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Schriftsprache zu schaffen. In der Reihe der Reformatoren der griechischen Litteratur steht in erster Linie Adamantios Korais (1748-1833), der von Paris [* 2] aus für Hebung [* 3] des nationalen Bewußtseins und Pflege der Wissenschaft unablässig thätig war, der letztern besonders durch das in den »Atakta« (Par. 1828 ff.) niedergelegte glossologische Material dienend. Neben den ältern Akademien von Missolunghi und Patmos wurde 1804 zu Kuru-Tschesme bei Konstantinopel [* 4] ein »Ἐπιστημονικὸν σχολεῖον« gegründet, das einen großen Teil der wissenschaftlichen Kapazitäten jener Zeit gebildet hat.
Die evangelische Schule und das philologische Gymnasium in Smyrna haben bis heute ihren Ruf bewahrt; selbst Trapezunt trat in das geistige Leben mit ein, das besonders von den Donaufürstentümern aus (Akademie von Bukarest [* 5] und Zentralschule von Jassy), von Janina aus und vor allem durch die 1808 gegründete, von dem Philhellenen Lord Guilford aufs reichste ausgestattete Universität zu Korfu [* 6] mächtige Impulse erhielt; letztere war bis zur Gründung der Universität Athen [* 7] (1837) der Mittelpunkt der gesamten griechischen Bildung.
Neben Korais sind unter den Schöpfern der modernen Litteratur der Griechen zu nennen: der Philosoph Nikiphoros Theotokis (1737-1800), der Philolog Nikolaos Mavrommatis (1771-1817), der als Vermittler westlicher Bildung verdienstliche Polyhistor Michael Kumas (1777-1833), der als Redner und Volksbildner gefeierte Konstantinos Ikonomos (Ökonomos, 1780-1857; Hauptwerk: »Über die richtige Aussprache des Griechischen«, 1830), der Historiker Andreas Mustoxydis (1785-1860),
der Herausgeber alter Autoren, Neophytos Dukas (1760-1845). Ihnen schließen sich die Darsteller der griechischen Freiheitskämpfe an: Germanos, Metropolit von Paträ (»Ὑπομνήματα περὶ τῆς ἐπαναστάσεως τῆς Ἑλλάδος«, Athen 1837), Omiridis (Homerides, über die Thaten der Bewohner von Hydra und Spezzia, Nauplia 1831),
Perrhävos (über die Kämpfe der Sulioten, Vened. 1811-15),
Kolokotronis (Memoiren in sehr geschmackloser Darstellung, Athen 1851), Phrantzis (»Ἐπιτομὴ τῆς ἱστορίας τῆς ἀναγεννηθείσης Ἑλλάδος«, das. 1839),
vor allen Trikupis (»Ἱστορία τῆς ἑλληνικῆς ἐπαναστάσεως«, Lond. 1853, 4 Bde.) und Paparrhigopulos (»Ἱστορικαὶ πραγματεῖαι«, 1858). Unter den Philologen u. Archäologen der Neuzeit sind besonders zu nennen: Alexandros Rangawis (Rangabé, geb. 1810; »Antiquités helléniques«, Athen 1842-55, 2 Bde.; »Ἀρχαιολογία«, das. 1866, 2 Bde.),
Stephanos Kumanudis (»Ἐπιγραφαὶ Ἀττικῆς ἐπιτύμβιοι«, das. 1871),
Konstantinos Asopios (»Ἱστορία ἑλλήνων ποιητῶν καὶ συγγραφέων«, das. 1850),
Nikolaus Pikkolos (gest. 1865, Herausgeber der Tiergeschichte des Aristoteles),
Konstantinos Sathas (Herausgeber der »Μεσαιωνικὴ βιβλιοθήκη«, Vened. u. Par. 1872-77, Bd. 1-6, der »Documents inédits relatifs à l'histoire de la Grèce au moyen-àge«, Par. 1880 ff., u. a.).
Die poetische Litteratur dieser Epoche wird eingeleitet durch eine Anzahl von Freiheitsdichtern, welche die politischen Erhebungen ihres Vaterlandes unterstützten und dazu begeisterte. So Rigas (1754-1798), wahrscheinlich Verfasser des berühmten Liedes »Δεῦτε, παῖδες τῶν Ἑλλήνων«, das man nicht mit Unrecht die neugriechische Marseillaise genannt hat;
Stephanos Kanelos (1792-1823),
von dem wohl die litteraturgeschichtlichen Briefe in Ikens »Leukothea« herrühren;
der Historiker Trikupis;
Andr. Kalvos, der ebenso wie der treffliche Lyriker Solomos im Volksdialekt der Ionischen Inseln dichtete;
Georgios Zalokostas, einer der hervorragendsten Lyriker (»Werke«, 2. Aufl., Athen 1873);
Theod. Orphanidis, auch als Satiriker gegen Fallmerayers Hypothesen auftretend;
Joan Karasutsas, meisterhaft in der Form;
Angelos Vlachos, auch Übersetzer von Lamartine und Victor Hugo, deren Dichtungen überhaupt auf die junge griechische Litteratur einen bedeutenden Einfluß geübt haben.
Den Beinamen eines zweiten Anakreon erwarb sich durch seine allerliebsten erotischen und badischen Lieder Athanasios Christopulos (1770-1847). Ferner sind zu nennen: Joannis Vilaras (1771-1823), trefflicher Botaniker, Verfasser ethischer und erotischer Poesien sowie einer Paraphrase der Äsopischen Fabeln und der »Batrachomyomachie« im epirotischen Dialekt, auch als Kämpfer für die Berechtigung der Volkssprache in der Litteratur interessant (»Ποιήματα«, Korfu 1827, Zante 1854); Athanasios Manusis, gebildet an romanische Lyrik und nach eleganter Form strebend, Verfasser von Elegien, Idyllen und Gelegenheitshymnen.
Gekünstelt und frostig ist das erotische Epos des Konstantinos Manos: »Τὰ κατὰ Κλεάνθην καὶ Ἀβροκόμην« (Pest 1801). Als Didaktiker erwarb sich Ruhm Konstant. Dapontes (1707-1789),
der sein gebildete Günstling des Moldaufürsten Mavrokordatos, zuletzt Mönch im Athoskloster, von großer Fruchtbarkeit (»Καθρέπτης τῶν γυναικῶν«, Vened. 1766; »Χρηστοηθεία«, 1770; Briefe, Reden, Enkomien, zum Teil noch nicht herausgegeben). Der dramatischen Poesie gehört an die »Βοσπορομαχία«, d. h. der Streit Asiens und Europas an der Meerenge von Konstantinopel (Vened. 1792),
angeblich von Tsanetis verfaßt, sowie der »Ῥωσσ-Αγγλο-Γάλλος«, ein satirisches Drama ohne bedeutenden poetischen Wert, aber mit greller Beleuchtung [* 8] der griechischen Zustände am Ende des 18. Jahrh. (deutsch in Ikens »Eunomia«, Bd. 1). Rhisos Nerulos (1778-1850),
politisch vielfach thätig, ist Dichter zweier Tragödien: »Aspasia« und »Polyxena« (Wien [* 9] 1813-14),
einer gegen Korais' sprachreinigende Thätigkeit gerichteten Posse: »Κορακιστικά«, mehrerer Komödien, eines komischen Epos: »Der Raub des Truthahns«, und eines gut geschriebenen »Cours de la littérature grecque moderne« (Genf [* 10] 1826). Für die Volkssprache kämpft auch die Komödie »Βαβυλωνία« des Vysantios (Athen 1840, 2. Aufl. 1864). Sehr fruchtbar sind die letzten Dezennien auf dem Gebiet der dramatischen Litteratur gewesen, trotzdem ist Gutes nur spärlich zu finden.
Den Freiheitskämpfen entnommen ist der Stoff zu des Theodoros Alkäos Tragödie »Votsaris«; an Alfieris Muster bildete sich Joannis Zampelios (»Timoleon«, »Kodros«, »Medeia«, »Georgios Kastriota«, »Karaiskakis«, »Kapo d'Istrias« etc.). Althellenischer Darstellung strebten nach Karydis (»Die drei Gräber«, »Die Gesellschaft von Athen«) und der beste griechische Dramatiker, Vernardakis (»Die Kypseliden«, »Maria Doxopatris«, »Merope«); die Leidensgeschichte von Epirus und die Klephthurgie behandelte der volkstümlichen auch als Lyriker bemerkenswerte Arist. Valoritis in der dramatisierten Epopöe »Phrosyne« und in den Stücken »Astrapogiannos« und »Athanasis Diakos«. Den Höhepunkt der neugriechischen Kunstpoesie aber bezeichnen die beiden Brüder Sutsos und A. R. Rhangawis. Die beiden erstern, als Gegner des Systems Kapo d'Istrias' bekannt, vertreten hauptsächlich die politische Tendenzpoesie, Panagiotis Sutsos (gest. 1868) in seinem Drama »Der Wanderer« (»Ὁδοιπόρος«),
in dem Roman »Leandros«, in Oden und in patriotischen Kriegsliedern ¶
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(»Werke«, Athen 1851),
der leidenschaftlichere und oft maßlose Alexandros Sutsos (gest. 1863),
in Form und Inhalt stark von Béranger beeinflußt, in dem Gedicht »Der Umherirrende« (»Περιπλανώμενος«),
dem Roman »Der Verbannte von 1831«, dem Drama »Πρωθυποῦργος«, in Satiren und vermischten Gedichten. Der universalste, geistreichste und feinst gebildete unter den griechischen Schriftstellern, als Gelehrter nicht minder bedeutend wie als Dichter, ist Alexandras Rhisos Rangawis (Rangabé), Verfasser dramatischer, epischer und lyrischer Dichtungen (»Διάφορα ποιήματα«, Athen 1837-40, 2 Bde.; die aristophanische Komödie »Hochzeit des Kutrulis«; die Tragödie »Phrosyne«; die Novellen: »Der Notar« und »Der Fürst von Morea«; das Epos »Der Volksverführer«). Aus der neuesten Zeit sind daneben zu nennen die Novellendichter: Rhoidis (»Die Päpstin Johanna«, 4. Aufl., Athen 1882) und Dimitrios Bikelas (»Lukis Laras«, 2. Aufl., das. 1881; »Διηγήματα«, das. 1887),
auch als Übersetzer Shakespeares bedeutend;
ferner Georgios Drosinis als Lyriker (»Σταλακτῖται«, das. 1881; »Εἰδύλλια«, das. 1884) und als Novellist (»Διηγήματα καὶ ἀναμνήσεις«, das. 1886).
Proben und Sammlungen der griechischen Kunstpoesie finden sich besonders in Tepharikis' »Παρνασσός« (Athen 1868, Bd. 1 u. 2),
in Kinds »Neugriechischen Poesien im Urtext« (Leipz. 1833) und »Neugriechischer Anthologie« (das. 1844) sowie in Vlachos' »Neugriechischer Chrestomathie« (2. Aufl., das. 1883) und Manarakis »Neugriechischem Parnaß« (mit deutschen Übersetzungen, Athen 1877 bis 1881, 2 Bde.). Die vornehmste Sammelstätte poetischer feuilletonistischer Thätigkeit ist zur Zeit die in Athen erscheinende Wochenschrift »Ἑστία«.
Neben dieser reich und mannigfach entwickelten Kunstpoesie lebt im neugriechischen Volk heute wie vorzeiten die originellste und liebenswürdigste Volkspoesie, reichhaltig in Form und Inhalt, allerorten in Griechenland [* 12] verbreitet, auf bestimmte Verfasser fast nie zurückführbar, in mannigfachen Versionen desselben Themas sich immer wieder erneuernd und bei den verschiedenartigsten Gelegenheiten, häufig unter Tanzbegleitung, gesungen. Zahlreiche Sammlungen, leider den dialektischen Eigentümlichkeiten der verschiedenen Landschaften noch immer nicht die gebührende Rücksicht tragend, lassen schon jetzt den ungeheuern Umfang dieser Poesie erkennen. Sie zerfallen in historische und nichthistorische Lieder. Unter den historischen sind ohne Zweifel manche, die in sehr alte Zeit zurückreichen, wie für einzelne die interessanten Untersuchungen von M. Büdinger über die Andronikossage (»Mittelgriechisches Volksepos«, Leipz. 1866) und von Legrand in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Epopöe vom Digenis Akritas (Par. 1875) nachweisen.
Andre knüpfen an den Fall Konstantinopels an; in das 18. Jahrh. geht ein großer Teil der Klephthenlieder zurück. Die letztern, die »τραγούδια κλεφτικά«, hervorgegangen aus den die Erhebung der Griechen einleitenden und fortwährend begleitenden Kämpfen der Klephthen oder Palikaren (Freischärler) gegen die Türken, meist in Epirus entstanden, bilden den Hauptstock der historischen Lieder und sind durch energische Auffassung, gemütvolle Tiefe und feine Charakteristik ausgezeichnet und vom Schimmer edler Romantik verklärt.
Eine aus der Zeit der Johanniterherrschaft auf Rhodos, wahrscheinlich aus dem Ende des 14. Jahrh., stammende Sammlung reizender, volkstümlicher Liebeslieder hat W. Wagner aus einer Londoner Handschrift veröffentlicht: »Das ABC der Liebe« (Leipz. 1879). Die nichthistorischen Volkslieder spiegeln das Leben der Neugriechen in allen seinen Äußerungen treu wider; Wiegenlieder (»νανναρίσματα«),
Schwalbenlieder (»χελιδονίσματα«),
Mailieder, erotische Lieder in buntem Überfluß, Ständchen, Hochzeitslieder, Schnitter- und Winzer-, Schiffer- und Hirtenlieder, endlich die ergreifenden Myrologien oder Totenklagen mit der düstern Gestalt des Charos sind die Hauptgattungen dieser Poesie. Besondere Erwähnung verdienen die in raschem Wechselgesang improvisierten, an feinen Gedanken und warmem Gefühl reichen erotischen Distichen, die uns aus verschiedenen Gegenden von Hellas bekannt geworden sind.
Aus der überreichen, wenn auch oft unkritischen Litteratur über die Volkslieder seien hervorgehoben: Fauriel, Chants populaires de la Grèce moderne (Par. 1824-25, 2 Bde.; Ausgabe mit deutscher Übersetzung von W. Müller, Leipz. 1825);
Sanders, Neugriechische Volks- und Freiheitslieder (das. 1840);
Passow, Popularia carmina Graeciae recentioris (das. 1860);
Chasiotis, »Συλλογὴ τῶν κατὰ τὴν Ἤπειρον δημωτικῶν ᾀσμάτων« (Athen 1866);
Tefarikis, »Διανοτραγοῦδα« (das. 1868),
die reichhaltigste Sammlung von Distichen;
Sakellarios, »Κυπριακά« (das. 1868, Bd. 3);
Legrand, Recueil de chansons populaires grecques (Par. 1874);
Jeannarakis, Kretische Volkslieder (mit Glossar, Leipz. 1876);
B. Schmidt, Griechische Märchen, Sagen u. Volkslieder (das. 1877);
Aravandinos, »Συλλογὴ δημοδῶν ᾀσμάτων τῆς Ἠπείρου« (Athen 1880);
v. Hahn, [* 13] Griechische und albanesische Märchen (Leipz. 1864);
Pio, Contes populaires grecs (Kopenh. 1879).
Die von italienischem Geist nicht unberührt gebliebene Volkspoesie der unteritalischen Griechen lernen wir kennen aus Comparetti, Saggi dei dialetti greci dell' Italia meridionale (Pisa [* 14] 1866); Morosi, Studj sui dialetti greci della terra d'Otranto (Lecce 1870); Pellegrini, Il dialetto greco-calabro di Bova, Bd. 1 (Tur. u. Rom [* 15] 1880).
Als Hilfsmittel zum Studium der neugriechischen Litteratur sind zu empfehlen: Zaviras, »Θέατρον ἑλληνικὸν ἤτοι Νέα Ἑλλάς« (reichhaltige Sammlung von Biographien, nach dem bereits 1804 erfolgten Tode des Verfassers hrsg. von G. Kremos, Athen 1872);
Vretos, »Νεοελληνικὴ φιλολογία« (das. 1854-57, 2 Bde.);
Sathas, »Νεοελληνικὴ φιλολογία« (das. 1868);
Paranikas, »Σχεδίασμα περὶ τῆς ἐν τῷ ἑλληνικῷ ἔθνει καταστάσεος τῶν γραμμάτων« (Konstantin. 1867);
Iken, Leukothea, Briefe über Staatswesen, Litteratur und Dichtkunst des neuen Griechenland (Leipz. 1825, 2 Bde.);
Nerulos, Cours de la littérature grecque moderne (2. Ausg., Genf 1828);
Kind, Beiträge zur bessern Kenntnis des neuen Griechenland (Neust. a. O. 1831);
Nicolai, Geschichte der neugriechischen Litteratur (Leipz. 1876);
A. R. Rangabé, Précis d'une histoire de la littérature néohellénique (Berl. 1877, 2 Bde.);
Gidel, Études sur la littérature grecque moderne (Par. 1866-78, 2 Bde.);
Rangabé und Sanders, Geschichte der neugriechischen Litteratur (Leipz. 1884).