mehr
Hauptwirkungskreis in der Oper, weil die absolute Musik ihren Kräften nur geringen Spielraum bot, nachdem Beethoven auf diesem Gebiet scheinbar das letzte Wort gesprochen hatte, jedenfalls seiner Zeit um mehrere Menschenalter vorausgeeilt war. Überdies war mit dem Aufschwung der deutschen Sprache [* 2] und Dichtung ein wesentliches Hindernis für die Entwickelung der deutschen Vokalmusik beseitigt, und die der klassischen Zeit folgende Epoche der romantischen Dichtung bot ihr neben einer reich ausgebildeten Sprache noch eine Fülle neuen, zur musikalischen Bearbeitung vortrefflich geeigneten Stoffes.
Diesen Umständen verdankte die deutsche romantische Oper ihre Entstehung, als deren Hauptvertreter Spohr (»Faust«, 1816),
Weber (»Freischütz«, 1821) und Marschner (»Vampir«, 1828) zu nennen sind. Von ihnen wußte besonders Weber neben dem romantischen und phantastischen auch für das volkstümliche Element den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu finden, und deshalb konnte sein »Freischütz« zu einer Popularität gelangen, welche selbst Mozarts Opern, obwohl ihm an tonkünstlerischem Wert weit überlegen, nicht erreicht haben. Marschner wußte auch für Darstellung des Komischen den richtigen Ton zu treffen und hat auch auf diesem Gebiet unbestreitbare Erfolge gehabt; ja, die Stärke [* 3] der romantischen Strömung seiner Zeit scheint ihn allein abgehalten zu haben, sich der komischen Oper, welche in Deutschland [* 4] überhaupt nur zwei namhafte Vertreter in Dittersdorf (gest. 1799), dem Zeitgenossen Mozarts, und im 19. Jahrh. in Lortzing (gest. 1851) gefunden hat, mit ganzer Kraft [* 5] zu widmen. Eine zweite musikalische Nachwirkung der sprachlichen und dichterischen Errungenschaften des 18. Jahrh. war die Ausbildung des deutschen Liedes. Schon seit der Fridericianischen Zeit hatten ernst strebende Männer, wie Reichardt (gest. 1814), Zelter (gest. 1832) u. a., sich bemüht, das Volkslied durch kunstmäßige Behandlung zu veredeln; die volle Verwirklichung dieses Plans jedoch, die Umgestaltung des Volksliedes zum Kunstlied, sollte erst dem genialen Erben der Beethovenschen Kunst, Franz Schubert (»Erlkönig«, 1821), gelingen.
Durch ihn wurde der Typus dieser Kunstgattung endgültig festgestellt, und wenn auch spätere Komponisten, wie Mendelssohn, Schumann, Rob. Franz, sie nach einer oder der andern Seite weiterhin ausbauten, so ist doch die naive Kraft, der unerschöpfliche Melodienreichtum und die feine Charakteristik des Schubertschen Liedes zu keiner Zeit wieder erreicht worden. In diesen beiden Fällen hatte die Instrumentalmusik einen wichtigen Anteil am Erfolg; denn wie die romantische Oper nur durch Verwendung des von Beethoven hinterlassenen Orchesters ihre Aufgabe lösen konnte, das von den Dichtern erschlossene Reich der Phantasie mit Hilfe des Tons zu beleben, so bedurfte das deutsche Lied in seiner modernen Gestalt der Mitwirkung des Beethovenschen Klaviers, um die in der Lyrik Goethes und seiner Nachfolger erscheinende Mannigfaltigkeit subjektiver Empfindungen in Tönen erschöpfend darzustellen. Im Gegensatz zu dem ältern Lied, welches sich an der einfachsten Begleitung genügen ließ, gewann diese im Schubertschen Lied eine solche Selbständigkeit und Bedeutung, daß sie die Singstimme nicht nur ergänzend unterstützt, sondern ihr auch nicht selten gleichberechtigt gegenübertritt.
Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß gerade in Wien, [* 6] dem Schauplatz von Schuberts Wirksamkeit, das Klavierspiel einen außerordentlichen Aufschwung genommen hatte und zuerst durch Mozart, auf welchen die durch Ph. Em. Bach vermittelten Traditionen Seb. Bachs übergegangen waren, sowie durch Beethoven, der den Grund seines musikalischen Rufs bekanntlich als Klaviervirtuose gelegt hat, aufs reichste entwickelt war. Nach ihnen fand die sogen. Wiener Schule in Mozarts Schüler Hummel (gest. 1837) einen würdigen Repräsentanten (auch Moscheles [gest. 1870], in der Prager Schule Tomascheks ausgebildet, darf als Nachfolger jener Meister gelten); dann aber schlägt sie unter Czernys (gest. 1857) Leitung eine Richtung auf das Äußerlich-Virtuosenhafte ein, bis mit dem Auftreten der drei bedeutendsten Schüler desselben, Liszt (gest. 1886), Thalberg (gest. 1871) und Theodor Kullak (gest. 1882), das Klavierspiel wiederum die Lösung höherer Kunstaufgaben zum Ziel nimmt. Nicht minder erfreuliche Fortschritte macht das Violinspiel in der ersten Hälfte des Jahrhunderts unter Spohr (gest. 1859), der mit seiner Thätigkeit als Komponist die des Violinvirtuosen und Lehrers aufs glücklichste vereinte und während seiner langjährigen Künstlerlaufbahn eine sehr große Zahl von Schülern bildete, unter denen die bedeutendsten, Hubert Ries in Berlin [* 7] (gest. 1886) und Ferd. David in Leipzig [* 8] (gest. 1873), wiederum Häupter besonderer Schulen wurden. Auch in Wien blühte das Violinspiel anfangs unter Schuppanzigh (gest. 1830), dem ersten Interpreten der Beethoven-Streichquartette, dann unter seinem Schüler Mayseder (gest. 1863), dessen Lehrgabe auf Jos. Böhm (gest. 1876) und von diesem auf Jakob Dont (geb. 1815) überging.
Rechnet man die Vervollkommnung hinzu, welche die Technik auch der übrigen Instrumente durch Künstler wie B. Romberg (Violoncello), Bärmann (Klarinette), Fürstenau (Flöte) u. a. fand, so wird es begreiflich, daß nach Beethovens Tod, wiewohl seine musikalische Hinterlassenschaft noch für lange Jahre hinaus Nahrung bot, der Versuch gewagt wurde, die Instrumentalmusik als solche weiterzubilden. Felix Mendelssohn (1809-1847) und Rob. Schumann (1810-56) unternahmen es, wenn nicht über Beethoven hinauszugehen, so doch der absoluten Musik neue Gebiete zu erschließen, und dies gelang namentlich dem erstern, indem er die Fähigkeit der Instrumente zu tonmalerischen Schilderungen (z. B. in seinen Ouvertüren zum »Sommernachtstraum«, »Meeresstille und glückliche Fahrt«) aufs geschickteste zu verwerten wußte.
Der Schwerpunkt [* 9] der Leistungen dieser beiden Meister liegt gleichwohl nicht in ihrer Orchestermusik, sondern in den Stimmungsbildern knappster Form, zu denen sie sich durch das Klavier inspirieren ließen. Mendelssohns »Lieder ohne Worte« und Schumanns gleichartige Arbeiten übten, indem sie die intimsten Regungen der Künstlerseele widerspiegelten, auf die Zeitgenossen einen ungemeinen Reiz aus und fanden zahlreiche Nachahmer, wirkten anderseits aber auch nachteilig, weil sie der Subjektivität einen unbeschränkten Spielraum gewährten.
Gegen diese fand Mendelssohn ein Gegengewicht in dem liebevollen Studium der Werke Bachs und Händels, und indem er dieselben der Vergessenheit entriß, welcher sie bald nach dem Tod ihrer Schöpfer verfallen waren (die von ihm unter den größten Schwierigkeiten durchgesetzte Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion in Berlin, 1829, ein Jahrhundert nach ihrer ersten Aufführung, ist eine der verdienstvollsten von seinen künstlerischen Thaten), indem er sich ferner durch das Beispiel jener Meister zu seinen bedeutendsten Werken, den Oratorien: »Paulus« (1836) und »Elias« (1846), begeisterte, hat er für sich und seine Zeit die Gefahren ¶
mehr
eines einseitigen Kultus der Instrumentalmusik glücklich abgewendet.
In Frankreich und Italien, [* 11] wo die Neigung zur Oper auch im 19. Jahrh. überwiegend ist, macht sich die Einwirkung der Instrumentalmusik weniger entschieden geltend; doch ist nicht zu verkennen, daß die dramatische auch dort unter ihrem Einfluß steht. Besonders gilt dies von Frankreich, wo Cherubini (»Wasserträger«, 1800) und Méhul (»Joseph in Ägypten«, [* 12] 1807) im engen Anschluß an Haydn, Spontini (»Vestalin«, 1807) dagegen als geistiger Erbe Glucks die Große Oper auf der unter dem letztgenannten Meister erreichten Höhe erhalten.
Auch die nächste Generation der für dies Kunstinstitut arbeitenden Komponisten, Auber (»Stumme von Portici«, 1828),
Meyerbeer (»Robert der Teufel«, 1831) und Halévy (»Jüdin«, 1835) machen vom Orchester den ausgedehntesten Gebrauch; ja, es wird dasselbe, von Meyerbeer wenigstens, nicht selten zu Effekten verwendet, die außerhalb der Sphäre des Künstlerischen liegen. Mit dem Auftreten dieses zwar genial beanlagten, in der Verwendung seiner Gaben jedoch wenig gewissenhaften Komponisten beginnt der Niedergang der französischen »großen« Oper, wogegen die komische Oper, nachdem Boieldieu (»Johann von Paris«, [* 13] 1812),
Auber (»Maurer und Schlosser«, 1824),
Hérold (»Zampa«, 1831) und Adam (»Postillon von Longjumeau«, 1836) den Wegen Grétrys gefolgt waren, noch eine reiche Blütezeit erlebt, bis auch sie um Mitte des Jahrhunderts durch Offenbach [* 14] (gest. 1880) in niedrigere, nicht selten gemeine Sphären hinabgezogen wird. Italien zeigte schon Ende des 18. Jahrh. eine merkliche Abnahme seiner musikalischen Produktionskraft; zwar lauschte Europa [* 15] noch bis Anfang dieses Jahrhunderts den einschmeichelnden Melodien der letzten Ausläufer der neapolitanischen Schule, den Opern eines Cimarosa (gest. 1801), Sarti (gest. 1802), Paesiello (gest. 1816), Zingarelli (gest. 1837) u. a.; doch waren die idealer angelegten Tonkünstler Italiens [* 16] schon seit längerer Zeit darauf hingewiesen, wie Cherubini und Spontini, in der Anlehnung an die Musik des Auslandes künstlerische Befriedigung zu finden.
Auch die reine Instrumentalmusik findet nicht länger auf italienischem Boden die zu ihrem Gedeihen erforderliche Nahrung; der größte Klavierspieler Italiens, der Römer [* 17] Muzio Clementi (gest. 1832), fand seinen Wirkungskreis von 1766 an in London [* 18] und wurde dort das Haupt jener berühmten Schule, aus welcher unter andern J. B. ^[Johann Baptist] Cramer, John Field und Ludwig Berger (der Lehrer Mendelssohns) hervorgingen. Der letzte Vertreter des klassischen italienischen Violinspiels aber, Viotti (gest. 1824), erlangte eine ähnliche Stellung in Paris als Stifter der französischen Violinschule, deren Repräsentanten Rode, Kreutzer und Baillot als Virtuosen und Komponisten, besonders aber als die Verfasser der vielverbreiteten »Méthode de violon« (1803) ihr einen Weltruf erwarben.
Daß aber auch jetzt der musikalische Genius Italiens die Kraft zu selbständiger Kundgebung noch nicht verloren hatte, beweist die blendende Erscheinung Rossinis, der von 1813 an, wo sein »Tankred« in Venedig [* 19] zum erstenmal in Szene ging, bis 1829, wo er (38 Jahre vor seinem Tod) mit dem »Tell« für immer von der Bühne Abschied nahm, ganz Europa durch den Zauber seiner Melodie zu fesseln wußte, derart, daß z. B. das Wiener Publikum selbst Beethoven und Weber über ihm vergessen konnte. Indessen sah auch er sich schließlich gezwungen, dem Ausland seinen künstlerischen Tribut zu entrichten, und es darf als ein Zeichen der Zeit gelten, daß er sein bedeutendstes, an Reichtum und Gediegenheit seinen übrigen Opern weit überlegenes Werk, den »Tell«, für die französische Große Oper geschrieben hat.
Das Musikleben der Gegenwart bietet in seinen hervorragenden Erscheinungen so bedeutsame Anknüpfungspunkte an Vergangenes, daß eine Charakteristik desselben dem vorstehenden musikgeschichtlichen Rückblick als Abschluß nicht fehlen darf. In erster Reihe ist es die imposante Künstlerpersönlichkeit Richard Wagners (1813-83), welche den Blick auf sich zieht. Die von ihm in Angriff genommene Reform der Oper, welche sich im Prinzip der Glucks anschließt, insofern auch Wagner im musikalischen Drama für die Dichtkunst den ersten Platz beansprucht und der Tonkunst nur eine sie unterstützende Rolle zuweist, kann zwar noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden, hat jedoch bereits eine wesentliche Umgestaltung der Kunstanschauung sowie eine Neubelebung der künstlerischen Produktion bewirkt.
Und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland; denn die bedeutendsten Opernkomponisten des heutigen Italien und Frankreich, Verdi (»Aida«, 1871) und Gounod (»Faust«, 1859), haben sich dem Einfluß des deutschen Meisters nicht entziehen können. Noch ungleich bestimmter äußert sich derselbe auf die jüngere Komponistengeneration, welche in den genannten Ländern sowie namentlich auch in Rußland dem von Wagner als Dichter, Komponist und Ästhetiker gegebenen Impuls meist mit Begeisterung gefolgt ist.
Wie auf dem Gebiet der dramatischen, so zeigt sich auch auf dem der kirchlichen Tonkunst unsrer Zeit ein eifriges Streben, durch engern Anschluß an die Dichtung die Vokalmusik zu jener ursprünglichen Reinheit zurückzuführen, die sie durch die Übergriffe der Opern- und der Instrumentalmusik (die letztere von R. Wagner zutreffend als eine »veredelte Tanzmusik« bezeichnet) während der letzten zwei Jahrhunderte eingebüßt hatte, und hier ist es besonders der Gregorianische Gesang, an dessen Wiederherstellung eine große Zahl reichbefähigter Männer, wie F. X. Haberl, Herausgeber des »Magister choralis«, Franz Witt, der Gründer des Allgemeinen deutschen Cäcilienvereins, Joseph Mohr u. a., in Frankreich Guéranger, Pothier, Bonhomme u. a., mit Liebe u. Sachkenntnis arbeiten. Zu den Mitarbeitern an diesem verdienstvollen Werke gehört auch Franz Liszt, der sich von 1860 an vorwiegend der Kirchenkomposition widmete und in zahlreichen Werken dieser Gattung, namentlich in seinem Oratorium »Christus«, durch Verwendung der Kirchentonarten und Gregorianischer Gesangsmotive den religiösen Empfindungen ungleich bessern Ausdruck verlieh, als es die von der Oper völlig überflutete Kirchenmusik des vorigen und der ersten Jahrzehnte unsers Jahrhunderts vermochte, auch die als rein musikalische Kunstwerke höchst wertvollen Kirchenkompositionen Cherubinis nicht ausgenommen. Ein ebenso großes Verdienst hat sich Liszt, seitdem er die Virtuosenlaufbahn verlassen, um die Ausbildung der Instrumentalmusik erworben; er war es, der in geistiger Gemeinschaft mit dem genialen Franzosen Hector Berlioz (gest. 1869) die sogen. Programmmusik, d. h. eine Musik, welche einen bestimmten dichterischen Inhalt in Tönen versinnlicht, ohne jedoch in eigentliche Tonmalerei auszuarten, zu einer neuen Kunstgattung ausbildete und in seinen gewaltigen symphonischen Dichtungen zeigte, daß eine derartige Verbindung von Dicht- und Tonkunst, weit entfernt, dem ¶