als
Kraftsinn
(Muskelsinn) bezeichnen könnte. Man kann mit seiner
Hilfe, ganz unabhängig vom
Tastsinn, den Unterschied zweier
Gewichte noch genauer bestimmen als mittels des
Tastsinnes. Wir wissen durch
Erfahrung, welche Anstrengung bestimmter
Muskeln
[* 2] dazu erforderlich ist, um unsre
Glieder
[* 3] in eine gewisse
Lage zu versetzen
und sie darin zu erhalten, so
genau, daß wir jeden
Augenblick durch den
Grad der Anstrengung der einzelnen
Muskeln, in dem sich diese gerade befinden, anzugeben
vermögen, in welcher
Lage sich unsre
Glieder befinden, auch ohne daß wir sie sehen, und ohne daß sie sich gegenseitig berühren.
Es ist einleuchtend, daß diese Kenntnis von derLage unsrer
Glieder auch benutzt werden kann zur
Wahrnehmung
der
Größe und Gestalt der Gegenstände, welche wir mit beiden
Händen ergreifen, sowie zur
Erhaltung des
Gleichgewichts beim
Gehen und Stehen. Die Feinheit und Sicherheit der Muskelkontraktion, welche auf den eben genannten
Ursachen beruht, ist unstreitig
am überraschendsten bei derBildung der
Töne und Sprachlaute im
Kehlkopf
[* 4] und in der Mundhöhle beim
Singen
und Sprechen.
(lat. Musculi, »Mäuschen«;
hierzu Tafel »Muskeln des
Menschen«),
die Bewegungsorgane der mehrzelligen
Tiere, bestehen aus einer, mehreren oder vielen
Zellen, deren protoplasmatischer
Inhalt sich auf einen
Reiz hin zusammenziehenu. so die mit ihren
Enden in
Verbindung stehenden Gegenstände
(Knochen
[* 5] etc.) von der
Stelle rücken kann. Man unterscheidet glatte und quergestreifte Muskeln; die
erstern, einfachern sind nichts als kontraktile, sehr in die
Länge gezogene
Zellen
[* 1]
(Fig. 1), die letztern gehen meist aus
der Verschmelzung einer
ReiheZellen zu einerFaser hervor und enthalten immer mehrere
Kerne, sind also mehreren
Zellen gleich zu setzen.
Die
Haut
[* 6] einer solchen
Faser (Muskelfaser oder Primitivbündel) heißt
Sarkolemma
[* 1]
(Fig. 2 b); der
Inhalt ist in eigentümlicher
Weise quer gestreift und zerfällt bei Behandlung mit gewissen Reagenzien leicht in eine Anzahl noch feinerer
Fasern
(Primitiv-
oder Muskelfibrille,
[* 1]
Fig. 2 a), was bei der glatten Muskelfaser nicht der
Fall ist. Nur selten jedoch
besteht der ganze Muskel aus einer einzigen
Faser; gewöhnlich vereinigen sich viele nebeneinander gelegene zu einem Bündel
und mehrere Bündel erst zu einem Muskel (im engern
Sinn).
Letztere sind es, die bei den höhern
Tieren das sogen.
Fleisch ausmachen, aber auch sonst noch in den meisten
Organen des
Körpers vertreten sind. Im allgemeinen sind die quergestreiften als die kräftigern für alle
Bewegungen vorhanden,
welche schnell ausgeführt werden müssen, somit fast immer dem
Willen unterworfen sind
(willkürliche oder animale Muskeln), während
die glatten Muskeln meist die unwillkürlichen Zusammenziehungen der vegetativen
(Ernährungs-,
Fortpflanzungs-
etc.)
Organe besorgen.
Doch ist diese
Scheidung nicht streng durchführbar, denn z. B. das
Herz der höhern
Tiere besteht aus quergestreiften Muskeln. Zu
jedem Muskel gehören außer dem wesentlichen
Bestandteil, nämlich der kontraktilen
Substanz, und außer dem
SarkolemmaBindegewebe
zur Trennung der einzelnen Bündel und
Fasern, ferner
Gefäße und
Nerven.
[* 7]
Letztere, welche den Anstoß zur
Zusammenziehung liefern müssen, verzweigen sich an ihm und endigen unter noch nicht völlig ermittelten Umständen mit einer
sogen. Nervenendplatte
[* 1]
(Fig. 2 b). Die
Anordnung der willkürlichen Muskeln, wie man sie bei den höhern
Tieren in so komplizierter
Weise antrifft, ist aus der sehr viel einfachern mancher niedern
Tiere hervorgegangen.
Ursprünglich nämlich haben die Muskeln in der
Haut selbst gelegen und dort eine mehr oder minder vollständige
Schicht gebildet,
die später von der
Haut weg unmittelbar unter dieselbe gerückt ist und in dieser Form als Hautmuskelschlauch noch beiWürmern
vorkommt. Bei diesen umschließt er die
Leibeshöhle und besteht aus Ringmuskeln zur
Verengerung und Längsmuskeln zur
Verkürzung
des Gesamtkörpers. Wo letzterer in
Segmente zerfällt, werden diese, indem die Längsmuskulatur gleichfalls in
Stücke zerlegt
ist, gegeneinander beweglich; treten
Gliedmaßen auf, so verlaufen zu ihnen vom
Rumpf aus Muskeln, die sich alsdann
an die
Haut derselben ansetzen
(Krebse,
Insekten).
[* 8]
Erst wo es zur
Bildung eines innern
Skelettes kommt
(Wirbeltiere), tritt der Hautmuskelschlauch mehr gegen die tiefer gelegene
Muskulatur der
Knochen zurück, hat sich jedoch auch bei den
Säugetieren noch vielfach in großer
Ausdehnung
[* 9] erhalten (z. B.
beim
Igel, wo er die Zusammenkugelung besorgt, oder beim
Pferde,
[* 10] das sich mit seiner
Hilfe der
Insekten erwehrt;
beim
Menschenist er nur noch am
Hals als sogen. Platysma myoides vorhanden). Bei den Muskeln der
Wirbeltiere geht nicht nur jede
glatte, sondern auch jede quergestreifte
Faser aus einer einzigen
Zelle
[* 11] hervor, welche bis zu 4
cmLänge
erreichen kann und an
Stelle des einen ursprünglichen
Kerns deren mehrere besitzt. Die
Farbe der Muskeln wechselt von
Weiß bis zu
intensivem Fleischrot; sie wird zum Teil vom
Gehalt an
Blut bedingt, ist aber sonst den
Fasern eigen; der
Farbstoff ist dem der
roten Blutkörperchen
[* 12]
(Hämoglobin) gleich. Die lebhaft roten Muskeln scheinen energischer zu sein als die
blassen. Die willkürlichen Muskeln stehen fast alle an ihrem Anfang und Ende mit dichten, fibrösen, seidenglänzenden
Strängen
(Sehnen, s. d.,
Flechsen) oder,
Auf der rechten Körperhälfte sind die oberflächlichen Muskeln teilweise abgetragen worden, dadurch
tritt die Schenkelarterie in ihrem ganzen Verlauf zum Vorschein.
wenn sie eine glatte Gestalt haben, mit solchen Häuten (Sehnenhäuten) in Verbindung. Diese stellen gleichsam die Zugseile
vor, durch welche die lebendige Kraft des Muskels auf den beweglichen Knochenübertragen wird. Bei der Kontraktion wird der
Muskel kürzer und dem entsprechend dicker, indes die Sehne unverändert bleibt. Man unterscheidet an jedem
Muskel eine Ursprungs- und Endsehne, während das eigentliche Fleisch des Muskels Muskelbauch heißt. Zerfällt letzterer durch
eine eingeschobene Sehne in zwei Teile, so ist er ein zweibäuchiger Muskel.
Verläuft die Sehne eines Muskels in seinem Fleisch eine Strecke weit aufwärts, und befestigen sich die Muskelbündel von zwei
Seiten her unter spitzem Winkel
[* 18] an sie, so hat man einen gefiederten Muskel. Liegt die Sehne an einem Rande
des Fleisches, und ist die Richtung zu ihr dieselbe schiefe wie beim gefiederten Muskel, so wird er halbgefiederter Muskel genannt.
Hat ein Muskel mehrere Ursprungssehnen, welche fleischig werden und dann in einen gemeinschaftlichen Muskelbauch
übergehen, so ist er ein zwei-, drei- oder vierköpfiger Muskel. In der beschreibenden Anatomie geschieht die Benennung der
einzelnen Muskeln teils nach ihrer Form, teils nach ihrem Ursprung und Ende, teils nach ihrer Wirkung etc. Über die chemische
Beschaffenheit der s. Fleisch, S. 359 f.
Die Physiologie unterscheidet am Muskel drei verschiedene Zustände, nämlich 1) den derRuhe, 2) den der Starre und 3) denjenigen
der Thätigkeit.
Der ruhende Muskel besitzt eine geringe, indessen höchst vollkommene Elastizität. Über den Stoffwechsel im ruhenden Muskel
weiß man kaum mehr, als daß er durchgeleitetes arterielles Blut schnell in venöses verwandelt. AbsoluteRuhe der Muskeln kommt in Wirklichkeit nur selten vor, der scheinbar ruhende Muskel des lebenden Körpers befindet sich vielmehr
meistens in einem Zustand tonischer Kontraktion. Dieser Zustand wird regelmäßig beobachtet, sobald die Muskeln mäßig gespannt
sind. Die Bedeutung dieser an sich nur sehr geringen Kontraktion für die Mechanik der Bewegung ist eine
außerordentlich hohe, denn durch sie wird es ermöglicht, daß beim Übergang aus dem Zustand der Ruhe in den der Thätigkeit
sofort eine Annäherung der Befestigungspunkte erfolgen kann, ohne daß erst Zeit und Kraft
[* 19] zur Anspannung des schlaffen Muskels
verloren ginge. Es wird also auf diese Weise der sogen. tote Gang
[* 20] der Maschine
[* 21] vermieden.
Unter Muskelstarre versteht man einen eigentümlichen Zustand, in welchem die Muskeln ihre Erregbarkeit vollständig eingebüßt
und sich in ihrer Längsrichtung wesentlich verkürzt haben. Dabei hat sich ihre Elastizität bedeutend verringert, und ihre
Reaktion ist sauer geworden. Die Starre wird durch die Gerinnung des Myosins hervorgerufen, und alle die
zahlreichen Einflüsse, welche die Gerinnung dieses Körpers beschleunigen oder verzögern, fördern oder hindern auch den
Eintritt der Starre.
Dem entsprechend wird sie beispielsweise gefördert durch Wärme.
[* 22] Beim Erwärmen des Muskels auf 48-50° erfolgt sie fast augenblicklich
(Wärmestarre), während sie sich durch Abkühlung des Muskels auf 0° um mehrere Tage hinausschieben läßt.
Die Muskeln verfallen kurze Zeit nach dem Absterben stets in den Zustand der Starre. Hierdurch wird die eigentümliche steife Beschaffenheit
der Leichen bedingt, die unter dem Namen der Totenstarre (rigor mortis) bekannt ist. Die Starre stellt keinen bleibenden Zustand
dar; beim Eintritt der Fäulnis verschwindet
sie, weil die saure Reaktion des starren Muskels durch Ammoniakbildung
in eine alkalische verwandelt wird.
Die Thätigkeit des Muskels offenbart sich nach außen als eine Formveränderung, bei der seine Länge ab-, seine Dicke zunimmt.
Da man bei dem mechanischen Effekt dieser Formveränderung, also bei der Leistung des Muskels, fast ausschließlich
die Verringerung des Längsdurchmessers berücksichtigt, so bezeichnet man die Thätigkeit des Muskels auch einfach als Zusammenziehung
oder Kontraktion des Muskels, und weil diese Kontraktion außerordentlich schnell verläuft und einen zuckenden Charakter hat,
so spricht man auch von einer Muskelzuckung.
Die Fähigkeit des Muskels, sich zu verkürzen, nennt man seine Erregbarkeit oder Irritabilität. Sie wohnt
der Muskelsubstanz als solcher inne und ist völlig unabhängig von der Nervenirritabilität. Denn auch nervenlose Muskelfasern
sind erregbar, und es gibt eine ganze Anzahl von Muskelreizen, welche keine Nervenreize sind. Eine Kontraktion findet nur
infolge gewisser Einwirkungen, die man als Reize bezeichnet, statt. Als solche kennen wir:
1) Die von dem Zentralnervensystem ausgehenden und durch die Nerven vermittelten Reize. Durch sie kommen sowohl willkürliche
als reflektorische Kontraktionen zu stande.
4) ThermischeReize. Berührt man einen ausgeschnittenen Muskel eines frisch getöteten Tiers mit Körpern, die wärmer oder kälter
als der Muskel sind, so gerät dieser in Thätigkeit.
5) Elektrische
[* 24] Reize. Sie haben für die Experimentalphysiologie eine außerordentliche Bedeutung erlangt, weil man sie so
genau beherrschen und abstufen kann, daß sie weniger als die übrigen Reize die Muskeln erschöpfen und für
fernere Reizungen untauglich machen. Da Stromesschwankungen weit wirksamer sind als der konstante Strom, so bedient man sich
allgemein des Induktionsstroms. Jeder einzelne Induktionsstrom bedingt eine Zuckung, deren Umfang von der Dichtigkeit des Stroms
und der Erregbarkeit des Muskels abhängig ist. Die Experimentalphysiologie bedient sich bei ihren Untersuchungen
der Muskelpräparate von frisch getöteten Kaltblütern (besonders Fröschen), weil diese weit länger ihre Erregbarkeit bewahren
als diejenigen der Warmblüter.
Zum Ablauf
[* 25] jeder einzelnen Muskelkontraktion ist ein nicht unbedeutender Zeitabschnitt erforderlich. Wird ein Muskel von so
schnell aufeinander folgenden Reizen betroffen, daß er während der nur kurzen Pausen keine Zeit findet,
wieder in den Zustand der Ruhe zu gelangen, so gerät er in einen eigentümlichen Zustand, den man als Starrkrampf oder Tetanus
bezeichnet. Nimmt auch unser Auge
[* 26] an dem tetanischen Muskel keine Bewegung wahr, so verweilt dieser doch keineswegs
im Zustand der Ruhe, sondern es folgt hier Kontraktion auf Kontraktion. Dieses wird besonders durch die Erscheinung des Muskelgeräusches
oder Muskeltons bewiesen. Man versteht darunter einen schwachen Ton, den das Ohr
[* 27] beim Auflegen auf einen in Tetanus versetzten
Muskel empfindet. Er wird nur dann vernommen, wenn der tetanische Muskel mindestens 19 Kontraktionen in der
Sekunde ausführt, und wird um so höher, je größer die Zahl der Kontraktionen sich gestaltet.