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100 kleinere Werke für Orchester und 55 Konzerte. Eine solche Fruchtbarkeit in einem so kurzen Leben, von welchem die Reisen zwei Drittel in Anspruch genommen, ist um so bewunderungswürdiger, als auch übrigens durch seine Kapellmeisterpflichten und Lektionen so vielfach vom Komponieren abgezogen wurde, daß er meist nur die frühen Morgenstunden oder die Nacht dazu verwenden konnte.
Mozart hat sich, wie wir sahen, in allen Gattungen der musikalischen Komposition bethätigt und überall Ausgezeichnetes geleistet. Am größten aber und wahrhaft epochemachend ist seine Bedeutung auf dem Gebiet der Oper, die durch ihn vermöge der reichen Innerlichkeit, welche einen Grundzug seines Wesens bildete, eine Stufe der Vollendung erreichte, auf welcher sie sowohl die der Italiener als auch die durch Gluck veredelte große Oper der Franzosen hinter sich zurückließ.
Das erste Werk, in welchem seine kunsthistorische Bedeutung als dramatischer Komponist offenbar wird, ist der »Idomeneo«. Die vor diesem entstandenen, oben genannten Opern und Festspiele, selbst die in Hinsicht auf Instrumentation und dramatischen Ausdruck reifere »Finta giardiniera«, sind durchaus in den herkömmlichen Formen gehalten und haben weder an sich noch für uns eine höhere Bedeutung, wiewohl die in ihnen sich offenbarende musikalische Gestaltungskraft stets zu bewundern bleibt.
Auch »Idomeneo« (»Idomeneo, re di Creta ossia Ilia e Idamante«) steht im ganzen noch auf dem Boden der altitalienischen Opera seria, wie schon die große Zahl der Arien andeutet sowie der Umstand, daß die Rolle des Idamante einem Kastraten bestimmt war. Aber trotz aller der bloßen Gesangsvirtuosität gemachten Zugeständnisse und neben der in der Behandlung der Recitative ersichtlichen Nachahmung der Gluckschen Muster tritt Mozarts Genius in den großartigen Chören und noch mehr in der für jene Zeit unerhört kühnen und durch feinste Charakteristik ausgezeichneten Instrumentierung bereits mächtig hervor.
Erscheint Mozart in dieser wie auch in seinen beiden letzten italienischen Opern, »Così fan tutte« und »Titus«, noch vielfach von italienischen Vorbildern abhängig, so sehen wir ihn in allen seinen übrigen dramatischen Schöpfungen durchaus neue Gebiete erobern und mit jeder folgenden ein Muster der Gattung aufstellen. Die »Entführung aus dem Serail«, welche zunächst folgt, ist größernteils in der Weise und nach dem Maß des damaligen Singspiels angelegt, aber bedeutsam durch vielfach reichere Ausführung, treffende Charakteristik und Innigkeit des Ausdrucks, an welcher vielleicht die gehobene Stimmung des Komponisten, welcher eben damals glücklicher Bräutigam war, einigen Anteil gehabt hat.
Zugleich aber stellte Mozart gerade hier der Schilderung zarter und treuer Liebesgefühle die heiterste
Laune und (im Osmin) eine
von ihm selbst kaum wieder erreichte
Komik entgegen, welche mit der
Sentimentalität der Hauptfiguren aufs
glücklichste kontrastiert.
Noch bewunderungswürdiger erscheint er in seiner nächsten
Oper, der nach
Beaumarchais' gleichnamigem
Lustspiel von Da
Ponte bearbeiteten
»Hochzeit des
Figaro« (»Le
[* 2] nozze di
Figaro«). Die schwierige Aufgabe, den eleganten Konversationsstil
des französischen
Lustspiels in die natürliche
Sprache
[* 3] des
Gefühls zu übersetzen, hat Mozart hier wie spielend
bewältigt. Er vermochte die kalte
Ironie und
Satire und selbst die stellenweise nackte Frivolität der
Dichtung durch die naive
Anmut seiner
Musik zu verdecken und die Unsittlichkeit des
Stoffes aufzuheben, indem er als Grundmotiv des unaufhörlichen Intrigenspiels
die echte
Liebe darstellte,
die er mit durchdringender Herzenskenntnis in allen denkbaren Beziehungen
schildert und wie im
Feuer der
Leidenschaft erprobt aus allen Verwickelungen siegreich hervorgehen läßt.
Die höchste Stufe aber erreicht Mozart mit seinem »Don Juan« (»Il dissoluto punito, o il Don Giovanni«). Indem er hier die Lieblichkeit und Anmut der italienischen Melodik mit dem großartigen Pathos der Gluckschen französischen Oper, den Fluß und die wirkungsvolle Behandlung des vokalen Teils mit einem bis dahin unbekannten Reichtum und Glanz des Orchesters vereint, indem er ferner die Charaktere, sowohl die tragischen als die komischen, unter steter Mitwirkung der Instrumente mit höchster Schärfe und vollendeter Naturwahrheit zeichnet und diese wichtigste Aufgabe des dramatischen Komponisten selbst dann keinen Augenblick vernachlässigt, wenn er, seinem spezifisch musikalischen Genius folgend, die wunderbarsten kontrapunktischen Gebilde gestaltet, hat er ein musikalisch-dramatisches Meisterwerk geschaffen, welches alles vor seiner Zeit auf diesem Gebiet Entstandene hinter sich zurückließ und der deutschen Tonkunst einen entscheidenden Sieg über die fremdländische errang.
»Für alle Situationen und Erscheinungen«, sagt v. Dommer (»Geschichte der Musik«, S. 552),
»von den Schrecken der Geisterwelt und den drohenden Verkündigungen des Gerichts bis zu den wonnevollen Schauern der Sommernacht, weiß er seine Farbentöne auf das wunderbar treffendste zu stimmen. Und in welchen Regionen des Tragischen und Leidenschaftlichen oder des Komischen und Anmutigen, des grauenvoll Dämonischen oder der lichten Seelenheiterkeit er sich auch bewegen möge: die Grenzlinie des Schönen und Naturgemäßen hat er niemals überschritten; sein feines und unfehlbares Kunstgefühl ließ sich gar nicht nahekommen, was die Wahrheit und Reinheit seiner Gestaltungen irgendwie hätte trüben können. Solchen eminenten Gaben gegenüber kann man aber schließlich um so weniger den Wunsch unterdrücken, ihr glücklicher Besitzer möge häufiger dem Edlen und Erhabenen sich zugewendet haben. In dieser Beziehung stand er nicht über seiner Zeit; ein Zuchtmeister und Sittenlehrer, wie es Händel und Gluck gewesen, konnte er ihr nicht werden. Er starb zu jung, um erkannt zu haben, daß die Kunst nicht bloß durch ihre Vollkommenheit in sich auf Zeitgenossen und Nachkommen wirken soll, sondern auch durch die Größe und Hoheit ihrer Ideale und der darin verkörperten Lebensanschauungen. Die Texte der bedeutendsten Opern Mozarts sind zum großen Teil trivial und frivol; selbst der 'Don Juan', rein kunstmäßig eins der größten Meisterwerke, welche jemals geschrieben sind, hat den ausschweifenden Wüstling zum Helden, der, wenn wir ihn als Personifikation der den sinnlichen Lüsten anheimgefallenen und durch sie vernichteten sittlichen Schwäche fassen, zwar eine furchtbare Wahrheit und Bedeutung gewinnt, als Objekt der Kunstdarstellung aber wenigstens des Genius eines Mozart bedarf, um nicht widerwärtig zu werden.« Dieselbe Leichtlebigkeit, um nicht zu sagen derselbe Leichtsinn der ethischen Seite seiner Kunst gegenüber erklärt es, daß Mozart nach Vollendung des »Don Juan« seine schöpferische Kraft [* 4] auf Stoffe verwenden konnte wie die geistlose Opera buffa des Da Ponte: »Così fan tutte, ossia la scuola degli amanti«, wie Metastasios frostige Galaoper »La clemenza di Tito«, an denen die Hand [* 5] selbst des größten Meisters erlahmen mußte, oder wie die dem Geschmack eines vorstädtischen Theaterpublikums huldigende Zauberposse Schikaneders: »Die Zauberflöte«. Aber gerade im ¶
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letztern Fall sollte sich sein Genie glänzender bewähren als je zuvor, denn durch den Adel seiner Kunst wußte er das seichte Machwerk des Dichters aus der Sphäre des Gemeinen und Hausbackenen in die des Ideals zu erheben. Die »Zauberflöte« ist es, um mit Jahn zu reden, durch welche Mozart seiner Nation das Heiligtum der deutschen Kunst erschlossen hat; unmittelbar und allgemein drang diese Oper ins Volk ein, wie wohl nie vorher ein musikalisches Kunstwerk, um bis heute ihren Platz auf der deutschen Bühne zu behaupten.
Als ein Kind seiner Zeit erscheint auch in den meisten seiner Kirchenkompositionen. Die kraftlose Religiosität der sogen. Aufklärungsepoche einerseits, die bereits im 17. Jahrh. begonnene, zu seiner Zeit vollendete Überflutung der Kirchenmusik durch die dramatische anderseits bestimmten auch sein Schaffen auf diesem Gebiet, und wiewohl seine zahlreichen Vespern, Litaneien, Motetten, Hymnen, Kantaten und Messen, das Oratorium »La Betulia liberata«, vor allem das »Requiem« von seiner tonkünstlerischen Meisterschaft vollgültiges Zeugnis ablegen, so ist ihnen doch beim Mangel eines spezifisch kirchlichen Geistes eine epochemachende Bedeutung, wie sie den Werken Bachs und Händels zukommt, nicht beizulegen.
Auch auf dem Gebiet des Liedes konnte er nicht bahnbrechend wirken, weil die lyrische Dichtkunst seiner Zeit noch zu unentwickelt war, um ihm den nötigen Spielraum für seine Kunst zu gewähren; doch zeigt seine Komposition des Goetheschen »Veilchen« deutlich genug, was er als Liederkomponist geschaffen haben würde, wenn ihm ein solcher Schatz lyrischer Dichtungen zur Verfügung gewesen wäre, wie ihn einige Jahrzehnte nach seinem Tod Franz Schubert vorfand. Dagegen leistete Mozart wiederum das Höchste auf dem Felde der reinen Instrumentalmusik.
Zwar hat er die Formen derselben, wie er sie aus den Händen Emanuel Bachs und J. Haydns empfangen, nicht wesentlich verändert oder erweitert; auch war es ihm nicht beschieden, die absolute Musik über die Sphäre des geist- und sinnvollen Tonspiels hinaus zu jener Höhe zu erheben, auf welcher sie, wie bei Beethoven, zum Ausdruck eines bestimmten dichterischen Gedankens befähigt war. Gleichwohl war die Förderung, welche die Instrumentalmusik hinsichts ihrer innern Entwickelung Mozart verdankt, eine so bedeutende, daß nicht nur Beethoven als sein Schüler gelten kann, sondern auch Haydn, auf dessen spätere Arbeiten die seinigen einen rückwirkenden Einfluß ausübten, wie Haydns nach Mozarts Tod komponierte Symphonien deutlich beweisen. Die Meisterschaft, mit welcher er das Orchester zum ausdrucksvollen Organ seiner künstlerischen Stimmungen machte, bewährt sich namentlich in seinen schon erwähnten drei Symphonien: Es dur, G moll und C dur, in denen er, wie R. Wagner (»Gesammelte Schriften«, Bd. 3) sagt, »seinen Instrumenten den sehnsuchtsvollen Atem der menschlichen Stimme einhauchte, der sein Genius mit weit vorwaltender Liebe sich zuneigte. Den unversiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichsam in rastloser Sorge, ihr, der nur von Instrumenten vorgetragenen, ersatzweise die Gefühlstiefe und Inbrunst zu geben, wie sie der natürlichen menschlichen Stimme als unerschöpflichem Quell des Ausdrucks im Innersten des Herzens zu Grunde liegt.« Die gleichen Vorzüge zeigen seine Streichquartette, unter denen die sechs J. Haydn gewidmeten obenan stehen, sowie, wenn auch nur in beschränktem Maß, seine zahlreichen kleinern Orchesterwerke: Kassationen, Serenaden, Divertimenti für Saiten- und Blasinstrumente.
Von unvergänglichem Wert sind endlich noch Mozarts Arbeiten für Soloinstrumente, besonders die für das Klavier. Schon im Jünglingsalter stand er als Virtuose auf drei Instrumenten, dem Klavier, der Orgel und der Violine, den größten Meistern seiner Zeit ebenbürtig da; später aber widmete er sich vorwiegend dem Klavier, und seine Lehrthätigkeit nicht minder als seine Kompositionen für dies Instrument bildeten den Ausgangspunkt für die nach seinem Tod unter der Führung seines Schülers Hummel weltberühmt gewordene Wiener Klavierschule. - Eine vollständige, kritisch durchgesehene Ausgabe der Werke Mozarts haben seit 1876 Breitkopf u. Härtel in Leipzig [* 7] in Angriff genommen. Ein »Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Mozarts« lieferte v. Köchel (Leipz. 1862). Mozarts Leben beschrieben Niemtschek (Prag [* 8] 1798), Nissen (Leipz. 1828), Ulibischew (Mosk. 1843; deutsch, 2. Aufl., Stuttg. 1859, 4 Bde.), Holmes (Lond. 1815, neue Ausg. 1845),
O. Jahn (das Hauptwerk über Mozart, Leipz. 1856-59, 4 Bde.; 2. Aufl. 1867, 2 Bde.), Nohl (2. Aufl., das. 1877) und Meinardus (Berl. 1882). Nohl gab auch die Briefe Mozarts (2. Aufl., Leipz. 1877) und »Mozart nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen« (Leipz. 1879) heraus.
Mozarts Schwester Maria Anna, geb. war ebenfalls ein musikalisches Talent, trat auf den Kunstreisen der Familie 1762-66 als Klaviervirtuosin auf, lebte dann bei ihrer Mutter in Salzburg [* 9] und verheiratete sich 1784 mit dem Freiherrn Johann Baptist v. Sonnenberg. Nach dessen Tod (1801) kehrte sie nach Salzburg zurück, wo sie, seit 1820 erblindet, starb. Mozarts ältester Sohn, Karl, geb. 1784, starb 1859 in Mailand [* 10] als Steuerbeamter. Sein zweiter Sohn, Wolfgang Amadeus, geb. zu Wien [* 11] und von Neukomm und Albrechtsberger in der Musik gebildet, trat im 14. Jahr zum erstenmal als Virtuose und Komponist auf, ging dann 1808 nach Galizien, wo er als Privatlehrer auf dem Land, seit 1823 zu Lemberg [* 12] wirkte, gründete daselbst 1826 einen Cäcilienverein und übernahm später die Kapellmeisterstelle am dortigen Theater. [* 13] Er starb in Karlsbad. Seine Kompositionen (zwei Klavierkonzerte, ein Streichquartett, Sonaten, Variationen etc.) sind nicht von Bedeutung.