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etwas auch nur annähernd Ähnliches aufzuweisen hat. Indem hier die eine Sprache [* 2] redet, die mit ihrer freien und kühnen Gesetzmäßigkeit uns mächtiger als alle Logik dünken muß, während doch das vernunftgemäße, am Leitfaden von Grund und Folge sich bewegende Denken hier gar keinen Anhalt [* 3] findet, muß uns Beethovens Symphonie geradeswegs als eine Offenbarung aus einer andern Welt erscheinen.«
Wie nach jeder schöpferisch reichen Kunstepoche sich das Bestreben zeigt, das in der Praxis Errungene auch theoretisch zu rechtfertigen und zu befestigen, so folgte auch dem Aufschwung der dramatischen und der Instrumentalmusik eine rege Thätigkeit seitens der Theoretiker. Während die großen Tonlehrer der frühern Epoche, der schon genannte Venezianer Zarlino und der als Kapellmeister in Bologna 1678 gestorbene Bononcini, die polyphone Gesangsmusik zur Grundlage des Kompositionsstudiums gemacht hatten, nehmen die Methoden Rameaus und J. S. Bachs ihren Ausgangspunkt von den Klaviaturinstrumenten.
Die Harmonie, der Akkord, ist nach ihrer Auffassung nicht mehr das zufällige Ergebnis des Zusammenerklingens zweier oder mehrerer Melodien, sondern die notwendige, durch die Natur gegebene Ergänzung jeder einzelnen Tonreihe, wie dies Rameau an den zu jedem Ton miterklingenden Obertönen (am deutlichsten die Oktave, Quinte und Terz), der Violinist Tartini in seinem 1754 erschienenen »Trattato di musica« an dem sogen. Kombinationston, d. h. einem zu zwei höhern Tönen mitklingenden tiefern Ton, nachzuweisen suchten.
Die so begründete harmonische Vervollständigung der Melodie darzustellen, war die Aufgabe des Generalbasses, und da der ihn ausführende Künstler sich keineswegs darauf beschränkte, die bloßen durch die Ziffern angezeigten Akkorde hören zu lassen, sondern die melodischen Motive auch in der Begleitung kunstgemäß zu verwerten hatte, so wurde die Kunst des Generalbaßspielens nach und nach zum Inbegriff alles dessen, was zur Technik der Tonsetzkunst gehörte. In dieser Bedeutung erscheint sie in dem 1711 veröffentlichten Werk des Dresdener Kapellmeisters J. D. ^[Johann David] Heinichen: »Der Generalbaß in der Komposition«, wie auch in den von J. S. Bach hinterlassenen »Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen Spielen des Generalbaß oder Akkompagnement«; und wenn auch Fux in seinem »Gradus ad Parnassum« (1725) und später der Bologneser Giambattista Martini in seinem »Saggio di contrappunto« (1774) auf die ältere Methode zurückgingen, so behauptete sich doch die auf den Generalbaß gegründete Lehre, [* 4] namentlich seitdem sie durch die Berliner [* 5] Theoretiker Kirnberger (»Kunst des reinen Satzes«, 1774) und Marpurg (»Abhandlung von der Fuge«, 1753) vervollständigt war, für die Folgezeit als die herrschende.
Zur Verdrängung der ältern Lehre wirkte noch der Umstand mit, daß die durch Ausbildung des Einzelgesanges und dessen Begleitung veränderte Stellung und wesentliche Bereicherung der Harmonie eine Vereinfachung des Tonsystems zur notwendigen Folge gehabt hatte. Um das auf harmonischem Gebiet Errungene, um die besonders nach Einführung der gleichschwebenden Temperatur gewonnene unbeschränkte Freiheit im Modulieren völlig zu genießen, verzichtete man auf die melodische Mannigfaltigkeit der Kirchentonarten und begnügte sich von nun an mit zwei Tonarten: die Oktavengattungen mit großer Terz wurden auf die ionische, die mit kleiner Terz auf die äolische zurückgeführt, und damit war das bis zur Gegenwart herrschend gebliebene Dur- und Mollsystem endgültig angenommen.
Zu diesen Fortschritten kommt noch der für die Musik des 18. Jahrh. charakteristische Aufschwung der Musikwissenschaft. Die Geschichte der Musik, von frühern Schriftstellern nur gelegentlich berührt und meist in phantastischer Weise behandelt (wie z. B. in der 1650 zu Rom [* 6] erschienenen »Musurgia universalis« des Jesuiten Athanasius Kircher),
wird ein Gegenstand systematischen Studiums. Als einer der ersten namhaften Musikhistoriker erscheint in Deutschland [* 7] der Sorauer Kantor Printz mit seiner 1690 veröffentlichten »Historischen Beschreibung der edeln Sing- und Klingkunst«; ihm folgen Marpurg (»Historisch-kritische Beiträge«, 1754-60),
J. A. ^[Johann Adam] Hiller (»Lebensbeschreibungen berühmter Tonkünstler«, 1784) und Forkel (»Geschichte der Musik«, 1788-1801, und »Allgemeine Litteratur der Musik«, 1792). In Italien [* 8] wirken auf demselben Gebiet und mit gleichem Erfolg der oben genannte Padre Martini (»Storia della musica«, 1775-81) und Arteaga (»Le [* 9] revoluzioni del teatro musicale italiano«, 1785); in Frankreich Burette, der erste glückliche Entzifferer der in der Renaissancezeit aufgefundenen, damals noch unverständlich gebliebenen Fragmente altgriechischer und de la Borde (»Essai sur la musique ancienne et moderne«, 1780); in England Burney (»A general history of music«, 1776-89) und Hawkins (»A general history of the science and practice of music«, 1776). Als zuverlässige Hilfsmittel bieten sich den Historikern dieser Zeit die mit Gründlichkeit und Sachkenntnis redigierten Sammelwerke von Meibom (»Antiquae musicae auctores septem«, 1652) und vom Fürstabt Gerbert (»Scriptores ecclesiastici«, 1784),
erstere die wichtigsten Musikschriftsteller des Altertums, letztere die des Mittelalters reproduzierend; ferner die Arbeiten der Lexikographen, unter denen Brossard (»Dictionnaire de musique«, 1703) und J. J. Rousseau (»Dictionnaire de musique«, 1768) in Frankreich, J. G. ^[Johann Gottfried] Walther (»Musikalisches Lexikon«, 1732) und Gerber (»Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler«, 1792) in Deutschland hervorragen. Ferner ist noch der Akustik zu gedenken, welche im Lauf des 18. Jahrh. durch den Franzosen Sauveur (»Système général des intervalles des sons«, 1701),
der auch die Bezeichnung »Akustik« für die Lehre vom Schall [* 10] einführte, sowie in Deutschland durch Euler (»Dissertatio de sono«, 1727) und Chladni (»Entdeckungen über die Theorie des Klanges«, 1787) in erfolgreicher Weise ausgebildet wurde. Die Anwendung der 1750 von A. G. Baumgarten unter dem Namen Ästhetik ausgebildeten Wissenschaft vom Sinnlich-Schönen auf das musikalische Kunstwerk endlich versuchte zum erstenmal der Dichter-Komponist Daniel Schubart in seinen nach seinem Tod veröffentlichen »Ideen zur Ästhetik der Tonkunst« (1806).
IV. Die Musik im 19. Jahrhundert.
Forschen wir nun nach der musikalischen Signatur des 19. Jahrh., so erscheint dieselbe wesentlich bestimmt durch die von den sogen. Wiener Meistern Haydn, Mozart und Beethoven zur selbständigen Macht erhobene Instrumentalmusik. Begreiflicherweise übte dieselbe ihren Einfluß vorwiegend in Deutschland, wo die Pflege des Gesanges nicht nur von vornherein durch natürliche (unter andern klimatische) Verhältnisse, sondern auch durch Nebenumstände, namentlich durch die verzögerte Ausbildung der Sprache, erschwert war. Gleichwohl fanden die zu Anfang des Jahrhunderts hier auftretenden Komponisten ihren ¶
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Hauptwirkungskreis in der Oper, weil die absolute Musik ihren Kräften nur geringen Spielraum bot, nachdem Beethoven auf diesem Gebiet scheinbar das letzte Wort gesprochen hatte, jedenfalls seiner Zeit um mehrere Menschenalter vorausgeeilt war. Überdies war mit dem Aufschwung der deutschen Sprache und Dichtung ein wesentliches Hindernis für die Entwickelung der deutschen Vokalmusik beseitigt, und die der klassischen Zeit folgende Epoche der romantischen Dichtung bot ihr neben einer reich ausgebildeten Sprache noch eine Fülle neuen, zur musikalischen Bearbeitung vortrefflich geeigneten Stoffes.
Diesen Umständen verdankte die deutsche romantische Oper ihre Entstehung, als deren Hauptvertreter Spohr (»Faust«, 1816),
Weber (»Freischütz«, 1821) und Marschner (»Vampir«, 1828) zu nennen sind. Von ihnen wußte besonders Weber neben dem romantischen und phantastischen auch für das volkstümliche Element den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu finden, und deshalb konnte sein »Freischütz« zu einer Popularität gelangen, welche selbst Mozarts Opern, obwohl ihm an tonkünstlerischem Wert weit überlegen, nicht erreicht haben. Marschner wußte auch für Darstellung des Komischen den richtigen Ton zu treffen und hat auch auf diesem Gebiet unbestreitbare Erfolge gehabt; ja, die Stärke [* 12] der romantischen Strömung seiner Zeit scheint ihn allein abgehalten zu haben, sich der komischen Oper, welche in Deutschland überhaupt nur zwei namhafte Vertreter in Dittersdorf (gest. 1799), dem Zeitgenossen Mozarts, und im 19. Jahrh. in Lortzing (gest. 1851) gefunden hat, mit ganzer Kraft [* 13] zu widmen. Eine zweite musikalische Nachwirkung der sprachlichen und dichterischen Errungenschaften des 18. Jahrh. war die Ausbildung des deutschen Liedes. Schon seit der Fridericianischen Zeit hatten ernst strebende Männer, wie Reichardt (gest. 1814), Zelter (gest. 1832) u. a., sich bemüht, das Volkslied durch kunstmäßige Behandlung zu veredeln; die volle Verwirklichung dieses Plans jedoch, die Umgestaltung des Volksliedes zum Kunstlied, sollte erst dem genialen Erben der Beethovenschen Kunst, Franz Schubert (»Erlkönig«, 1821), gelingen.
Durch ihn wurde der Typus dieser Kunstgattung endgültig festgestellt, und wenn auch spätere Komponisten, wie Mendelssohn, Schumann, Rob. Franz, sie nach einer oder der andern Seite weiterhin ausbauten, so ist doch die naive Kraft, der unerschöpfliche Melodienreichtum und die feine Charakteristik des Schubertschen Liedes zu keiner Zeit wieder erreicht worden. In diesen beiden Fällen hatte die Instrumentalmusik einen wichtigen Anteil am Erfolg; denn wie die romantische Oper nur durch Verwendung des von Beethoven hinterlassenen Orchesters ihre Aufgabe lösen konnte, das von den Dichtern erschlossene Reich der Phantasie mit Hilfe des Tons zu beleben, so bedurfte das deutsche Lied in seiner modernen Gestalt der Mitwirkung des Beethovenschen Klaviers, um die in der Lyrik Goethes und seiner Nachfolger erscheinende Mannigfaltigkeit subjektiver Empfindungen in Tönen erschöpfend darzustellen. Im Gegensatz zu dem ältern Lied, welches sich an der einfachsten Begleitung genügen ließ, gewann diese im Schubertschen Lied eine solche Selbständigkeit und Bedeutung, daß sie die Singstimme nicht nur ergänzend unterstützt, sondern ihr auch nicht selten gleichberechtigt gegenübertritt.
Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß gerade in Wien, [* 14] dem Schauplatz von Schuberts Wirksamkeit, das Klavierspiel einen außerordentlichen Aufschwung genommen hatte und zuerst durch Mozart, auf welchen die durch Ph. Em. Bach vermittelten Traditionen Seb. Bachs übergegangen waren, sowie durch Beethoven, der den Grund seines musikalischen Rufs bekanntlich als Klaviervirtuose gelegt hat, aufs reichste entwickelt war. Nach ihnen fand die sogen. Wiener Schule in Mozarts Schüler Hummel (gest. 1837) einen würdigen Repräsentanten (auch Moscheles [gest. 1870], in der Prager Schule Tomascheks ausgebildet, darf als Nachfolger jener Meister gelten); dann aber schlägt sie unter Czernys (gest. 1857) Leitung eine Richtung auf das Äußerlich-Virtuosenhafte ein, bis mit dem Auftreten der drei bedeutendsten Schüler desselben, Liszt (gest. 1886), Thalberg (gest. 1871) und Theodor Kullak (gest. 1882), das Klavierspiel wiederum die Lösung höherer Kunstaufgaben zum Ziel nimmt. Nicht minder erfreuliche Fortschritte macht das Violinspiel in der ersten Hälfte des Jahrhunderts unter Spohr (gest. 1859), der mit seiner Thätigkeit als Komponist die des Violinvirtuosen und Lehrers aufs glücklichste vereinte und während seiner langjährigen Künstlerlaufbahn eine sehr große Zahl von Schülern bildete, unter denen die bedeutendsten, Hubert Ries in Berlin [* 15] (gest. 1886) und Ferd. David in Leipzig [* 16] (gest. 1873), wiederum Häupter besonderer Schulen wurden. Auch in Wien blühte das Violinspiel anfangs unter Schuppanzigh (gest. 1830), dem ersten Interpreten der Beethoven-Streichquartette, dann unter seinem Schüler Mayseder (gest. 1863), dessen Lehrgabe auf Jos. Böhm (gest. 1876) und von diesem auf Jakob Dont (geb. 1815) überging.
Rechnet man die Vervollkommnung hinzu, welche die Technik auch der übrigen Instrumente durch Künstler wie B. Romberg (Violoncello), Bärmann (Klarinette), Fürstenau (Flöte) u. a. fand, so wird es begreiflich, daß nach Beethovens Tod, wiewohl seine musikalische Hinterlassenschaft noch für lange Jahre hinaus Nahrung bot, der Versuch gewagt wurde, die Instrumentalmusik als solche weiterzubilden. Felix Mendelssohn (1809-1847) und Rob. Schumann (1810-56) unternahmen es, wenn nicht über Beethoven hinauszugehen, so doch der absoluten Musik neue Gebiete zu erschließen, und dies gelang namentlich dem erstern, indem er die Fähigkeit der Instrumente zu tonmalerischen Schilderungen (z. B. in seinen Ouvertüren zum »Sommernachtstraum«, »Meeresstille und glückliche Fahrt«) aufs geschickteste zu verwerten wußte.
Der Schwerpunkt [* 17] der Leistungen dieser beiden Meister liegt gleichwohl nicht in ihrer Orchestermusik, sondern in den Stimmungsbildern knappster Form, zu denen sie sich durch das Klavier inspirieren ließen. Mendelssohns »Lieder ohne Worte« und Schumanns gleichartige Arbeiten übten, indem sie die intimsten Regungen der Künstlerseele widerspiegelten, auf die Zeitgenossen einen ungemeinen Reiz aus und fanden zahlreiche Nachahmer, wirkten anderseits aber auch nachteilig, weil sie der Subjektivität einen unbeschränkten Spielraum gewährten.
Gegen diese fand Mendelssohn ein Gegengewicht in dem liebevollen Studium der Werke Bachs und Händels, und indem er dieselben der Vergessenheit entriß, welcher sie bald nach dem Tod ihrer Schöpfer verfallen waren (die von ihm unter den größten Schwierigkeiten durchgesetzte Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion in Berlin, 1829, ein Jahrhundert nach ihrer ersten Aufführung, ist eine der verdienstvollsten von seinen künstlerischen Thaten), indem er sich ferner durch das Beispiel jener Meister zu seinen bedeutendsten Werken, den Oratorien: »Paulus« (1836) und »Elias« (1846), begeisterte, hat er für sich und seine Zeit die Gefahren ¶