.
Die Wahl der Ratsherren geschieht durch die Bürgerschaft. Eine eigentümliche Behörde sind die Waterschappen, welche die Aufsicht über Dämme, Teiche, Polder, Flüsse etc. führen. Die Niederlande sind in zwei Inspektionen (zusammen elf Wasserdistrikte) eingeteilt, mit je einem Inspektor an der Spitze. Der oberste Gerichtshof ist der Hohe Rat (Hooge Raad) im Haag, zugleich allgemeiner Kassationshof. Unter ihm stehen die fünf Provinzialgerichte; von diesen ressortieren die Bezirksgerichtshöfe (Arrondissementsregtbanken), 23 an der Zahl, von diesen endlich die 106 Einzelrichter (Kantonregters). Es besteht Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens, eine Staatsanwaltschaft, Beweistheorie, aber ohne Schwurgerichte.
Die »allgemeine Rechenkammer« im Haag kontrolliert die Ausgaben und Einnahmen des Staats und ist als selbständige Behörde keinem Ministerium untergeordnet. Das Budget für 1887 beläuft sich in den Einnahmen auf 115,973,075 Guld., in den Ausgaben auf 132,257,559 Guld. Unter den Einnahmen waren die Hauptposten: direkte Steuern (Grund-, Personal- und Patentsteuer) 26,623,000, Accise 42,340,000 und Stempel, Enregistrement und Erbsteuer 22,003,500 Guld.;
unter den Ausgaben figurierten das königliche Haus mit 650,000, die Verzinsung der Staatsschuld mit 33,871,314, das Kriegsministerium mit 20,386,939, das Marineministerium mit 12,336,556, Handelsministerium mit 23,666,896, Finanzministerium mit 23,323,245, Ministerium des Innern mit 10,195,018 Guld. Die Verwaltung der Provinzen kostete 1886: 6,692,000 Guld., wozu die Provinzen selbst 6 Mill. Guld. beisteuerten.
Die Einnahmen der Gemeinden beliefen sich 1886 auf 75 Mill., die Ausgaben auf 68½ Mill. Guld. Die Staatsschuld hat eine eigentümliche Entwickelung gehabt. Bei der Invasion der Franzosen 1795 betrug die Schuld der Republik 787 Mill. Guld. und stieg bis Ende 1803 infolge von Erpressungen und Zwangsanleihen bis auf 1126 Mill. Bei der Einverleibung der Niederlande in das französische Kaiserreich wurde diese noch um 90 Mill. vermehrte Schuld von Napoleon auf ein Drittel reduziert und belief sich infolgedessen beim Abzug der Franzosen 1814 auf 575 Mill. Guld. Unter Wilhelm I. wurden zwar die gewaltsam beseitigen zwei Drittel wieder anerkannt, jedoch bis zur Abtragung des ersten Drittels und der neuen Schuld als unverzinslich erklärt. 1836 sah man sich genötigt, die Kolonien als Hypothek für die Staatsschuld zu erklären. Endlich erlangte Holland eine wesentliche Erleichterung, indem Belgien zufolge des Vertrags vom eine jährliche Rente von 5 Mill. Guld. übernehmen mußte, und 1850 begann eine energische Schuldentilgung. Anfang 1846 betrug das Schuldkapital 1231,12 Mill., 1864: 1015,29 Mill., 1876: 924,3 Mill., 1887 dagegen wieder 1059 Mill. Guld., wozu noch 15 Mill. Guld. Papiergeld kommen.
Heer und Flotte.
Die Kriegsmacht der Niederlande besteht aus dem europäischen und dem indischen Heer und der Marine. Das erstere und die Marine ergänzen sich durch Aushebung (mit fünfjähriger Dienstpflicht vom 20. Jahr an) und Losung mit gestatteter Stellvertretung und vielen Befreiungen oder durch freiwilligen Eintritt, das indische Heer durch Werbung. Die Landmacht zerfällt in stehendes Heer, Schutterij und Landsturm. Die Bürgerwehr (Schutterij) ist zur Verteidigung des Landes im Krieg und zur Erhaltung der innern Ruhe bestimmt; in ihr muß jeder Staatsangehörige vom Beginn des 25. Lebensjahrs 10 Jahre lang dienen, darunter 5 Jahre in den Gemeinden mit mehr als 2500 Einwohnern aktiv.
Der Landsturm umfaßt alle Waffenfähigen von 19-50 Jahren. Die Formation der Armee (ohne die Kolonialtruppen) war Ende 1886: 1) Infanterie, 1 Regiment Grenadiere und Jäger zu 4 Bataillonen (à 5 Kompanien und 2 Depotkompanien), 8 Linienregimenter à 5 Bataillone (jedes zu 4 Kompanien) und 1 Depot (5 Kompanien), 1 Lehrbataillon;
2) Kavallerie, 3 Husarenregimenter (à 5 Eskadrons, 1 Reserveeskadron und 1 Depot);
3) Artillerie, 3 Regimenter Feldartillerie (à 6 oder 8 Batterien, 1 Depot-, 1 oder 2 Trainkompanien), 1 Regiment reitende Artillerie (4 Batterien und 1 Depot), 4 Regimenter Festungsartillerie (mit 42 Kompanien), 1 Pontonierkorps (2 Kompanien);
4) Geniewaffe, 1 Bataillon Sappeure und Mineure (5 Kompanien);
5) Marechausseekorps (Sicherheitstruppe) etc. Die Schutterij begreift 132 Bataillone, 53 selbständige Infanterie- und 26 Artilleriekompanien. Stärke des Landheers: Armee:
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Infanterie 43,896, Kavallerie 4030, Artillerie 14,332, Genie und Pontoniere 1527, sonstige Branchen 1018, zusammen 64,803 Mann; Schutterij: aktive 38,188, nicht aktive 77,103 Mann. Die ostindische Armee zählte 1886: 1371 Offiziere und 29,049 Soldaten. Die Landesverteidigung stützt sich nach Gesetz vom auf folgende 9 zusammenhängende Befestigungslinien: die neue holländische Wasserlinie;
die Stellung im Gelderland und in der Nieder-Betuwe;
die Stellung des Hollandsch-Diep und Volkerak;
die Stellung an den Mündungen der Maas und des Haringvliet;
die am Helder;
die Werke zur Deckung der Übergänge über Yssel, Waal und Maas;
die Stellung von Amsterdam;
die Wasserlinie von der Maas oberhalb St. Andries bis zum Amer unterhalb Geertruidenberg;
die Werke an der Schelde.
Die Flotte zählte im Juli 1887: 144 Schiffe (darunter 24 Panzerfahrzeuge, 30 Kanonen- und 27 Torpedoboote) mit 7204 Mann;
außerdem 2287 Milizsoldaten und 876 Eingeborne in Ostindien.
Kolonien, Wappen und Orden.
Die niederländischen Kolonien teilen sich in die ostindischen und westindischen (mit Surinam). Die ostindischen Kolonien: die Großen Sundainseln (Java und Madura, Sumatra, Borneo und Celebes), die Kleinen Sundainseln (Bali, Lombok, Sumbawa, Flores, Timor, Sumba oder Sandelhout) und die Molukken, umfassen mit den dazu gehörigen kleinern Inseln 1,856,616 qkm (33,718 QM.) mit einer Bevölkerung von ca. (1886) 29,000,000 Einw. (Genaueres s. Niederländisch-Indien); die westindischen: Curassao, Aruba, St. Martin, Bonaire, St. Eustach und Saba, 1130 qkm (20,46 QM.) mit 44,734 Einw.;
Surinam (Niederländisch-Guayana) 119,321 qkm (2167 QM.) mit 74,132 Einw. Die ostindischen Besitzungen ergaben nach dem Budget von 1887 eine Einnahme von 133½ Mill. Guld. gegenüber einer Ausgabe von 136,9 Mill. Guld. Von den westindischen war die Einnahme für Surinam in 1887 geschätzt auf 1,307,143 Guld., die Ausgabe auf 1,614,232 Guld.;
für die Inseln die Einnahme und Ausgabe auf 635,051 Guld. Mithin erforderten die Kolonien vom Mutterland einen Zuschuß von 3⅔ Mill. Guld. S. Karte »Kolonien«. [* ]
Das königliche Wappen ist der goldene schreitende Löwe des Hauses Nassau mit ausgestreckter Zunge, auf azurblauem Feld, mit einem goldenen Block und dem Wahlspruch: »Je maintiendrai« (s. Tafel »Wappen«). Die Staatsflagge besteht aus drei horizontal laufenden Streifen: rot, weiß, blau (s. Tafel »Flaggen«). Die Nationalfarbe und das Feldzeichen sind Orange. Ritterorden sind der militärische Wilhelmsorden gegründet) mit vier Klassen und der Orden des niederländischen Löwen gegründet, s. Tafel »Orden«, Fig. 15) mit drei Klassen. Außerdem werden verschiedene Kreuze und Medaillen an Militär- und Zivilpersonen verliehen. Die 1811 aufgehobene Deutschordensballei wurde durch Dekret vom wiederhergestellt.
Vgl. van Heusden, Handboek de aardrijkskunde, staatsinrigting etc. van het koningrijk der Nederlanden (Haarl. 1866);
Staring, De bodem van Nederland (das. 1856-60, 2 Bde.);
Derselbe, Voormaals en thans (hrsg. von van Pesch, Zwolle 1878);
Witkamp, Aardrijkskundig Woordenboek van Nederland (1871 ff.);
Beekman, Nederland als polderland (Zütphen 1884; neue Ausg.: »De strijd om het bestaan«, das. 1887);
Bädeker, Reisehandbuch für Belgien und Holland (17. Aufl., Leipz. 1885);
de Hartog, Staatsrecht des Königreichs der Niederlande (Freiburg 1886);
Bürger, Les musées de la Hollande (Par. 1858-60, 2 Bde.);
Steyn-Parvé, Organisation de l'instruction dans le royaume des Pays-Bas (Leiden 1878);
Lauer, Entwickelung des niederland.
Volksschulwesens (Berl. 1885);
»Statistische jaarboeken voor het koninkrijk der Nederlanden« (Gravenh. 1851 ff.);
»Algemeene statistiek van Nederland« (Leid. 1870-73, 2 Bde.);
»Jaarcijfers, uitgegeven door het Statistisch Instituut der Vereeniging voor de Statistiek in Nederland« (39. Jahrgang 1886).
Kartenwerke: Topographische en militaire kaart (1:50,000, 62 Blatt, 2. Aufl. 1871 ff.);
Waterstaatskaart van Nederland (1:50,000, seit 1865);
Topographischer Atlas der Niederlande (1:200,000, 1868-71);
Staring, Geologischer Atlas (1:200,000, 24 Bl., 1859-69);
Kuyper, Atlas van de Nederlanden en de overzee'sche besittingen (Leeuw. 1865-68).
Geschichte.
Das Gebiet der Niederungen zwischen den weitverzweigten Mündungen des Rheins, der Maas und Schelde, dessen Küste damals noch nicht so zerrissen war wie jetzt, wurde in ältester Zeit von den Belgen (südlich vom Rhein), den Batavern und Friesen (nördlich vom Rhein) bewohnt. Die Römer unterwarfen die Niederlande bis zum Rhein und behaupteten sich trotz des Aufstandes der Bataver unter Claudius Civilis (70 n. Chr.) bis um 400, wo die Franken den Rhein überschritten und der südlichen Niederlande sich bemächtigten, während die Friesen, welche um den Zuidersee, damals noch ein Binnensee, bis zur Ems wohnten, ihre Unabhängigkeit bewahrten.
Nachdem auch sie von Karl Martell, Pippin und Karl d. Gr. im 8. Jahrh. zum Christentum bekehrt und zur Anerkennung der fränkischen Oberhoheit gezwungen worden, gehörten die ganzen Niederlande zum fränkischen Reich, wurden im Vertrag von Verdun 843 dem mittlern Reich Lothars I. zugeteilt und bildeten nach dessen Tod (855) den Hauptteil des Reichs seines Sohns Lothar II., Lotharingiens. Doch wurde dieses nach Lothars II. Tod schon 870 zwischen Ost- und Westfranken so geteilt, daß jenes den größten, deutsch redenden Teil, dieses bloß das Gebiet links der Schelde, Artois und Flandern, empfing. Die Niederlande gehörten seitdem als ein Teil des Herzogtums Lothringen zum Deutschen Reich.
Als die Herzogsgewalt im 11. Jahrh. oft ihre Inhaber wechselte und ihre Macht verlor, entstanden auch in den Niederlanden wie im übrigen Deutschland zahlreiche kleinere Gemeinwesen, freie Bauernschaften, Bistümer und Abteien, Grafschaften und Herzogtümer, vor allem mächtige Städte, welche, durch Industrie und Handel blühend, sich von den Grafen und Herzögen Freibriefe und Privilegien ertrotzten, sich von aus den angesehensten Bürgern (vroedschappen) gewählten Schulzen (schout) und Schöffen regieren ließen und das vlämische Quartier der Hansa bildeten.
Nur mit Mühe behaupteten die Herzöge und Grafen dadurch eine gewisse Oberherrlichkeit, daß sie die Prälaten, den Adel und die Städte ihres Landes, die Stände oder Staaten, zu einem Landtag versammelten. Die Staaten bewilligten Geldbeihilfen (beden) und gaben ihren Rat in allen Landesnöten, vermehrten aber dafür bei der Blyde incomste (joyeuse entrée) jedes neuen Fürsten ihre Rechte und Privilegien und ergriffen oft selbst die Zügel der Regierung; dem Landesherrn blieben oft nur eine Oberaufsicht und das Recht der Heerführung sowie das, die Beamten aus den Listen der Vroedschappen zu wählen.
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Herrschaft der Häuser Burgund und Habsburg.
Im 14. Jahrh. begann das Haus der burgundischen Valois die niederländischen Provinzen durch Heirat und Verträge unter seinem Zepter zu vereinigen: zuerst 1384 durch die Heirat mit der Erbin des Grafen von Flandern diese große Grafschaft nebst Artois und Mecheln, 1427 Namur, 1428 Holland, Friesland, Zeeland und Hennegau, 1430 Brabant und Limburg, 1443 Luxemburg. Im Besitz dieser elf Provinzen suchte Philipp der Gute (1419-67) denselben eine einheitliche Verfassung zu geben. 1437 berief er die ersten Generalstaaten, eine Versammlung von Abgeordneten der Provinziallandtage (Staaten); dieselben, allmählich immer häufiger, zuletzt fast alljährlich berufen und meist in Brüssel oder Mecheln tagend, bewilligten die Beden für die gesamten Niederlande und verteilten den Betrag auf die einzelnen Provinzen.
Die Südprovinzen, vor allen Brabant, hatten das Übergewicht. In Brüssel hielten die Herzöge ihren glänzenden Hof; Brabant regierten sie selbst, die übrigen Provinzen Statthalter. Doch führten sie als Beherrscher der Niederlande noch keinen besondern Titel, und dieselben waren noch so wenig zu einem Einheitsstaat verschmolzen, daß jede Provinz die andre als Ausland betrachtet und keinen Beamten aus derselben duldete. Nach der stürmischen Regierung Karls des Kühnen (1467-77), der Gelderland und Zütphen erwarb, fielen die Niederlande durch die Vermählung seiner Erbin Maria mit Maximilian von Österreich an das Haus Habsburg.
Diesen Wechsel des Herrscherhauses benutzten die Provinzen zur Vermehrung ihrer Rechte. Maria mußte sich ihre Hilfe durch große Zugeständnisse erkaufen, z. B. durch das »große Privilegium« an die Staaten von Holland, und nach ihrem Tod (1482) brachen gegen die vormundschaftliche Regierung Maximilians für seinen Sohn Philipp den Schönen Unruhen aus: in Holland erhob sich die Partei der Hoeks wieder, die Bürger von Brügge nahmen 1488 Maximilian sogar gefangen und preßten ihm den Verzicht auf die Vormundschaft zu gunsten der Staaten von Flandern ab. Indes mit Hilfe des Herzogs Albrecht von Sachsen, der 1491 zum Erbstatthalter von Friesland ernannt wurde, gelang es Maximilian, der Empörungen Herr zu werden und auch Artois zu behaupten, das der französische König Ludwig XI. als erledigtes Lehen einzuziehen versucht hatte. 1493 übernahm Philipp selbst die Regierung der Niederlande; unter ihm riß sich Gelderland unter Herzog Karl wieder los (1499).
Nach Philipps frühem Tod (1506) führte seine Schwester Margarete die Regierung für den sechsjährigen Karl, den spätern Kaiser Karl V., und blieb auch, nachdem derselbe 1515 mündig und Herrscher geworden, Statthalterin in den Niederlanden bis zu ihrem Tod (1531), worauf Karls Schwester, die verwitwete Königin Maria von Ungarn, ihr in der Statthalterschaft folgte. Karls Herrschaft war die Blütezeit der Niederlande. Er erwarb Overyssel und die Utrechter Stiftslande (1517), kaufte Albrechts Sohn Georg von Sachsen seine Rechte auf Friesland ab und erlangte 1538 auch Groningen und Gelderland zurück, so daß er die 17 Provinzen: Brabant, Limburg, Luxemburg, Gelderland, Flandern, Artois, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur, Zütphen, Ost- und Westfriesland, Mecheln, Utrecht, Overyssel und Groningen unter seinem Zepter vereinigte.
Karl, zu Gent geboren, galt den Niederländern als ihr Landsmann und ließ sich auch gern so nennen. In seinem Weltreich konnten die Niederländer ungehindert Handel treiben und rissen einen großen Teil des Weltverkehrs, als dessen Mittelpunkt Antwerpen gelten konnte, an sich. Neben Handel und Gewerbe blühten auch Ackerbau, Viehzucht und Fischerei, Künste und Wissenschaften. Auch die politische Verschmelzung machte Fortschritte: in Mecheln wurde ein oberstes Tribunal sowie eine Rechenkammer für die Niederlande errichtet;
nachdem Artois und Flandern von der französischen Oberlehnshoheit befreit und die nordöstlichen Provinzen vom westfälischen Kreis losgelöst worden, erhob Karl durch den Augsburger Vertrag (1548) die 17 Provinzen zu einer staatsrechtlichen Einheit, dem nur lose mit dem Deutschen Reich verbundenen burgundischen Kreis, der nach der Pragmatischen Sanktion von 1549 immer vereinigt und von Einem Fürsten beherrscht sein sollte.
Dabei wahrte Karl seine fürstlichen Rechte mit Entschiedenheit und schritt gegen trotzigen Widerstand mit Strenge ein; 1540 unterwarf er seine Geburtsstadt Gent mit blutiger Energie. Die kirchliche Reformbewegung suchte er durch grausame Verfolgung und Hinrichtung von Tausenden ihrer Anhänger von den Niederlanden abzuhalten. Ungeheure Summen (für einen Krieg 40 Mill. Dukaten) zog er aus den Bewilligungen der Generalstaaten.
Der Aufstand gegen Spanien.
Bei der Teilung des habsburgischen Weltreichs nach der Abdankung Karls V. fielen die Niederlande an Spanien. Der neue Herrscher, Philipp II., stieß durch seinen Hochmut, sein steifes Wesen die Niederländer von sich ab, behandelte die Generalstaaten in herrischer Weise, verletzte die Privilegien der einzelnen Provinzen und erbitterte das Volk durch die rücksichtslose Härte, mit der er die Ketzeredikte ausführen ließ. Als er 1559 sich nach Spanien begab, ernannte er seine Halbschwester Margarete von Parma zur Statthalterin und gab ihr einen Ausländer, den Kardinal Granvelle, als einflußreichsten Ratgeber bei.
Dadurch verletzte er den hohen Adel. Gegen Granvelle richtete sich daher die allgemeine Opposition, als die Verzögerung des Abmarsches der spanischen Truppen, die neue Einteilung der niederländischen Kirche in drei Erzbistümer und 14 Bistümer, die Einführung der Inquisition und die Verkündigung der Beschlüsse des Trienter Konzils als Staatsgesetze die Unzufriedenheit immer mehr steigerten. Durch das Eindringen des glaubenseifrigen streitbaren Calvinismus in den Niederlanden erhielt die religiöse Bewegung eine größere Kraft.
Granvelles Entlassung 1564 beschwichtigte die Gemüter nicht, und die schroffe Ablehnung jeder Milderung der religiösen Strafedikte durch Philipp hatte die Vereinigung zahlreicher Edelleute zum Kompromiß vom zur Folge, in welchem sie sich zur Treue gegen den König und zur Verteidigung der Rechte und Freiheiten der Niederlande verbanden; überreichten sie der Regentin eine Bittschrift, in der sie Milderung der Religionsedikte und Abschaffung der Inquisitionsgerichte verlangten. Margarete suchte durch Nachgiebigkeit und Mäßigung zu beschwichtigen, aber schon war es zu spät. Aus dem Kompromiß entstand der Geusenbund, der am 28. Juli unbedingte Religionsfreiheit forderte, und im August 1566 kam es im Bildersturm in Flandern zu einem gewaltsamen Ausbruch der lange gärenden Bewegung.
Hierauf sandte Philipp den Herzog von Alba mit 10,000 Soldaten nach den Niederlanden, der im August 1567 seinen Einzug in Brüssel hielt. Niemand wagte Widerstand; der Geusenbund löste sich auf, einer der Führer des hohen Adels,
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Wilhelm von Oranien, begab sich nach Deutschland, zwei andre, Egmond und Hoorne, wurden 5. Sept. verhaftet. Nachdem Margarete im Dezember ihre Würde niedergelegt hatte, ward die gesamte öffentliche Gewalt in den Niederlanden Alba übertragen, der nun zur Ausführung der von Madrid befohlenen Schreckensregierung schritt. Er setzte einen »Rat der Unruhen« ein, den das Volk den »Blutrat« nannte, und der ohne Rücksicht auf Gesetz und Recht Tausende dem Schafott überlieferte; Egmond und Hoorne wurden in Brüssel hingerichtet.
Ein Versuch Wilhelms von Oranien und seines Bruders Ludwig von Nassau, durch Einfälle in Brabant und Friesland einen Aufstand in den Niederlanden hervorzurufen, scheiterte an der Überlegenheit der spanischen Truppen. Zahlreiche Einwohner flüchteten ins Ausland. Alba schlug dem Handel und Gewerbfleiß weitere Wunden, indem er eine drückende Steuer von 1 Proz. am Vermögen, 5 Proz. von erkauftem Grundeigentum und 10 Proz. von jedem Warenumsatz einführte. Endlich glückte es den Meergeusen, kühnen Freibeutern, sich der Stadt Brielle an der Mündung der Maas zu bemächtigen, welchem kühnen Handstreich der Abfall der festen Stadt Vlissingen und des größten Teils von Zeeland sowie kurze Zeit darauf der meisten Städte Hollands folgte.
Am traten die Abgeordneten von 12 Städten und mehrere vom Adel in Dordrecht zusammen, erkannten Wilhelm von Oranien als Statthalter von Holland, Zeeland und Utrecht an und schlossen einen Bund zu gemeinsamer Verteidigung ihrer Freiheit unter seiner Führung. Die Spanier rächten sich durch blutige Züchtigung der Städte Zütphen, Naarden und Haarlem, wogegen die spanische Flotte auf dem Zuidersee von der niederländischen vernichtet wurde.
Alba wurde zwar 1573 abberufen, der neue Statthalter, Requesens, setzte indes nach einigen vergeblichen Versöhnungsversuchen die gewaltsame Unterwerfung der Aufständischen energisch fort. In der unglücklichen Schlacht auf der Mooker Heide fielen Oraniens Brüder Philipp und Heinrich von Nassau. Dagegen wurden die Spanier durch die Eroberung von Middelburg (21. Febr.) aus Zeeland und durch den Entsatz von Leiden (3. Okt.) aus Holland vertrieben. Die zügellosen Ausschreitungen der spanischen Truppen nach Requesens' Tod bewogen auch die südlichen Provinzen, sich gegen Spanien zu erklären und sich auf Andringen Oraniens mit Holland und Zeeland durch die Pazifikation von Gent (November 1576) zur Vertreibung der Spanier und Aufrechterhaltung ihrer Freiheiten und Privilegien zu verbinden. Der neue Statthalter, Don Juan d'Austria, mußte die Genter Pazifikation durch das ewige Edikt (Febr. 1577) bestätigen und die spanischen Truppen entlassen, ehe er 1. Mai Brüssel einziehen durfte.
Doch erlangte er weder die Zustimmung des Königs zu seiner versöhnlichen Politik, noch gewann er das Vertrauen des Volkes, das Oranien als seinen Retter und Herrn begrüßte und ihn zum Ruwart von Brabant ernannte. Nur war ein Teil des brabantischen Adels auf ihn eifersüchtig und rief den Erzherzog Matthias von Österreich, Kaiser Rudolfs II. Bruder, zum Statthalter aus, während es in Hennegau, Artois und Südflandern zum heftigen Zwist zwischen den Calvinisten und den Katholiken (Malkontenten) kam, welch letztere im August 1578 den franz. Prinzen Franz von Anjou ins Land riefen.
Gründung der Republik der Vereinigten Niederlande.
Während dieses Wirrwarrs starb Juan d'Austria Sein Nachfolger Alexander Farnese von Parma, ein ebenso ausgezeichneter Feldherr wie kluger Politiker, benutzte geschickt die Zwistigkeiten unter den Niederländern und die Eifersucht der Befehlshaber gegeneinander, sprengte die Genter Pazifikation und machte die Vereinigung sämtlicher Provinzen zu Einem Bundesstaat mit nationaler und religiöser Freiheit unmöglich. Dem katholischen Bunde der wallonischen Provinzen gegenüber verbanden sich die sieben nördlichen Provinzen: Holland, Zeeland, Utrecht, Gelderland, Groningen, Overyssel und Friesland, zu der Union von Utrecht und sagten nach der Ächtung Oraniens im Haager Manifest vom dem König von Spanien den Gehorsam auf.
Die mittlern Provinzen schwankten, schlossen sich eine Zeitlang teilweise der Utrechter Union an und wählten endlich den Herzog von Anjou zum Oberhaupt, der sich aber durch seine Herrschsucht so verhaßt machte, daß er im Juni 1583 zum zweitenmal die Niederlande verlassen mußte. Wilhelm von Oranien wurde in Delft ermordet, noch ehe die neue Verfassung der Niederlande vom welche dem Oranier als erblichen Grafen die freilich beschränkten landesherrlichen Rechte übertrug, beschworen worden war.
Parma unterwarf sich jetzt Flandern und Brabant und eroberte Antwerpen, so daß die Union sich um Schutz an Elisabeth von England wandte, die den Grafen von Leicester als Oberstatthalter mit 6000 Mann Hilfstruppen sandte. Dieser verfolgte aber nur selbstsüchtige Herrschaftspläne und führte den Krieg mit Spanien so lau und unglücklich, daß die Spanier Herren des ganzen Laufs der Maas bis zur holländischen Grenze wurden. Endlich wich er dem allgemeinen Unwillen und verließ im Dezember 1587 die Niederlande. Der Ratspensionär von Holland, Johan van Oldenbarneveldt, bewirkte nun, daß Wilhelms ältester Sohn, der junge Prinz Moritz von Oranien, zum Statthalter von Holland und Zeeland ernannt und mit der Führung des Kriegs beauftragt ward.
Derselbe nahm infolge des Feldherrntalents des jungen Prinzen eine immer günstigere Wendung, zumal sich Philipp gleichzeitig in einen Krieg mit England und Frankreich einließ. Moritz errang bei Nieuwpoort einen glänzenden Sieg und eroberte eine Stadt nach der andern. Gleichzeitig schlugen die niederländischen Flotten die Spanier auf den Meeren und eroberten die portugiesischen Kolonien in Ostindien. Unter diesen Umständen schloß Erzherzog Albrecht, dem Philipp II. 1598 die Niederlande überlassen hatte, mit den Niederlanden einen zwölfjährigen Waffenstillstand ab.
Die Verfassung der Republik der Vereinigten Niederlande ging aus der Utrechter Union, einem Kriegsbündnis, hervor und litt daher an mancherlei Mängeln. Träger der Souveränität waren die Provinzen, deren Staaten aus dem nur in den östlichen Provinzen zahlreichen Adel und den Vertretern des städtischen Patriziats, einer Oligarchie von 2000 Souveränen, gebildet waren, und denen ein Syndikus (Raadpensionaris, d. h. besoldeter Rat) zur Seite stand. Die Deputierten der Provinzialstaaten, die hochmögenden Herren Regenten, bildeten die Generalität oder die Generalstaaten, welche seit 1593 sich im Haag versammelte und die vollziehende Gewalt innehatten, die unter ihrer Autorität von den Statthaltern ausgeübt ward. Ein ebenfalls aus
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provinzialständischen Abgeordneten zusammengesetzter Staatsrat leitete die finanziellen Angelegenheiten, während die Admiralitäten von Holland und Zeeland dem Marinewesen vorstanden. Wie in den Provinzial-, war auch in den Generalstaaten Einstimmigkeit bei wichtigen Beschlüssen erforderlich, und die Regenten waren an die Lastbriefe (Instruktionen) ihrer Auftraggeber gebunden. Vermöge ihres Reichtums und ihrer großen Bevölkerung (2 Mill.) übte die Provinz Holland und in dieser wieder Amsterdam ein natürliches Übergewicht aus.
Doch wahrten die Provinzen eifersüchtig ihre Souveränitätsrechte, beanspruchten das Recht diplomatischer Vertretung im Ausland und verhinderten die Stärkung der Zentralgewalt. Auf jede Erweiterung der Union verzichtete man; ja, die später den Spaniern entrissenen Teile Gelderlands, Brabants und Flanderns sowie Drenthe wurden nicht in sie aufgenommen, sondern als unterthänige Lande vom Staatsrat im Namen der Generalität (daher Generalitätslande) regiert.
Trotzdem errang dies unfertige Staatswesen große Erfolge durch die Weisheit und Vaterlandsliebe seiner Staatsmänner und durch die kriegerische Tüchtigkeit sowie die uneigennützige Hingebung der Oranier, welchen zwar die erbliche Grafenwürde nicht wieder übertragen wurde, die aber als Statthalter der meisten Provinzen und als Oberbefehlshaber der Armee einen großen moralischen Einfluß im Sinn einheitlicher Politik ausübten. Dies war um so notwendiger, als es an Parteistreitigkeiten nicht fehlte.
Die Partei der Patrioten, geleitet von Oldenbarneveldt und aus der städtischen Aristokratie namentlich Hollands bestehend, erstrebte einen lockern Bund ohne monarchische Spitze und Aufrechterhaltung der Partikularrechte der Provinzen, um Hollands Übergewicht zu behaupten; die statthalterliche Partei, zu welcher das von den politischen Rechten ausgeschlossene niedere Volk, der Adel und das Heer gehörten, wollte dem Haus Oranien eine erbliche monarchische Gewalt übertragen.
Da es dem Prinzen Moritz an politischem Ehrgeiz fehlte und er sich mit seiner bescheidenen Stellung begnügte, so wäre es nicht so bald zu einem Konflikt gekommen, wenn sich nicht die holländischen Patrioten in dem kirchlichen Streit zwischen den freisinnigen Arminianern und den orthodoxen Gomaristen (s. d.) für die erstern erklärt, der Dordrechter Synode ihre Anerkennung versagt und zur Verteidigung ihres schroff partikularistischen Standpunktes Truppen aufgeboten hätten. Um das eifrig calvinistische Volk, das im Arminianismus Kryptokatholizismus witterte, zu beruhigen, schritt Moritz ein und ließ die Häupter der holländischen Aristokratie, Oldenbarneveldt, Hugo Grotius und Hoogerbeets, verhaften; ersterer wurde wegen Hochverrats hingerichtet, letztere zu ewigem Gefängnis verurteilt.
Nicht lange nach dem Wiederausbruch des Kriegs mit Spanien (1621) starb Moritz von Oranien Ihm folgte als Erbstatthalter der fünf Provinzen Holland, Zeeland, Utrecht, Gelderland und Overyssel sein Bruder Friedrich Heinrich, während die Provinzen Friesland und Groningen schon früher den Grafen Ernst Kasimir von Nassau zum Statthalter gewählt hatten. Prinz Friedrich Heinrich stellte den innern Frieden her, indem er den Religionsverfolgungen Einhalt that, die Verbannten zurückrief und die Eingekerkerten in Freiheit setzte.
Der Krieg gegen Spanien wurde mit Glück fortgeführt und durch den gleichzeitigen Kampf gegen das Haus Habsburg in Deutschland sowie durch ein Bündnis mit Frankreich (1635) erleichtert. Herzogenbusch, Wesel, Maastricht und Breda wurden erobert, der spanischen Flotte mehrere Niederlagen beigebracht und durch Wegnahme der Silberflotte (1628) ansehnliche Beute gemacht. Das erschöpfte Spanien zeigte sich endlich zum Frieden geneigt, der nach 80jährigem Krieg 1648 in Münster zu stande kam. Die Niederlande wurden als unabhängiger Staat anerkannt, behielten ihre Eroberungen in Belgien und den beiden Indien und erlangten vollkommene Handelsfreiheit in allen spanischen Häfen; auch die Verbindung mit dem Deutschen Reich wurde formell für immer gelöst.
Höchste Macht und Blüte der Niederlande.
Während ihres Freiheitskampfes waren die Niederlande das reichste Land Europas geworden, ihr Handel und ihre Industrie beherrschten die Welt; auch ihre bewaffnete Macht war eine bedeutende, und Künste und Wissenschaften standen in der höchsten Entwickelung. Der Kolonialbesitz der Handelskompanien hatte eine überraschende Ausdehnung gewonnen und wurde von den Niederländern mit rücksichtslosem Krämersinn ausgebeutet. Die Sundainseln, Ceylon, die Kapkolonie waren im Besitz der Ostindischen Kompanie; die Westindische eroberte sogar 1636 Brasilien, das sie indes nicht lange behauptete.
Die Handelsflotte der Niederlande zählte 1634: 35,000 Schiffe mit 2 Mill. Lasten. Hand in Hand mit dem Welthandel ging die Großindustrie, deren Fabrikate sich über die ganze Erde ausbreiteten. 300 Mill. Gulden in Metall lagen 1648 in den Kellern der Amsterdamer Girobank. Der Geldreichtum war so groß, daß der Zinsfuß auf 2-3 Proz. stand und selbst der berüchtigte Tulpenschwindel dem Nationalwohlstand nicht schadete. Die ungeheuern Kriegskosten wurden durch zahlreiche hohe Steuern (in Holland 25 Proz. von allen Geldrenten, 100 Proz. von Bier und Wein) leicht und ohne Beschwerde aufgebracht. Der unbedingten Freiheit des Handels und Verkehrs entsprach die Freiheit des Glaubens, der Wissenschaft und der Presse, welche die Niederlande zum Zufluchtsort aller Verfolgten und des anderswo unterdrückten freien Wortes machte.
Prinz Wilhelm II. von Oranien, der 1647 seinem Vater Friedrich Heinrich als Statthalter gefolgt war, verweigerte nach dem Westfälischen Frieden die von den Staaten von Holland geforderte Verminderung des stehenden Heers und der Abgaben und ließ sechs Mitglieder der aristokratischen Partei verhaften; seine Absicht war die Errichtung einer Alleinherrschaft. Als er aber 1650 ohne Erben starb (erst nach seinem Tod wurde ihm ein Sohn, Wilhelm III., geboren), nahm die aristokratische oder Loevesteinsche Partei (so genannt nach der Festung, wohin die Oranier ihre Gegner in Haft zu schicken pflegten) die Gelegenheit wahr, auf der Großen Versammlung (Groote Vergadering), einer außerordentlichen Zusammenkunft der Deputierten der sieben Provinzen, 1651 den Beschluß, die Statthalterwürde nicht wieder zu besetzen, zur Annahme zu bringen.
Ja, die aristokratische Partei, an deren Spitze seit 1653 der Ratspensionär von Holland, Johan de Witt, stand, ließ sich dazu herbei, den Frieden mit England, das 1652 einen Seekrieg gegen die Niederlande begonnen hatte, 1654 durch eine geheime Akte (acte van seclusie) zu erkaufen, welche das Haus Oranien von jedem Staatsamt ausschloß; das ewige Edikt (1667) der Staaten von Holland und die Harmonieakte der Generalstaaten (1670) trennten für immer die Statthalterwürde von dem Amte des Oberbefehlshaber und machten die erstere macht- und wertlos.
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Der erste Seekrieg mit England (1652-54) war durch die von Cromwell erlassene Navigationsakte (1651) herbeigeführt worden, welche der Schiffahrt der Niederlande nach England einen tödlichen Streich versetzte; er wurde mit größter Erbitterung geführt, fügte den Niederlanden ungeheuern Schaden zu (1600 Schiffe wurden von den Engländern gekapert) und endete nach mehreren Niederlagen der niederländischen Flotte mit der Anerkennung der Navigationsakte. De Witt richtete die Hauptkraft der Niederlande auf die Wahrung der Schiffahrts- und Handelsinteressen gegen die gefährliche Nebenbuhlerschaft Englands und begann 1664 zur Abwehr englischer Übergriffe einen zweiten Seekrieg, der, von beiden Seiten mit Aufbietung aller Kräfte und mit wechselndem Erfolg geführt, im Frieden von Breda ohne Entscheidung über die Seeherrschaft endete.
Die Landmacht vernachlässigt die republikanische Regierung im Vertrauen auf das französische Bündnis, sah sich aber doch genötigt, als Ludwig XIV. 1667 die spanischen Niederlande besetzte, mit England und Schweden im Januar 1668 die Tripelallianz zu schließen, welche Ludwig im Aachener Frieden zum Verzicht auf den größten Teil seiner Eroberungen zwang. Hierfür beschloß der französische König sich an den Niederlanden zu rächen, bewog in tiefstem Geheimnis England und Schweden zum Bündnis und überfiel im Frühjahr 1672 mit 100,000 Mann vom Niederrhein aus die wehrlose Republik, während Karl II. von England den Krieg zur See erklärte. In wenigen Wochen hatten die Franzosen vier Provinzen erobert; 83 feste Plätze öffneten ihre Thore.
Holland wurde noch im letzten Augenblick durch die Überschwemmung gerettet und der schimpfliche Friede, den die Patriotenpartei abschließen wollte, nur durch den Übermut Ludwigs XIV. vereitelt. Gegen die holländische Aristokratie richtete sich nun der ganze Haß des bestürzten und durch die Grausamkeit des Eroberers zur Verzweiflung getriebenen Volkes. Johan de Witt wurde nebst seinem Bruder Cornelius als Urheber des Unglücks auf gräßliche Weise ermordet, das ewige Edikt abgeschafft und der junge Prinz Wilhelm III. von Oranien zum Statthalter, 1674 auch zum Erbstatthalter erhoben.
Durch die Anspannung aller Kräfte unter der sichern, mutigen Leitung des jungen Prinzen und durch fremde Hilfe, erst des Kurfürsten von Brandenburg, dann des Kaisers und Spaniens, gelang es, die Franzosen aus den Niederlanden wieder zu vertreiben (1674). Wenn die Verbündeten auch im fernern Verlauf des Landkriegs von Mißgeschick verfolgt wurden und sich in der Hoffnung, Frankreichs Macht brechen zu können, täuschten, so wußten die Niederlande doch durch kluge Benutzung der Umstände im Frieden zu Nimwegen (1678), den sie einseitig abschlossen, nicht bloß ihr Gebiet zu behaupten, sondern auch Maastricht zu erwerben und von Frankreich einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen.
Die aristokratische Partei, welche diesen Frieden gegen den Willen des Statthalters durchgesetzt hatte, wünschte wegen der ungeheuern Kriegskosten, die eine drückende Steuerlast nötig machten, Frieden und Bündnis mit Frankreich. Aber Ludwigs XIV. unersättliche Eroberungssucht und seine Unduldsamkeit gegen die Protestanten verhalfen der Politik des Oraniers zum Sieg. Die Niederlande unterstützten die Unternehmung des Prinzen gegen England 1688, welche den Sturz der Stuarts und Wilhelms III. Thronbesteigung in England zur Folge hatte, schlossen sich 1689 der neuen Koalition gegen Frankreich an und nahmen mit Aufbietung aller Kräfte am Kampf teil.
Die Niederlande blieben dem von Wilhelm III. gestifteten Bunde der Seemächte auch nach dessen Tod (1702) getreu und halfen unter der Leitung des Ratspensionärs Heinsius im spanischen Erbfolgekrieg Frankreichs Übermacht brechen. Aber sie opferten hierbei ihre Sonderinteressen denen Europas auf. Sie erschöpften ihre Kräfte in den kostspieligen Kriegen, ohne für sich selbst einen andern Gewinn zu erzielen als den Barrieretraktat von 1713, welcher ihnen das Recht einräumte, die belgischen Festungen an der französischen Grenze zu besetzen. Den Hauptvorteil trug England davon, das, größer und von der Natur mehr begünstigt, seinen Handel und seine Schiffahrt auf Kosten der niederländischen entwickelte und den Bundesgenossen bald überflügelte.
Der Verfall der Republik.
Nach dem Erlöschen der ältern oranischen Linie mit Wilhelms III. Tod (1702) war die Statthalterwürde zum zweitenmal abgeschafft worden und die Leitung der Republik wieder in die Hände der aristokratischen Partei übergegangen, welche nach dem Utrechter Frieden (1713) eine unbedingte Friedenspolitik befolgte, um die Staatsfinanzen zu bessern und Handel und Industrie von neuem zu beleben. Die Land- und Seemacht wurde aufs äußerste beschränkt, was ihren völligen Verfall zur Folge hatte; der kriegerische Geist, damit aber auch Energie und Thätigkeitstrieb erloschen im Volk, und dies wirkte auch auf die gewerblichen Verhältnisse lähmend ein.
Das niedere Volk darbte infolge des Verfalls der Industrie und des Sinkens der Löhne, die Regenten erstickten in Reichtum und Wohlleben und behielten alle öffentlichen Ämter sich und ihren Verwandten vor. Der österreichische Erbfolgekrieg (1741-48) rüttelte die Niederlande aus ihrer trägen Ruhe auf. Sie mußten die belgische Barriere gegen Frankreich schützen; der Krieg wurde jedoch schlaff und ungeschickt betrieben, sämtliche Festungen gingen verloren, und 1747 fielen die Franzosen in Holländisch-Flandern ein, dessen feste Plätze sie eroberten. Da empörte sich das Volk in Holland und Zeeland, vertrieb die aristokratischen Magistrate und rief den Prinzen Wilhelm von Oranien aus der Linie Nassau-Dietz, der bisher Erbstatthalter von Friesland, seit 1718 auch von Groningen und seit 1722 von Gelderland gewesen war, zum Statthalter aus. Diesem Beispiel folgten die übrigen Provinzen, so daß Wilhelm IV. erster erblicher Generalstatthalter der sämtlichen sieben Provinzen wurde; auch erhielt er die Verwaltung der Generalitätslande und das Generalgouvernement von Indien.
Wilhelm IV. starb bereits und hinterließ einen erst dreijährigen Sohn, Wilhelm V., für den seine Mutter, die englische Prinzessin Anna, die Vormundschaft führte, während ihr Verwandter, der Herzog Ludwig von Braunschweig, den Oberbefehl über die Armee erhielt. Nach Annas Tod (1759) nahmen die Staaten der Provinzen die Rechte der Statthalterschaft wahr und befolgten wieder das System unbedingter Neutralität, als der Siebenjährige Krieg ausbrach; nur in Ostindien wurde die Eroberung Ceylons vollendet. 1766 übernahm Wilhelm V. selbst die Regierung, stand aber unter der Leitung des Herzogs Ludwig. Als 1776 die Engländer die abgefallenen amerikanischen Kolonien bekriegten, verlangten sie auf Grund alter Verträge von den Niederlanden Hilfstruppen gegen die Rebellen und erklärten, als die Niederlande dies ablehnten und über ihren Anschluß an die von Rußland errichtete Neutralität
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verhandelten, 1780 den Krieg. Obwohl die Niederlande gänzlich ungerüstet waren, so war wegen des seit langem angesammelten Hasses gegen den eigennützigen, anmaßenden englischen Verbündeten der Krieg sehr populär, und trotz der großen Verluste für Handel und Schifffahrt wurde er mit Entschlossenheit geführt. Wiewohl die Schlacht an der Doggersbank unentschieden blieb, wurden die Friedensanträge Englands abgelehnt und mit den amerikanischen Freistaaten ein Allianz- und Handelsvertrag abgeschlossen.
Aber schließlich ließ Frankreich die Niederlande im Stiche, und diese mußten im Frieden vom England ihr Gebiet auf dem Festland von Vorderindien abtreten, demselben freie Schiffahrt in Ostindien zugestehen und den Grundsatz des Utrechter Friedens: »die Flagge deckt die Ladung«, preisgeben. Die Bedrängnis der Niederlande benutzend, hob Kaiser Joseph II. 1784 den Barrieretraktat auf, ließ die Grenzfestungen schleifen und verlangte die Freigebung der Schelde und die Abtretung von Maastricht. Die Landmacht der Niederlande war in einem solchen Zustand, daß sie einen Krieg gegen Österreich nicht wagen konnten, und sie mußten sich im Vertrag von Paris zur Abtretung von Lillo und Liefkenshoek und zu einer Zahlung von 10 Mill. Gulden verstehen, wogegen sie das Recht behielten, die Schelde zu schließen.
Die Entrüstung über diese Verluste wurde von der aristokratischen oder Patriotenpartei sehr geschickt gegen den Erbstatthalter gelenkt, welchem die Staaten von Holland mehrere Rechte, 1786 sogar die Würde des Generalkapitäns und Admirals, entzogen. Wilhelm V. verließ den Haag, und seine Anhänger verteidigten seine Rechte sogar mit Waffengewalt, indem sie die ihm feindlich gesinnten geldrischen Städte Hattem und Elburg beschossen und besetzten. Als die Erbstatthalterin, die Prinzessin Wilhelmine von Preußen, nach dem Haag reisen wollte, wurde sie von den Patrioten angehalten und zur Rückkehr gezwungen.
Dafür verlangte ihr Bruder, der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, Genugthuung, und als dieselbe im Vertrauen auf die nachher ausbleibende französische Hilfe von Holland in stolzem Ton verweigert wurde, rückten im September 1787: 25,000 Preußen in die Niederlande ein, eroberten in kurzer Zeit Holland und setzten unter dem Jubel des Volkes den Erbstatthalter wieder ein. Die Rechte des Hauses Oranien wurden darauf beträchtlich erweitert und zu einem Grundgesetz der Republik erklärt, auch schloß Wilhelm V. im April 1788 eine ewige Allianz mit England und Preußen.
Die Niederlande während der Revolutionszeit.
Der Ausbruch der französischen Revolution verlieh der niedergeworfenen Patriotenpartei neue Kraft. Zwar nahm Wilhelm V. 1793 eine englische Armee in sein Land auf und schloß sich der Koalition gegen Frankreich an; aber durch die Niederlagen bei Hondschoote (7. und und bei Fleurus den Frost des Winters 1794-95, welcher die Wasserverteidigung unmöglich machte, und durch eine allgemeine Erhebung der Patrioten ward Pichegru die Eroberung der Niederlande erleichtert, und diese erklärten nun die Erbstatthalterwürde für abgeschafft und konstituierten sich als Batavische Republik, einen Einheitsstaat mit einer Gesetzgebenden Versammlung und einem Direktorium.
Mit Frankreich, dessen revolutionäre Institutionen bis ins kleinste nachgeahmt wurden, schloß die Republik ein beständiges Bündnis ab, welches ihr aber große Opfer auferlegte: Maastricht, Venloo, Staats-Limburg, Staats-Flandern mußten abgetreten, 100 Mill. Gulden bezahlt und 30,000 Mann französischer Truppen unterhalten werden;
das nun feindliche England lähmte den niederländischen Handel und bemächtigte sich der Kolonien, von denen Ceylon 1802 förmlich abgetreten wurde. 1805 wurde eine Verfassungsänderung vorgenommen und ein Ratspensionär, Schimmelpenninck, an die Spitze des Staats gestellt.
Jedoch schon wurden die Niederlande auf Napoleons I. Befehl in ein Königreich Holland verwandelt, dessen Krone Ludwig Napoleon erhielt. Die französischen Gesetze wurden eingeführt, und die holländischen Truppen mußten an allen Kriegen Frankreichs teilnehmen. Durch die Kontinentalsperre wurde der Handel auf den Schmuggel mit England beschränkt, und als der König Ludwig 1810 abdankte, weil er sein Königreich nicht den französischen Interessen preisgeben wollte, erklärte ein kaiserliches Dekret vom die Vereinigung Hollands als »einer Anschwemmung französischer Flüsse« mit Frankreich und Amsterdam zur dritten Stadt des Kaiserreichs; die Zinsen der Staatsschuld wurden auf ein Drittel verringert.
Wenn die französische Herrschaft auch manche Mißbräuche mit scharfem Besen wegfegte und durch die Rechtsgleichheit der Landesteile und die Beseitigung der Standesunterschiede die nationale Verschmelzung beförderte, so empfand man in den Niederlanden, besonders in Holland, den Verlust politischer, geistiger und kommerzieller Freiheit, namentlich die Unterdrückung der Muttersprache, bitter genug. Daher ward 1813 die Nachricht von dem Sieg der Verbündeten bei Leipzig freudig begrüßt und der Aufforderung des preußischen Heerführers Bülow, der in die Niederlande einrückte, sich den Verbündeten gegen Frankreich anschließen, bereitwillig entsprochen.
Ein Anhänger der altoranischen Partei, Hogendorp, bildete mit seinen Freunden van der Duyn und van Maasdam eine provisorische Regierung, und ward zu Amsterdam die Freiheit der Niederlande und der Sohn des 1795 vertriebenen Erbstatthalters Wilhelm V., Wilhelm I., der 30. Nov. in Scheveningen gelandet war, als deren souveräner Fürst proklamiert. Eine Kommission von 14 Mitgliedern arbeitete eine Verfassung aus, welche von einer Notabelnversammlung genehmigt wurde und 30. März in Kraft trat; die Macht des Fürsten wurde durch eine von den Provinzialstaaten gewählte Versammlung, die »Generalstaaten«, beschränkt.
Die Niederlande mit Belgien vereinigt.
Auf Englands Betreiben, das auf dem Festland einen Preußen ebenbürtigen protestantischen Staat wünschte, wurde durch die Londoner Artikel vom bestimmt, daß Belgien und Holland unter dem Namen Königreich der Niederlande zu einem Ganzen vereinigt werden sollten; die Grenzen desselben wurden durch die Wiener Schlußakte vom festgesetzt und Wilhelm I. als König der Niederlande von allen Mächten anerkannt. Außer Luxemburg, das der König als Ersatz für seine deutschen Besitzungen als Großherzogtum erhielt, das aber zum Deutschen Bund gehören sollte, umfaßte das neue Königreich 17 Provinzen (Nord- und Südbrabant, Limburg, Gelderland, Lüttich, Ost- und Westflandern, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur, Antwerpen, Utrecht, Friesland, Overyssel, Groningen und Drenthe) mit zusammen 60,000 qkm und 5,5 Mill. Einw.; dazu kam im zweiten Pariser Frieden 1815, nachdem die Truppen des jungen Königreichs unter dem Prinzen von Oranien an den Kämpfen von Quatrebras und
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Waterloo rühmlichen Anteil genommen hatten, noch ein bisher französischer Landstrich mit den Festungen Marienburg und Philippeville. Von ihren Kolonien erlangten die Niederlande bloß die ostindischen Inseln, einen Teil von Guayana und einige kleinere Besitzungen in Amerika und Afrika zurück; Ceylon, das Kapland und Demerara behielt England.
Den durch belgische Notabeln verstärkten Generalstaaten wurde eine neue Verfassung vorgelegt und, obwohl die Mehrheit der Belgier sich dagegen aussprach, für angenommen erklärt; die Generalstaaten wurden in zwei Kammern eingeteilt, in welche Belgien und Holland eine gleiche Anzahl Deputierte schickten. Der König widmete sich mit Erfolg vor allem der Regelung der Finanzen und der Hebung des Handels, wozu der Bau des Nordholländischen Kanals, die Wiederherstellung des fiskalischen Kolonialsystems in Indien und die Gründung der Niederländischen Handelsgesellschaft (1824) wesentlich beitrugen.
Indes die Schwierigkeit, das neuerworbene Belgien mit den nördlichen Niederlanden zu verschmelzen, vermochte er nicht zu überwinden. Die beiden Teile der Niederlande waren zu lange voneinander getrennt gewesen und hatten sich zu verschieden entwickelt. Die nördlichen Provinzen wollten die Einkünfte aus hohen Grundsteuern und Luxusabgaben ziehen, die südlichen, vorzugsweise Ackerbau und Industrie treibend, die Zölle erhöhen. Die große Schuldenlast der Niederlande (1000 Mill. Gulden) wurde von Belgien nur mit Unwillen getragen.
Der Vorteil der Kolonien kam den südlichen Handelsstädten nur langsam zu gute und wurde von den nördlichen mit Eifersucht beobachtet und möglichst verkümmert. Obwohl die Regierung ein Konkordat mit dem Papst schloß und drei neue Bistümer in Amsterdam, Brügge und Herzogenbusch errichtete, vermochte sie doch das Mißtrauen des katholischen Klerus nicht zu beseitigen, während die belgischen Liberalen, überwiegend Wallonen, durch das Streben der Regierung, bei den öffentlichen Geschäften die holländische oder vlämische Sprache zur Herrschaft zu bringen, abgestoßen wurden und zu Frankreich neigten. Durch die Vereinigung der Klerikalen und der französisch gesinnten Liberalen kam es infolge der Julirevolution 1830 zum Ausbruch der belgischen Revolution (s. Belgien, Geschichte, S. 655).
Wilhelm I. versuchte zuerst durch Waffengewalt die südlichen Provinzen wieder unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Dies mißlang im Oktober 1830; im August 1831 aber besiegte der Prinz von Oranien die Belgier bei Hasselt (8. Aug.) und bei Tirlemont (11. Aug.) und drohte Belgien zu unterwerfen. Doch hatten die Mächte sich schon im Londoner Protokoll vom für die Trennung Belgiens von den Niederlanden ausgesprochen, und mit ihrer Genehmigung intervenierte Frankreich zu gunsten Belgiens, drängte die Holländer zurück, nahm die Citadelle von Antwerpen und blockierte in Verbindung mit England die niederländischen Küsten. Dem Kriegsstand wurde durch die Londoner Übereinkunft vom ein Ende gemacht. Aber Wilhelm weigerte sich lange, die Unabhängigkeit Belgiens anzuerkennen, obwohl die 24 Artikel vom den Niederlanden das deutsche Luxemburg, einen Teil von Limburg und eine von Belgien zu zahlende jährliche Rente von 8,400,000 Gulden als Beitrag zu den Zinsen der Staatsschuld zusprachen.
Erst 1838 erklärte sich der König zu deren Annahme bereit, und kam der Friede zwischen den Niederlanden und Belgien zu stande, durch welchen die belgische Rente auf 5 Mill. verringert wurde. Das östliche Luxemburg und Limburg (ohne Maastricht und Venloo) sollten zum Deutschen Bund gehören, und Luxemburg wurde daher bloß in Personalunion mit den Niederlanden vereinigt, Limburg jedoch mit dem neuen Königreich verschmolzen, das nur noch zehn, aber durch Sprache und Geschichte innig verbundene Provinzen zählte.
Neueste Zeit.
Das Gefühl der Demütigung, welches Wilhelm I. über dieses Ende des von ihm gegründeten Reichs empfand, die Unzufriedenheit des Volkes mit den erhöhten Geldforderungen der Regierung und das allgemeine Verlangen nach einer durchgreifenden Verfassungsreform bewogen den König, zu gunsten seines Sohns abzudanken und sich mit einem ungeheuern Vermögen, das er durch Handelsspekulationen erworben, nach Berlin zurückzuziehen, wo er starb. Wilhelm II. (1840-49) bewilligte sofort die Verantwortlichkeit der Minister und verringerte den Stand des Heers um ein Bedeutendes.
Dadurch erlangte er die Zustimmung der Generalstaaten zu einer außerordentlichen Vermögenssteuer, zur Rentenumwandlung behufs Verminderung der Zinsen und zu einer freiwilligen Anleihe, wodurch die Finanzen in Ordnung gebracht und die Mittel für den Bau von Eisenbahnen und die Trockenlegung des Haarlemer Meers gewonnen wurden. Zu der Verfassungsreform entschloß er sich aber erst nach der Februarrevolution 1848. Eine verdoppelte Zweite Kammer trat zusammen und ließ durch einen Ausschuß unter Thorbeckes Vorsitz einen liberalen Verfassungsentwurf ausarbeiten, der die Einteilung der Provinzialstaaten in Stände abschaffte und für die Zweite Kammer direkte Wahlen, allerdings mit einem hohen Zensus, vorschrieb. Das neue Grundgesetz wurde verkündet. Nicht lange darauf, starb Wilhelm II.
Sein Sohn Wilhelm III. berief den Urheber der neuen Verfassung, Thorbecke, 30. Okt. an die Spitze eines durchaus freisinnigen Ministeriums, das durch wichtige organische Gesetze, wie das über Versammlungsrecht, eine Provinzial- und Gemeindeordnung und eine Gerichtsorganisation, die Grundsätze der Verfassung verwirklichte und durch zweckmäßige Finanzgesetze die materielle Lage des Landes verbesserte. In allzu doktrinärer Ausführung des Verfassungsartikels über die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirchen vom Staat schloß aber Thorbecke 1852 einen Vertrag mit der römischen Kurie, in dem er alle Aufsichtsrechte des Staats über die katholische Kirche preisgab und die Errichtung von fünf neuen Bistümern in den Niederlanden gestattete.
Die päpstliche Allokution vom welche dies verkündete, erregte einen Sturm der Entrüstung in der protestantischen Bevölkerung, die der König, des herrschsüchtigen Ministers überdrüssig, in seiner Antwort auf die Adresse von Amsterdam billigte (15. April). Thorbecke forderte und erhielt darauf seine Entlassung, und ihm folgten nun einige konservative Ministerien unter van Hall, van der Brugghen, Zuylen u. a., die sich aber nur dadurch im Amt zu halten vermochten, daß sie auf alle reaktionären Wünsche einer Verfassungsrevision verzichteten und 1857 sogar ein ganz liberales Unterrichtsgesetz, welches den Religionsunterricht aus allen staatlichen Elementarschulen ausschloß, in den Kammern zur Annahme brachten. Dafür ließen die Liberalen das bestehende Kolonialsystem unangefochten. Die Liberalen hatten die Mehrheit in den Generalstaaten, waren aber zerfahren und von
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Parteiinteressen beherrscht. Dies zeigte sich, als im Januar 1862 Thorbecke zum zweitenmal an die Spitze der Regierung trat. Dieser reformierte das Steuersystem, indem er die Accise gänzlich abschaffte, erlangte die Zustimmung zu wichtigen öffentlichen Anlagen (direkten Kanälen von Amsterdam und Rotterdam bis zur See), scheiterte aber an dem Versuch, die Verwaltung der Kolonien umzugestalten und den 1830 auf Java eingeführten Kulturzwang, ein hartes, aber für den Staat einträgliches Fronsystem, abzuschaffen; nur der Bau der ersten Eisenbahn auf Java wurde genehmigt und die Sklaverei in Westindien aufgehoben.
Das neue konservative Kabinett Zuylen van Nyvelt hatte die luxemburgische Frage zu lösen. Während des Kriegs zwischen Preußen und Österreich 1866 hatten sich die Niederlande neutral verhalten, obwohl die Sympathien der höhern Kreise und des Hofs, an dem die Königin Sophie, eine württembergische Prinzessin, als entschiedenste Feindin Preußens den Ton angab, auf seiten Österreichs gewesen waren. Bei der Neuordnung der deutschen Angelegenheiten kam es der niederländischen Regierung hauptsächlich darauf an, Limburg von der Verbindung mit Deutschland loszulösen. An Luxemburg zeigte sie gar kein Interesse, und als der König sich 1867 veranlaßt sah, Luxemburg an Frankreich zu verkaufen, stieß dieser Plan nirgends auf Widerstand.
Nur die Regierung wollte den Verkauf nicht ohne Zustimmung Preußens genehmigen, weil sie befürchtete, daß dieses dann für Deutschland auf Limburg Anspruch erheben möchte. Daß Zuylen durch seine Mitteilung an Preußen den Verkauf Luxemburgs zum Scheitern brachte und dann den Londoner Garantievertrag über die Neutralität Luxemburgs unterzeichnete, wurde aber von der Kammer, namentlich von Thorbecke, heftig getadelt und das Kabinett Zuylen, obwohl es die Loslösung Limburgs von Deutschland erreichte, durch Verwerfung seines Budgets gestürzt, nachdem es sich vergeblich durch Auflösung und Neuwahlen der Generalstaaten zu halten gesucht hatte.
Erst Fock, dann Thorbecke (Anfang 1871) bildeten neue liberale Ministerien, welche den drückenden Zeitungsstempel und die Todesstrafe abschaffen. Wider Willen sahen sie sich auch genötigt, die Frage der Heeresreform in die Hand zu nehmen. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 erregte die Gemüter in den Niederlanden um so mehr, als er deren Interessen nahe berührte. Die leitenden Kreise hatten das Emporkommen Preußens, auf das sie bisher herabgesehen hatten, und mit dem sie nun rechnen mußten, mit Neid und Eifersucht beobachtet und bewirkten es, daß bei Beginn des Kriegs die Armee so aufgestellt wurde, daß sie im Fall des sicher erwarteten Siegs der Franzosen in Deutschland feindlichem Sinn eingreifen konnte.
Die gewaltigen und raschen Erfolge der Deutschen zwangen nun zwar die Niederlande zu einer strengen Neutralität, erregten aber die Furcht vor deutschen Annexionsabsichten auf die Niederlande selbst oder wenigstens ihre Kolonien. Unter diesen Umständen hielt selbst Thorbecke, der bisher sowohl als Abgeordneter wie als Minister stets für die größtmögliche Beschränkung des Militärbudgets eingetreten war, eine Verstärkung der Verteidigungsmittel durch neue Festungsanlagen und Vermehrung der Streitkräfte für unvermeidlich.
Aber keinem Ministerium gelang es, die Kammern zu einem entscheidenden Beschluß über die Heeresreform, namentlich die Frage der allgemeinen Dienstpflicht, zu bewegen, da niemand die Verantwortlichkeit für die dem Land aufzuerlegenden Opfer an Geld und Menschen auf sich nehmen wollte. Nur ein Festungsgesetz wurde nach dem Tode Thorbeckes von dem Ministerium Fransen van den Putte durchgebracht. Die gleiche Selbstsucht und Kurzsichtigkeit bewiesen die Liberalen, als es sich um die Einführung einer Einkommensteuer (Kapital- oder Rentensteuer) und um ein neues Wahlgesetz, welches den Zensus herabsetzen sollte, handelte; beide Entwürfe wurden abgelehnt, weil sie die Interessen der herrschenden Klassen zu verletzen schienen.
Das liberale Ministerium Fransen van den Putte scheiterte wiederum an der Kolonialpolitik. Im Dezember 1871 hatten die Niederlande ihre Besitzungen in Guinea an England verkauft und dafür dessen Zustimmung zur Ausbreitung ihrer Herrschaft auf Sumatra erlangt. Die Regierung hatte darauf vom Sultan von Atschin (s. d.) Unterwerfung unter gewisse Bedingungen gefordert und, als er das ablehnte, 1873 Krieg gegen ihn begonnen. Der erste Feldzug scheiterte aber gänzlich, und auch als General van Swieten im Januar 1874 den Kraton, die Hauptfestung der Atschinesen, erobert hatte, war damit wenig gewonnen, während das mörderische Klima ungeheure Opfer an Menschenleben forderte und die Rüstungen große Ausgaben verursachten.
Fransen machte daher im Juli 1874 einem konservativen Ministerium Heemskerk Platz, welches sich durch geschicktes Lavieren bis zum September 1877 behauptete. Die liberale Mehrheit in den Kammern war inzwischen so angewachsen, daß ihr Führer Kappeyne die Bildung eines liberalen Ministeriums zur Durchführung wichtiger Reformen wagte (November 1877). Aber nur ein neues Schulgesetz, welches das von 1857 durch Erhöhung des Staatszuschusses und Verstärkung der staatlichen Aufsicht bei den Volksschulen ergänzte, setzte er 1878 durch.
Dagegen lehnten die Kammern das Wehrgesetz, die Rentensteuer und ein Kanalgesetz ab, und das Defizit erreichte eine so bedenkliche Höhe (40 Mill.), weil der Krieg in Atschin alle Überschüsse des Kolonialbudgets verschlang, daß Kappeyne 1879 zurücktrat. Das mittelparteiliche Kabinett van Lynden führte nur die Regierung weiter, ohne außer einem neuen Strafgesetzbuch (1881) gesetzgeberische Thaten zu versuchen; unter ihm wurde 1879 der Krieg in Atschin durch General van der Heyden siegreich beendet, wenn auch die völlige Unterwerfung des Landes damit keineswegs erreicht wurde.
Das Verlangen nach einer Verfassungsreform wurde inzwischen immer dringender laut, und Heemskerk, der wegen der Uneinigkeit der Liberalen 1883 ein »außerparlamentarisches« Ministerium bildete, nahm nun die Verfassungsrevision energisch in die Hand. Dieselbe war um so nötiger, als mit dem Tode des Kronprinzen Alexander die männliche Deszendenz des Königs erlosch, auch außer dem hochbetagten König kein andrer männlicher Sproß des Königshauses vorhanden war und daher die Thronfolge gesetzlich geregelt werden mußte.
Heemskerk beantragte, den Wahlzensus herabzusetzen, das Land von neuem in Wahlbezirke einzuteilen, die Mitgliederzahl der Ersten Kammer auf 50, die der Zweiten auf 100 zu bestimmen und die Thronfolge in der Weise zu ordnen, daß zuerst die Tochter des Königs, Prinzessin Wilhelmine, dann seine Schwester, die Großherzogin von Weimar und ihre Kinder, zuletzt die Nachkommen der Geschwister seines Vaters erbberechtigt sein sollten; die allgemeine Wehrpflicht ward nicht berührt. Aber bei den Neuwahlen, welche nach der Auslösung der Generalstaaten Anfang 1885 stattfanden, wurden gerade so viel Liberale als Antiliberale (43) gewählt,
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und die letztern machten die Aufhebung der Schulgesetze zur Bedingung der Verfassungsrevision; als die Regierung hierauf nicht einging, vereitelten sie jeden Beschluß der Kammer. Dieselbe wurde daher zum zweitenmal 1886 aufgelöst, und diesmal erlangten die Liberalen eine Mehrheit von acht Stimmen. Die öffentlichen Zustände, namentlich das Anwachsen der Sozialdemokratie in den Niederlanden, welche im Sommer 1886 in Amsterdam und an andern Orten erhebliche Unruhen erregten, die nur mit blutiger Gewalt unterdrückt werden konnten, mahnten endlich die Antiliberalen, Orthodoxe und Ultramontane, dem parlamentarischen Stillstand ein Ende zu machen. 1887 ward daher die Verfassungsrevision nach sechsjährigen Verhandlungen von den Generalstaaten endgültig angenommen und 30. Nov. die neue Verfassung verkündet, welche die Zahl der Wähler um 200,000 vermehrt. Bei der Wahl der Kammern nach dem neuen Gesetz im März 1888 erlangten die Liberalen bloß in der Ersten Kammer die Mehrheit, in der Zweiten nur 45 gegen 55 antirevolutionär-klerikale Stimmen. Heemskerk nahm daher seine Entlassung, und Baron Mackay bildete daher im April ein antirevolutionär-ultramontanes Ministerium.
Vgl. Wagenaar, De vaderlandsche historie vervattende de geschiedenissen der vereenigde Nederlanden (Amsterd. 1749-60, 21 Bde.; Supplement bis 1790, das. 1789-90, 3 Bde.; Fortsetzung von 1776 bis 1802, das. 1788-1810, 48 Bde.);
Bilderdijk, Geschiedenis des vaderlands (Leiden 1832-1853, 13 Bde.);
Kluit, Historie der hollandsche staatsregering (Amsterd. 1802-1805, 5 Bde.);
v. Kampen, Geschichte der Niederlande (Hamb. 1831-33, 2 Bde.; neue Bearbeit. von Wenzelburger, 1878 ff.);
Leo, Zwölf Bücher niederländischer Geschichten (Halle 1832-35, 2 Bde., die mittelalterliche Geschichte der Niederlande umfassend);
Motley, Rise of the Dutch republic (Lond. 1856, 3 Bde.; deutsch, Dresd. 1857-1860, 3 Bde.);
Derselbe, History of the United Netherlands (Lond. 1860-64, 4 Bde.);
Derselbe, John of Barnevelt (das. 1874, 2 Bde.);
Muller, De staat der vereenigde Nederlanden 1572-94 (2. Aufl., Haarl. 1878);
Nuijens, Algemeene geschiedenis des Nederlandschen volks (Amsterd. 1872-82, 20 Bde.);
Derselbe, Geschiedenis der nederlandsche beroerten in de XVIe eeuw (das. 1863-70, 4 Tle. [klerikal]);
Vitringa, Staatkundige geschiedenis der Bataafsche republiek (Arnh. 1858-64, 3 Bde.);
Wijnne, Geschiedenis van het vaderland (6. Aufl., Groning. 1881);
Groen van Prinsterer, Handboek der geschiedenis van het vaderland (4. Aufl., Amsterd. 1874, 4 Bde.);
Arend, Algemeene geschiedenis des vaderlands (mit Fortsetzungen von van Rees, Brill und van Vloten, das. 1840-83, Bd. 1-5);
Juste, Histoire de la révolution des Pays-Bas sous Philippe II (neue Ausg., Brüss. 1885, 4 Bde.);
van Vloten, Nederlands opstand tegen Spanje (neue Ausg., Schiedam 1872, 2 Bde.);
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