ehemaliges Königreich in Spanien, aus Obernavarra auf der Südseite der Pyrenäen und Niedernavarra auf deren
Nordseite bestehend,
von denen letzteres jetzt zum französischen Departement Niederpyrenäen gehört, während Obernavarra
die jetzige spanische Provinz Navarra bildet. Letztere wird spanischerseits von den Provinzen Guipuzcoa, Alava, Logroño, Saragossa und
Huesca umschlossen und umfaßt 10,506 qkm (190,8 QM.).
Das Land ist mit Ausnahme des Innern, wo sich die Ebene von Pamplona ausbreitet, und der sogen. Ribera, d. h. der südlichen,
an den Ebro grenzenden Gegenden, sehr gebirgig und waldreich und daher zum Anbau wenig geeignet; nur längs der Gewässer
ziehen sich einzelne fruchtbare Landstriche hin. Es enthält im Norden den westlichen Hauptzug der Pyrenäen
(Pic d'Anie, 2504 m; Pic d'Ory, 2017 m), dann den Gebirgszug, welcher die Verbindung zwischen den Pyrenäen und dem Kantabrischen
Gebirge herstellt, endlich die südlichen Vorlagen der Pyrenäen und des erwähnten Gebirgszugs, darunter die Sierra de Andia, 1493 m.
Hauptflüsse sind: Ebro (Nebenflüsse: Ega und Aragon mit Arga), dann Bidassoa;
auch Salz- und andere Mineralquellen
sind vorhanden.
Das Klima ist gesund, doch auf dem Hochgebirge sehr rauh. Im allgemeinen hat die Provinz im Norden einen mittel-,
im S. einen südeuropäischen Charakter. Die Bevölkerung belief sich 1878 auf 304,184 Seelen (1885 auf 318,000
geschätzt), d. h. 29 Einw. auf 1 qkm.
Die Navarresen, aus der Vermischung der Basken und Goten während der arabischen Herrschaft und des Kampfes gegen dieselbe hervorgegangen,
sind ein kräftiger Menschenschlag, arbeitsam, scharfsinnig, geborne Jäger, Schmuggler und Soldaten, aber auch sehr eingebildet,
heftig und unbeugsam.
Gleich den Basken, hängen sie mit großer Vorliebe an ihrem Vaterland und ihren Gebräuchen. In den tiefer
liegenden mildern Gegenden baut man Getreide, guten Wein (Durchschnittsertrag 1 Mill. hl, Ausfuhr nach Frankreich), Hanf, Flachs,
Öl, Gemüse und Obst aller Art. Das Mineralreich liefert Eisen (zu Lesaca und Vera), Zink und Steinsalz. Die Industrie hat in jüngster
Zeit, gleich dem Handel und Ackerbau, einen neuen Aufschwung genommen, wozu namentlich auch die guten Kommunikationswege und
Eisenbahnen (von der Ebrolinie zweigt die Bahn über Pamplona nach Alsasua ab) beitragen. Die Hauptprodukte der Industrie sind:
Roheisen, Ziegel, Glas, Papier, Tuch, Leinwand, Leder, Seife, Schokolade und Nudeln;
der Schleichhandel mit Frankreich
ist sehr bedeutend.
Die Provinz umfaßt fünf Gerichtsbezirke (darunter Estella, Pamplona, Tafalla, Tudela). Die Hauptstadt ist
Pamplona.
Die ältesten bekannten Bewohner Navarras waren die Vaskonen, Abkömmlinge der alten Iberer, der Urbevölkerung Spaniens,
welche noch jetzt unter dem Namen Basken das Land bewohnen. Es wurde, wie das übrige Spanien, von den Römern
unterworfen und dann von den Sueven, Westgoten und Arabern erobert. Karl d. Gr. fiel 778 in Navarra ein, verlor indes durch seine
Niederlage gegen die Basken im Thal von Ronceval seine Eroberungen, und erst sein Sohn Ludwig der Fromme stellte als König von
Aquitanien (806) die spanische Mark wieder her, welche auch Navarra umfaßte. Die Einwohner von Navarra benutzten
aber die innern Zwistigkeiten im fränkischen Reich, um sich unabhängig zu machen, und wählten Sancho Garcia zu ihrem Grafen,
welcher Pamplona und das Gebiet am Aragon eroberte und sich 905 den Titel eines Königs von Navarra beilegte. Er starb 925, nachdem
er das ganze Gebiet des obern Ebro den Sarazenen entrissen hatte. In der Reihe seiner Nachfolger ragt Sancho III. Mayor (1001-1035)
hervor, der die
mehr
Grenzen seines Reichs beträchtlich erweiterte und dasselbe bei seinem Ableben so unter seine vier Söhne verteilte, daß Garcia
Navarra mit Viscaya, Ferdinand Kastilien, Gonzales den nördlichen Teil von Aragonien und Ramiro den übrigen erhielt. 1076 wurde Sancho
IV. von Navarra von Sancho Ramiro von Aragonien, seinem Vetter, gestürzt und Navarra mit diesem Königreich vereinigt,
nach Alfons' I. Tod (1134) aber unter Garcia V. wieder ein selbständiges Königreich. 1234 erbte es nach dem söhnelosen Tod
Sanchos VII. Thibaut von Champagne, der eine neue Dynastie gründete.
Durch Verheiratung der letzten Erbin derselben, Johanna, mit Philipp IV., dem Schönen, kam Navarra 1285 an Frankreich.
Nach dem Aussterben des Mannesstamms der Kapetinger 1328 erbte Ludwigs X. Tochter Johanna II. Navarra, das durch ihren Gemahl Philipp
III., Grafen von Evreux, 1329 wieder einen Herrscher erhielt. Sein Sohn Karl II., der Böse, verband sich mit dem Prinzen von Wales
und dem König von Aragonien, begann einen Krieg gegen Frankreich und Kastilien, in welchem sein Reich verwüstet
ward, und konnte nur mit großen Opfern 1379 den Frieden wiedererlangen.
Mit der Hand seiner Enkelin Blanka kam Navarra 1445 an Johann von Aragonien, mit welchem Königreich es nun 54 Jahre vereinigt blieb.
König Johann hinterließ 1479 Navarra seiner Tochter Eleonore, die an Gaston, Grafen von Foix und Vicomte von
Béarn, vermählt war, durch welchen Béarn an Navarra kam. Johanns Enkeltochter Katharina, die ganz Navarra ihrem Gemahl Johann von Albret
als Mitgift zubrachte, verlor 1512 im Kampf mit Ferdinand dem Katholischen Obernavarra, das nun als spanisches Navarra Spanien einverleibt
wurde.
Heinrich II., Johanns Sohn, folgte 1517 in Niedernavarra und in Béarn. Zwar versuchte er 1521 nach Ferdinands Tod sich mit Frankreichs
Beistand wieder in den Besitz des spanischen Navarra zu setzen; doch konnte er, obwohl von Frankreich unterstützt, gegen Karl I.
(Kaiser Karl V.) nichts ausrichten. Heinrich vermählte sich 1527 mit Margarete von Valois, Schwester des Königs
Franz I. von Frankreich, die sich durch Gründung von Kollegien und andern Schulen um Niedernavarra verdient machte.
Seine Erbtochter, Johanna von Albret, vermählt mit Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme, führte die Lehre Calvins in Navarra ein. Durch
ihren Sohn Heinrich III., der 1589 als Heinrich IV. den Thron Frankreichs bestieg, kam Niedernavarra an Frankreich,
dessen Könige bis zur Julirevolution den Titel König von Frankreich und Navarra führten. Doch behielt Niedernavarra noch bis zur
französischen Revolution 1789 eine besondere Verwaltung und manche Vorrechte.
Vgl. Olhagary, Histoire de Foix, Béarn et Navarre
(Par. 1609);
Faryn, Histoire de Navarre (das. 1622);
Bordenave (gest. 1572), Histoire de Béarn et Navarre
(hrsg. von Raymond, das. 1873).