Durch französische und holländische Einflüsse hat der Naturalismus auch in
Deutschland
[* 4]
Boden gewonnen, in seiner übertriebenen Erscheinungsform
durch M. Liebermann, mit weiser Benutzung seiner unbestreitbarenRechte durch F. v.
Uhde und W. Firle.
Doch besteht zwischen
beiden
Richtungen der
Kunst insofern ein Unterschied, als der Naturalismus ein wirkliches Abbild der
Natur mit allen ihren Zufälligkeiten
bieten will, während der
Realismus nur den
Schein des
Lebens in kleinerm
Maßstab
[* 5] wiedergibt. - Im philosophischen
Sinn bezeichnet Naturalismus die
Verwerfung aller Glaubenssätze, von deren Gültigkeit man sich nicht durch eignes
Denken überzeugt
hat, und unterscheidet sich vom (theologischen)
Rationalismus dadurch, daß er die
Thatsache der
Offenbarung selbst leugnet,
während dieser sich nur das
Recht zur
Prüfung der geoffenbarten
Lehren
[* 6] gewahrt wissen will.
in der Rechtssprache die Berechnung einer
Frist nach ihrem natürlichen
Lauf (a momento ad momentum),
im
Gegensatz zur Zivilkomputation, bei welcher der
Tag des Anbeginns der
Frist nicht mitgezählt wird.
expellasfurca,tamenusquerecurret (lat.),
»Du magst die
Natur (das
Naturell) mit
Gewalt austreiben, sie wird doch stets zurückkehren«,
Citat aus Horaz'
Episteln (I, 10, 24).
Bezeichnung solcher Dichter, welche, ohne höhere
Bildung genossen zu haben, bloß von ihrem natürlichen
Gefühl geleitet, sich poetisch aussprechen. Der vorwaltende
Charakter dieser Naturpoesie ist heiter und gemütlich, und ihr
Inhalt pflegt selten über die Gegenstände des gewöhnlichen
Lebens hinauszugehen; aber diese werden in
einfacher Natürlichkeit aufgefaßt und dargestellt, weshalb Naturdichter nicht mit schlecht gebildeten
Dilettanten zu verwechseln sind,
wie häufig geschieht. Als Naturdichter sind vornehmlich die sogen.
Dialekt- oder Volksdichter zu nennen, unter den
Deutschen der
Nürnberger
Flaschnermeister
Grübel, unter denFranzosen der Friseur
Jasmin,
der
MüllerBasselin, der Bäckermeister
JeanReboul, unter den
SchottenRobertBurns und
JamesHogg.
(franz. naturel), der Inbegriff der ganzen leiblichen
Eigentümlichkeit des
Individuums, sofern seine geistige dadurch bleibend beeinflußt wird. Dasselbe unterscheidet sich sowohl
von der leiblichen
Natur, bei welcher von deren Einfluß auf den
Geist abgesehen, als von dem
Temperament (s. d.), bei welchem
nur der Einfluß des
Nervensystems auf denselben berücksichtigt wird. Streng genommen hat jeder
Mensch,
weil unter besondern äußern physikalischen Einflüssen
(Boden,
Klima,
[* 7] Nahrungsverhältnissen etc.) und von besondern Eltern
(Goethes »Frohnatur« von der
Mutter,
»Statur« und »des
Lebens ernste
Führung« vom
Vater) geboren, sein eignes Naturell. Wird im weitern
Sinn die ganzen
Familien,
Stämmen, Völkern, die unter gemeinsamem Himmelsstrich und verwandten physischen
Bedingungen leben,
sowie die Geschlechtern und
Lebensaltern allenthalben gemeinschaftliche leibliche
Beschaffenheit in Betracht gezogen, so läßt
sich von einem
Familien-,
Stammes-,
Volks- sowie von einem
Geschlechts- und Altersnaturell sprechen.
Südlichen Völkern wird ein hitziges, nördlichen ein kälteres Naturell beigelegt;
gewisse
Familien, z. B. die der ersten römischen
Cäsaren, zeichneten sich durch ein erbliches Naturell (»Cäsarenwahnsinn«)
aus;
im
Knaben,
Jüngling, Mann und
Greis äußert sich nach der berühmten Schilderung der
Lebensalter in
Horatius'
»Brief an die Pisonen« ein verwandeltes Naturell. Da sich die leibliche
Konstitution bis zu einem gewissen
Grade
durch künstliche
Mittel
(Diät, ausschließlicher
Genuß gewisser
Nahrungsstoffe, Vegetarismus) bleibend umstimmen läßt, wodurch
auch deren Einfluß auf das geistige und Gemütsleben sich ändert, so kann man im
Gegensatz zum ursprünglichen (angebornen)
auch von einem anerzogenen (erworbenen) Naturell reden.
jährliche Versammlungen deutscher Naturforscher und
Ärzte.
Oken forderte
in seiner
Zeitschrift
»Isis«
[* 8] im J. 1821 auf, die Naturforscher möchten sich alljährlich zum
Zweck geselligen und wissenschaftlichen
Verkehrs und Austausches einmal versammeln, nachdem
GrafSternberg schon 1815 solche
Kongresse der
Botaniker vorgeschlagen und
ein
Kapital dafür gestiftet hatte. Am fand zu
Leipzig
[* 9] die
Eröffnung der ersten Versammlung
statt.
GrafSternberg war es auch, der A. v.
Humboldt und den
Minister v.
Altenstein für diese durch
Okens Auftreten einigermaßen diskreditierten
Versammlungen gewann und sowohl die erste großdeutsche
Naturforscherversammlung in
Berlin
[* 10] (1826) als in
Wien
[* 11] (1832) zu stande
brachte. Damit waren die politischen
Vorurteile überwunden, und seitdem hat mit wenigen durch
Seuchen
oder
Kriege veranlaßten Ausnahmen alljährlich vom 18. bis 25. Sept. eine solche Versammlung stattgefunden, und diese Einrichtung
ist auch von andern Kulturvölkern adoptiert sowie von andern Fachkreisen nachgeahmt worden. Aus den
Statuten ist von allgemeinerm
Interesse nur das Folgende: Zutritt zu den
¶
mehr
Versammlungen hat jeder, der sich wissenschaftlich mit irgend einem Zweig der Naturwissenschaft und der Medizin beschäftigt
hat; aber stimmberechtigtes Mitglied ist nur ein solcher, der sich, abgesehen von der Inauguraldissertation, noch als naturwissenschaftlicher
Schriftsteller bekannt gemacht hat. Die Versammlung hatte bis 1887 kein Vermögen, keinen bleibenden Vorstand, keinen festen
Wohnsitz; doch sind für die Zukunft Abänderungen geplant. Der Ort der Versammlung und die Geschäftsführer
derselben werden jedesmal für das folgende Jahr im voraus erwählt. Es finden öffentliche Sitzungen und Sitzungen der Sektionen
statt, deren Zahl bei der zweiten Berliner
[* 13] Versammlung (1886) bereits auf 30 gestiegen war. In neuerer Zeit haben
sich die Vertreter mehrerer Disziplinen, wie z. B. die Meteorologen, Anthropologen u. a.,
zur Abhaltung besonderer Jahresversammlungen vereinigt.