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welche zur schnellen Entfettung eingeschlagen werden, jenen Schwächezustand herbei, zuweilen forcierte Schwitz-, Trink-, Hunger- oder Kaltwasserkuren, welche zu den modernen »Heilmitteln« gehören und welche sehr zum Schaden der Patienten oft ohne ärztliche Vorschrift und Überwachung auf eigne Hand [* 2] unternommen und durchgeführt werden. Vorzugsweise betroffen werden die geistig arbeitenden Klassen und naturgemäß in höherm Maß in dem lebhaften Treiben der großen Städte als auf dem Land; Beamte, Offiziere, Ärzte, Gelehrte und Künstler stellen das größte Kontingent.
Bei der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Symptome sei hier an einem Beispiel dargethan, wie bei einem ehrgeizigen Mann die Nervenschwäche aus Überanstrengung sich zu entwickeln pflegt: Im besten Mannesalter stehend, bisher gesund und kräftig, hat er zehn Stunden und darüber angestrengt arbeiten können, ohne an Frische dabei einzubüßen. Unter dem Einfluß einer Gemütsaufregung fühlt er sich plötzlich bei der Arbeit unruhig und zerstreut, zeitweise schwinden die Gedanken, indessen rafft er sie zusammen und arbeitet weiter, bis er wiederum von Aufregung und Angstgefühl befallen wird.
Anfangs wird der Schwächezustand gewaltsam überwunden, allmählich versagen die Kräfte, es tritt Unfähigkeit zur Arbeit ein, die Zeit wird mit Grübeln über den krankhaften Zustand ausgefüllt, es stellt sich ein Gefühl von Druck im Kopf ein, welches den Kränkelnden zwingt, sich in den stillsten Winkel [* 3] seiner Wohnung zurückzugehen. Dabei wird er leicht erregbar, schreckhaft über jedes Geräusch (nervöse Hyperakusie), der Schlaf ist unruhig, gleicht mehr einem unerquicklichen Halbschlummer. Am Morgen erwacht er wieder, es gelingt ihm nicht, Zeitung oder Bücher zu lesen (nervöse Asthenopie), er leidet an nervösem Herzklopfen, fühlt sich beängstigt, die Brust zusammengeschnürt.
Der Appetit fehlt, die Zunge wird belegt, gegen Speisen stellt sich Abscheu ein, nach dem Essen [* 4] folgt Übelkeit und Aufstoßen, Magenschmerzen (nervöse Kardialgie) und Stuhlverstopfung (spastische Obstipation). Die Gemütsverstimmung kann sich zur Hypochondrie und zu voller Schwermut steigern. Alle diese Symptome hängen vom Gehirn [* 5] ab (cerebrale Neurasthenie). Das Herzklopfen, Blutwallungen und rasch folgende Blässe, übertriebene oder fehlende Schweiß- und Speichelsekretion deuten auf Störungen im sympathischen Nervengeflecht hin.
Daran schließt sich zuweilen als drittes Glied [* 6] eine Reihe von krankhaften Störungen des Rückenmarks (spinale Neurasthenie), schnelles Ermüden von Arm und Beinen, Zittern der Hände beim Ausstrecken mit gespreizten Fingern (Tremor), krampfartige Muskelzuckungen und ein Gefühl von unaufhörlichen oder zeitweise aussetzenden flatternden Bewegungen. Störungen der Empfindung äußern sich in Taubsein, Eingeschlafensein oder Ameisenlaufen, besonders in den Füßen, Schmerzen in der Wirbelsäule, welche im Verlauf der Nerven [* 7] auf die Extremitäten ausstrahlen. Zuweilen ist die sexuelle Erregbarkeit gesteigert (Satyriasis), zuweilen erloschen (Azoospermie), namentlich bei bestehenden chronischen Krankheiten dieser Sphäre.
Die Behandlung erfordert die größte Umsicht eines Nervenarztes, welche sich in jedem Fall zunächst auf die Beseitigung etwa vorhandener Organleiden, alsdann aber auf die Nervenschwäche als solche richten muß. Vor allem bedarf es eines tröstenden, den Kranken ermutigenden Zuspruchs. Es muß für einen geeigneten Aufenthalt in reiner Wald-, Gebirgs- oder Seeluft gesorgt werden; unter Umständen sind Bäder, Kaltwasserkuren, Massage mit elektrischer Reizung der Nerven, nervenstärkende Mittel, Bromkali, Chinin, Eisen [* 8] am Platz.
Die Ernährung muß geregelt werden, und unter allen Umständen muß für die Zukunft den Schädlichkeiten, welche die Nervenschwäche hervorgebracht haben, vorgebeugt werden. Die Heilung ist gewöhnlich langsam, aber bei rationeller Behandlung und gutem Willen des Kranken oft von vollkommenem Erfolg.
Vgl. Beard, Die Nervenschwäche, Neurasthenie (deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1884);
Derselbe, Die sexuelle Neurasthenie (mit Rockwell; deutsch, Wien [* 9] 1885);
Arndt, Die Neurasthenie (das. 1885);
Möbius, Die Nervosität (2. Aufl., Leipz. 1885);
v. Krafft-Ebing, Über gesunde und kranke Nerven (3. Aufl., Tübing. 1886);
Löwenfeld, Die moderne Behandlung der Nervenschwäche (Wiesb. 1887);
v. Ziemssen, Die Neurasthenia (Leipz. 1887);
Ultzmann in der »Wiener Klinik« 1879; Curschmann in v. Ziemssens »Handbuch der Pathologie und Therapie«, Bd. 9. Vgl. Nervenkrankheiten.